Ethik

Coaching und Vertrauen

Vertrauensbeziehung im Coaching

7 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 04 | 2010

Vertrauen und Coaching weisen nicht nur Parallelitäten auf, sondern sind auch in besonderer Weise miteinander verbunden: Vertrauen gründet auf der Annahme, dass eine Entwicklung positiv oder zumindest wie erwartet verlaufen wird. Und meist ist genau dies der Anlass, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. Grund genug, den Zusammenhang von Coaching und Vertrauen näher zu betrachten.

In zahlreichen Coaching-Definitionen wird Coaching als eine durch Vertrauen getragene Beziehung charakterisiert. Dabei scheint es unmittelbar einsichtig, dass ein Coaching-Prozess, in dem es um eine individuelle und auf die Persönlichkeit abgestimmte Begleitung samt Feedback geht, Vertrauen benötigt. Daraus lassen sich Fragen ableiten, z.B. warum dies so ist und welche Konsequenzen sich daraus für das Coaching ergeben. 

Will man mit Hilfe eines Coachings eine bestimmte Entwicklung gestalten oder deren Verlauf positiv beeinflussen, muss eine Form des Vertrauens existieren, weil sich Vertrauen eben genau durch die Annahme auszeichnet, dass ein solches Vorhaben grundsätzlich machbar ist. Fehlt dieses Vertrauen also, ist ein Coaching nur bedingt sinnvoll, denn es darf die Freiwilligkeit bezweifelt werden, ein Coaching in Anspruch zu nehmen, wenn der Sinn des Coachings nicht einmal als mögliche Alternative gesehen wird. Zugespitzt könnte man also argumentieren, dass ein Coaching ohne Vertrauen nicht möglich ist.

Hier muss jedoch präzisiert werden, wem oder was vertraut wird. Dabei sind drei Aspekte zu unterscheiden:

  • Das Vertrauen in die Möglichkeit einer Entwicklung
  • Das Vertrauen in die menschlichen und fachlichen Qualitäten des Coachs
  • Das Selbstvertrauen des Klienten, inwieweit er sich eine Entwicklung zutraut

Diese drei Aspekte sind nicht unabhängig voneinander, sondern interagieren. Ein höheres Selbstvertrauen wird in der Tendenz mehr Möglichkeiten zur Entwicklung annehmen als ein geringes. Und die Umsetzung einer gewünschten Entwicklung orientiert sich auch an der Qualität des Coachs. Darüber hinaus hat natürlich auch die Kompetenz des Coachs Einfluss auf das Selbstvertrauen des Klienten. Diese Interaktionen machen deutlich, dass der Coach einen erheblichen Teil dazu beitragen kann, dass Vertrauen entsteht und somit ein entwicklungsorientiertes Coaching möglich wird. Gleichzeitig zeigt sich damit auch, dass die Güte des Coaching-Prozesses eben nicht nur vom Coach abhängig ist.

Damit sich Vertrauen entwickelt, müssen nach Schweer mehrere Grundvoraussetzungen erfüllt sein. So kann Vertrauen immer nur dann entstehen, wenn auch die Möglichkeit einer nicht gewünschten Handlungsalternative existiert. Oder anders formuliert: Ohne das Risiko enttäuscht zu werden, kann kein Vertrauen entstehen. Denn Beziehungen ohne Risiko benötigen kein Vertrauen. Damit sind "riskante" Vorleistungen ein guter Gradmesser für das Ausmaß des erlebten Vertrauens: Je riskanter die Äußerung eines Klienten gegenüber seinem Coach für den Klienten ist, desto mehr vertraut er ihm.

Allerdings ist Vertrauen auch keine Einbahnstraße: Wer riskante Vorleistungen erbringt, also quasi einen Vertrauensvorschuss leistet, erwartet auch, dass dies erwidert wird. Es gilt hier also das Prinzip der Gegenseitigkeit. Bleibt eine solche Erwiderung aus – oder wird dies subjektiv so erlebt – kann dies das Vertrauen nachhaltig beeinträchtigen, was bis zum Abbruch der Coaching-Beziehung führen kann. Ein Coaching-Prozess zeichnet sich daher durch kleinere und größere Bewährungsproben aus.

Grundlage für ein Vertrauensverhältnis sind daher die Qualität und die Anzahl der Interaktionen zwischen Coach und Klient. Dies hat zur Konsequenz, dass sich eine stabile Vertrauensbasis erst in einem späteren Beziehungsstadium etablieren kann. Auch wenn bereits der Anfangskontakt für die Entwicklung des Vertrauens von elementarer Bedeutung ist, benötigt ein auf Vertrauen basierender Coaching-Prozess somit Zeit.

