So, wie wir sie heute kennen, ist die Ökonomie eine kulturelle Erscheinung, ein Produkt unserer Zivilisation – allerdings kein Produkt in dem Sinne, dass wir sie bewusst produziert oder erfunden hatten, wie einen Flugzeugmotor oder eine Uhr. Der Unterschied liegt darin, dass wir Flugzeugmotoren und Uhren verstehen, dass wir wissen, woher sie kommen. Wir können sie (beinahe) in ihre Einzelteile zerlegen und dann wieder zusammensetzen, wir wissen, wie sie loslaufen und wie sie stehen bleiben.
Bei der Ökonomie ist das anders. Dort ist sehr, sehr vieles unbewusst entstanden, spontan, unkontrolliert, ungeplant, nicht unter dem Taktstock eines Dirigenten. Bevor sie ein eigenständiges Gebiet wurde, lebte die Ökonomie ganz zufrieden im Schoße der Philosophie (beispielsweise der Ethik); damals war sie himmelweit vom heutigen Konzept einer mathematisch-allokativen Wissenschaft entfernt, die auf die „weichen“, nicht exakten Wissenschaften mit einer Verachtung hinunterblickt, die auf positivistischer Arroganz beruht. Unsere tausendjährige „Bildung“ steht jedoch auf einem tieferen, breiteren und oft auch festeren Fundament. Es lohnt sich, zu wissen, wie dieses Fundament aussieht.
Es wäre töricht, anzunehmen, dass die ökonomischen Untersuchungen erst mit dem Zeitalter der Wissenschaft begannen. Zuerst erklärten Mythen und Religionen den Menschen die Welt, die im Grunde die gleichen Fragen stellten wie wir heute; inzwischen hat die Wissenschaft diese Rolle übernommen. Um diese Verbindung sehen zu können, müssen wir uns also mit den Mythen und der Philosophie lange zurückliegender Zeiten beschäftigen.
Als Geburtsstunde der modernen Ökonomie gilt die Veröffentlichung von Adam Smiths „Wohlstand der Nationen“ im Jahre 1776. Unser postmodernes Zeitalter (das erheblich bescheidener zu sein scheint als sein Vorgänger, das Zeitalter der modernen Wissenschaft) blickt aber weiter zurück und ist sich der Kraft der Geschichte (Pfadabhängigkeit), Mythologie, Religion und der Sagen und Märchen bewusst. Die Ideengeschichte hilft uns dabei, uns von der intellektuellen Gehirnwäsche unseres eigenen Zeitalters zu befreien, durch die geistige Mode des Tages zu blicken und ein paar Schritte zurückzutreten.
Wir befassen uns nicht nur mit alten Geschichten, damit die Historiker beschäftigt sind – wir wollen auch verstehen, wie unsere Vorfahren dachten. Diese Geschichten haben eine ganz eigene Kraft, selbst wenn neue Geschichten auftauchen und sie verdrängen oder ihnen widersprechen. Ein gutes Beispiel ist der berühmteste Disput der Historie, zwischen der Geschichte des Geozentrismus und der des Heliozentrismus. Wie jeder weiß, gewann bei diesem Kampf die heliozentrische Geschichte, doch wir sagen bis heute geozentrisch, dass die Sonne auf- und untergeht. Das tut sie aber keineswegs – wenn überhaupt, geht unsere Erde auf (über der Sonne), nicht die Sonne (über der Erde).
