International

Coaching im internationalen Kontext

Erfahrungen und Einblicke

Die Welt des Coachings und die Welt international tätiger Führungskräfte verbindet kein relevantes Modell oder Konzept. Die zahlreichen Angebote kulturspezifischer oder interkultureller Coachings greifen in der Regel zu kurz, wenn es etwa um die Betrachtung unterschiedlicher Führungsverständnisse im internationalen Kontext geht. Auch die Forschungswelt bietet nur wenig Hilfestellung, um das Thema umfassend zu durchdringen. Was bedeutet also Coaching im internationalen Kontext? Und wie unterscheidet es sich vom klassischen Führungskräfte-Coaching?

15 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2009 am 26.05.2009

Stellt man diese Fragen in einer Runde von Führungskräften, so wird die Bandbreite unterschiedlicher Vorstellungen deutlich. Hier eine Auswahl der Antworten:

  • Der Klient arbeitet für ein internationales Unternehmen
  • Das Coaching findet nicht in der Muttersprache des Klienten statt
  • Die Führungskraft führt Mitarbeiter unterschiedlicher Herkunft, woraus Konflikte resultieren
  • Der Inhalt des Coachings ist internationaler Natur (z. B. nach der Fusion zweier Organisationen aus verschiedenen Kontinenten)
  • Eine Führungskraft wird ins Ausland entsandt und erhält ein Transition-Coaching

Das ohnehin vielschichtige Thema Coaching scheint durch den Aspekt der Internationalität zusätzlich an Komplexität zu gewinnen.

Stufen der Internationalisierung

Die Internationalisierung von Unternehmen kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. In Abhängigkeit von der jeweiligen Steuerungsmöglichkeit sowie von der Notwendigkeit globaler Leadership-Kompetenzen, lassen sich modellhaft fünf Stufen der Internationalisierung erkennen:

  1. Ein nationales Unternehmen, das exportiert und Kunden im Ausland beliefert
  2. Die Vergabe von Lizenzen oder Franchising
  3. Joint Ventures und Exportniederlassungen
  4. Produktionsniederlassungen im Ausland
  5. Globalunternehmen, die an verschiedenen Orten forschen, entwickeln, produzieren und verkaufen

Mit dem Internationalisierungsgrad steigt der Anspruch an die globalen Leadership-Kompetenzen. Insbesondere wird „Kultur“ wichtiger. Wobei mit „The way business is done around here“ hier eine Kulturdefinition Anwendung finden soll, die weiter reicht als die Landeskultur. Es geht vielmehr um Fragen wie:

  • Wie werden Verantwortlichkeiten verteilt?
  • Wie ist der Umgang mit Unstimmigkeiten?
  • Wie entwickelt das Unternehmen seine Visionen und Strategien, und wie setzt es sie um?
  • Wie werden Entscheidungen getroffen?
  • Welche gängigen Prozesse der Einstellung, Beförderung und Freisetzung gibt es?
  • Wie erfolgt die Zusammenarbeit über (funktionale und geografische) Grenzen hinweg?
  • Wie werden Meetings abgehalten?

Je weiter fortgeschritten die Internationalisierung, desto mehr verschiedene Kulturen müssen von Führungskräften und Mitarbeitern beachtet werden – die Komplexität steigt mit der Internationalisierungsstufe, die ein Unternehmen potenziell erklimmt. Dabei reichen die einzelfallbezogene Beobachtung und das Verstehen der Organisationskultur im Sinne von „The way business is done around here“ meist nicht aus; die Kultur muss desto öfter reflektiert werden, je höher die Internationalisierungsstufe ist.

Konsequenzen für die Klienten

Die Konsequenzen für die Klienten sollen entlang der vier Ebenen betrachtet werden, die jede Art von Intervention – und somit auch Coaching – kennzeichnen: Die sachliche, die soziale, die räumliche und die zeitliche Ebene.

Konsequenzen auf sachlicher Ebene

Der Klient berichtet eines Morgens entrüstet, seine Sekretärin sei eben vom französischen Aufsichtsratsvorsitzenden des Konzerns dezidiert über seine Reisepläne der kommenden drei Monate befragt worden. „Warum muss er das wissen? Ist das normal? Will er mich kontrollieren, vertraut er mir nicht?“

Der Klient ist Sprecher der Geschäftsleitung des Tochterunternehmens eines großen Konzerns; sein Unternehmen hat etwa 2.000 Mitarbeiter. Die Geschäftsleitung berichtet an den Aufsichtsrat des Konzerns in Frankreich. Das Coaching findet im Rahmen eines Veränderungsprozesses statt.

