Der Begriff Havarie ist eine interessante Metapher für Schadensfälle, die in einem Coaching-Prozess oder innerhalb von Coaching-Ausbildungen auftreten können. Hierbei geht es nicht um Fehler, die man mit Bordmitteln korrigieren könnte. Also nicht die leichte Schramme am Schiff oder der leichte Verkehrsunfall sind gemeint, sondern Totalschäden, Unfälle großen Ausmaßes mit komplizierten Folgeschäden. Kommt dies im Coaching-Bereich überhaupt vor? Die Antwort ist einfach: Es kommt vor, aber darüber spricht man nur hinter vorgehaltener Hand.
Ähnlich wie Psychotherapeuten neigen Coaches dazu, solche Unglücke von sich weg zu deuten. Havarien wie der Untergang eines Schiffes sind hingegen deutlich sichtbar. Wenn das Wrack mit dem Bug nach oben aus dem Wasser ragt, lässt sich das Unglück nicht weginterpretieren. Wenn ein Kunde sein Coaching nicht fortsetzt oder der Ausbildungsteilnehmer plötzlich nicht mehr erscheint, erlaubt dies sehr unterschiedliche Deutungen.
Havarien im Coaching zu benennen und damit umzugehen, bedeutet einen Kommunkationsprozess mit Mitteln von Kommunikation auf Fehler zu untersuchen. Es wird damit deutlich komplizierter und kontingenzbehaftet. Auch der kluge Satz von Norbert Wiener, „was ich gesagt habe, weiß ich erst, wenn ich die Antwort kenne“, hilft im Alltag nicht immer weiter. Trotz dieser Schwierigkeiten müssen wir im Zuge der Professionalisierung von Business-Coaching eine Kultur des Diskurses über Schäden pflegen und an manchen Stellen erst entwickeln. Hierbei geht es nicht um moralische Verdammnis, es geht auch nicht um die Schaffung einer Instanz, die über richtig und falsch entscheidet, sondern um passende Reflexionen.
Im Folgenden sei diese Komplexität anhand eines Beispiels aufgeblättert. Die Geschichte hat stattgefunden, aber sie wurde an den notwendigen Stellen verändert. Es werden keine Lösungen nach dem Schema Eigenmarketing (so ist es richtig!) angeboten, sondern Fragen und mögliche Handlungen sowie ihre Folgen in den Raum gestellt. Es wurde mit Bedacht ein Beispiel gewählt, in dem der Ruf nach Anwalt, Gericht und Richter wenig hilfreich wäre.
Innerhalb einer Ausbildungsgruppe kam es zu einem zunächst fachlich sachlichen Diskurs über den Wert von Persönlichkeitstests. Der Ausbilder, ein Diplompsychologe, ausgestattet mit Testerfahrung und solidem theoretischen Wissen über psychologische Tests, stand dem allzu freudigen Einsatz von Tests skeptisch gegenüber. Er kritisierte auf Testmanuals reduziertes Wissen, den Einsatz von Tests bei unpassender Aufgabenstellung und den Gebrauch von Tests über die keine Gütekriterien existieren. In dieser konkreten Fallbesprechung ging es um die Verbesserung von Führungskompetenzen eines Kunden.
Der verwendete Test war zwar sehr populär, aber es gab keinerlei Aussagen über Validität, Objektivität und Reliabilität des Tests. Zusätzlich stellte der Ausbilder den Glauben an die Vermessbarkeit der Welt generell in Zweifel. Sein Ton war höflich, aber er ließ keinen Zweifel daran, dass er dieses Verfahren generell bei einem Thema wie Verbesserung von Führungskompetenzen für falsch hielt.
Eine Teilnehmerin vertrat die Gegenposition. Sie berichtete über gute Erfahrungen mit genau diesem Verfahren, über den Erkenntnisgewinn der Kunden und berief sich letztlich auf ihre Überzeugungen. Schließlich bestand sie auf Pluralität von Ansichten und das Recht auf eigene Meinung. Es wurde zunehmend ein Diskurs der beiden Kontrahenten ohne nennenswerte Beteiligung der anderen Teilnehmer. Als die Teilnehmerin den Ausbilder in eine der im Test vorgesehenen Typenschublade verortete und sich selbst zur Erklärung der aktuellen Dynamik in einer anderen Kategorie sah, weigerte sich der Ausbilder, den Diskurs fortzusetzen.
