Der Anglizismus Coaching, wahrscheinlich vom Kutscher abgeleitet (König & Volmer, 2002), suggeriert ein neues Beratungsformat. Betrachtet man den angloamerikanischen Sprachraum, mag dies zutreffen. Fokussiert man die europäische Geschichte und nicht das neue Wort Coaching, sondern die Dienstleistung dahinter, entdecken wir eine Geschichte von mehr als zweitausend Jahren (Schwertl, 2015).
Es liegt in der Natur des Beitrages, dass Einteilungen, notwendige Verkürzungen und Schlussfolgerungen kontingent sind. Nicht der Anspruch allgemeingültiger Wahrheit, sondern Nützlichkeit ist das Ziel. Gewiss ist lediglich die Einstweiligkeit, denn es wird neue Entwicklungen geben.
Der im deutschsprachigen Raum führende Coaching-Verband für Business-Coaching und Leadership, der Deutsche Bundesverband Coaching e.V. (DBVC, 2012, S. 20), definiert Coaching wie folgt: „Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungs- und Steuerungsfunktionen und von Experten in Organisationen [bezüglich primär beruflicher Anliegen].“
Folgt man sinngemäß dieser Definition, öffnet sich eine große historische Tradition, wenn auch die angebotenen Dienstleistungen früher mit anderen Bezeichnungen versehen waren (Schwertl, 2015). Ohne große Mühe finden sich Vorfahren des Business-Coachings in der Antike. Platon und Sokrates boten ihre Dienste an. Mit Kunden sokratische Dialoge zu führen, gehört auch heute zur großen Kunst von Business-Coaching. Sie gaben Unterricht und unterstützten junge Männer dabei, einen Beitrag für die Polis zu leisten und ihre Interessen zu verfolgen.
Die Tätigkeit umfasste Lebensthemen, juristische und politische Beratung, die Erziehung der Kinder in wohlhabenden Häusern oder das Verfassen von Reden. Bereits in der Antike wurde die Spannung zwischen Weisheit (Philosophie) und der Fähigkeit, diese über Rhetorik zu vermitteln, deutlich. Diese Balance gerät auch heute immer wieder aus den Fugen. Während in der griechischen Antike die Rhetorik (Redekunst) als Wissenschaft angesehen wurde, geriet sie im Zuge der Aufklärung, die nach Wahrheit strebte, in Verruf. Überzeugungstäter und Worthülsenverkäufer dieser Welt (Schwertl, 2014) stehen heute – arm an Inhalten, aber mit telegener Performanz ausgestattet – auf der einen, und eine Menge hochqualifizierter Kolleginnen und Kollegen auf der anderen Seite.
Es macht keine Mühe, Seneca den Älteren (54 v. C. – 39 n. C.) als einen der prominentesten Konsultanten der römischen Antike zu sehen. Er war der Erzieher und später der wichtigste Berater des Kaisers Nero. Dieser galt als unbeherrscht, zu großen Wutanfällen und zu Irrationalitäten neigend. Die unterschiedlichsten Beschreibungen über das Verhältnis des römischen Kaisers zu seinem wichtigsten Berater lassen manche Analogien zu prominenten Vorständen und ihren Coaches zu.
Eine sehr heterogene Gruppierung bildet der Stand der Sekretäre. Die Bedeutung dieses Berufs wandelte sich immer wieder sehr stark. Geheime Räte unterstanden dem jeweiligen Fürsten. Über lange Zeit des Wirkens der Geheimen Räte gab es immer wieder Vermischungen von Einflussnahme durch Rat geben und dem Schaffen von Verordnungen und Gesetzen. Geheimräte, mehr oder weniger freie Denker wie z.B. Friedrich Schiller oder Wolfgang von Goethe, bildeten quasi den Gegenpol zu subalternen Beamten. Die Entourage der heutigen CEOs großer Konzerne und ihre Beraterstäbe sind vergleichbar.