In diesem Fall sind die Anforderungen an die Leadership-Kompetenzen noch recht überschaubar. Es ist notwendig, das systemische Denken der Führungskraft zu fördern – es geht um das Verstehen der Ziele und Herausforderungen der Stakeholder sowie der auftretenden Widerstände und letztlich darum, aus diesem Verständnis Erklärungsmuster zu entwickeln, die durchaus hypothetisch sein können, jedoch den Blick erweitern.

In diesem Fall „Big Brother Aufsichtsrat?“ entwickeln wir im Coaching folgende Hypothesen: Der Aufsichtsratsvorsitzende

  • will den Geschäftsführer tatsächlich kontrollieren, er hat kein Vertrauen.
  • war früher selbst Vorstand und kann nicht loslassen, er stellt die Kompetenzen des derzeitigen Geschäftsführers jedoch nicht in Frage.
  • will den Geschäftsführer unterstützen und aus diesem Grunde wissen, welche Reisen für die kommenden Monate geplant sind.
  • kommt aus einem Kulturkreis, in dem die Rolle des Aufsichtsrats anders definiert ist; tatsächlich bestehen zahlreiche Unterschiede zwischen dem Verwaltungsrat in Frankreich und dem Aufsichtsrat in Deutschland. Da der Geschäftsführer neu in seiner Rolle und zuvor ausschließlich in Deutschland tätig war, waren ihm diese Unterschiede nicht bewusst.

Der Klient entscheidet sich am Ende des Coachings für zwei Aspekte, die sein weiteres Vorgehen leiten sollen:

  • Da er keine der Hypothesen belegen oder wiederlegen kann, will er zunächst von der Annahme ausgehen, dass ihn der Aufsichtsrat lediglich unterstützen möchte; die weitere Entwicklung diesbezüglich will er im Auge behalten.
  • Er will detaillierte Informationen über die unterschiedlichen Rollenverständnisse von Aufsichtsräten in Deutschland und Frankreich einholen. Im Gespräch mit dem französischen Aufsichtsrat sollen diese Unterschiede thematisiert und gegenseitige Erwartungen formuliert werden.

Später berichtet mir der Geschäftsführer voll Begeisterung, dass das nächste Gespräch mit dem Aufsichtsrat sehr erfolgreich verlaufen sei und er starke Unterstützung erfahren habe – allein aufgrund der veränderten Geisteshaltung, mit der der Klient in diese Gesprächssituation gegangen ist.

Konsequenzen auf sozialer Ebene

Der Klient ist zuständig für das internationale Geschäft eines Versicherungsunternehmens; sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt eher im nationalen Umfeld mit Verantwortung für internationale Töchter insbesondere in Asien. Für den Versicherungskonzern des Klienten stellt das koreanische Tochterunternehmen keinen entscheidenden Stellhebel dar; in Korea selbst trägt es jedoch erheblich zum Bruttoinlandsprodukt bei und ist somit von hoher Bedeutung. Um dort angestellt zu werden, sind Abschlüsse von Elite-Unis nötig; wer dort arbeitet, hat es geschafft und gehört gewissermaßen zur „Upper Class“. In der deutschen Zentrale hingegen gilt die koreanische Tochter unter Qualitätsgesichtspunkten als weltweites Schlusslicht.

Die Kontroversen sind also vorprogrammiert – die Vorstände aus Deutschland kommen mit der Botschaft „Ihr seid die Schlechtesten!“, während das Selbstbild der Koreaner dem völlig entgegensteht. Ein größerer Konflikt würde weit über die Unternehmensgrenzen hinaus für Aufsehen sorgen und mitunter sogar Politiker zu einer Reaktion animieren.

Das Zusammenbringen der beiden Seiten ist eine Frage der Kultur, für die das Verständnis des Klienten in Bezug auf (De-) Zentralität entscheidend ist. Wer sich nicht mit der Geschichte des Landes und der Bedeutung des Unternehmens vor Ort auseinandersetzt, wird die Reaktion der Koreaner auf eine eventuelle Kritik nicht verstehen; ebenso wenig wie das Selbstverständnis der dortigen Mitarbeiter, die über eine hochwertige Ausbildung verfügen und entsprechende Erwartungen an Aufstieg, Vergütung und Wertschätzung stellen. Die Anforderungen an die Leadership-Kompetenzen sind in diesem Fall doch eher anspruchsvoller.