Die alten Geschichten, Bilder und Archetypen begleiten uns zudem noch heute und haben unsere Weltsicht und unsere Wahrnehmung von uns selbst mit erschaffen. C. G. Jung (1991) hat das so ausgedrückt: „Die wahre Geschichte des Geistes ist nicht in gelehrten Büchern aufbewahrt, sondern in dem lebenden seelischen Organismus jedes Einzelnen.“
Die Ökonomen sollten an die Kraft der Geschichten glauben. Adam Smith tat das. In „Theorie der ethischen Gefühle“ (1853) schreibt er: „Der Wunsch, dass man uns Glauben schenken möge, der Wunsch, andere Leute zu überzeugen, zu führen und zu leiten, scheint eine der stärksten von allen natürlichen Begierden zu sein.“ Dieser Satz stammt von dem vermeintlichen Vater des Konzepts, dass das Eigeninteresse die stärkste natürliche Begierde ist! Zwei andere große Ökonomen, George A. Akerlof und Robert J. Shiller (2009), bemerkten vor Kurzem: „Menschliches Denken spielt sich in Form von Geschichten ab (…) Menschliche Motivation wiederum basiert zum großen Teil auf der Erfahrung der eigenen Lebensgeschichte, einer Geschichte, die wir durchleben und die wir uns selbst erzählen.
Sie ist es, die den Rahmen für das schafft, was uns antreibt. Das Leben wäre womöglich nichts weiter als ‚eine Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten‘, gäbe es da nicht diese Geschichten. Dasselbe gilt für die geistige Verfassung einer Nation, eines Unternehmens oder einer sonstigen Institution. Große Führungsfiguren sind zuallererst Erzähler von Geschichten.“
Ursprünglich lautet das Zitat: „Das Leben ist keine Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten. Es ist eine einzige, ständig wiederkehrende Belanglosigkeit.“ Das ist gut ausgedrückt; unsere Mythen (unsere großen Geschichten und Erzählungen) sind „hier und jetzt Offenbarungen dessen, was immer und ewig besteht“. Mit den Worten des römischen Geschichtsschreibers Sallust (86-35 v. Chr.): Mythen sind das, „was nie geschah, aber immer ist“. Unsere modernen, auf strikten Modellen basierenden ökonomischen Theorien sind nichts anderes als Nacherzählungen dieser Metageschichten in einer anderen (mathematischen?) Sprache. Daher müssen wir die Geschichte von Anfang an kennen – wer nur Ökonom ist, wird nämlich nie ein guter Ökonom sein.
Wenn wir Ökonomen wirklich alles verstehen wollen, müssen wir uns aus unserem Gebiet herauswagen. Sollte es auch nur zum Teil stimmen, dass „das Heil jetzt in der Beendigung des materiellen Mangels liegt, dass die Menschheit in ein neues Zeitalter des wirtschaftlichen Überflusses geführt werden musste und dass daraus logisch folgte, dass die neuen Hohen Priester die Ökonomen sein mussten“ (damit habe ich einen Satz von John Stuart Mill frei wiedergegeben), müssen wir uns dieser entscheidenden Rolle bewusst sein und eine umfassendere gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.
Letztlich geht es bei der gesamten Ökonomie um das Gute und das Böse oder Schlechte – Menschen erzählen anderen Menschen Geschichten über Menschen. Selbst die ausgefeiltesten mathematischen Modelle sind in Wirklichkeit Geschichten, Gleichnisse, ein Bemühen, die Welt um uns herum (rational) zu begreifen. Ich möchte zeigen, dass es bei der über ökonomische Mechanismen erzählten Geschichte bis heute im Wesentlichen um ein „gutes Leben“ geht und dass sie aus den Traditionen der alten Griechen und der Hebräer stammt. Dass die Mathematik, die Modelle, Gleichungen und Statistiken nur die Spitze des ökonomischen Eisbergs sind, der zum größten Teil aus allem anderen besteht. Und dass die Dispute in der Ökonomie eigentlich primär ein Kampf der Geschichten und der verschiedenen Metaerzählungen sind. Die Menschen haben von den Ökonomen schon immer vor allem wissen wollen, was gut und was böse oder schlecht ist, und das ist bis heute so geblieben.
Man bringt uns Ökonomen bei, keine normativen Urteile darüber abzugeben, was gut und was böse oder schlecht ist. Doch die Ökonomie ist, im Gegensatz zu dem, was in den Lehrbüchern steht, überwiegend ein normatives Gebiet. Sie beschreibt die Welt nicht nur, sondern befasst sich auch häufig damit, wie die Welt sein sollte (sie sollte effektiv sein, den Idealen eines perfekten Wettbewerbs und eines hohen BIP-Wachstums bei niedriger Inflation entsprechen, wir sollten uns bemühen, große Konkurrenzkämpfe zu vermeiden …).