Medien sind relevante Beobachter von gesellschaftlicher Kommunikation (Schmidt, 2004). Sie brachten indirekt den Marketingberater hervor. Mit dem größer werdenden Einfluss der Medien entstand für Politiker und Spitzenmanager die Notwendigkeit, sich öffentlichkeitswirksam und mediengerecht darzustellen. Kommunikation ist immer Inhalt und Performanz (Schmidt, 2007). Ob diese Balance immer gewahrt wird, darf bezweifelt werden. Es wäre aber ein eigenes Thema. In einer sehr umfangreichen Studie datierten Steinke und Steinke (2019) die Entstehung des Begriffes Coaching auf das Jahr 1911.
Coaching entwickelte sich nicht aus Forschungsvorhaben oder wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern aus einem Beratungsbedarf des Marktes. Die rasante Entwicklung wurde durch mehrere Wirkfaktoren gefördert (siehe auch König & Volmer, 2002).
Führungskräfte und Mitarbeiter wurden in zunehmendem Maße als teure Ressource gesehen, deren Entwicklung gefördert werden sollte. Die betriebswirtschaftlich getriggerte reduktionistische Vorstellung, sie nur als Kostenfaktor zu modellieren, kam in die Kritik. Die ehrwürdige Tradition, dass Führungskräfte und Mitarbeiter bis zum Ende der Berufslaufbahn bei einem Arbeitgeber verbleiben, verlor an Bedeutung. Fähigkeiten und Wissen (z.B. IT-Branche) werden in zunehmendem Maße direkt dem Kunden zur Verfügung gestellt. Führungsaufgaben wie Anweisung und Kontrolle verloren in Folge an Bedeutung. Die Nutzung von Business-Coaching für Führungskräfte als Förderung des Managements fand zunehmend Akzeptanz. Coaching war nicht mehr nur eine mögliche Konfliktlösungsstrategie, sondern avancierte zu einem wichtigen Personalentwicklungsformat. Indirekt profitierten auch Mitarbeiter, die nicht an Coaching-Prozessen teilnahmen. Geändertes Führungsverhalten und Verbesserungen der Unternehmenskultur sind hier zu nennen. Eine immer höher werdende Prozessgeschwindigkeit, Anforderungen durch die Globalisierung, Verknappung der Zeit und die durch Informationstechnologie hervorgerufenen Änderungen (tausend E-Mails pro Tag) brachten verstärkt den Wunsch nach Reflexion hervor. Was früher informell in Pausen usw. möglich war, wurde durch Business-Coaching formalisiert. Dies traf auf eine gesellschaftliche Entwicklung von Bildungsfreundlichkeit, der Notwendigkeit von professionellen Formen von Personalentwicklung und schaffte einen Markt für Business-Coaching. Das hatte zugleich zur Folge, dass immer mehr Dienstleistungen mit dem Label Coaching ausgewiesen wurden – mit der Hoffnung, mehr Marktakzeptanz zu generieren.
Gleichzeitig wurden im Psychotherapeutengesetz strengere Kriterien für Psychotherapie und Supervision festgelegt. Daher konnte eine nicht unerhebliche Anzahl an Anbietern ihre bisherige Art von Dienstleistung nicht fortsetzen. Ein sehr breites Spektrum an allzu oft Selbstberufenen, eine Kultur des äußeren Scheins, der Maskierung traf auf einen Markt, der mehr Performance und weniger inhaltliche Tiefe verlangte und zum Teil selbst über wenig Wissen verfügte. Zusammengefasst lässt sich diese Phase wie folgt beschreiben:
Trotz der Unüberschaubarkeit der Angebote und den Definitionsschwierigkeiten stieg die Nachfrage stetig. Ausbildungsanbieter kamen auf den Markt und Coaches unterschiedlichster Couleur boten ihre Dienste an. Die Frage, was Coaching ist und wo die Grenzen liegen, wurde drängender.