Konsequenzen auf räumlicher Ebene

Für den indischen Standort des IT-Unternehmens soll eine neue Strategie entwickelt werden. Der einstige Status von Indien als Low-Cost-Land, in das einfache Programmieraufgaben delegiert werden, gehört längst der Vergangenheit an. Die Mitarbeiter verfügen über immer mehr Know-how und haben entsprechend höhere Ansprüche an die eigenen Aufgaben; sie wollen Produkte oder Projekte gesamthaft betreuen.

Im Rahmen des Coachings stellt sich heraus, dass der Vorstand sein Team bis dato nicht davon überzeugen konnte, dass diese Veränderung von hoher Relevanz ist und dass neue Lösungen gefunden werden müssen, um die Abwanderung hochqualifizierter Mitarbeiter zu verhindern. Als Ergebnis der Coaching-Sitzung wird vereinbart, das nächste Meeting des Management-Teams in einer anderen Form als üblich abzuhalten: Statt zwei Mitglieder aus Indien per Videokonferenz zuzuschalten, wird das gesamte Team nach Indien reisen. Der erste Tag der dortigen Konferenz soll für diverse informelle Treffen mit Führungskräften und Mitarbeitern vor Ort genutzt werden, ohne dabei spezifische Inhalte vorzugeben.

Bereits beim ersten gemeinsamen Abendessen macht sich gegenseitiges Verständnis in Form zahlreich ausgetauschter Geschichten und „Aha’s“ bemerkbar. Am folgenden Tag haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, dem Management-Team ihre Tätigkeiten zu präsentieren und selbst entwickelte Pilotprojekte und -produkte vorzustellen. Am dritten Tag findet schließlich die Strategiesitzung statt, in der die Zukunft des Standortes besprochen wird; dabei ist im gesamten Team das Bewusstsein für die Dringlichkeit der Sache spürbar. Am Abend wird das Ergebnis der Strategiesitzung sämtlichen Mitarbeitern vorgestellt – mit durchweg positivem Feedback.

Je virtueller die Organisation eines Unternehmens, desto mehr steigt die Bedeutung von Orten, die bewusst steuerbar und nutzbar sind. Diese Ebene wird häufig vernachlässigt oder nicht ausreichend ernst genommen. Der durchschlagende Erfolg im Beispiel ist eindeutig durch den Ortswechsel bedingt. Noch heute wird in dem Konzern oft auf das legendäre „Indien-Meeting“ Bezug genommen.

Konsequenzen auf zeitlicher Ebene

Der Klient bittet mich bei einer Telefonkonferenz, die er wöchentlich moderiert, zuzuhören, um ihm später Feedback geben zu können. In diesem Fall nehmen Mitarbeiter aus sechs verschiedenen Ländern teil, die gemeinsam an einem Projekt zur Strategieumsetzung arbeiteten. Erst nach einiger Zeit wird mir bewusst, dass eine Person eben erst aufgestanden ist, die zweite gerade Mittagspause hat und eine dritte gleich aufbrechen wird, um ihr Kind von der Schule abzuholen. Für eine Teilnehmerin aus Kalifornien ist es gerade vier Uhr morgens – andernfalls hätte man gar kein gemeinsames Zeitfenster gefunden. Aus diesen zeitlichen Rahmenbedingungen ergeben sich völlig unterschiedliche Energien und eine spezifische Dynamik für jeden Teilnehmer. Dieses Thema wird jedoch in keiner Weise angesprochen, vielmehr steigt man unmittelbar in die Inhalte ein und springt anschließend von Thema zu Thema.

Gemeinsam mit dem Klienten beschließen wir, die nächste Telefonkonferenz mit eben diesem Aspekt zu beginnen: Jeder Teilnehmer soll kurz die Einstiegsfrage beantworten, wie spät es gerade ist, wie es ihm/ihr geht und was vor und nach dem Telefonat noch ansteht. Dies schafft bei allen Beteiligten ein verändertes Bewusstsein: Plötzlich kann man besser einordnen, warum Amélie oft etwas ungeduldig ist; sie hat einen harten Tag hinter sich und muss immer sehr darauf achten, die Telefonkonferenzen pünktlich zu beenden, um ihr Kind vor der Schule abzuholen. Denn wenn sie dies, wie beim letzten Mal, nicht innerhalb von 30 Minuten nach Schulschluss tut, muss sie das Kind – so ist es in ihrem Land üblich – bei der örtlichen Polizeibehörde abholen. Jörg hingegen ist entspannt, denn er beginnt gerade den Tag mit einer Tasse Kaffee, und Barbara braucht immer etwas Zeit, um in die Gänge zu kommen, denn für sie ist es noch mitten in der Nacht.

