In der europäischen Coaching-Szene hat sich der Brite Jonathan Passmore in den letzten zwei Jahrzehnten als feste Größe etabliert. Der Professor für Coaching und Verhaltensänderung an der Henley Business School und Direktor des Henley Centre for Coaching hat mit zahlreichen Vorträgen und Publikationen auf sich aufmerksam gemacht. Aber auch auf der internationalen Coaching-Bühne weiß der promovierte Psychologe, der nach eigenen Angaben über fünf Abschlüsse verfügt, zu glänzen: Als einziger Europäer wurde er 2019 beim renommierten Managementranking Thinkers50 unter den „Top 8 Global Coaches“ gelistet und die Organisation Global Gurus platziert ihn aktuell unter den „World's Top 30 Coaching Professionals“. Zuletzt hatte Passmore im September dieses Jahres mit seinem Wechsel zur digitalen Coaching-Plattform CoachHub für Aufmerksamkeit gesorgt, wo er fortan als „Senior Vice President“ fungiert. Wer steckt hinter diesem umtriebigen Executive-Coach, Professor, Supervisor und Autor, der sich auf seiner Website als „The Leader's Psychologist“ bezeichnet und sowohl in der Coaching-Wissenschaft als auch in der -Praxis zu Hause ist?
Betrachtet man sein Schaffen der letzten Jahre, so sticht neben Passmores umfangreicher Publikationsliste vor allem sein tatkräftiges Engagement für mehr Coaching-Forschung ins Auge. Im Gespräch mit dem Coaching-Magazin betont er die Notwendigkeit, die wissenschaftliche Fundierung von Coaching voranzutreiben und das Wissen darüber auszubauen, wodurch Coaching wirksam wird. Dabei sei es nicht ausreichend, die Wirksamkeit des eigenen Coaching-Ansatzes unter Verweis auf positive Praxiserfahrungen zu behaupten oder auf pseudowissenschaftliche Studien zurückzugreifen. Vielmehr gelte es, von verwandten Wissenschaften, z.B. der Medizin oder Psychologie, zu lernen, wie man gut kontrollierte Studien auch im Coaching konzipiere und durchführe. Eine große Herausforderung sieht Passmore allerdings darin, „ausreichend große Stichproben für die Durchführung groß angelegter Studien zu erhalten“. Dies könne nur über Forschungskooperationen gelingen, „indem wir große Coaching-Anbieter mit Akademikern und Berufsverbänden zusammenbringen“. Diese Zusammenarbeit liege im Interesse der Wissenschaft und im langfristigen Interesse der Klienten.
Im Podcast der International Coach Federation Germany über „Die Bedeutung der Forschung für das Coaching“ fordert Passmore zudem die Bereitschaft von Coaches, sich fortlaufend weiterzubilden und sich mit aktuellen Forschungsergebnissen auseinanderzusetzen. Nur so könne man als Coaching-Praktiker neue Ansätze bewerten und das eigene Vorgehen verstehen und reflektieren. Um die Entwicklung einer evidenzbasierten Coaching-Praxis voranzutreiben, sei es außerdem unerlässlich, dass wissenschaftliche Studien auch in Coaching-Ausbildungen stärker im Fokus stünden, betont er im Podcast. Nur so könne der Coaching-Markt in Zukunft bereinigt und die Professionalisierung des Berufs Coach vorangetrieben werden.
Passmore selbst ist Initiator zahlreicher Forschungsstudien, darunter etwa die europaweite Vergleichsstudie über Tätigkeitsfelder und Methoden in Coaching und Mentoring (2017) und die aktuelle internationale Studie über den Einfluss der Coronavirus-Pandemie auf Coaching (2021).