Ein Coach als professioneller Begleiter aller Aspekte und Dimensionen des Lebens (Buer & Schmidt-Lelleck, 2008) – dies stellt den maximalen Anspruch dar, für alles zuständig zu sein. Die Gegenposition: Coaching als Unterstützung bei der Bewältigung beruflicher Aufgaben (König & Volmer, 2002) grenzt das Spektrum ein. Die beiden Positionen – Coaching als „Therapeutisierung“ und Begleitung des Lebens vs. Coaching als Unterstützung in der Arbeitswelt – sind kaum vereinbar. Auf diesem Hintergrund begann sich langsam die Unterscheidung von Lebens- und Business-Coaching durchzusetzen.
Nicht mehr die Frage, was Coaches sich selbst wünschen oder welche Schule sie vertreten, sondern die Belange der Kunden wurden zum Ausgangspunkt der relevanten Setzungen. Setzungen haben zur Folge: Man trifft eine Unterscheidung und verfolgt die eine Seite und nicht die andere weiter. Nicht alle Dimensionen und Aspekte des Lebens, sondern konkrete Kontexte (z.B. Business-Coaching) wurden zum Ausgangspunkt der Setzung. Mit der Schaffung der Differenz Business- vs. Lebens-Coaching wurde eine zweite Unterscheidung notwendig. Während viele Angebote von Lebens-Coaching deutliche Überlappungen mit Formen von Psychotherapie aufwiesen, grenzen sich die meisten Vertreter von Business-Coaching deutlich von therapeutischen Verfahren ab. Diese Abgrenzung basiert nicht auf unterschiedlichen Methoden oder angezweifelter Sinnhaftigkeit, sondern auf Unterschieden, die sich durch Kontexte, in denen Business-Coaching stattfindet, ergeben. Psychotherapeutisches Denken und Handeln würde keine Akzeptanz auf Kundenseite finden. Des Weiteren implizieren therapeutische Prozesse die Heilung von Krankheit oder ihre Integration in den Lebensstil.
Aber gleichzeitig haben viele Vertreter von Business-Coaching eine berufliche Vergangenheit in oder Nähe zu therapeutischen Tätigkeiten bzw. Interventionstechniken. Dies klingt zunächst nach Wasser predigen und Wein trinken. Im strengen Sinne kann Business-Coaching nicht auf eine definierende Methode oder Interventionstechnik wie z.B. Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie zurückgreifen. Business-Coaching beschreibt somit keine originäre Methode, sondern es werden Anleihen in verschiedenen Praxisformaten genommen. Diese Methoden werden in einen anderen Kontext transformiert und bekommen hiermit eine andere Sinnhaftigkeit. Alle Methoden, Interventionstechniken und der Sprachgebrauch müssen in diesem neuen Rahmen anschlussfähig sein, um Erfolg zu haben. Die Folgen:
Während Theorien selbstreferentieller Systeme seit Jahrzehnten als grundlegendes Paradigma gelten, setzten sie sich in den Sozialwissenschaften erst in den 80er Jahren gegen erheblichen Widerstand durch. Familientherapeutische Praktiker auf der Suche nach metatheoretischer Absicherung ihrer Praxis verhalfen Theorien sozialer Systeme zu einer gewissen Popularität. In Folge wurden immer mehr psychosoziale Dienstleistungen als systemisch ausgeflaggt. Das Adjektiv systemisch wurde zu einem Hype, hinter dem sich viele Versuche, Menschen zu beeinflussen, verbargen. Was zu großer Popularität verhalf, stellt heute eine große Herausforderung dar.