Je globaler die Zusammenarbeit, desto mehr differieren die einzelnen Zeitzonen und desto unterschiedlicher ist das Verständnis von und die Perspektive auf Zeit. Die Zeitkomponente ist sicher nicht der Schlüssel zur Lösung aller Probleme, jedoch ein wichtiger Faktor. Und es wirkt sich positiv aus, wenn Jörg zu Amélie sagt: „Oh, du musst auflegen, sonst musst du wieder zur Polizei! Ich rufe dich morgen an und berichte, was wir zum letzten Punkt noch besprochen haben“. Das gesamte Team entwickelt eine veränderte Art des Umgangs und beginnt, füreinander Verantwortung zu übernehmen.

Implikationen für das Coaching

Coaching im internationalen Kontext muss sich spezifischen Herausforderungen stellen, die über das klassische Coaching hinausgehen. Im Folgenden sollen einige hilfreiche Erkenntnisse dargestellt werden, die mir in meiner bisherigen Coaching-Praxis geholfen haben; einige dieser Punkte lassen sich auch auf das Coaching im nationalen Kontext übertragen.

Egal wie man es nennt, Hauptsache es wirkt

Viele Unternehmen verfügen nicht über eine differenzierte Bezeichnung, um Coaching von anderen Beratungsformen zu unterscheiden. Ob die Intervention Coaching, Beratung, Supervision, Counselling, Sparring oder Training genannt wird, ist nebensächlich und der jeweiligen Organisations- und Landeskultur so anzupassen, damit der Begriff niemanden irritiert. Die Klienten selbst legen in der Regel auch keinen Wert auf eine dezidierte Definition; sie möchten mit jemandem sprechen, der ihnen hilft, ihre Probleme zu lösen, egal ob Coach, Trainer oder Berater. Viel entscheidender sind die angesprochenen Themen und die Fähigkeit, zuzuhören, die entscheidenden Fragen zu stellen und sowohl persönlich als auch professionell Vertrauen zum Klienten aufzubauen.

Coaching ist nicht überall gleich

Über die Namensgebung hinaus sind die Erwartungen an ein Coaching in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich. Eine geeignete Metapher hierfür sind Hochzeitsbräuche: Stellen Sie sich vor, Sie müssten als „internationaler Wedding Coach“ eine Hochzeit organisieren – sicher würde sich eine italienische Hochzeit stark von einer deutschen, einer kenianischen oder einer chinesischen unterscheiden. Auch wenn der Vorgang fast überall bedeutet, dass sich zwei Menschen binden und dies feiern, bleibt stets ein enormer Ausgestaltungs- oder Interpretationsspielraum.

In Deutschland wird Coaching meist stark mit persönlichen, eher individualpsychologischen Themen verbunden. Viele Coachs haben eine psychotherapeutische Ausbildung und setzen ihren Schwerpunkt auf die individuelle Entwicklung von Personen. In den USA erlebe ich einen stärkeren Business-Bezug; es geht eher um Themen aus dem Geschäftsleben. In manchen arabischen Ländern wiederum wird vom Coach erwartet, die Rolle eines „Präsidentenberaters“ einzunehmen.

Klienten schweben nicht im luftleeren Raum

Der Coach muss die Kultur des Unternehmens verstehen; es gilt herauszufinden, was in der Organisation „The way business is done around here“ ist. Hilfreiche Quellen sind dabei die Unternehmensgeschichte, der jeweilige Internationalisierungsgrad, Pressemeldungen oder Mitarbeiterberichte aus erster Hand, wie sie etwa in Online-Portalen wie Vault.com zu finden sind. Entscheidend sind auch Informationen über die Branche und die entsprechenden Trends, über die Situation im jeweiligen Land und die dortige Bedeutung des Unternehmens. Diese Vorab-Recherchen können sehr aufwändig sein, vor allem für selbstständig arbeitende Coachs ohne Zugang zu professionellen Datenbanken. Doch die Mühe zahlt sich aus.

Nicht nur die Person, sondern auch die Organisation entwickeln

Meiner Erfahrung zufolge ist es eine essenzielle Grundlage für die Wirksamkeit eines Coachings, die Dynamik und gegenseitige Bedingung der individuellen und organisationalen Entwicklung zu berücksichtigen. Dies gilt nicht zuletzt für Coachings, die zu dem Ergebnis führen, dass der Klient die Organisation besser verlassen sollte.

Im internationalen Kontext ist dieser Faktor meist noch bedeutsamer, da hier rein personenorientierte Entwicklungsfragestellungen rar sind. Es ergeben sich immer wieder Interessenkonflikte und Spannungen, welche Inhalte in das vertrauliche Setting gehören und was in Richtung Systementwicklung transportiert werden muss.

