HR

Quiet Quitting

Die stille Revolte der Arbeitnehmer

Quiet Quitting – nicht nur den Social-Media-Affinen dürfte dieses Schlagwort ein Begriff sein. Neuerdings ist der Ausdruck in aller Munde. Besonders Führungskräfte und Personalverantwortliche müssen sich damit auseinandersetzen. Quiet Quitting umfasst dabei mehr als nur die Tätigkeit an sich. Der Begriff steht für eine Bewegung vornehmlich junger Arbeitnehmer, die sich klare Grenzen gesetzt haben, was sie für die Arbeit tun wollen und was nicht.

8 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2023 am 15.11.2023

Was ist Quiet Quitting?

Einem TikTok-Video vom User zaidleppelin wird zugeschrieben, den Trend um das Phänomen Quiet Quitting ausgelöst zu haben. Darin erklärt der junge Mann, worum es beim Quiet Quitting essenziell geht: Man kündigt seinen Job nicht, aber man verweigert sich der Erwartungshaltung, mehr für seine Arbeit tun zu müssen als nötig. Eine Erklärung, weshalb man sich diesem Trend anschließen sollte, liefert der TikTok-Nutzer ebenfalls: „Deine Arbeit definiert dich nicht. Dein Wert als Mensch ist nicht äquivalent zu dem, wie viel du im Job leistest.“

Diese Einstellung zur Arbeit und zum Leben stößt offensichtlich bei vielen jungen Arbeitnehmern – insbesondere bei den Berufsanfängern – auf Anklang, sodass bei Quiet Quitting von einem Zeitgeist der jüngeren Millenials und der Gen Z gesprochen werden kann (Rilke, 2023). Dabei sollte erwähnt werden, dass diese Arbeitshaltung nicht der Faulheit oder einer fehlenden Motivation entstammt: „Denn es geht nicht um Komfort. Es geht um nicht weniger als grundlegend verschobene Prioritäten und Lebensmittelpunkte.“ (Hofert, 2022).

Die Anhänger der Quiet-Quitting-Bewegung erhoffen sich, durch das Abstecken von Grenzen eine Überlastung durch die Arbeit zu vermeiden und somit ihre mentale Gesundheit schützen zu können. Die häufig vorgenommene Übersetzung und damit einhergehende Gleichsetzung des Begriffs Quiet Quitting mit dem der inneren Kündigung ist somit qua Definition falsch. Bei der inneren Kündigung haben die Betroffenen in der Regel einen Leidensweg hinter sich, der sie derart zermürbt hat, dass sie innerlich bereits mit dem Job abgeschlossen haben (ebd.). Dieser Leidensdruck lastet auf einem Quiet Quitter nicht (kununu, 2023). Sie distanzieren sich lediglich vom beruflichen Stress und legen einen erhöhten Fokus auf ein erfülltes Privatleben.

Quiet Quitting in Unternehmen

Mit ihrer Arbeits- bzw. Lebenshaltung erfahren die Quiet Quitter jedoch mitunter Ablehnung. „In den Unternehmen stoßen sie […] auf eine durch die ältere Generation geprägte Tradition von Arbeitsmoral, Arbeitsrhythmus und Arbeitsstil.“ (dpa, 2022) Dies kann zu Konflikten führen. Seitens der Unternehmen werde in Quiet Quitting eine Gefahr gesehen. Sie befürchten unproduktives Arbeiten (Trinsch, 2022).

Doch davon dürften sich überzeugte Quiet Quitter nicht beirren lassen. Der derzeitige Arbeitsmarkt mit seinem Fach- bzw. Arbeitskräftemangel befähigt sie dazu, ausbeuterische Arbeitsbedingungen wie unbezahlte Überstunden, prekäre Arbeitszeiten, nicht abgesprochene und unvergütete Zusatzaufgaben oder einen dauerhaft zu hohen Workload nicht hinnehmen zu müssen. Arbeitnehmer wissen, dass sie heutzutage händeringend gebraucht werden (dpa, 2022). Selbst wenn es bei einem Unternehmen zu einer Kündigung kommen sollte, gestaltet sich ein Stellenwechsel für einen Arbeitnehmer derzeit überaus einfach. Der Gallup Engagement Index spiegelt diese Lage wider: Die emotionale Bindung von Beschäftigten an deutsche Unternehmen hat im Erhebungszeitraum von November bis Dezember 2022 den niedrigsten Wert seit mehr als einem Jahrzehnt erreicht (Nink, ohne Datum).