Zu diesem Zweck entwickeln wir Modelle, moderne Gleichnisse, doch diese (oft absichtlich) unrealistischen Modelle haben mit der realen Welt kaum etwas zu tun. Ein Beispiel aus dem Alltag: Wenn ein Ökonom im Fernsehen eine scheinbar harmlose Frage zum Inflationsgrad beantwortet, wird er umgehend mit einer weiteren Frage konfrontiert (häufig wird er sie sogar selbst stellen): Ist das Ausmaß der Inflation gut oder schlecht, sollte die Inflation höher oder niedriger sein? Selbst bei so technischen Fragen sprechen die Analysten sofort von „gut“ und „schlecht“ und geben normative Urteile ab: Sie sollte niedriger (oder höher) sein.
Trotzdem bemüht die Ökonomie sich geradezu panisch, Begriffe wie „gut“ und „böse/ schlecht“ zu vermeiden. Das kann sie aber gar nicht. „Wenn die Ökonomie wirklich wertneutral wäre, würde man erwarten, dass ihre Vertreter ein vollständiges ökonomisches Denkgebäude errichtet hätten“ (Nelson, 2001). Das ist aber nicht der Fall. Meiner Ansicht nach ist das zwar gut, doch wir müssen zugeben, dass die Ökonomie letztlich eher eine normative Wissenschaft ist. Laut Milton Friedman („Essays in Positive Economics“, 1970) sollte die Ökonomie eine positive Wissenschaft sein, sie sollte wertneutral sein und die Welt so beschreiben, wie sie ist, nicht so, wie sie sein sollte. Dass die Ökonomie „eine positive Wissenschaft sein sollte“, ist aber schon eine normative Aussage. Sie beschreibt die Welt ja nicht, wie sie ist, sondern so, wie sie sein sollte.
Im wirklichen Leben ist die Ökonomie keine positive Wissenschaft. Wäre sie das, müssten wir uns nicht bemühen, sie dazu zu machen. „Natürlich verwenden die meisten Wissenschaftler und viele Philosophen die positivistischen Grundsätze einfach dazu, lästigen Grundlagenfragen – das heißt der Metaphysik – aus dem Wege zu gehen …“ (Nelson, 2001). Wertfrei zu sein ist übrigens schon ein Wert an sich, zumindest für die Ökonomen sogar ein großer. Es ist paradox, dass ein Gebiet, das sich vorwiegend mit Werten beschäftigt, wertfrei sein will. Und dass ein Gebiet, das an die unsichtbare Hand des Markts glaubt, frei von Geheimnissen sein will.
Vor Wörtern wie „gut“ und „böse“ oder „schlecht“ brauchen wir uns übrigens nicht zu fürchten. Dass wir sie benutzen, heißt keineswegs, dass wir moralisieren. Wir haben alle eine internalisierte Ethik, nach der wir uns bei unserem Verhalten richten. Und einen Glauben (auch der Atheismus ist eine Religion). Bei der Ökonomie ist es auch nicht anders. John Maynard Keynes (1936) schreibt: „Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen. (…) Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht erworbene Rechte, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.“
Die Mainstream-Ökonomen haben zu viele Farben der Ökonomie aufgegeben und sind zu stark vom schwarz-weißen „Kult des Homo Oeconomicus“ besessen, der die Fragen von Gut und Böse außer Acht lässt. Wir haben uns selbst blind gemacht, blind für die wichtigsten Triebkräfte der menschlichen Handlungen.
Doch aus unseren Mythen und Religionen, von unseren Philosophen und Dichtern können wir ebenso viel Weisheit lernen wie aus exakten, strikten mathematischen Modellen für das ökonomische Verhalten. Die Ökonomie sollte daher nach ihren eigenen Werten suchen, sie entdecken und über sie sprechen, auch wenn man uns gelehrt hat, sie sei eine wertfreie Wissenschaft. Meiner Meinung nach stimmt das nicht – es gibt in der Ökonomie mehr Religion, mehr Mythen und Archetypen als Mathematik. Heutzutage legt die Ökonomie zu viel Gewicht auf die Methode statt auf die Substanz.
