Ethik

Grenzmanagement im Coaching

Professioneller Umgang mit eigenen Grenzen als Coach

Ein Coach sollte die Grenzen seiner Arbeit kennen. Es sind die Grenzen dessen zu berücksichtigen, was Coaching (aber auch der Coach selbst) leisten kann. Grenzen, die es im Umgang mit Klienten und Auftraggebern sowohl einzuhalten als auch zu setzen gilt, sind klar zu kommunizieren. Sogar die emotionale Verbundenheit mit dem Klienten sollte – in beiderseitigem Interesse – Grenzen kennen. Kommt es zu Grenzverletzungen, können negative Folgen für den Klienten, den Coach und/oder den Coaching-Prozess entstehen. Grenzmanagement ist daher eine Frage der Coaching-Professionsethik. 

11 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2023 am 15.11.2023

Der Coaching-Prozess kann komplex sein und erfordert ein routiniertes Navigieren durch verschiedene Herausforderungen. Deshalb ist es für jeden Coach wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und professionell mit ihnen umzugehen. Mit der richtigen Herangehensweise und ausreichender Selbstreflexion unterstützen Coaches ihre Klienten bestmöglich dabei, zu den gewünschten Ergebnissen zu gelangen. Gleichzeitig stellen sie sicher, sowohl die eigene Gesundheit als auch das Wohlbefinden zu bewahren. Ein gutes Grenzmanagement zu betreiben, ist somit wichtiger Bestandteil der Professionsethik im Coaching.

In Papieren, die sich mit Coaching-Professionsethik befassen, finden Themen des Grenzmanagements folgerichtig in vielfältiger Weise Platz. Beispielsweise betont der von der Association for Coaching (AC) und dem European Mentoring & Coaching Council (EMCC) ins Leben gerufene Global Code of Ethics (GCoE, 2016) die Notwendigkeiten, als Coach innerhalb der Grenzen der eigenen beruflichen Kompetenz zu handeln und die berufliche Beziehung zu einem Klienten klar von anderen Beziehungsformen zu unterscheiden. Der Kodex zielt auf die Sicherung von Qualitätsstandards in Coaching, Mentoring und Supervision.

Auf einen Blick

  • Ein professionelles Grenzmanagement ist unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit als Coach.
  • Dieses erfordert – neben Klarheit in Bezug auf die eigenen Grenzen, jene des Klienten und die der Profession – u.a. klare Kommunikation, stetige Selbstreflexion und ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen der Beziehungsgestaltung im Coaching.
  • Supervision und kollegiale Gespräche können hinsichtlich der Gestaltung des eigenen Grenzmanagements wertvolle Unterstützung leisten.

Im Coaching spielt die Gestaltung der Beziehung eine zentrale Rolle, besonders angesichts der Tatsache, dass es sich bei jedem Coaching um eine zwischenmenschliche Dienstleistung handelt, die auf die aktive Beteiligung beider Parteien – Coach und Klient – angewiesen ist (Schmidt-Lellek, 2015). Der Erfolg des Coachings hängt deshalb maßgeblich von einer vertrauensvollen Beziehungsgestaltung zwischen Coach und Klienten ab (ebd.). Doch wie gestaltet man eine erfolgreiche Beziehung im Coaching und sorgt gleichzeitig dafür, dass die eigenen Grenzen als Coach gewahrt werden?

Das Finden ausbalancierter Interaktionsmuster erfordert die Ausbildung eines Bewusstseins für die Vielschichtigkeit von Beziehungsdynamiken (ebd.). Um nicht in den Problemsog des Klienten zu geraten und Gefahr zu laufen, die eigene Souveränität und Neutralität einzubüßen, erfordert es das Wahren der persönlichen Grenzen von Coach und Klient gleichermaßen. Dieser Schritt ist entscheidend, um einerseits ein besseres Verständnis für die Prozessstruktur zu entwickeln und andererseits eine zielgerichtete Begleitung des Klienten gewährleisten zu können. Ein effektives Grenzmanagement im Coaching ist daher von entscheidender Bedeutung, um eine vertrauensvolle und professionelle Arbeitsbeziehung aufrechtzuerhalten. Durch klare Rahmenbedingungen, Bewusstheit der eigenen Grenzen, Wahren der Rolle als Coach, offene Kommunikation und kontinuierliche Weiterentwicklung kann dieser Prozess erfolgreich gestaltet werden. Auf diese Weise können Coaches ihren Klienten eine optimale Unterstützung bieten und dazu beitragen, dass diese ihre Coaching-Ziele erreichen.

