Unbestreitbar und zunehmend immer öfter hör- und lesbar ist die Tatsache, dass narzisstische Verhaltensweisen im Management weit verbreitet sind. In Veröffentlichungen wird deutlich, dass es positive narzisstische Verhaltensweisen im Management gibt, die dem Unternehmen und seiner Steuerung förderlich sind. Es gibt aber auch destruktive narzisstische Verhaltensweisen von Führungskräften, die Unternehmen, ihren Mitarbeitern, ihren Kunden, der Umwelt, der Gesellschaft und letztlich manchmal auch sich selbst großen Schaden zufügen.
Angesichts der vielfältigen krisenhaften Entwicklungen werden Forderungen laut, dass Verantwortung tragende Manager ihre Verhaltensweisen und Entscheidungen reflektieren müssen. Fredy Haussamann (2009; 13), ein Schweizer Management-Coach, fordert beispielsweise, dass Manager – genauso wie Piloten sich einer gesundheitlichen und fachlichen Tauglichkeitsprüfung stellen müssen – ihr Handeln regelmäßig reflektieren sollten. Management-Coaching sollte als Teil einer guten Corporate Governance selbstverständlich sein und zum Standard werden.
In der Dissertation des Autors, die unter dem gleichen Titel wie dieser Artikel erschienen ist, wird die These vertreten, dass die Berücksichtigung narzisstischer Phänomene Grundlage jedes nachhaltigen und erfolgreichen Management-Coachings sein sollte und gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für den von vielen Autoren postulierten und geforderten transformationalen Wandel in Unternehmen darstellt. Die Ergebnisse der Arbeit sollen hier im Ansatz dargestellt werden.
Dr. Wolfgang Looss antwortete im Rahmen eines Interviews auf die Frage, wie häufig narzisstische Phänomene als Frage- und Problemstellungen in seinen Coachings auftauchen: „Es gibt wohl kaum ein Coaching im oberen Management, wo das Thema nicht hintergründig eine Rolle spielt, das ist bei der Zielgruppe gewissermaßen tautologisch. Von daher sollte jeder Coach da theoretisch einigermaßen informiert sein“ (Schneck, 2012; 468). Klaus Eidenschink erklärte auf eine Frage nach der Wichtigkeit der Berücksichtigung narzisstischer Phänomene im Coaching: „Die Berücksichtigung narzisstischer Phänomene im Rahmen von Coaching erachte ich als sehr wichtig. Wer dies nicht berücksichtigt, hat sein Geld nicht verdient. Allerdings werden narzisstische Phänomene explizit so gut wie gar nicht berücksichtigt. Diejenigen, die es könnten, sind im Feld kaum unterwegs“ (ebd.).
Um ein Management-Coaching unter besonderer Berücksichtigung narzisstischer Phänomene durchführen zu können, stellen sich mindestens drei Fragen:
In der gegenwärtigen tiefenpsychologischorientierten Debatte über das Thema Narzissmus herrscht eigentlich nur über zwei Punkte Einigkeit: Erstens, dass das Konzept des Narzissmus zu den wichtigsten Erkenntnissen der Tiefenpsychologie gehört und dass es zweitens sehr verwirrend ist. Bis heute herrschen Zweifel, ob dieser Begriff überhaupt noch eine theoretisch eindeutige Trennschärfe besitzt. Die narzisstische Störung versteht Altmeyer als Bewältigungsversuch, bei dem das Gefühl fehlender intersubjektiver Anerkennung im Zentrum unbewusster Phantasien steht und zu kompensatorischen Erlebnis- und Verhaltensweisen führt. Die Symptome dieser Störung haben für ihn eine reparative Funktion und dienen in vielfältigen Erscheinungsformen dem Versuch, von anderen wahrgenommen und anerkannt zu werden (Altmeyer, 2006; 90). Dieses Modell des Narzissmus von Altmeyer kann als grundlegendes entwicklungstheoretisches Modell für ein Management-Coaching unter besonderer Berücksichtigung narzisstischer Phänomene betrachtet werden. In diesem Modell ist die Beziehung zwischen Patient und Therapeut, in der sich das problematische Verhältnis des Patienten zur Welt und zu sich selbst entfaltet, das Zentrum (Altmeyer, 2010; 19f).
