Vor fünf Jahren sprach ich im Rahmen eines Führungskräftetrainings für eine bundesdeutsche Behörde mit einer Personalentwicklerin. Sie fragte, ob ich schon mal von der dunklen Triade gehört habe und ob ich das Thema nicht in das Training zur „gesunden Führung“ einbauen könne. Ich kannte es bis dahin nicht, war aber sofort sehr hellhörig, als sie mir kurz die wesentlichen Inhaltspunkte darstellte. Es beinhalte – so die Personalentwicklerin – die wenig schmeichelhaften Etiketten des Narzissmus, der Psychopathie und des Machiavellismus, welche – im Falle einer Führungskraft – negative Wirkungen auf die Geführten und damit einen potenziell schädlichen Einfluss auf deren Gesundheit haben.
Es leuchtete mir sofort ein, dass das ein spannendes Thema auch für die Arbeit als Coach sein musste, schließlich geben die Klienten ihre Persönlichkeit nicht beim Pförtner ab. Als dann Dr. Sandra J. Diller (2021) einen Artikel im Coaching-Magazin publizierte, in dem sie dankenswerter Weise vor allem Coaches Tipps für den inneren Umgang (im Sinne von Achtsamkeit) mit Klienten gibt, die hohe Ausprägungen in den Bereichen der dunklen Triade aufweisen, entstand die Idee, einen weiteren Beitrag zum Thema zu schreiben. Dessen Schwerpunkt ist auf die Frage gerichtet, was Coaches im direkten Kontakt mit Klienten tun können, die mehr oder weniger dem Formenkreis der dunklen Triade angehören.
Was zeichnet die dunkle Triade aus? Narzissmus und Psychopathie stammen aus dem Bereich der klinischen Psychologie. Machiavellismus war zunächst dem politischen Bereich der strategischen Machterhaltung und Zielerreichung nach Niccolò Machiavelli zugeordnet und wird mittlerweile auch den Persönlichkeitsmerkmalen zugeschrieben. Die drei Elemente der Triade sind unterscheidbare, aber stark miteinander zusammenhängende Konstrukte, die mit unethischem, unmoralischem und selbstbezogenem Verhalten (Schiemann & Jonas, 2020) einhergehen. Die drei Konstrukte weisen einen gemeinsamen Kern auf, unterscheiden sich jedoch wesentlich in ihren Eigenschaften.
Der selbstherrliche Narziss, eine Figur aus der griechischen Mythologie, ist wohl den meisten in unserem Kulturkreis bekannt als jemand, der – in sein eigenes Spiegelbild verliebt – vor allem nach Bewunderung strebt und deshalb oft verführerisch agiert. Er betreibt vor allem Impression Management und wirkt oft überheblich, arrogant sowie angeberisch. Dahinter verbergen sich dagegen oft ein kleines Selbst, Scham und Unsicherheit.
Nach Zwingmann (2015, S. 17) führt die narzisstische Führungskraft nach dem Motto: „Ich stehe im Mittelpunkt, um jeden Preis!“ Sie versammelt in der Regel nur loyale Mitarbeiter um sich, die ihr nicht widersprechen. Abweichende Meinungen, Gegenargumente, Widerworte werden nicht akzeptiert. Allenfalls Bewunderung. Falls sich andere Sichtweisen und Lösungen doch als hilfreich und gut erweisen, fühlt sich die narzisstische Führungskraft in ihrer Persönlichkeit gekränkt. Die Folge sind Wut, aggressives Verhalten und Rachsucht.
Menschen, die man mit dem Label der Psychopathie versehen würde, fallen durch Empathielosigkeit auf, ihnen sind Meinungen und Empfindungen anderer egal. Sie streben nach Nervenkitzel und wenden dafür jegliche Strategie ohne Schuldgefühle, Gewissensbisse oder Mitgefühl an. Sie sind impulsiv und risikofreudig, ohne die Bereitschaft, über Konsequenzen nachzudenken, zeigen manipulatives Verhalten, egozentrische und überhebliche Charakterzüge. In der klinischen Ausprägung wären wir dann bei der antisozialen Persönlichkeit oder dem Soziopathen. Es geht ihnen um das Durchsetzen von Zielen unabhängig davon, welche Folgen dies für Mitarbeiter und Betroffene hat.
