Kontrovers

Coaching mit Pferden

Eine Ergänzung zu Prof. Dr. Kannings Beitrag im Coaching-Magazin 4/2014

Die passende Wahl des Coachs im Dschungel der Coaching-Anbieter zu treffen, ist nicht einfach – doch ist dieser Umstand auch nicht neu. Nun wird der undurchsichtige Dschungel noch durch einen neuen Trend vergrößert: Coaching mit Pferden (oder auch mit Lamas, Hunden, Wölfen oder Greifvögeln). Kritiker bezeichnen dies als „Edutainment“ und prangern, teilweise zu Recht, unseriöse Vorgehensweisen an – wie Prof. Dr. Kanning im Coaching-Magazin 4/2014. Allerdings ist pferdegestütztes Coaching, professionell ausgeführt und mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verbunden, keinesfalls als „bad practice“ abzustempeln.

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2015 am 13.05.2015

Tiergestützte Coaching-Angebote zielen darauf ab, eine erlebnisorientierte Lernerfahrung abseits der bekannten Seminarräume zu ermöglichen. Auf den ersten Blick mag dies ungewöhnlich erscheinen, doch kann der Einbezug von Pferden ins Coaching einen enormen Mehrwert bringen. Um eben nicht nur Edutainment, wie Kritiker pferdegestütztes Coaching bezeichnen, zu bieten, erfordert es Professionalität und eine Reihe von Kompetenzen seitens des Coachs. Doch leider ist es mit der Professionalisierung in diesem jungen Feld noch nicht weit her.

So mag leicht der Eindruck entstehen, man könne einen schönen Tag auf dem Reiterhof verbringen – ein Eindruck, den viele Anbieter vermutlich insgeheim teilen. Betrachtet man den Markt und damit die Anbieter pferdegestützter Formate genauer, kann man zwei Strömungen unterscheiden: Den Unterschied macht die Rolle des Pferdes.

Zwei unterschiedliche Rollen des Pferdes

Auf der einen Seite gilt das Pferd selbst als Coach. Man soll sich also vom Pferd abschauen, wie man z.B. effektiv führt. In der Regel beißt jedoch keine Führungskraft ihren Mitarbeiter in den Po, sobald Gefahr droht – fühlt sie sich auch noch so sehr als Leithengst. Vertreter dieser Strömung sind der Meinung, dass Pferde spüren, worum es geht und den Klienten zeigen, was sie davon halten, sodass diese ihre Schlüsse ganz allein ziehen. Auch teilweise esoterisch anmutende Heilversprechen sind mitunter zu finden: Pferde wirkten so tief auf das Unterbewusstsein und diese heilsamen Mechanismen seien so komplex, dass wir Menschen sie ohnehin nicht verstehen könnten. Wozu sich also die Mühe machen, sie (wissenschaftlich) zu hinterfragen? Die Hoffnung auf Wirksamkeit wird gerne in die Verantwortung der Tiere abgegeben.  

Auf der anderen Seite gibt es Anbieter, die dieser Haltung grundlegend widersprechen. Das Pferd wird nicht als Coach, sondern als außergewöhnlicher Anstoß zur Selbstreflexion für den Klienten genutzt. Der wesentliche Unter schied besteht darin, dass das Erlebnis mit den Pferden im Anschluss mit dem Coach reflektiert, in die Berufspraxis transferiert und vor den Hintergrund bewährter Theorien (z.B. zu Teamrollen, Führung, Kommunikation) analysiert wird. Das Pferd dient dabei als Metapher und Übungsobjekt, z.B. für ein klares und souveränes Auftreten, und wird nicht mit realen Mitarbeitern gleichgesetzt. Die Interaktion mit dem Pferd dient also zur Anregung weiterer Reflexionsprozesse, die in jedem Fall professionell begleitet werden.

Die Rolle des Coachs beim pferdegestützten Coaching

Grundsätzlich sollte ein Coach, der tiergestütztes Coaching anbietet, eine solide Qualifikation besitzen, um überhaupt einschätzen zu können, wobei Pferde eine Unterstützung bieten könnten. Darüber hinaus ist es unabdingbar, den Ausdruck und das Verhalten des Tieres lesen, interpretieren und zurückspiegeln zu können. Es bedarf also vielerlei Kompetenzen, die nur in unterschiedlichen, spezialisierten Weiterbildungen erworben werden können. Daher wird diese Expertise in der Praxis oft auf zwei Personen verteilt: Ein Experte für das Coaching, einer für die Pferde.

Ferner sollten Pferde nicht als non plus Ultra für jedes Anliegen, jeden Klienten und jedes Thema angepriesen, sondern als eine hilfreiche Methode von vielen gesehen werden. Coaches sollten also über eine Methodenvielfalt verfügen, die über den Einsatz von Pferden hinausgeht. Das Ziel und der Mehrwert des Pferdeeinsatzes sollten im Vorfeld didaktisch und methodisch begründet werden können. Ein Pferd kann z.B. als „Diagnosemedium“ wirken, da der Coach durch die Beobachtung der Interaktion zwischen Klient und Pferd Hinweise über dessen typische Muster bekommt (Friesenhahn, in Druck). Diese Hinweise gilt es aufzugreifen, durch Reflexion bewusst zu machen und weiter zu bearbeiten.

Dazu ist es sinnvoll, auf „bewährte“ Fragetechniken und Methoden zurückzugreifen. Damit bleibt das Erlebnis mit dem Pferd nicht isoliert stehen, sondern wird in Zusammenhang mit dem Klienten gebracht, der Transfer in die Praxis gezielt ermöglicht und neue Perspektiven eröffnet. Der professionell unterstützten Reflexion der Interaktion mit den Pferden und dem entsprechenden Praxistransfer kommt damit eine Schlüsselfunktion zu, um die Wirkung voll ausschöpfen zu können.

