Konzepte

Projekt-Coaching

Wie kann Coaching dabei helfen, dass Projekte erfolgreicher werden?

8 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 05 | 2012

In einem großen Konzern in der Health-Care-Branche wurde vor anderthalb Jahren ein neues High-Tech-Projekt mit dem Ziel aufgesetzt, eine technische Revolution bei der Gestaltung eines spezifischen Diagnoseprozesses unter Einbeziehung des Patienten zu entwickeln. Für den Zeitraum von zwei Jahren wurden einige Millionen Euro Entwicklungs-Budget zur Verfügung gestellt.

Der hierfür ausgewählte Projektmanager ist ein erfahrener Mittfünfziger, der sowohl Technologie-Know-how als auch Erfahrung mit Innovationsprojekten und mit dem Projektmanagement als Verfahren hat. Insofern bildete er so schnell wie möglich, wie von der "reinen Lehre" empfohlen, fünf Teilprojekte, die den Auftrag bekamen, aus der jeweiligen Sicht der zu integrierenden Bereiche nach den nötigen Innovationen und deren Umsetzbarkeit zu suchen, um etwas wirklich Neues zu schaffen. Alle Mitarbeiter übernahmen ihre Aufgaben zunächst hoch motiviert, entwickelten interessante Möglichkeiten, Zugänge, Verfahrensideen, führten Tests durch, verwarfen Alternativen und so weiter. Doch leider musste der Projektmanager feststellen, dass sich die Projektarbeit zunehmend in aufreibenden Diskussionen verstrickte und nicht produktiv wurde.

Projektmanager stehen ständig unter Strom

So oder ähnlich frustrierend verlaufen immer wieder Projekte. Und das hat Methode. Projektmanager (PM) stehen ständig unter Strom und sehen sich vielfältigem Druck ausgesetzt:

  • Sie sollen gute Fachleute und Führungskräfte sein – und legen dennoch häufig den Schwerpunkt auf Ersteres. Letzteres werten sie unter beifälligem Nicken der anwesenden Kollegen mit der Formel "dafür genügt gesunder Menschenverstand" ab.
  • Sie sollen ein leistungsfähiges Team aufbauen und auf hohem Niveau halten – und wissen doch, dass sie oft eher nach persönlicher Sympathie vorgehen als nach einem begründeten Modell aus der Sozialpsychologie. Und vor allem: Ohne ausreichend Nachschub betreiben sie dauernd "Lücken-Füllen".
  • Es wird von ihnen erwartet, dass sie die verschiedenen Abteilungen, Rollen, Charaktere in ihrem Team tolerieren und zur Zusammen-, am besten auch noch zur selbstorganisierten Arbeit bringen – obwohl sie oft nicht richtig wissen, wie das gehen soll, wenn man dabei auf jede Menge Hindernisse und Widerstände trifft.
  • Es wird erwartet, dass sie dafür einen möglichst lockeren Führungsstil zeigen, ihre Leute beteiligen, aber trotzdem sagen, wo es lang geht und professionell die Informationsflüsse gestalten und kommunizieren. Und dennoch glauben sie dauernd, dass ihnen etwas entgangen ist, dass Entscheidungen vielleicht nicht genügend durchdacht oder abgesichert sind.
  • Sie haben das eine Projekt noch laufen und sollen es gut beenden und stecken schon in der Vorbereitung für das oder die nächsten. Darüber schimpfen sie, weil sie mal ein bisschen ausruhen und reflektieren wollen.
  • Sie spüren, dass ihnen der Spagat zwischen den Mitarbeiterinteressen und dem Druck "von oben" nicht mehr gut gelingt und die Teammitglieder zunehmend frustriert werden. Letzteres bekommen sie "von oben" wieder um die Ohren gehauen als "Motivations-Delle".
  • Es ärgert sie, dass ihre Chefs häufig nicht richtig wissen oder – schlimmer noch – wissen wollen, was "unten" eigentlich läuft. Sie aber wollen Sparrings-Partner sein und nicht nur Lösungen liefern.
  • Und häufig sind dann die Ergebnisse – obwohl man sich abgerackert hat – nicht zufriedenstellend. Dann wird ein Schuldiger gesucht. Oder die Ergebnisse werden zum Schluss hin "geschönt", damit das Projekt doch noch als Erfolg gelten kann.