Woher dieser Fokus auf evidenzbasierte Forschung stammt, wird mit Blick auf Passmores Werdegang schnell deutlich. Neben einem MBA verfügt er über einen Masterabschluss und Doktortitel in Arbeitspsychologie. In seiner Promotion beschäftigte er sich mit Beziehungen im Coaching sowie dem Verhalten von Coaches und entwickelte ein integriertes Coaching-Modell. Darüber hinaus verfügt Passmore über mehrere berufspraktische Qualifikationen, darunter eine Ausbildung in Supervision und Team-Coaching.
2008 rief er als Programmdirektor an der University of East London Englands ersten Postgraduate-Masterabschluss in Coaching-Psychologie ins Leben, bevor er von 2011 bis 2017 als Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Embrion tätig war, das sich auf Führungsentwicklung und Coaching für den Öl- und Gassektor spezialisierte. Dabei konnte er auf seine Erfahrungen bei PricewaterhouseCoopers und IBM Business Consulting aufbauen, für die er zuvor in groß angelegten Change-Projekten und als Executive-Coach tätig gewesen war, wie er dem Coaching-Magazin erzählt. Er habe das Unternehmen gemeinsam mit einem Kollegen vom Start-up zum erfolgreichen Unternehmen mit Millionenumsatz aufgebaut, bis er schließlich ausgestiegen und an die Henley Business School gewechselt sei, die der University of Reading angegliedert ist. Dort ist er bis heute als Professor für Coaching und Verhaltensänderung und Direktor des Henley Centre for Coaching tätig, einem der weltweit größten Anbieter von universitären Coach-Ausbildungen. Mittlerweile werden die Studienprogramme sowohl in Großbritannien als auch in weiteren Niederlassungen in Europa (darunter auch Deutschland), Afrika und dem Nahen Osten angeboten. Diese Internationalisierung hat Passmore als Direktor maßgeblich vorangetrieben. Darüber hinaus hat er seit 2011 auch eine Professur für Psychologie an der Universität von Évora, Portugal, inne.
Neben seiner akademischen Laufbahn praktiziert Passmore seit mehr als 20 Jahren als Coach und Supervisor. Zu seinen Klienten zählen Top-Manager globaler Unternehmen ebenso wie Mitarbeiter und Führungskräfte kleiner Non-Profit-Unternehmen. Auf diesen Mix lege er viel Wert, betont Passmore gegenüber dem Coaching-Magazin, und erklärt: „Da das Coaching nicht mein Haupteinkommen ist, sondern eher ein Weg, um mit der Praxis in Kontakt zu bleiben, suche ich einfach die Zusammenarbeit mit interessanten Menschen; und interessante Menschen gibt es in allen Lebensbereichen.“ So habe er im Laufe der Jahre viele unterschiedliche Klienten gecoacht, von Mitgliedern des EU-Parlaments und der britischen Regierung, über Beamte und Vorstände bis hin zu Angestellten, die seine Unterstützung z.B. bei Fragen der Work-Life-Balance suchten. Allerdings räumt Passmore ein, dass er in den letzten Jahren immer weniger Zeit für seine Coaching-Firma gefunden habe. Diese Tendenz werde sich durch seine neue Rolle bei CoachHub in Zukunft weiter verstärken.
Seit September 2021 ist Passmore Vizepräsident des Berliner Start-ups CoachHub. Die Coaching-Plattform hat seit 2019 bereits 130 Millionen US-Dollar Investorenkapital eingeworben und legt ein rasantes Wachstumstempo vor. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen laut einer Pressemitteilung vom 23.09.2021, in der die Übernahme des französischen Digital-Coaching-Providers MoovOne bekannt gegeben wurde, über 3.000 Coaches in 70 Ländern und 60 Sprachen und will sein Wissenschaftlerteam weiter ausbauen. Fortan wird Passmore CoachHubs globales „Coaching Lab“, ein internes Team von Verhaltenswissenschaftlern, und das „Learning Studio“, ein internes Team von Ingenieuren für maschinelles Lernen, leiten.