Schließlich kann auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Nutzen und der Wirkungsweise von Pferden im Coaching als Unterscheidungsmerkmal professioneller Anbieter gelten. Als solche sollten sie sich um die anhaltende Professionalisierung bemühen, z.B. durch die aktive Unterstützung von Forschungsvorhaben und der Entwicklung einheitlicher Qualitätsstandards.

Gegenargumente zur Kritik am Coaching mit Pferden

Es sollte folglich das Gesamtbild der diskutierten Kriterien betrachtet und auch kritisch hinterfragt werden. Dabei muss deutlich werden, dass seitens des Coachs mehr dahinter steckt, als die Freude mit Pferden zu arbeiten. Solange dies nicht immer klar ist, ist es absolut nötig, öffentlich Aufsehen zu erregen – wie es auch Prof. Dr. Kanning im Coaching-Magazin 4/2014 getan hat. Dennoch soll seine Perspektive anhand folgender Gegenargumente ergänzt werden, da er überwiegend die eingangs kritisierte Strömung angesprochen hat, nicht aber die fundierte Arbeit mit Pferden als Impulsgeber zur Selbstreflexion und Übungsobjekt.

  1. Pferde haben als domestizierte Tiere gelernt, sensibel auf die Körpersprache von Menschen zu reagieren – dies belegen verhaltensbiologische Untersuchungen (Krueger et al., 2011). Der Mehrwert ist, dass sie nur auf nonverbale Signale reagieren, während Menschen oftmals versuchen, verbal auszuweichen. Erklärungen und Begründungen, die nicht ernst gemeint sind und sich nur in Worten äußern, helfen hier nicht weiter. Menschen werden damit gezwungen, tatsächlich auf die Kongruenz verbaler und nonverbaler Sprache zu achten. 

  2. Nonverbal werden auch menschliche Emotionen hauptsächlich ausgedrückt. Die Interaktion mit den Pferden im Coaching und Training betont durch den Fokus auf die Körpersprache auch die emotionale und intuitive Verarbeitung (Friesenhahn, in Druck). Die aus der Therapie bekannte Funktion als „sozialer Katalysator“ (Levinson, 1997) unterstützt zudem die emotionale Öffnung der Klienten. Der Einbezug von Emotionen in Veränderungsprozesse ist nachgewiesenermaßen essentiell. Nur was emotional nachempfunden wird, kann sich aus neurobiologischer Sicht verändern (Grawe, 2004).

  3. Wie zuvor betont wurde, ist selbstverständlich nicht nur das Feedback des Pferdes wichtig, sondern auch die Reflexion des Coachs zur beobachteten Interaktion mit dem Pferd. Das Pferd ist eben nicht das alleinige Wirkungsmoment, sondern unterstützt die Selbstreflexion. Lernprozesse werden durch die Übungen mit den Pferden effektiv sowohl handlungsorientiert als auch erfahrungsbasiert angeregt.

  4. Auch Inhalte eines Workshops oder Lernerfahrungen aus Rollenspielen bedürfen eines bewussten Transfers in den Arbeitsalltag. Dieser Herausforderung stellen sich somit alle Formate, die nicht „learning on the job“ umfassen – also der Großteil.

  5. Verhaltensroutinen können selbstorganisiert und dynamisch, d.h. durch den Wechsel zwischen Irritation und Restabilisierung, verändert werden (Haken & Schiepek, 2010). Pferde tragen zur Irritation bei und können zur Restabilisierung verhelfen, da sie für wiederholtes Üben bereitwillig zur Verfügung stehen.

Fazit

In der Nachbardisziplin des Coachings, der Psychotherapie, werden u.a. Pferde bereits seit Jahrzehnten erfolgreich in tiergestützten Therapien eingesetzt. Die vielen positiven Effekte, die aus der Mensch-Tier-Beziehung resultieren, sind eingehend empirisch untersucht (Julius et al., 2014). Sie wirken z.B. stresssenkend, emotional öffnend und handlungsmotivierend. Zur empirischen Bestätigung bedarf es zwar noch an spezifischen, fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen, dennoch kann angenommen werden, dass sie dort genauso wirken. Warum sollten diese positiven Effekte also nicht auch im Coaching genutzt werden?

Im Übrigen darf eine wirkungsvolle Methode im Coaching auch Spaß machen, zumal es sich so leichter und nachhaltiger lernt. Nur darf bei aller „Managerbespaßung“ der horsesense (engl. für gesunder Menschenverstand) nicht ausgeschaltet werden, um professionelle Angebote von unprofessionellen unterscheiden zu können.

Literatur

  • Friesenhahn, Johanna (in Druck). Durch Synchronisation zur Synergie im Coaching. Dissertation. Universität Heidelberg, Institut für Bildungswissenschaft.
  • Grawe, Klaus (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.
  • Haken, Hermann & Schiepek, Günter (2010). Synergetik in der Psychologie. Göttingen u.a.: Hogrefe.
  • Julius, Henri; Beetz, Andrea; Kotschral, Kurt; Tuner, Dennis & Uvnäs-Moberg, Kerstin (2014). Bindung zu Tieren. Göttingen: Hogrefe.
  • Kanning, Uwe Peter (2014). Pferdegestütztes Coaching. In Coaching-Magazin, 4/2014, 44–46.
  • Krueger, Konstanze; Flauger, Birgit; Farmer, Kate & Maros, Katalin (2011). Horses (Equus caballus) use human local enhancement cues and adjust to human attention. In Animal cognition, 14 (2), 187–201.
  • Levinson, Boris M. (1997). Pet-Oriented Child Psychotherapy. 2. Aufl. Springfield: Charles C Thomas Publisher LTD.

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