Um der Fülle der narzisstischen Phänomene und Erscheinungsformen gerecht zu werden, sind Dimensionen wie Verhalten, Gefühle, Beziehungen, Charakterhaltungen und Phantasien zu betrachten. Die Gestaltung von Beziehungen soll an dieser Stelle exemplarisch skizziert sein. Die Gestaltung orientiert sich bei narzisstisch gestörten Menschen hauptsächlich am eigenen Vorteil weitgehend unfähig zu einem tiefergehenden Interesse am anderen Menschen. Häufig kommt es zu dem von Willi beschriebenen unbewussten Zusammenspiel zwischen den Partnern, wobei einer mehr den progressiven, der andere mehr den regressiven Part einnimmt.
Willi bezeichnet dieses Zusammenspiel als „narzisstische Kollusion“, die beiden Pole oder Positionen mit Narzisst und Komplementärnarzisst (Willi, 1975; 61ff.). In der narzisstischen Kollusion zeichnet sich der Typus des progressiven Narzissten dabei durch eine übersteigerte, oberflächliche Selbstsicherheit aus, um damit sein latentes Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren. Der Komplementärnarzisst leidet unter einem manifesten Minderwertigkeitsgefühl, hinter dem sich latente Größenphantasien verbergen.
Für Maaz (2012; 1) ist unsere Gesellschaft in die Narzissmus-Falle geraten. Solange keine Mittel und Wege gefunden werden, den Narzissmus und die ihm zugrunde liegende Bedürftigkeit zu zähmen, gleichen für ihn alle Versuche, die Krise zu überwinden und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbessern, einem Stühlerücken auf der Titanic. Grundsätzlich ist Diamond (2006; 172) zuzustimmen, die von der These einer Reziprozität (Wechselseitigkeit) gesellschaftlicher und psychologischer Aspekte des Narzissmus ausgeht. Die Gesellschaft entfaltet ihren Einfluss im Individuum, das nach den jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen und Anforderungen geformt wird. Das Individuum wiederum hat Einfluss auf die Gesellschaft sowie ihrer Organisationen und wird durch die Anforderungen der innerpsychischen Welt der Triebe, Affekte und Objektbeziehungen geformt.
Generell sind bei einem Management-Coaching narzisstische Phänomene nicht nur auf der individuellen Ebene zu berücksichtigen, sondern auch innerhalb der Führungsbeziehung, auf der organisationalen und eben auch der gesellschaftlichen Ebene.
Auf der individuellen Ebene muss beachtet werden, dass es ein Spektrum, von – für Organisationen – konstruktiven und positiven narzisstischen Erlebens- und Verhaltensweisen bis hin zu destruktiven narzisstischen oder sogar psychopathischen Verhaltensweisen im Management gibt. Allgemein herrscht Konsens darüber, dass ein gesunder und konstruktiver Narzissmus eine wichtige, wenn nicht sogar die grundlegende Voraussetzung für die Besetzung und erfolgreiche Bewältigung einer Managementposition darstellt. Organisationen brauchen Führungskräfte mit narzisstischen Verhaltensweisen, um die entsprechenden Leitungspositionen überhaupt zu besetzen und um kontinuierlichen Wandel sicherzustellen.
Gleichzeitig müssen aber auch die Gefahren beachtet werden, die durch narzisstische Verhaltensweisen des Managements in Unternehmen entstehen können. Sie reichen von strukturellen und kulturellen Verwerfungen über Fehlentscheidungen bezüglich der Unternehmensstrategie bis hin zur Existenzgefährdung von Unternehmen, wofür es zahlreiche Beispiele gibt. Auffällig ist, dass narzisstische Verhaltensweisen im Zeitablauf anders bewertet werden. Während diese Verhaltensweisen vom Vorstellungsgespräch bis zu den ersten Monaten meist positiv beurteilt werden, kommt es in späteren Phasen häufig zu Verhaltensweisen, die die Unternehmensentwicklung belasten und dadurch zu negativen Bewertungen führen.