Die Systemische Gesellschaft (2017) schreibt auf ihrer Homepage: „Hinter dem Systemischen Ansatz steht eine bestimmte Art, die Wirklichkeit zu sehen und daraus therapeutische und beraterische Herangehensweisen abzuleiten.“ In diesem exemplarischen Zitat wird unterstellt, es gäbe eine einheitliche Theorie, eine gemeinsame Basis systemischen Denkens und damit in Einklang stehende Methoden. Weitgehend ungeklärt sind Denkprämissen und Funktionsweisen des jeweiligen Systembegriffs. Selbst grundlegende Unterscheidungen der Interventionsmöglichkeiten von technischen und lebenden Systemen werden ignoriert. Auch die immer publizierten Anleihen in Kybernetik und Radikalem Konstruktivismus schaffen mehr Verwirrung als Sicherheit. Kybernetik ist die Wissenschaft der Steuerung, der Regelung der Nachrichtenübertragung. Sie ist für viele Theorieentwicklungen (z.B. Biokybernetik) von größter Relevanz; aber als theoretische Fassung von Praxistheorien kann sie nur eine anregende Analogie sein. Kybernetische Prinzipien sind vollkommen sinnfrei. Hingegen müssen Kommunikationsprozesse des Business-Coachings Sinn produzieren. Tun sie dies nicht, werden sie beendet. (Luhmann, 1984)
Schmidt (2003, S. 24) begründet seinen Abschied vom Radikalen Konstruktivismus u.a. mit Formen eines „Vulgärkonstruktivismus, der nur gebetsmühlenartig wiederholt, alles sei konstruiert.“ Die praktische Anwendung des Begriffes systemisch schafft viel Verwirrung und wenig Aufklärung.
In Folge stellt sich ernsthaft die Frage: Kann Business-Coaching mit dem Adjektiv systemisch ausreichend präzise beschrieben werden? Sind damit ein Gewinn an Klarheit und ein Zuwachs an Professionalität möglich? Erhalten die Kunden durch dieses Adjektiv mehr Orientierung? Klären Coaches damit ausreichend auf, was sie praktisch tun?
Idealerweise ist das mit dem Begriff systemisch assoziierte Denkmodell passend zum praktischen Handeln. Mindestens dürfen sie sich nicht widersprechen. Passen Denkmodelle nicht zusammen, werden nach innen Irritationen und entsprechende Unklarheiten entstehen. Auskunft gegenüber (potenziellen) Kunden zu geben, schließt Verhalten des ehrbaren Kaufmanns und die Einhaltbarkeit von Versprechen ein. Dies setzt Klarheit über das theoretische Gebäude und die operative Umsetzung voraus. Meistens wird eine Methode (z.B. Fragen stellen) beschrieben, aber dahinterliegende Denkprämissen bleiben im Dunkeln. Entkoppelt man das Denkmuster von praktischem Handeln, bleiben die Rufe nach Werkzeugen übrig, die dann beliebig anwendbar sind und möglichst den Traum von instruktiver Intervention durch die Hintertür wieder einführen. Gerade im Bereich Business-Coaching, in dem bei Kunden viel Unklarheit herrscht, ist es unverzichtbar und elementar, Transparenz herzustellen.
Eine für Interessenten oder potenzielle Kunden verständliche Darstellung von Business-Coaching ist durch Immaterialität, unterschiedliches Wirken, Komplexität der Wirkfaktoren immer eine Herausforderung und bedarf stets erneut der Überprüfung. Es sind im Wesentlichen drei konstituierende Variablen, die relevant sind, um den Kunden bei seiner Selbstorientierung aktiv zu unterstützen:
Menschen in ihrem beruflichen Handeln zu unterstützen, kann auf eine lange Tradition verweisen, aus der Business-Coaching hervorging. Hiermit ist ein spezifischer Kontext definiert, für den diese Dienstleistung konzipiert ist. Sie findet im Modus von Kommunikation statt. Selbstredend setzt dies die Fähigkeit voraus, durch Kommunikation für mehr Klarheit und Transparenz der eigenen Dienstleistung zu sorgen. Die Darstellung des Prozesses, die Ausweisung der Formate als Leistungsverzeichnis und eine Benennung des Denkstils werden als wichtige Schritte zu mehr Klarheit angesehen. Der flüchtige Gegenstand, nämlich Kommunikation, bedeutet unscharfe Grenzen, ungleichzeitige Entwicklungen und Kontingenz.
Ich widme diesen Beitrag meinem geistigen Mentor und Freund Prof. Dr. Dr. S.J. Schmidt. Seine immer von Ermutigungen begleitete Unterstützung ist für mich ein großes Geschenk.