Danach gefragt, was ihn zum Einstieg bei dem Digital-Coaching-Provider veranlasst habe, der in der Branche mitunter kontrovers gesehen wird (siehe z.B. Schwertfeger, 2021), verweist Passmore auf den Wandel des Coaching-Marktes. So habe die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöste „Zoom-Revolution“ der Digitalisierung im Coaching einen enormen Schub verliehen, erklärt Passmore. Der Vormarsch der Digital-Coaching-Provider sei seiner Meinung nach nicht aufzuhalten, da sie die Bedürfnisse global agierender Unternehmen erfüllten: Neben „technologisch hochentwickelter Plattformen“ böten sie „Lerninhalte zur Begleitung von Coaching-Sitzungen und Hunderte von Coaches in den verschiedensten Zeitzonen und Sprachen“. Daher sei er überzeugt, dass „digitale Plattformen im Zuge der weiteren Reifung des Coachings bis Mitte der 2020er-Jahre einen bedeutenden Teil des Coaching-Marktes ausmachen werden.“ Bei CoachHub habe ihn neben „der Vision und dem Drive des Führungsteams“ vor allem deren „Engagement für Wissenschaft und Forschung“ überzeugt. Die Datenbasis und das Team von Verhaltenswissenschaftlern sei „ein Traum für jeden Forscher“, betont Passmore, und bekräftigt: „Unsere Vision ist es, die Wissenschaft in den Mittelpunkt der CoachHub-Praxis zu stellen und dazu beizutragen, Coaching zu demokratisieren; kurz gesagt: Coaching für alle verfügbar zu machen.“
Neben seinem Engagement für CoachHub werde er aber auch seine Professur an der Henley Business School weiterführen, erklärt Passmore, allerdings in einer deutlich reduzierten Form. Im Interview mit dem Coaching-Magazin unterstreicht er, dass Henley durch die Internationalisierung der Programme und durch den Ausbau des Mitarbeiterteams während der vergangenen zwei Jahre bestens aufgestellt sei.
Auch als Autor und Herausgeber hat sich Passmore einen Namen gemacht und verfügt über eine beachtliche Publikationsliste. Auf seiner Website ist zu lesen, dass er mittlerweile 30 Bücher und über 100 Fachartikel publiziert habe, die sich mit den Themenfeldern Coaching, Führung, Persönlichkeitsentwicklung und Organisationspsychologie befassen – darunter die Longseller „Excellence in Coaching“, „Appreciative Inquiry for Change Management“ oder „Top Business Psychology Models“ sowie die Neuerscheinungen „Becoming a Coach“ und „The Coaches' Handbook“. Des Weiteren ist er Herausgeber der Handbuchreihe zur Organisationspsychologie des Verlags Wiley-Blackwell sowie des Coaching-Lehrbuchs der British Psychological Society („Coaching Researched“). Für seine Beiträge hat er mehrere internationale Auszeichnungen erhalten, u.a. den Association for Coaching Global Award (2010), den British Psychological Society Coaching Research Award (2012) und den Association for Business Psychology Chairman's Award for Excellence (2015).
Den sozialen Medien steht Passmore eher kritisch gegenüber, auch wenn er sein Profil auf LinkedIn aktiv pflegt und hier über etliche Follower verfügt. Er sei „kein großer Fan der sozialen Medien“, merkt er an und kritisiert die Begrenztheit des durch Algorithmen gefilterten Contents. Vielmehr sei er ein Fan davon, neue Ideen und andere Perspektiven zu erkunden und erläutert: „Wenn ich z.B. zu meinem jährlichen Zahnarztbesuch gehe, lese ich gerne die monatliche Zahnarztzeitschrift und überlege, was ich in diesem Bereich lernen kann.“ Überhaupt ist Passmore ein überzeugter Anhänger des lebenslangen Lernens und bezeichnet sich selbst als „ewigen Schüler“: „Ich glaube, wenn wir aufhören zu lernen, ist es an der Zeit, in den Ruhestand zu gehen“, bekräftigt er und versichert: „Ich bin noch nicht bereit, mich zur Ruhe zu setzen!“