Warum Projektmanagement oft nicht funktioniert:

Trotz der individuellen Anstrengungen von Projektmanagern und ihrer nachweislich steigenden Qualifikation (allein die GPM, die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, hat in den letzten Jahren eine enorme Steigerung von Absolventen ihrer Projektmanagement (PM)-Kurse verbuchen können) sowie auch der steigenden Zahl von PM-Communities und von PM-Award-Gewinnern, wird seit Jahren in einschlägigen Studien immer wieder über dieselben Probleme berichtet und auf dieselben Erfolgsfaktoren von Projekten verwiesen. Qualifizierung/Wissen, Detail-Optimierung und mehr Erfahrung reichen also nicht, um Qualitätssprünge zu machen – jeder weiß ja aus diesen Kursen und seiner Erfahrung, wie wichtig eine gute Kommunikation im Projekt ist oder eine saubere Stakeholder- oder Risiko-Analyse ...

Unsere Hypothese dazu: Es liegt unter anderem daran,

  • dass die PM-Qualifizierung häufig noch zu sehr auf das Wissen von Verfahren und Sachverhalten, Zusammenhängen, Modellen gerichtet ist und die PM dann im "Ernstfall" Probleme haben, dieses Wissen im laufenden Betrieb anzuwenden;
  • dass die Paradigmen des PM für heutige Anforderungen nicht mehr passen und eigentlich schon längst durch neues Denken und anderes Handeln ersetzt werden müssten. Dies wird derzeit scharf diskutiert – unter anderem werden agile Verfahren (z. B. Scrum) klassischen Verfahren gegenüber gestellt.

Bedeutung von Coaching im Projektmanagement: Unterstützung des nötigen Paradigmenwechsels und Wachstum als Führungskraft jenseits von Checklisten

Im Projektmanagement gibt es jede Menge Berater, die als Einzelkämpfer oder in Gestalt von Beratungsfirmen und mit Expertise und oft reichhaltiger Erfahrung auftreten und – wie das häufig in Beratungssituationen der Fall ist – eine Mischung aus Training (z. B. Refresher zum PM oder Weiterentwicklung zum PPM: Projekt- und Prozessmanagement), Beratung (z. B. Erneuerung oder Optimierung des in die Tage gekommenen PM-Systems im Unternehmen) und neuerdings "Coaching" anbieten.

Der Markt wächst. Und gleichzeitig gibt es viele PM, die aus der oben beschriebenen Drucksituation ausbrechen und sich als Berater anbieten oder verdingen – und sich im Zuge der beobachtbaren Wort-Inflation auch gerne "Coach" nennen. Das ist zwar verständlich, verwischt aber das, was wirklich gemeint ist und hält immer weniger einer Qualitätsprüfung stand. Insofern wollen wir hier einige Missverständnisse ausräumen:

1. PM-Beratung glaubt jeder anbieten zu können, der einige Jahre Erfahrung in einem oder mehreren Projekten vorweisen kann und eventuell auch eine bei einem einschlägig bekannten Ausbildungs-Institut oder bei den beiden größten Gesellschaften, in denen PM Mitglieder sein können – der GPM und dem PMI (Project Management Institute) –, eine entsprechende Ausbildung (vielleicht sogar mit Zertifikat) durchlaufen hat. Das kann nach unserem Verständnis nur dann akzeptiert werden, wenn sich Nachfragender und Anbieter einig sind, dass eine reine Fachberatung – also ohne Change-Anteil – gefragt ist. Die Zahl derartiger Fälle dürfte aber aufgrund der Eingebettetheit von PM-Systemen in komplexe und dynamische Unternehmens-Zusammenhänge und der "Aufgeklärtheit" der Auftraggeber abnehmen.