Nach Zwingmann (ebd., S. 17) führt die psychopatische Führungskraft nach dem Motto: „Ich herrsche hier und jetzt, um jeden Preis!“ Erlangen Psychopathen eine Führungsposition, wird es nicht lange dauern, bis ihr egozentrisches, skrupelloses und selbstherrliches Verhalten, mit dem die Mitarbeiter körperlich und psychisch belastet werden, negativ auffällt. Sie lügen häufig. Die Zahl der Konflikte steigt, die Produktivität sinkt.
Der Machiavellismus beinhaltet vor allem das manipulative Ausnutzen anderer. Der Zweck heiligt für entsprechende Personen die Mittel – um mehr Macht zu gewinnen, verwenden sie Strategien, die so wirken könnten, als wäre ihnen die Meinung anderer wichtig, jedoch ist dies nur Kalkül. Heuchelei und kühles Abwägen machen sie erfolgreich. Der Hauptdarsteller der Fernsehserie „House of Cards“, Kevin Spacey, hat den Machiavellismus als Politiker perfekt inszeniert.
Nach Zwingmann (ebd., S. 17) führt die machiavellistische Führungskraft nach dem Motto: „Ich komme langfristig zum Ziel, um jeden Preis!“ Machiavellisten bringen ihre Persönlichkeitsmerkmale sehr vorsichtig und mit Bedacht in die Führung ein. Mitarbeiter können unmoralisch manipuliert werden, damit die Führungskraft langfristig ihre Ziele erreicht. Der gute Ruf ist den Machiavellisten aber wichtig, deshalb wird es zuerst nicht auffallen, langfristig aber wird sich diese Führungskraft nur schwer an loyale Regeln und moralische Standards halten.
In ihrem Streben nach dem eigenen Vorteil, weisen Machiavellisten geringe Werte in Empathie, Verträglichkeit und Ethik auf (Diller, 2021). Natürlich machen auch hier die Dosis und die Ausprägung das Gift, aber die Realität zeigt, welche katastrophalen Auswirkungen machthungrige Führungskräfte in der Politik (Trump, Bolsonaro, Erdogan …), in der Wirtschaft (Wirecard, Dieselskandal, CumEx …) oder in der Kirche (Missbrauchsfälle, Luxusstreben …) für Unternehmen, Mitarbeiter und Gesellschaft anrichten können. Daneben aber machen sie Mitarbeitern und ihnen untergebenen Führungskräften oft das Leben schwer, die dann nicht selten zuerst ins Coaching kommen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine Person nicht nur hohe narzisstische Tendenzen aufweist, sondern dies auch mit Machiavellismus und Psychopathie einhergehen kann.
Entwicklungspsychologisch dürfte bei allen drei Anteilen der dunklen Triade ein wenig empathisches Elternhaus vorliegen. Im Falle einer positiven Entwicklung wird dem Kind sehr früh vermittelt, dass es gesehen und gehört wird und dass seine Bedürfnisse wahr- und ernstgenommen sowie erfüllt werden. Im negativen Fall, also dem wenig einfühlsamen Elternhaus – und das trifft erfahrungsgemäß besonders auf den Narzissten zu –, erlebt das heranwachsende Kind eine nicht kindgerechte Aufwertung. Das Kind wird z.B. zum Berater/Tröster der Eltern, die ihm ihre Sorgen anvertrauen. Es wird damit auf die Erwachsenenebene gehoben, was dem Kind zwar schmeichelt, aber nicht seiner Rolle entspricht. Die eigenen Bedürfnisse und Gefühle kommen dabei zu kurz. Abgesehen davon fungieren Eltern natürlich immer über die Vorbildrolle als Modell. Ein wenig empathisch erzogenes Kind wird lernen, wenig empathisch eigene Ziele zu verfolgen und dabei recht unsensibel mit anderen umzugehen.