Bei der Berücksichtigung der Führungssituation ist zu beachten, dass eine grundsätzliche Dichotomie zwischen Führungskraft und Mitarbeiter besteht. Die eigentliche Aufgabe der Führung besteht darin, diese Dichotomie konstruktiv zu gestalten. Dies verlangt von der Führungskraft, den Rollenunterschied zwischen beiden zu respektieren, die Position der Mitarbeiter auszuhalten und sie beteiligend zu aktivieren. Für eine erfolgreiche Führungskraft ist es notwendig, die eigene Rolle zu reflektieren und Übertragungsprozesse zu identifizieren und konstruktiv zu gestalten. Für Dammann (2007; 72) besteht kein Zweifel, dass Führungskräfte dazu umso besser in der Lage sind, je weniger narzisstisch sie sind.
Wird eine Organisation dauerhaft von Führungskräften geleitet, die durch starke narzisstische Verhaltensweisen geprägt sind, verselbständigen sich die narzisstischen Prozesse und werden zu Charakteristiken der Organisation. Strategisch findet sich häufig eine expansive, (hyper)aktive und stark risikobehaftete Ausrichtung, die häufig mit einem unkoordinierten Portfolio und großer Diversifizierung verbunden ist (Kets de Vries, 2001; 143). Die Strategien fußen häufig auf kühnen einsamen Entscheidungen ohne Beteiligung fachlich kompetenter Mitarbeiter. Organisatorisch zeigt sich oft eine übertriebene Zentralisierung. Kulturell gilt es die von Schein (2003) beschriebenen Artefakte, wie Gebäude, Kleiderordnung, Leitbilder etc. zu beachten und die unausgesprochenen Annahmen von Hybris, Omnipotenz, Allwissenheit und Herabsetzung zu erkennen.
Allgemein hat ein Konzept eines Management-Coachings unter besonderer Berücksichtigung narzisstischer Phänomene zu bedenken, dass Unternehmen gegenwärtig unter erhöhtem Wettbewerbsdruck und einer Beschleunigung des Wandels durch die Globalisierung stehen, zunehmende Komplexität bewältigen und eine schnelle und radikale Ausrichtung auf einen sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Wertbeitrag leisten müssen.
Ein Management-Coaching unter Berücksichtigung narzisstischer Phänomene muss einen Beitrag zu einem zeitgerechten Wandel und zu einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung leisten. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sollte ein Management-Coaching auf verschiedenen theoretischen Hintergründen beruhen. Aus der Psychoanalyse und Psychodynamik ist insbesondere die Beachtung vorbewusster und unbewusster Aspekte aufzunehmen. Aus der humanistischen Psychologie ist beispielsweise der Aufbau einer unterstützenden Beziehung zur Entwicklung einer Persönlichkeit zu integrieren. Systemisch-konstruktivistische Perspektiven sind Grundlage für eine Mehrebenen-Betrachtung narzisstischer Phänomene und für die Subjektivität der Wirklichkeitskonstruktionen jedes Menschen. Schließlich ist eine betriebswirtschaftliche Perspektive unumgänglich.
In der Regel findet ein solches Coaching in Form eines Einzel-Coachings durch einen externen Coach statt. Bei den zunächst genannten Anlässen wird es sich meist um eine Erhöhung der Entscheidungsqualität, eine Unterstützung im Rahmen von (kontinuierlichen) Veränderungsprozessen oder um eine Verbesserung der Führungskompetenz handeln. Aber auch individuelle oder organisationale Krisen, wie Burnout oder drohende Insolvenz, sind Anlässe für ein solches Coaching. Narzisstische Manager konsultieren meist erst dann einen Coach, wenn sie durch den drohenden Untergang ihres Systems massiv unter Druck geraten sind.