Endgültig verschärft wurde die Situation dadurch, dass die mittlerweile größer werdenden Differenzen nun als typischer Geschlechter-Konflikt bezeichnet eine neue Deutung erfuhr. Der Versuch des Referenten, den Diskurs thematisch wieder einzufangen, misslang. In der Folge kam es gegenüber dem Referenten zu verbalen Herabsetzungen. Die Situation begann zu entgleisen. Das Schiff Coaching-Ausbildung drohte mit maximalen Folgeschäden unterzugehen.
Innerhalb eines Ausbildungsseminars kam es zu einer zunächst fachlichen Differenz, die sich zu einem Konflikt entwickelte. Ausbildung impliziert, wie immer man die komplementären Rollen der Parteien auch ausformt, die Erwartung, jemand verfügt über Wissen, das er anderen zur Verfügung stellt. Lehrende und Lernende stehen idealerweise in einem komplementären Verhältnis zueinander.
Diese Erwartung des Wissens auf Seiten des Lehrenden kann nur dann bedient werden, wenn auf Seiten des Lernenden die entsprechende Bereitschaft gegeben ist. Die Auftragsklärung kann nicht alle Details im Vorfeld abstimmen.
Coaching hingegen basiert auf einem Auftrag, der vorher sehr präzise abstimmbar bzw. nachsteuerbar ist. Im Gegensatz zu Coaching-Ausbildungen sind im Coaching Diskurse über die richtigen Methoden nicht Inhalt von Kommunikation. Sollte über Inhalte keine Einigung erzielbar sein, kann man sich trennen. Dies mag ökonomisch oder auch persönlich unangenehm sein, aber es ist kein schwerer Schaden.
Für Ausbildungskonflikte ist die Situation schwieriger. Reflexionen und Diskurse über Methoden gehören zu einer Ausbildung. Die Teilnehmer sind mitbestimmende Partner in diesem Prozess, gleichzeitig gibt es die Erwartungen des Lehrens bzw. Lernens. Zusätzlich stellt die Dynamik einer ganzen Gruppe andere Anforderungen als eine Einzelperson.
Einen solchen Prozessverlauf aus der Retrospektive zu beurteilen ist nicht schwierig. Die Dynamik des Endes ist bekannt, und man bleibt mit seinen Beobachtungen in der sicheren Metaposition. Man hat nur zu beurteilen, man muss nicht handeln und intervenieren, um die Situation zu retten. Eine solche Vorgehensweise muss die Feuertaufe der Praxis nicht bestehen.
Hingegen muss der Handelnde den Prozess, so weit wie möglich, steuern, den Status reflektieren und bei Bedarf reagieren. Er muss, unter Beobachtung der Gruppe stehend, hoch konzentriert sein, sollte entspannt wirken, Souveränität ausstrahlen, jedem Einzelnen mehr Aufmerksamkeit als den Anderen schenken und alles tun, was die Gruppe sonst noch erwartet. Mit anderen Worten: Seine Chancen zu scheitern, sind ziemlich groß.
Inhaltlich macht sich der Konflikt an der Beurteilung eines Tests fest. Natürlich hätte es ausreichend Techniken der Umfokussierung gegeben. Aber erfüllt ein Lehrender seine Aufgabe, wenn er jedem Diskurs auszuweichen versucht, wenn seine Meinung nie sichtbar wird, wenn er sein fachliches Wissen nicht anbietet? An welcher Stelle ist es hilfreich, den Konflikt anzusprechen, d.h., das fachliche Thema zu verlassen und eine Klärung auf der Beziehungsebene zu versuchen? Was ist zu tun, wenn diese Klärung nicht gelingt? Was ist, wenn Kursteilnehmer oder ein Referent sich in einem Maße bedrängt fühlen, dass Aussprachen nicht mehr möglich sind?
Was passiert, wenn der Referent zwar von allen geliebt wird, er aber die Erwartungen an den Lehrenden nicht mehr bedient? Es gibt viele Fragen, aber kaum Sicherheit garantierende Antworten. Moralische Empörung (Ruf nach Wertschätzung), pädagogische Zeigefinger und Verweise auf die eigene Genialität sind sicher nicht hilfreich. Havarien wie diese liebt niemand, aber sie kommen vor und wir können daraus lernen.