Wir wollen zu zeigen versuchen, dass es für die Ökonomen und auch für ein größeres Publikum ganz wichtig ist, aus einem breiten Spektrum von Quellen zu lernen, wie dem Gilgamesch-Epos, dem Alten und dem Neuen Testament und Descartes. Wir können die Spuren unserer Denkweise besser verstehen, wenn wir uns ihre historischen Anfänge ansehen, als die Gedanken noch „nackter“ waren – dort können wir die Ursprünge und Quellen vieler Ideen leichter erkennen. Nur so können wir herausfinden, was unsere wesentlichen (ökonomischen) Glaubensanschauungen sind – im komplizierten Gewebe der heutigen Gesellschaft, in der sie noch immer sehr stark sind, aber unbemerkt bleiben.
Um ein guter Ökonom zu sein, muss man entweder ein guter Mathematiker oder ein guter Philosoph oder beides sein. Wir haben zu viel Gewicht auf das Mathematische gelegt und unser Menschsein vernachlässigt. Das hat zu schiefen, künstlichen Modellen geführt, die uns oft kaum dabei helfen, die Realität zu verstehen.
Die Beschäftigung mit der Metaökonomie ist wichtig. Wir müssen über die Ökonomie hinausgehen und untersuchen, welche Glaubensanschauungen es „hinter den Kulissen“ gibt; diese Ideen sind nämlich häufig zu den vorherrschenden, aber unausgesprochenen Annahmen in unseren Theorien geworden. In der Ökonomie wimmelt es von Tautologien, deren die Ökonomen sich größtenteils nicht bewusst sind. Die nicht historische Betrachtungsweise, die heute in der Ökonomie dominiert, greift zu kurz.
Für das Verständnis des menschlichen Verhaltens ist es wichtig, sich mit der historischen Entwicklung der Ideen, die uns prägen, zu befassen. Wissenschaftliche Modelle haben jetzt die Rolle übernommen, die in den alten Zeiten die normativen Mythen und Gleichnisse spielten. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, doch wir sollten es offen zugeben.
Die Menschheit schlug sich schon lange vor Adam Smith mit ökonomischen Fragen und Problemen herum. Mit ihm hat die Suche nach Werten in der Ökonomie nicht erst begonnen, sondern ihren Höhepunkt erreicht. Der moderne Mainstream, der behauptet, er sei aus der klassischen Smith-Ökonomie hervorgegangen, hat die Ethik vernachlässigt. In den klassischen Debatten war die Frage von Gut und Böse das vorherrschende Thema, doch heute gilt es schon fast als ketzerisch, überhaupt darüber zu sprechen.
Die populäre Auslegung von Adam Smith versteht ihn nicht richtig, sein Beitrag zur Ökonomie ist viel umfassender und geht weit über das Konzept der unsichtbaren Hand des Markts und die Geburt des egoistischen, ich-zentrierten Homo Oeconomicus (Smith selbst hat diesen Begriff nie verwendet) hinaus; sein einflussreichster Beitrag zur Ökonomie war ethischer Natur. Seine anderen Gedanken – zur Spezialisierung und zum Prinzip der unsichtbaren Hand des Markts – waren schon lange vor ihm klar zum Ausdruck gebracht worden. Es wird sich zeigen, dass das Prinzip der unsichtbaren Hand viel älter ist und lange vor Smith entwickelt wurde. Bereits im Gilgamesch-Epos, im hebräischen Denken und im Christentum finden sich Spuren davon; Aristophanes und Thomas von Aquin formulierten es explizit.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, unsere ökonomische Einstellung zu überdenken, denn heute ist den Leuten das angesichts der Schuldenkrise wichtig, und sie sind bereit, zuzuhören. Uns stehen ausgefeilte mathematische Modelle zur Verfügung, doch wir haben die ökonomischen Lektionen aus den einfachsten Geschichten aus dem Kindergottesdienst nicht gelernt – beispielsweise aus der Geschichte von Josef und dem Pharao. Wir müssen unser allein auf das Wachstum ausgerichtetes Denken aufgeben. Die Ökonomie kann eine wirklich faszinierende Wissenschaft sein und ein breites Publikum ansprechen!