Die Tragik der dunklen Triade ist, dass Manager, die diesem Formenkreis zuzuordnen sind, sich durch die Logik unserer Organisationen nach oben arbeiten können und qua Zielerreichung dafür belohnt und befördert werden. Sie erreichen also im motivationspsychologischen Sinne Heckhausens (2018) zwei der drei Grundmotive des Menschen, nämlich Macht (Busch, 2018) und Leistung (Brunstein & Heckhausen, 2018), vernachlässigen aber das Motiv des sozialen Anschlusses und der Gemeinschaft (Hofer & Hagemeyer, 2018). Die Unternehmen zahlen auch einen hohen Preis für die negativen Auswirkungen, weshalb es Bemühungen der Personaler gibt, entsprechende Kandidaten rechtzeitig zu entdecken.
Das Hoffnungsvolle: Führungskräfte, die derzeit im Sinne des New Work und der Agilität in der Literatur beschrieben und von den Unternehmen gesucht werden, entsprechen genau dem Gegenteil der dunklen Triade: Sie sollen teamdienliche, kommunikative und kooperative Manager sein, die ihre Mannschaft empowern und sie unterstützen, im Networking mit einem hohen Anteil an Eigenverantwortung kreative und flexible Lösungen zu erzielen (Kruse et al., 2014). Das gilt für die Firstline-Manager, die operative Teams führen, genauso wie für das Top-Management, wo es nicht mehr so sehr auf die einzelnen Kompetenzen der Manager, sondern ebenfalls zunehmend auf die Fähigkeit zur Kooperation ankommt (Dierke & Houben, 2013).
Es stellt sich die Frage: Wann kommen Führungskräfte mit hohen Ausprägungen in den Bereichen der dunklen Triade ins Coaching? Erfahrungsgemäß können u.a. folgende Aspekte den Coaching-Anlass darstellen:
Wie sollte ein Coach seinem Klienten begegnen, wenn er feststellt, dass dieser Merkmale der dunklen Triade aufweist? Die folgenden Punkte sollten als Grundsätze im Umgang mit ihm beachtet werden:
Da der Klient im Coaching kein anderer Mensch ist als im sonstigen Leben, ist es recht wahrscheinlich, dass auch der Coach Zielscheibe seiner sozial unverträglichen Haltung wird: Möglicherweise fühlt sich der Coach abgewertet oder sieht sich Arroganz und Manipulationen ausgesetzt. Nicht selten erlebt der Coach dann Empfindungen, die der Klient selbst biografisch erfahren haben dürfte. Aus der Psychoanalyse ist dieser Vorgang als Übertragung und Gegenübertragung bekannt. Der Klient projiziert/überträgt seine lebensgeschichtliche Prägung auf seinen Coach, der sich in der Folge selber klein, minderwertig sowie inkompetent fühlt und als Gegenübertragung seinerseits in die Abwertung des Klienten geht.
Wissen um prägende Einflüsse in Kindheit und Jugend auf die Charakterbildung hilft Coaches, nicht in die Falle der Gegenübertragung zu tappen. Es hilft, sie achtsam wahrzunehmen und im Erwachsenen-Ich zu bleiben. Hierbei ist es sinnvoll, die eigene Empfindung zu nutzen und sie gegenüber dem Klienten auszusprechen: „Im Umgang mit Ihnen fühle ich mich …“ Dies braucht viel Präsenz und Mut.
Wie alles im Leben sind auch die drei psychologischen Konstrukte, die die dunkle Triade bilden, für etwas gut. Sie haben, wie die Tabelle zeigt, einen positiven Kern, der sich nur in der Extremausprägung in eine negative Entartung entwickeln kann. Coaches können dieses Wissen nutzen, um die positiven Anteile zu würdigen und die negativen Auswirkungen kritisch zu reflektieren. Und auch das oben erwähnte Grundmotiv des sozialen Anschlusses, das oft den eigenen Zielen geopfert wird, kann in ein Ziel für das Coaching gewandelt werden.