Ein solches Coaching findet in den bekannten Prozessschritten Kontrakt, Analyse, Begleitung und Umsetzung sowie Abschluss statt. Schon in der Kontraktphase ist es wichtig, den Prinzipien der Loyalität, der Transparenz und der Vertraulichkeit besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da der Schlüsselfaktor in allen Phasen eines solchen Management-Coachings der Aufbau einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung ist. Die Beziehung muss vom Klienten als wohlwollend und bestätigend erlebt werden. Letztlich ist eine neue Beziehungserfahrung des Klienten mit dem Coach das zentrale Moment in einem Management-Coaching unter Berücksichtigung narzisstischer Phänomene und bildet gleichzeitig den Ausgangspunkt für alle weiteren Veränderungen auf den höheren Ebenen.
Die Belastbarkeit der Beziehung entscheidet über den Grad persönlicher, interaktioneller und unternehmerischer Entwicklungen. Im gelingenden Fall findet einerseits eine kontinuierliche Vertiefung der Selbstreflexion des Klienten in Hinblick auf den individuellen Narzissmus und andererseits eine kontinuierliche Ausweitung der Reflexion über narzisstische Phänomene auf der interaktionellen und organisationalen Ebene statt. Im Prozessschritt der Analyse geht es um ein vorsichtiges Wiederentdecken der Selbstwahrnehmung des Klienten verbunden mit ersten behutsamen Rückmeldungen des Coachs bezüglich blinder Flecken, Übertragungen sowie von Entwertungen und Idealisierungen. In einem späteren Stadium kann auf Kollusionen in der Führungssituation oder auf narzisstische Phänomene in der Strategie, Struktur oder Kultur hingewiesen werden. In der Phase der Begleitung und Umsetzung geht es darum, die durch die empathische und responsive Begleitung und Unterstützung durch den Coach erzielten Veränderungen in den Einstellungen, Verhaltens- und Sichtweisen des Klienten durch Maßnahmen und Interventionen einen Wandel (durchaus mit evolutionären Sprüngen) auf den höheren Ebenen folgen zu lassen. Gelingt dies, kann durch eine solche Form eines Management-Coachings nicht nur wichtige persönliche Entwicklungen initiiert, sondern auch die Führungssituation erheblich verbessert und wichtige Impulse für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden.
Management-Coaching unter besonderer Berücksichtigung narzisstischer Phänomene kann nach Ansicht des Autors einen wichtigen Beitrag für den geforderten transformationalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft leisten.
Es gilt aber auch die Grenzen und notwendigen Fortentwicklungen eines solchen Vorgehens zu beachten. Der Aufbau einer tragfähigen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Klient und Coach kann gerade bei Personen mit Beeinträchtigung aus dem narzisstischen Formenkreis nicht innerhalb von fünf bis zehn Stunden erfolgen, sondern erfordert viel Geduld. Dieser Grenze kann nur durch Einsicht und entsprechend lang laufende Coaching-Verträge begegnet werden. Eine weitere Grenze sind die hohen Anforderungen an Qualifikationen und Kompetenzen, die an einen Coach für eine solche Form eines Management-Coachings gestellt werden. Dieser Grenze kann nur begegnet werden, indem der Umgang mit narzisstischen Phänomenen im Coaching Bestandteil jeder seriösen Management-Coaching-Ausbildung wird. Darüber hinaus ist es notwendig, den Austausch über solche Formen des Coachings unter den erfahrenen Mitgliedern zu verstärken und durch Anwendungen in der Praxis dieses Konzept kontinuierlich fortzuentwickeln. Dies betrifft u.a. den weiteren Ausbau der theoretischen Hintergründe, die Spezifizierung der Formen und Anlässe aber auch die Entwicklung spezieller Interventionen und Methoden, die für eine Fokussierung auf narzisstische Phänomene im Management-Coaching besonders förderlich erscheinen.
Insgesamt bleibt zu hoffen, dass es durch eine vermehrte Auseinandersetzung gelingt, narzisstischen Phänomenen im Management und deren Berücksichtigung im Management-Coaching die Qualität eines Tabuthemas zu nehmen.