Konzepte

Coaching mit dem Medium Pferd

Pro- und Kontra-Argumente

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2009 am 24.11.2009

Pro

Pferde als Medium im Coaching: natürlich, ehrlich und nachhaltig!

von Stephan Gerd Meyer

Coaching mit Pferden als Spiegel und Katalysator für Führungseigenschaften, Teamentwicklung und persönliches Wachstum hat sich in den letzten Jahren zunehmend etabliert. Anfangs von vielen belächelt oder als oberflächliches Event abgetan, hat sich dieser Ansatz nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit einen guten Ruf erworben. Das liegt daran, dass er besonders natürlich, unmittelbar, schnell und intensiv wirksam ist.

Was wirkt? Es ist das klare, eindeutige und ungefilterte Feedback, das die Pferde vermitteln – hundert Prozent ehrlich, denn sie denken nicht, sondern reagieren. Freundlich und dabei sehr deutlich spiegeln sie die inneren Prozesse und Emotionen der Klienten, die über die Körpersprache sichtbar werden. Schon die kleinsten Veränderungen werden vom Pferd registriert und durch seine Reaktion katalysiert, vergrößert im wahrsten Sinne des Wortes, sind sie doch außerordentlich große, schnelle und starke Tiere. Dieses Feedback berührt, es setzt im selben Augenblick Lernprozesse in Gang, emotional und erlebnisorientiert, die oft über Wochen und Monate wirken: Da war zum Beispiel eine Lehrerin, die immer das Gefühl hatte, sie muss die ganze Klasse mühsam hinter sich herschleppen, ihnen ständig Antworten aus der Nase ziehen, den Pausenclown machen. Durch eine Übung, in der sie mit einer Fahne die Pferde aus der Distanz und von hinten geführt hat, merkte sie plötzlich: Ein kleiner Impuls reicht, dann laufen die von selber! Und so war es dann auch in ihrer Klasse – sie hat die Schüler so neugierig gemacht, dass die von selbst Fragen stellten.

Im pferdegestützten Coaching nach dem EAHAE-Standard (European Association for Horse Assisted Education; über 200 Mitglieder aus 35 Ländern) geht es nicht darum, etwas „richtig“ oder „falsch“ zu machen, sondern darum, in prozessorientierten Settings seinen persönlichen Stil zu finden und zu hinterfragen, um die innere Stimmigkeit, Authentizität und Souveränität zu steigern. Neben Führungskräften, die ihren Führungsstil verbessern wollen, buchen beispielsweise Unternehmer in Entscheidungssituationen und Teams in Veränderungsprozessen ein solches Coaching.

Ein junger Geschäftsführer, der mit 25 Jahren ein Autohaus übernommen hatte, war fachlich gut, aber oft noch unsicher, vor allem gegenüber den älteren Mitarbeitern. Er hatte viele klassische Ideen von Führung im Kopf, meinte, er müsse rumbrüllen, um als Führungskraft anerkannt zu werden. Im Umgang mit den Pferden lernte er in wenigen Stunden, dass er einfach nur aus seiner Mitte heraus ein kleines Handzeichen zu geben braucht, nur eine Bewegung von ein oder zwei Zentimetern, eine klare Anweisung, und schon wurde er verstanden und respektiert.

Die größten Vorteile des pferdegestützten Coaching sind das rein praktische Lernen über die soziale und emotionale Intelligenz sowie das vierdimensionale Feedback für die Klienten:

  • Von den Pferden im direkten Erleben, 
  • von den anderen Teilnehmern im Gespräch, 
  • aus der Beobachtung der eigenen Interaktionen mit den Pferden in der Videoaufzeichnung,
  • durch die moderierenden Coachs.

Persönliche Themen stehen plötzlich im Raum und können bearbeitet werden: Präsenz zeigen, sich Respekt verschaffen, Vertrauen gewinnen, Ziele erreichen, Ängste überwinden, an sich und andere glauben, klare Beziehungen schaffen etc.

Pferdegestützte Seminare und Einzel-Coachings sind deshalb ein professioneller, wertorientierter Beitrag zur Achtsamkeit, Ehrlichkeit und Menschlichkeit im beruflichen und persönlichen Alltag sowie für das Entstehen einer Arbeitskultur, wo Mut, Verantwortung, Integrität, Vertrauen und Respekt die Organisationsentwicklung prägen.