2. Wie den meisten Lesern bekannt sein dürfte, hat sich der bis vor einigen Jahren dominierende, Experten-Beratungsansatz gewandelt in Richtung systemische Prozess-Beratung und wird mittlerweile eher ergänzt durch verschiedene Fach-Anteile wie BWL, VWL, Strategie-Know-how, Ingenieur-Wissen, Feld-Kompetenzen und so weiter, um den spezifischen Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen gewachsen zu sein und die passenden Interventionen professionell setzen zu können. Dem folgend hat die GPM vor einigen Jahren die Initiative ergriffen und eine Weiterbildung für erfahrene Projektmanager und PM-Berater auf der Basis dieses systemischen Ansatzes entwickelt und bietet diese nun für ihre Mitglieder, aber auch für andere Interessierte an. Insofern gibt es mittlerweile einen klar definierten Kanon, was unter PM-Beratung zu verstehen ist und wie sie angewendet werden sollte.

3. Wenn man – wie der Verfasser – Coaching als Teilbereich einer derartigen Prozess-Beratung versteht und auch ausübt, liegt auf der Hand, dass Coaching demselben Beratungs-Ansatz folgt – ergänzt natürlich durch die spezifisch definierte Coaching-Situation, die professionelle Haltung sowie den definierten, typischen Ablauf eines Coaching-Prozesses.

4. Schließlich muss man sich klarmachen: Gestresste Gesprächspartner oder Auftraggeber, die außerdem nicht gewohnt sind, für Reflexion allzuviel Zeit zu investieren und die "menschlichen" oder "weichen Faktoren" eh für kaum beeinflussbar oder mit gesundem Menschenverstand handelbar sehen, wollen möglichst schnell eine Lösung haben – oder zumindest ein Rezept, eine "Best-Practice-Vorgehensweise", an der man sich orientieren kann wie an einer Checkliste. Da können natürlich Experten, die mit der Aura "15 Jahre in IT-Projekten gearbeitet, zertifizierter PM, Level B" auftreten, schnell punkten und es ist erklärungsbedürftiger, einen Coaching-Ansatz zu vertreten, der zunächst mit Fragen und dem Credo aufwartet, "Wir schauen nach Deinen Potenzialen, die es Dir ermöglichen, selbst den Weg zu finden, um Deine Veränderungs-Ziele zu erreichen".

Insofern stellt diese Art von Beratung – ob auf Prozesse oder auf Einzel-Personen und Teams in Form von Coaching gerichtet – ebenfalls einen Paradigmenwechsel dar: Projekt-Coaching richtet sich nämlich unter Verwendung eines spezifischen PM-Wissens- und Erfahrungs-Kanons auf die Projektmanager oder -teams (oder sonstige im Projektgeschäft nachfragende Konstellationen) mit dem Ziel, das Projekt zum Erfolg zu führen oder eine Krisen- oder Konfliktsituation zu überwinden. Auf einen konkreten Coaching-Prozess bezogen können sich daraus nach meiner Erfahrung folgende Ziele ergeben:

  • Besserer Umgang mit den vielen Stakeholdern – zielführende Beziehungsgestaltung und Problemvermeidung sowie geschickter Umgang mit Machtverhältnissen
  • Professionelle Gestaltung von Kick-off- und anderen Projekt-Veranstaltungen (z. B. die als schwierig eingeschätzte Zusammenführung von Teilprojekt-Ergebnissen oder von verschiedenen Professionen)
  • Klärung der Aspekte der eigenen Rolle und der Rollen der Team-Mitglieder sowie eventuell des Lenkungs-Ausschusses oder anderer wichtiger Stakeholder
  • Teamentwicklung zum Hochleistungs-Team oder zum "Go International"
  • Implementierung von Verfahren zur günstigen Steuerung vieler Änderungen oder teurer Risiken
  • Verbesserung des Umgangs mit zunehmender Komplexität im Projekt-Verlauf
  • Professionellere – sprich situationsadäquatere – Nutzung der Methoden und Verfahren des PM (oft bedeutet das vor allem Einsatz zur Veränderung der sogenannten "Soft Facts")
  • Implementierung von Reviews und Lernprozessen sowie Prozesse zur besseren Einbindung von Projekt-Erfahrungen in unternehmensweite Change-Prozesse
  • Erreichen einer neuen Position/Verantwortungsebene – z. B. Head of PMO

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