Damit wird deutlich, dass Vertrauen nur dann entstehen kann, wenn eine Beziehung zwischen dem Klienten und dem Coach existiert, was wiederum die (gegenseitige) Bereitschaft zur Begegnung voraussetzt. Auf Seiten der Coachs können dabei zwei Extreme beobachtet werden, die verdeutlichen, welche erheblichen Auswirkungen das Phänomen "Vertrauen" auf den Coaching-Prozess hat:

Ein Extrem ist der "Coaching-Techniker", also ein methodisch durchaus kompetenter Coach, der allerdings den Aspekt von Begegnung und Beziehung im Coaching insofern vernachlässigt, als dass er sich vorrangig auf Methoden, Instrumente und Tests fokussiert. Dies kann zur Folge habe, dass selbst über einen längeren Zeitraum technisch brillante Analysen und Veränderungsimpulse gegeben werden, jedoch jegliche Entwicklung beim Klienten ausbleibt. Häufig wird dann von Seiten des Coachs als Erklärungsmodell der "Widerstand" des Klienten bemüht, welcher dann durch weitere Tools analysiert wird. Diese Methodenverliebtheit führt dann auf beiden Seiten ungewollt zur Frustration. 

Interessant ist in dem Zusammenhang, dass sich häufig diejenigen Klienten einen solchen Coaching-Techniker suchen, die selbst kein oder nur ein geringes Interesse an einer Beziehung haben. Insofern kommt es hier zwar durchaus zu einer Passung, die allerdings nur überschaubare Ergebnisse erwarten lässt.

Das andere Extrem ist der Scharlatan, der sehr stark auf die Beziehungsebene fokussiert ist und die Illusion von Vertrauen erzeugen kann, dem es aber an menschlichen Qualitäten sowie an Prozess- und Fachkompetenz mangelt. Durch das gezielte Einbringen von Vorleistungen in die Beziehung (scheinbares Öffnen der eigenen Person gegenüber dem Klienten bis hin zu intimen Details) ermutigt er den Klienten, sich ebenfalls zu öffnen, um seine Schwachstellen zu erfahren. Sein Ziel dahinter ist es, durch Kenntnis dieser Schwachstellen den Klienten – auch und gerade finanziell – auszunutzen.

Auf derartige Scharlatane fallen häufig Personen herein, die sehr beziehungsorientiert sind und denen es schwer fällt, die fachliche Kompetenz eines Coachs einschätzen zu können.

Natürlich sind diese beiden Extreme nicht die Norm im Coaching-Markt. Anhand dieser Pole kann man sich jedoch verdeutlichen, dass sowohl das Vernachlässigen als auch das Überbetonen einer Vertrauensbeziehung im Coaching erhebliche Auswirkungen auf die Güte des Coaching-Prozesses haben. Vertrauen ist damit eine Variable, die in jedem Coaching-Prozess sowohl vom Klienten als auch vom Coach im Auge behalten werden sollte. 

Vertrauensbeziehungen existieren natürlich auch in anderen Konstellationen, z.B. zwischen Freunden. Der entscheidende Unterschied zwischen einem Coaching und Gesprächen in der Partnerschaft oder im Freundeskreis besteht jedoch darin, dass der Coach auf professionelle Weise die Entwicklung des Klienten fördert und die Strukturierung und Zielgerichtetheit des Prozesses sicherstellt. Außerdem bleibt der Coach auch als Vertrauter distanzierter als ein Freund, da es sich beim dem Coaching um eine temporäre Beziehung handelt. Ein Coach muss keine Beziehungskonfusion befürchten wie ein Freund, der bestimmte Dinge nicht mehr thematisiert, um die Freundschaft nicht zu gefährden. Ein zu hohes Maß an Nähe kann daher die Offenheit einschränken.

Letztlich bleibt natürlich immer die Gefahr bestehen, dass eine Vertrauensbeziehung ausgenutzt werden kann. Sie kann aber auch genutzt werden, um einen gewünschten Veränderungsprozess zu begleiten und das Maß an Sicherheit und Komplexitätsreduktion zu erzeugen, das eine weitere Entwicklung überhaupt erst ermöglicht. Ohne das Erleben von Vertrauen ist eine solche Entwicklung kaum denkbar. 

Fazit:

Es ist für einen Coach nicht ausreichend, methodisch kompetent zu sein, ebenso wie das reine Fokussieren auf die Vertrauensbeziehung zu wenig fachliche Kompetenz beinhalten kann. Beide Varianten sind für sich genommen ungenügend, und im Falle der Vertrauens-Scharlatanerie sogar gefährlich. Das Vertrauen ist die Basis, aber ohne ethische Standards, profunde Fachkenntnis und Zielgerichtetheit des Prozesses fehlt die Struktur, gewünschte Entwicklungen begleiten zu können. Das Gleichgewicht zwischen Methode und Vertrauensbeziehung bzw. zwischen Nähe und Distanz zu halten ist nicht einfach, zeichnet den vertrauenswürdigen und professionellen Coach aber aus. (cr)

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