Die Gier nach immer mehr: Die materielle wie spirituelle Unersättlichkeit ist ein fundamentales Metacharakteristikum des Menschen – wir begegnen ihr bereits in den ältesten Mythen und Geschichten.
Der Fortschritt: Heute sind wir von der Idee des Fortschritts berauscht, doch ganz am Anfang existierte sie gar nicht. Die Zeit war zyklisch, von der Menschheit wurde keine historische Bewegung erwartet.
Die Ökonomie von Gut und Böse: Ein fundamentaler Teil unserer ökonomischen Wissenschaft basiert auf normativen Urteilen, laut denen Dinge wie Leid, Ineffizienz, Armut, Unwissenheit, soziale Ungleichheit und so weiter schlecht sind und (durch die Wissenschaft) beseitigt werden sollten.
Die unsichtbare Hand des Markts: Dass wir unseren natürlichen Egoismus nutzen können und dieses Schlechte für etwas gut ist, ist ein altes philosophisches und mythisches Konzept.
Homo Oeconomicus und Animal Spirits: Unser Platz als menschliche Wesen liegt irgendwo in der Mitte: Wir dürfen nicht zu Gefangenen des rationalen, erklärbaren Homo Oeconomicus werden, aber auch unseren Animal Spirits keinen völlig freien Lauf lassen.
Metamathematik: Wenn eine Brücke einstürzt, ist das kein Fehler der Mathematik, sondern des Erbauers, der sie falsch angewendet hat – auch wenn er dabei vielleicht keinen einzigen mathematischen Fehler gemacht hat. Der Fehler liegt gewöhnlich nicht in der Mathematik, sondern in ihrer Benutzung.
Der Glauben der Ökonomen: Wir haben eine Zauberformel für die Vorhersage der Zukunft: Wir sagen jedes Mal ceteris paribus – „unter der Voraussetzung, dass sich sonst nichts ändert“ oder „unter sonst gleichen Umständen“. Abgesehen davon, dass das wie „Abrakadabra“ klingt, müssen wir zugeben, dass die Realität sich gewöhnlich nicht an ceteris paribus hält.
Da die Ökonomie es sich herausgenommen hat, ihr Denksystem auf Bereiche anzuwenden, die traditionell zur Theologie, Soziologie und Politologie gehörten, sollten wir einmal gegen den Strom schwimmen und die Ökonomie vom Standpunkt der Theologie, Soziologie und Politologie aus betrachten. Wenn die moderne Ökonomie es wagt, die Funktionsweise von Kirchen zu erklären und wirtschaftliche Analysen der familiären Bindungen durchzuführen (die oft durchaus neue, interessante Erkenntnisse bringen), können wir doch umgekehrt die theoretische Ökonomie so erforschen wie religiöse Systeme und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Mit anderen Worten: Weshalb sollten wir nicht versuchen, die Ökonomie einmal anthropologisch zu betrachten?
Dazu müssen wir uns zunächst von der Ökonomie entfernen. Wir müssen uns ganz an ihre Grenzen vorwagen - oder, noch besser, über sie hinaus. Wir müssen Ludwig Wittgensteins Metapher des Auges aus dem „Tractatus logico-philosophicus“ (1922) aufgreifen, das zwar seine Umgebung beobachtet, aber nie sich selbst, um Objekte zu untersuchen. Es ist immer notwendig, aus ihm herauszutreten, und wenn das nicht möglich ist, wenigstens einen Spiegel zu benutzen.
Leicht gekürzter und bearbeiteter Auszug aus „Die Ökonomie von Gut und Böse“ (Carl Hanser Verlag, 2012), zusammengestellt von der Redaktion „Coaching-Magazin“. Wir danken dem Verlag für die freundliche Abdruckerlaubnis.