„Cosmopolitan Executives“ – die neue Form der Aristokratie

Die meisten „Cosmopolitan Executives“, also international tätige Führungskräfte, haben zahlreiche Gemeinsamkeiten. Dies ist vergleichbar mit der europäischen Aristokratie vor einigen Jahrhunderten: Es war üblich, Französisch zu sprechen, eine bestimmte Art Kleidung zu tragen und untereinander zu heiraten. Wer die an einem Hof üblichen Manieren und Spielregeln kannte, kam damit auch an anderen Höfen gut zurecht – alles in allem handelte es sich um eine Art universelle Sprache der damaligen Elite.

Heutzutage bilden die Cosmopolitan Executives (vor allem im oberen Management) eine ähnliche Form der Elite, die – je nach Standpunkt – mitunter ebenso geliebt oder gehasst wird wie der damalige Adel, und der oft eine ähnlich stark ausgeprägte Selbstverliebtheit oder Selbstbezogenheit nachgesagt wird. Man trifft sie auf Konferenzen, in Flughafen-Lounges, Alumni-Gruppen und so weiter. Auch ist ihnen ein bestimmter Jargon eigen, der sich mit den aktuellen „Management-Moden“ laufend verändert.

Die nicht immer einfache Balance auf der Beziehungsebene

Auch wenn sie es nicht zugeben werden: Manager wollen geliebt werden. Dies liegt unter anderem daran, dass sie sich oft und in hohem Maße Kritik ausgesetzt sehen. Die Führungskräfte sind oft Projektionsfläche für Erfolge und Misserfolge ihrer Unternehmen, werden als Helden bejubelt oder als Sündenbock beschimpft; nur konstruktive Rückmeldungen erhalten sie äußerst selten. Damit sie jedoch im Coaching-Prozess offen für Feedback sind, bedarf es einer differenzierten Kombination von Nähe, Sympathie und Vertrauen auf der einen, und Distanz auf der anderen Seite; dies muss immer wieder aufs Neue austariert werden.

Zahlreiche Klienten haben mir im Laufe des Coaching-Prozesses von Gefühlen wie Sympathie, Anziehung, Attraktivität oder Erotik in Bezug auf Mitarbeiter berichtet; für die Mitarbeiterseite kann man getrost von Ähnlichem ausgehen. Meist wollten die Klienten herausfinden, was sie tun können, um Grenzüberschreitungen zu vermeiden und handlungsfähig zu bleiben. Dieser Aspekt gewinnt in unserer erotisierten Welt –auch über mehrere Kulturen hinweg – an Bedeutung, wird jedoch in der Management-Ausbildung kaum thematisiert. Darüber hinaus kommt es im internationalen Kontext oft zu Missverständnissen: Was in einer Kultur als Annäherung verstanden wird, kann in einer anderen völlig bedeutungslos sein. Daher sind Themen wie Nähe und Distanz, Macht und Sexualität auch im Business-Coaching von hoher Relevanz.

Anforderungen an Coaches

Die Erwartungen an den Coach und dessen Expertise sollten vor und während des Coaching-Prozesses immer wieder thematisiert werden. Coaching im internationalen Kontext verlangt vom Coach kompetentes Verhalten:

  • Entdecken – und respektieren (!) – Sie die Realität, den Kontext und die Sprache des Klienten. Studien zufolge arbeiten die meisten Führungskräfte beschäftigen sich maximal neun Minuten mit einem Thema, bevor sie sich einem neuen zuwenden (müssen). Eine eingehendere Reflexion ist also für die meisten Führungskräfte eine neu zu erlernende Kompetenz. Überfordern Sie Ihre Klienten nicht und interpretieren Sie es nicht direkt als Widerstand, wenn sich ein Manager der Reflexion entzieht.
  • Machen Sie sich die kulturellen Dimensionen, in denen der Klient arbeitet, bewusst. Dies gilt insbesondere, wenn Coach und Klient einen unterschiedlichen kulturellen Background haben.
  • Organisieren Sie Supervision und Unterstützung für sich selbst – und berechnen Sie dies Ihrem Klienten. Kürzlich teilte ich einem Kunden im Coaching-Prozess mit, dass ich für eine bestimmte Fragestellung, die ihn beschäftigte, keine weitere Ideen hätte und mich mit einer neutralen Kollegin besprechen wollte; das Ergebnis dieser Supervision würde ich ihm anschließend zur Verfügung stellen. Wie sich herausstellte, war diese Vorgehensweise für den Kunden äußerst hilfreich und spannend – und selbstverständlich hat er die Kosten dafür übernommen.

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