Kontra

Passt das Medium zum Ziel?

von Jürgen Hargens

Meine erste Reaktion auf das Zusammengehen von Coaching und Pferden war die Überlegung, wie ich mich als Klient wohl fühlen würde, wenn mein Coach das Thema Pferde für das Coaching, das ich bezahlen soll, einbrächte? „Ich will weder reiten, noch Pferde führen lernen. Ich habe einige berufliche Fragen“, so reagierte ich – also mit Skepsis.

Nachdem ich deswegen über mich gelächelt hatte, begann ich als Coach darüber nachzudenken – als Coach, der mit Pferden, weder im Coaching noch im Alltag, nichts weiter am Hut hat. Und dann lief meine Denkmaschine an.

Im allgemeinsten Sinne lässt sich Medium als Mittler oder Übermittler verstehen. Was also, so frage ich mich, sollen Pferde mitteln oder vermitteln – und das im Coaching? Die Antwort erschließt sich mir nicht ganz klar, denn in meiner professionellen Rolle beziehungsweise Aufgabe als Coach ist eine meiner ersten Fragen stets die nach dem „wozu?“. Dies orientiert mein Gegenüber darauf, welches Ziel er oder sie im Coaching erreichen will.

So frage ich mich, welchen Nutzen können Pferde als Medium im Coaching haben? Und inwiefern haben sie eine Bedeutung für (1) das Erarbeiten der Ziele des Klienten und (2) für das Annähern an dessen Ziele?

Eine Antwort, die mich überzeugt, sollte ganz aus den Zielen der Person herleitbar sein, die um ein Coaching nachgesucht hat. Deshalb können für mich Pferde im Coaching nur dann Nutzen haben, wenn sich dieser eindeutig aus den Zielen des Coaching herleiten lässt. Sonst wäre es für mich nichts anderes als eine weitere Bindestrichform des Coaching.

Lernen, so ließe sich sicher allgemein formulieren, ist und bleibt letztlich immer unvermeidlich. Insofern wäre aus jeder Coaching-Sitzung immer ein Lernerfolg ableitbar, auch aus einer solchen mit Pferden. Nur ob der Lernerfolg dann auch im Sinne des vereinbarten Ziels liegt, bleibt fraglich. Und genau das, so meine professionelle Haltung, wäre vorab zu klären – denn sonst beruht ein professioneller Fortschritt lediglich auf einer mehr oder weniger merkwürdigen Art von Zufällen.

Vor Jahren hat Monty Roberts als „Pferdeflüsterer“ für Furore gesorgt und seine Ideen (und eben nicht die Pferde!) wurden auch auf den Management-Bereich übertragen. Dabei zeigte sich sehr rasch, dass es eben nicht um Tricks und Drehs geht, sondern um die Haltung und den Respekt, mit dem eine Person (sei sie Pferdeflüsterer oder Manager) einer anderen (sei sie Pferd oder Arbeiter/Angestellter) gegenübertritt. Und – so meine Erfahrung – im „Nicht-Arbeitsbereich“ ist es meist leichter, eine solche Haltung zu „leben“ als im Arbeitsbereich.

So gesehen stellen für mich Pferde – wie jedes andere Medium – immer nur mögliche Mittel zum Zweck dar. Insofern können Pferde möglicherweise auch ein Medium sein – allerdings mit der in meinen Augen notwendigen Einschränkung von „auch“. Dieses „auch“ (und das erwarte ich von einem Coaching-Profi) kann erst nach der Klärung des Zieles in Absprache und mit ausdrücklicher Zustimmung des Kunden zum Einsatz kommen. Insbesondere erst, nachdem der Coach erläutert hat, wie und weshalb das Pferd als Medium in dieser speziellen Situation nützlich sein kann. Also sollte es keinen neuen Markt „Coaching mit Pferden als Medium“ geben, sondern weiterhin konsequent und wertschätzend ein Herausarbeiten der Ziele des Klienten, denn erst diese Ziele eröffnen die Möglichkeit, unterschiedliche Medien zieldienlich und transparent zu verwenden.

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