Kontrovers

Coaching: "Das Thema ist bei uns verbrannt!"

Warum Coaching oft auf mangelnde Akzeptanz in der Industrie stößt.

8 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 06 | 2012

Szene 1: Meeting mit Auftraggebern

Das Planungsgespräch bei einem großen Automobilzulieferer zu einem modularen Training, Arbeitstitel "Coaching-Verhalten für Führungskräfte", neigt sich dem Ende zu. "Übrigens," sagt der Bereichsleiter, "bitte vermeiden Sie den Begriff "Coaching" bei uns! Das Thema ist verbrannt. Auch das Seminar müssen wir anders nennen." Zustimmend nickt die neue Personalchefin. Ja, das kenne sie, das gelte auch für andere Bereiche des Unternehmens. Gut, das kenne er auch, sagte der externe Managementtrainer. Er schlage "Entwicklungskompetenz" oder "Führen durch fördern" vor. Warum sei der Begriff denn verbrannt?

Die Personalleiterin, seit gut einem Jahr an Bord, legt den Stift aus der Hand. "Tja, warum? Hauptsächlich wegen des Wildwuchses." Der Begriff werde nach wie vor umgangssprachlich verwendet. Dazu trügen die externen Berater, Referenten und Trainer maßgeblich bei, weil alle dem Trend folgten und keiner darauf verzichte, sich auch "Coach" zu nennen. Sie wisse, wovon sie rede, da sie selbst ausgebildete Coach sei. Ihr Vorgänger habe Coaches für eine Art supervidierende Experten gehalten.

Er wisse selbst nicht recht, was Coaching eigentlich sei, meinte der Bereichsleiter. "Aber das können wir ja anschließend vertiefen, beim Termin mit meinen beiden Kollegen." "Schauen Sie doch anschließend noch mal bei mir vorbei," sagte die Personalleiterin zum Trainer. "Zum Stichwort 'verbrannt' habe ich noch eine kleine Analyse für Sie."

Szene 2: Gespräch mit drei Bereichsleitern

"Was haben wir nicht schon alles erlebt und erduldet, nicht wahr, Kollegen: Lean Management, Business Process Reengineering, Kanban, Six Sigma, 360°-Feedback, Kaizen und so weiter. Aktuell haben wir wieder ein neues Wundermittel: Scrum. Wissen Sie, das sind doch alles Modewellen! Die schwappen halt über den großen Teich und verschwinden wieder. Mit Coaching wird das nicht anders sein!" Die beiden Bereichsleiterkollegen nicken zögernd und einer bemerkt: "Immerhin hält sich Coaching ja schon fast 20 Jahre."

Jetzt passt wieder mal mein kleiner Vortrag, dachte der externe Trainer. "Coaching wird auch nicht wieder verschwinden," beginnt er, "weil damit keine Managementmethode oder Arbeitstechnik gemeint ist, sondern eine grundsätzliche Vorgehensweise zur Förderung und Entwicklung. Basierend auf dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Coaching-Verhalten ist sogar das Grundverhalten einer echten Führungskraft. In Deutschland kam der Begriff um 1992 auf, vor allem durch Publikationen von Sir John Whitmore. Coaching-Verhalten von Führungskräften gab es natürlich auch schon vor 1992 und wurde mit ehrlichem Interesse, kooperativem Führungsstil, Fördererverhalten oder schlicht wahrer Führung umschrieben."

"Ja, eine solche Führungskultur wäre erstrebenswert", sagt ein Leiter. Davon fände er bei den externen Coaches im Unternehmen allerdings wenig wieder. Die hätten durchweg keinen guten Ruf. Er könne sich auch nicht erinnern, dass sich mal einer klipp und klar zum Coaching geäußert habe: Was? Warum? Wie? Wann? Ob das Geheimwissen sei? "Vielleicht wissen einige das ja selbst nicht", meint ein Kollege, "die sind gar keine Coaches, sondern nennen sich nur so, weil es in ist."

Szene 3: Im Seminar "Führen durch fördern"

"Was ist ein Coach?" Mit dieser Frage startet der Managementtrainer eine Zurufabfrage. Berater, Experte, Mentor, Vorbild, Analytiker, Helfer sind die ersten Begriffe, die er auf die Flipchart schreibt. "Wie helfen Coaches denn?", fragt er hoffnungsvoll nach. Indem sie eben wissen, wie es richtig geht, wertvolle Hinweise geben und das entsprechend einüben lassen, antworteten die Teilnehmer: wie halt beim Fußball.

"Wer von Ihnen wurde denn bereits gecoacht?" Elf von zwölf Teilnehmern melden sich. "Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Coaches gemacht?" Na ja, die würden halt auch nur mit Wasser kochen. Und oft die Praxis nicht wirklich kennen. Referenten und Unternehmensberater eben. Einige seien dabei gewesen, die hätten gar keine Ahnung gehabt und immer nur Fragen gestellt. Der Trainer seufzt innerlich und schaltet kurz um auf Input: "Ein Coach ist keineswegs ein Berater, sondern …".

Szene 4: Statement einer Trainerkollegin

"Mir war bis vor einigen Monaten nicht klar, dass Coaching-Verhalten natürlich auch eine Führungs-Kernkompetenz ist. Während meiner Coaching-Ausbildung bei einem verbandszertifizierten Anbieter wurde dieses Thema nicht ansatzweise behandelt. Auch auf die Bedarfe in der freien Wirtschaft wurden wir sehr unzureichend vorbereitet."