Quellen unklarer Abgrenzungen

Die Fähigkeit, sich im Coaching-Prozess richtig abzugrenzen, stellt für viele Coaches eine wiederkehrende Herausforderung dar. Dies liegt erfahrungsgemäß häufig an ihrer tiefen persönlichen Involvierung und dem Wunsch, wirklich helfen zu wollen, was manchmal zu einer starken Identifikation mit den Schwierigkeiten des Klienten führen kann. Hinzu kommt mitunter eine unklare Rollendefinition: Ist der Coach reiner Prozessbegleiter oder nimmt er (zeitweise) z.B. auch die Funktion eines Beraters oder Trainers ein? Wenn er mehrere Rollen ausfüllt: Ist sich der Coach bewusst, wann er welche Rolle bekleidet und wie er dies dem Klienten klar kommuniziert? Bestehen hier Unklarheiten, können Verantwortlichkeiten verschwimmen. Emotionale Übertragungsphänomene, bei denen Coaches und Klienten unbewusst alte Beziehungsmuster und Emotionen in die Coaching-Beziehung einbringen, können das Abgrenzen zusätzlich erschweren. Manche Coaches haben zudem Angst, den Klienten durch zu strikte Grenzen zu verlieren, vor allem wenn sie finanziell von den Sitzungen abhängig sind. Das Fehlen einer regelmäßigen Supervision, in der Coaches ihre Arbeit reflektieren können, und eventuell unzureichende Ausbildungen tragen ebenfalls zu Abgrenzungsproblemen bei. Nicht zuletzt können persönliche Grenzthemen des Coachs, basierend auf eigenen Erfahrungen, die Fähigkeit zur professionellen Abgrenzung beeinträchtigen. Für eine effektive und ethische Coaching-Praxis ist es daher unerlässlich, dass Coaches sich dieser Herausforderungen bewusst sind und Strategien entwickeln, um sie zu bewältigen.

Die Komplexität des Coaching-Prozesses verstehen

Der Coaching-Prozess ist häufig gekennzeichnet durch viele prozesshemmende Aspekte wie die Bedürfnisse und Erwartungen des Klienten, die Dynamik zwischen Coach und Klient sowie erschwerte Rahmenbedingungen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass ein Coach in der Lage ist, die verschiedenen Elemente des Coachings zu identifizieren und zu verstehen, um eine erfolgreiche Beziehung zum Klienten aufzubauen. Oft begegnen Coaches Klienten, die Widerstand gegen Veränderungen zeigen oder sich unsicher über ihre Ziele sind. Manchmal ist die Motivation für das Coaching mehr von externen Faktoren getrieben, was das Erreichen von Ergebnissen erschweren kann, da der Veränderungswunsch nicht intrinsischer Natur ist. Ein grundlegendes Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Klient ist für den Prozess unerlässlich, und dessen Fehlen kann den Fortschritt hemmen. Zudem können unrealistische Erwartungen, persönliche emotionale Barrieren oder mangelnde Selbstwahrnehmung des Klienten das Coaching herausfordernd gestalten.

Der Coach selbst erlebt möglicherweise Grenzen in seiner Fähigkeit und Expertise, was bedeutet, dass es Situationen gibt, in denen eine Weiterempfehlung an einen Spezialisten angemessen ist. Organisatorische Hürden, kulturelle Unterschiede und ethische Bedenken, insbesondere in Bezug auf Vertraulichkeit, können ebenfalls auftreten. Um diesen vielfältigen Herausforderungen gerecht zu werden, ist ein solides Grenzmanagement für den Erfolg des Coachings zentral. Es ist Voraussetzung dafür, den vielfältigen Herausforderungen des Coachings zu begegnen und gleichzeitig erfolgreich sein zu können. Dabei geht es nicht nur um die physischen, sondern auch um die emotionalen und psychologischen Grenzen, die Coaches im besten Fall setzen, um eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, in der sich der Klient sicher und geborgen fühlen kann.

Gleichzeitig gilt es, die Grenzen des Klienten zu respektieren und konstruktiv mit Widerständen umzugehen. Ein professioneller Umgang mit Grenzen ist somit nicht nur eine Frage des Erfolgs, sondern auch der Verantwortung und des Respekts gegenüber den Klienten. Es handelt sich um ein dynamisches Spannungsgefüge, welches einer kontinuierlichen Harmonisierung bedarf.