Prägung | Bedeutung | Positiver Kern |
---|---|---|
Narzissmus | Grandioses Selbst | Achtet auf sich selbst |
Psychopathie | Empathielosigkeit | Ausgeprägte Sachorientierung |
Machiavellismus | Der Zweck heiligt die Mittel | Starke Zielorientierung und hohe Effizienz |
Tabelle: Konstrukte der dunklen Triade und ihr positiver Kern
Viele Coaches werden das Vorliegen starker Ausprägungen in den Bereichen der dunklen Triade als Grenzfall zu einem möglichen Psychotherapiebedarf einordnen. Damit haben sie recht, Coaching beinhaltet allerdings eine niedrigere Hemmschwelle als Psychotherapie und damit auch eine Chance. Wie gut diese genutzt werden kann, kommt auch auf den Hintergrund des Coachs an, denn es kann hier natürlich hilfreich sein, im psychotherapeutischen Bereich ausgebildet zu sein. Aber es geht nicht um Psychotherapie durch die Hintertür (!), sondern um Coaching und um die Coaching-Ziele. Es können biografische Exkursionen vorgenommen werden, die aber am Ende immer zu den Coaching-Zielen zurückführen sollten (siehe Abb.).
Ein Hilfsmittel ist der – von mir selbst entwickelte – „emotionale Lebenslauf“, der bereits zu Beginn des Coachings neben dem herkömmlichen Lebenslauf vom Klienten erbeten werden sollte. Folgende Fragen sind bei der Erstellung hilfreich:
Was können Coaches aus dem emotionalen Lebenslauf ziehen? In der Regel sind es Gefühle der Unterdrückung, des Ausgenutzt-Seins, der Wut über eigene nicht berücksichtigte Bedürfnisse und die Scham, für die eigenen Bedürfnisse geschmäht worden zu sein. Hier sind Coaches besonders gefordert, diesen Gefühlen mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen und einen geschützten Raum für den Ausdruck dieser Gefühle zu bieten. Es gilt, dem Klienten dabei zu helfen, diese Gefühle zu erleben, sie auszudrücken und sie – je nach Vertrauen in den Coach und den eigenen emotionalen Prozess – zu adressieren. Gemäß des bekannten gestalttherapeutischen Mottos: „Eindruck ohne Ausdruck bleibt Druck!“ Hier bietet es sich an, die Ebene zu wechseln und nicht mehr über die Erfahrungen zu sprechen, sondern den Dialog mit den „Verursachern“ (z.B. Eltern, Professoren, ehemalige Chefs etc.) zu ermöglichen. Das Verfahren der Wahl ist die Stuhltechnik aus dem Gestaltansatz. Die entsprechende Person wird dabei symbolisch auf einen leeren Stuhl gesetzt, damit der Klient mit ihr in den Dialog treten kann. Hier brauchen Coaches die Erfahrung einer selbst durchgearbeiteten emotionalen Biografie, um als klares und wertschätzendes Gegenüber diesen Raum halten zu können.
Um am Ende den Blick wieder zurück auf den ursprünglichen Auftrag zu lenken, sind sogenannte Future-Checks hilfreich: Wie wird sich die soeben gemachte Erfahrung auf den kommenden Umgang mit Peers und Mitarbeitern/Kunden oder sonstigen internen Schnittstellen auswirken? Oder: Welches Potenzial meiner Person kann ich nun einsetzen, nachdem ich diesen biografisch-emotionalen Rucksack ausgeleert habe?
Wenn von dunklen Eigenschaften der Führung gesprochen wird, liegt es nahe, auch über helle Eigenschaften zu sprechen. Kauffeld (2011) hat dies getan und folgende Eigenschaften zusammengestellt:
Intelligenz und Zielstrebigkeit haben die oben beschriebenen Manager der dunklen Triade auch, jedoch setzen sie diese Eigenschaften nicht zum Nutzen der Mitarbeiter und der Organisation ein. Als eines der bekanntesten positiven Beispiele für einen „hellen Weg“ sei Nelson Mandela genannt, der trotz langer Gefängniszeit, erlittener Pein und Freiheitsberaubung nicht der Rachsucht verfiel, sondern sein Land Südafrika zu Versöhnung und Integration statt in Spaltung und Bürgerkrieg geführt hat. Wäre es nicht eine erstrebenswerte Aufgabe, Klienten, die Merkmale der dunkeln Triade aufweisen und den Weg ins Coaching gefunden haben, dabei zu unterstützen, einem hellen Weg zu folgen? Wenngleich dies nicht in jedem Fall möglich sein wird, lohnt es sich, den Versuch zu wagen.