Szene 5: In einer Podiumsdiskussion

Dürfen Führungskräfte coachen? Natürlich, das müssen sie sogar, sagt der Managementtrainer. Natürlich nicht, sagte der Coach. Das dürfe und könne nur der langjährig ausgebildete Coach mit "quasitherapeutischem Hintergrund". Ob der Herr Trainer denn ausgebildeter Coach sei? "Ja". So so. Nun solle er mal gut zuhören: Der Coach schlug das "Coaching-Magazin" 4/2011 auf, Seite 43, und zitierte genüsslich: "Man tut den Führungskräften nichts Gutes, wenn man sie mit der Rolle des Coaches überfordert. Vielleicht fühlen sich nicht wenige dadurch geschmeichelt, da die mit der Rolle assoziierte Kompetenz zu Projektionen einlädt. Aber man sollte den Rettungswagenchauffeur auch nicht Arzt spielen lassen."

Assoziierte Kompetenz? Schön wär’s! murmelt der Trainer. Das Thema sei nicht die Rolle des Coachs, sondern Coaching-Verhalten für Führungskräfte, warf der Moderator ein. Ach so. Nein, trotzdem, zwischen Coaching-Verhalten und Coaching dürfe nicht getrennt werden. Ja, daraus folge, dass Führungskräfte kein Coaching-Verhalten zeigen sollten. Ja natürlich sei das sein Ernst!

Szene 6: Pausengespräch am Rande eines Symposiums

"Ich coache auch, da sind wir ja Kollegen!" sagt die psychotherapeutische Heilpraktikerin und Gestalttherapeutin. Sie habe sogar Klienten aus der freien Wirtschaft. Eine Coaching-Ausbildung? Die brauche sie ja wohl auch nicht, bei ihrem Background. Coaching sei schließlich nur eine Best-Practice-Sammlung wie Neurolinguistische Programmierung. NLP-Practicioner sei sie übrigens auch.

Fazit 1: Coaching nimmt Schaden, wenn ...

  • Coaches nicht zwischen Coaching-Verhalten und Coaching differenzieren wollen (oder können): Führungskräften Coaching-Verhalten abzusprechen, ist abgrenzungshysterisch und lächerlich. Fördernde Führungskräfte wehren sich gegen solche Anmaßungen. Eigentlich sind sie natürliche Verbündete professioneller Coaches: Wer, wenn nicht sie, wissen genau, wann und warum ein professioneller Coach an Bord kommen soll.
  • Coaches in Unternehmen nicht transparent machen, was sie tun und wie sie es tun. Und Berater, Dozenten, Projektleiter, Referenten, Trainer und Mediatoren sich selbstverständlich auch „Coaches“ nennen und sich, ohne Zertifizierung und Supervision, auch als solche verkaufen.
  • Der Begriffswirrwarr weiter wuchert. Selbst auf Wikipedia wird Coaching unwidersprochen als "Beratung" bezeichnet, sofort gefolgt vom Kapitel "Abgrenzung zur Psychotherapie" mit der Empfehlung, statt "Psychotherapie" einfach "Beratung", "Training" oder "Coaching" zu denken, und "Patient" durch "Client" zu ersetzen. Das wirkt nicht nur auf Diplomingenieure pathologisierend.
  • Coaching-Ausbilder die Gegebenheiten, Bedarfe und Anforderungen in der Industrie weitgehend ausblenden. Oder so tun, als wären die Elemente und die Systematik des Coachings erst um 1990 entdeckt worden. Ohne Berufserfahrung in der Geschäftswelt sind ihre frischgebackenen Absolventen zum Scheitern verurteilt.

Fazit 2: Die Analyse der Personalleiterin

Coaching – warum ist der Begriff und damit auch das Thema regelrecht verbrannt bei uns? Nach und nach verschaffte sich die Personalleiterin (aus Szene 1) ein Bild von jedem der 58 externen Coaches im Unternehmen und identifizierte so vier Grundtypen:

  • Die Berater. Nach einigen offenen Fragen (wenn überhaupt) sind sie schnell wieder in der alten Rolle des suggerierenden, bewertenden und ratgebenden Experten. Sie neigen zum bedenkenlosen Gleichsetzen von Training on the Job mit Coaching.
  • Die Therapeuten. Ausgebildete Coaches ohne Erfahrung in der freien Wirtschaft, die mit abschreckendem Vokabular ("Diagnostikkontext", "Wirkkomplexe" etc.) sich und andere verunsichern. Sie neigen zum suggestiven Forschen nach vermeintlichen Persönlichkeitsdefiziten.
  • Die eierlegenden Wollmilchsäue. Mentoren, Experten, Trainer, Coaches, Supervisoren, Moderatoren – von allem etwas, ohne Abgrenzung und wohl auch ohne Reflexion. Auffällig ist der ausgeprägte Hang zum Opportunismus – es allen rechtmachend, nur ja den Job behalten.
  • Die echten Coaches. Fördernd, stärkend, effektiv, emphatisch, systematisch, ziel- und ergebnisorientiert. Leider mit knapp 20 Prozent deutlich in der Minderheit.

Der springende Punkt für sie war: Jeder "Coach" wurde vorgestellt als jemand, der eine besondere Methodik beherrscht und von dem man daher einiges an Erfolg erwarten könnte. Diese Erwartungen wurden oft nicht erfüllt. Coaching mutierte allmählich zum Synonym für Schaumschläger, da konnten auch die "Echten" wenig retten.

Wie sie den Wildwuchs beendet hat? Einerseits durch interne Workshops mit Führungskräften zum Thema "Chancen und Grenzen des Coachings". Andererseits durch die Einführung konkreter Bedarfsanalysen. Auf deren Grundlage werden externe Coaches und Trainer nun nach klaren Kriterien ausgewählt. Die Auswahl stützt sich maßgeblich auf die Auditierung jedes Kandidaten durch eine externe Instanz. – Ihr Anteil "echter" Coaches und coaching-orientierter Managementtrainer nach sieben Monaten: 100 Prozent.

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