Die Bedeutung von Nähe und Distanz im Coaching

Im Coaching ist die Balance zwischen Nähe und Distanz von großer Bedeutung, da sie sowohl die Beziehung zwischen Coach und Klient als auch die Ergebnisse des Coachings beeinflusst. Um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und dem Klienten ein sicheres Gefühl zu vermitteln, ist Empathie unabdingbar. Eine gewisse Distanz ist jedoch erforderlich, um Objektivität und eine klare Perspektive zu wahren und dem Klienten den Raum zu geben, autonom zu handeln. Eine zu enge Bindung kann zu Verstrickungen oder Abhängigkeitsbeziehungen führen, während eine angemessene Distanz die Autonomie des Klienten fördert und den Coach davor bewahrt, z.B. aufgrund zu starker Betroffenheit den klaren Blick von außen einzubüßen oder die Prozesssteuerung entgleiten zu lassen. Das Verhältnis von Nähe und Distanz im Coaching wirkt sich maßgeblich auf das Grenzmanagement aus und ist essenziell, um die Professionalität und Integrität des Coachings zu erhalten. Ein sorgfältig ausbalanciertes Verhältnis unterstützt die klare Definition von Rollen, wobei der Coach als professioneller Begleiter und nicht als Freund oder Therapeut agiert. Zu starke Nähe birgt das Risiko von emotionalen Abhängigkeiten und kann die Rolle des Coachs verschieben, während eine gezielte Distanz dem Klienten die Möglichkeit bietet, selbstreflektiert zu agieren. Das Erkennen und Anpassen der Nähe-Distanz-Balance verhindert, dass persönliche oder ethische Grenzen überschritten werden, und fördert eine klare Kommunikation über Erwartungen und Grenzen. Ein bewusster Umgang mit Nähe und Distanz ist somit unerlässlich, um den Coaching-Prozess ethisch, professionell und effektiv zu gestalten (Best, 2020).

Strategien für professionelles Grenzmanagement im Coaching

Ein erfolgreiches Coaching beruht auf einer klaren und vertrauensvollen Beziehung zwischen Coach und Klient. Um diese Beziehung zu stärken und gleichzeitig professionelle Grenzen zu wahren, bedarf es einer sorgfältigen und effektiven Strategie für das Grenzmanagement im Coaching (ebd.). Eine bewusste Prozesssteuerung kann in Situationen der Überforderung oder Handlungsunfähigkeit dabei unterstützen, wieder eine souveräne Außenperspektive zu erlangen und störende Muster zu unterbrechen. Nachfolgend sind einige Möglichkeiten der Steuerung bzw. Intervention genannt.

Klare Rahmenbedingungen setzen

Es ist wichtig, von Anfang an klare Vereinbarungen über die Coaching-Ziele, den Umfang und die Dauer der Zusammenarbeit zu treffen. Dabei sollten auch wichtige Wertvorstellungen, ethische Grundsätze und Vertraulichkeitsregeln besprochen werden. Dies legt die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und verdeutlicht die professionelle Ausrichtung des Coachings.

Bewusstsein für die eigenen Grenzen

Ein professioneller Coach ist sich seiner persönlichen und fachlichen Grenzen bewusst. Es ist wichtig, zu erkennen, wann es angebracht ist, den Klienten an einen spezialisierten Experten zu verweisen, wenn bestimmte Themen oder Probleme außerhalb des eigenen Kompetenzbereichs liegen. Dies zeigt Verantwortungsbewusstsein und ermöglicht es dem Klienten, die bestmögliche Unterstützung zu erhalten.

Klarheit in der Rolle als Coach wahren

Ein Coach ist kein Berater oder Therapeut, sondern ein Begleiter und Unterstützer im Entwicklungsprozess des Klienten. Es ist wichtig, die Grenzen dieser Rolle zu respektieren und eine klare Trennung zwischen persönlichen und professionellen Beziehungen aufrechtzuerhalten. Dies schafft ein professionelles Umfeld, welches dem Klienten ermöglicht, sich uneingeschränkt zu öffnen und von den Coaching-Sitzungen zu profitieren.

Offene Kommunikation und regelmäßiges Feedback

Eine transparente Kommunikation zwischen Coach und Klient ist entscheidend, um potenzielle Grenzüberschreitungen frühzeitig erkennen und ansprechen zu können (Fischer et al., 2019). Beide Parteien sollten sich sicher fühlen, Bedenken oder Unklarheiten auszudrücken und regelmäßiges Feedback auszutauschen. Dies gewährleistet ein kontinuierliches Lernen und Wachstum in der Coaching-Beziehung (ebd).

Selbstreflexion und Weiterbildung als Coach

Ein professioneller Coach investiert Zeit und Ressourcen in die eigene persönliche und fachliche Weiterentwicklung. Selbstreflexion ermöglicht es, eigene Grenzen zu erkennen und zu verstehen, um sie noch effektiver in der Coaching-Praxis zu managen. Die Teilnahme an Fortbildungen und Supervisionen bietet eine wertvolle Möglichkeit, das eigene Verständnis für professionelles Grenzmanagement zu erweitern und den eigenen Coaching-Ansatz zu verbessern. Ein kollegiales Gespräch bietet zudem einen korrektiven Blick auf Problemstellung und eröffnet neue Perspektiven auf Problemlagen.

Zentrale Aspekte des Grenzmanagements im Coaching
Abb.: Zentrale Aspekte des Grenzmanagements im Coaching

Fazit

Im Coaching-Prozess ist es von entscheidender Bedeutung, als Coach professionell mit eigenen Grenzen umgehen zu können. Hierbei spielt die Selbstreflexion eine entscheidende Rolle. Wer sich selbst gut kennt und seine eigenen Stärken und Schwächen einschätzen kann, wird in der Lage sein, im Coaching angemessen zu agieren. Dabei geht es insbesondere darum, eigene Grenzen zu erkennen und diese auch klar zu kommunizieren. So vermeidet man, dass Erwartungen von Klienten oder anderen Beteiligten nicht erfüllt werden können. Die Selbstreflexion hilft dabei, eigene Erwartungen an den Prozess realistisch einzuschätzen und gegebenenfalls anzupassen. Darüber hinaus ist sie ein wichtiges Werkzeug, um eigene Emotionen und Reaktionen im Coaching-Prozess zu reflektieren und angemessen darauf reagieren zu können.

Insgesamt ist es wichtig, sich des Umstandes bewusst zu sein, dass Grenzsituationen im Coaching unvermeidlich sind. Es ist jedoch möglich, sie erfolgreich zu meistern, indem man die richtigen Techniken und Strategien nutzt. Durch eine offene Kommunikation und die Bereitschaft zur möglicherweise notwendigen Anpassung des Coaching-Ansatzes kann das Potenzial dieser Herausforderungen in positiver Weise genutzt werden, um ein noch tieferes Verständnis für den Klienten und seine Bedürfnisse zu entwickeln. Die Komplexität des Coaching-Prozesses erfordert zudem die Fähigkeit, eigene Erwartungen zu harmonisieren sowie schwierige Situationen durch Kommunikation und Konfliktmanagement zu bewältigen. Sich selbst immer wieder zu hinterfragen und sich bewusst zu machen, welche eigenen Bedürfnisse und Erwartungen in den Coaching-Prozess einfließen, hilft dabei, eine erfolgreiche Strategie im Umgang mit Grenzsituationen aufzubauen. Coaches sollten sicherstellen, nicht in eine Überforderung zu geraten, ungewollt eigene Themen in das Coaching einzubringen oder Probleme des Klienten zu übernehmen. Zudem ist es wichtig, klare Absprachen mit dem Klienten zu treffen und dessen Erwartungen mit dem, was ein Coaching leisten kann, abzugleichen. Durch offene Kommunikation kann man Missverständnisse vermeiden und Konfliktsituationen frühzeitig erkennen und lösen.

Insgesamt gilt: Ein professioneller Umgang mit eigenen Grenzen ist keine einmalige Entscheidung, sondern ein kontinuierlicher Prozess und unverzichtbarer Bestandteil der Haltung als Coach. Wer diese Herausforderung annimmt, stellt eine wichtige Weiche, um langfristig erfolgreich zu arbeiten und seinen Klienten nachhaltig helfen zu können.

Literatur

Best, L. (2020). Nähe und Distanz in der Beratung – Das Erleben der Beziehungsgestaltung aus der Perspektive der Adressaten. Wiesbaden: Springer.

GCoE (2016). Global Code of Ethics. Globaler Ethikkodex für Coaches, Mentoren und Supervisoren. Abgerufen am 13.09.2023: https://bit.ly/44LygDz

Fischer, H. R.; Borst, U. & von Schlippe, A. (2019). Was tun? Fragen und Antworten aus der systemischen Praxis. Stuttgart: Klett-Cotta.

Schmidt-Lellek, C. (2015). Die professionelle Beziehung im Coaching – Polaritäten und Paradoxien. In A. Schreyögg & C. Schmidt-Lellek (Hrsg.), Die Professionalisierung von Coaching – Ein Lesebuch für den Coach (S. 71–83), Wiesbaden: Springer.

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