Hingegen können sich Unternehmen – verstärkt durch die erhöhten Ausgaben während und nach den Krisenzeiten – eine hohe Fluktuation ihrer Mitarbeiter nicht leisten. „Fluktuation bedeutet nicht nur aufwändige und teure Recruitingprozesse, sondern in der Regel auch den Verlust von Erfahrung, Fachwissen, wichtigen Kontakten und nicht zuletzt Produktivität. Je nach Komplexität der Aufgabe kann es bis zu einem Jahr dauern, bis die Arbeit wieder so effektiv und effizient erledigt wird wie von etablierten Beschäftigten.“ (ebd.)

Die Führungskräfte und Personalverantwortlichen von heute sind also gefragt, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter wohlfühlen, wenn sie verhindern wollen, dass ihre Arbeitnehmer gehen. An dieser Stelle einzusparen oder kompromisslos nicht auf die Forderungen der Arbeitenden eingehen zu wollen, könnte die Unternehmen letztlich viel Geld, Zeit und Nerven kosten. Stattdessen sollten Führungskräfte auf ihre Mitarbeiter „mit Zuwendung und Interesse reagieren, Spielräume einräumen, Motivation wecken und Verantwortung anbieten“ (dpa, 2022). Schließlich stellen die Forderungen der Quiet Quitter eigentlich keine Zumutungen für die Unternehmen dar, vielmehr hätten die neuerlich gezogenen Grenzen in Anbetracht der Fairness längst eine „Selbstverständlichkeit“ (Epp, 2023) sein sollen.

Wie Führungskräfte-Coaching helfen kann

Der erste Schritt für jene mit Führungsverantwortung sollte sein, die eigenen Führungsfähigkeiten zu verbessern. Denn eine gute Führung, die motiviert und Entwicklungspotenziale in ressourcenorientierter Weise fördert, führt zur hohen emotionalen Bindung bei den Mitarbeitern und das wiederum senkt ihre Bereitschaft, die Stelle zu wechseln: „Bei der Schaffung einer [...] motivierenden Arbeitsumgebung spielen vor allem die direkten Führungskräfte eine zentrale Rolle, denn sie sind diejenigen, die den Arbeitsalltag maßgeblich prägen. Menschen verlassen nämlich nicht das Unternehmen, für das sie arbeiten, sondern Vorgesetzte, unter denen sie arbeiten.“ (Nink, ohne Datum) Unter guter Führung steigt auch die Mitarbeiterleistung, wovon das Unternehmen unmittelbar profitieren kann. Dies äußert sich z.B. in geringeren Fehlzeiten, weniger Arbeitsunfällen oder zufriedeneren Kunden (ebd.). Ein Führungskräfte-Coaching bietet sich daher an.

Die Rolle der Stellenbesetzung

Svenja Hofert, Coach und bekennende ehemalige Quiet Quitterin, plädiert bei der Jobausschreibung und Besetzung von Stellen für Ehrlichkeit seitens der Arbeitgeber. Diese sollten sich klarmachen, welche Art von Personal sie tatsächlich benötigen und wollen. Immer wieder musste Hofert in ihrem langjährigen Beruf als Coach und Beraterin die Erfahrung machen, dass hochqualifizierte, kreative und neugierige Menschen angestellt werden, für die es aber in dem Job gar keine oder zu wenige interessanten Tätigkeiten gibt. Dies sei immer noch gängige Praxis, meint Hofert, die zum Thema Quiet Quitting bereits einen Blog-Post verfasst hat (Hofert, 2022).

Das führt zu unterforderten Angestellten, die in ihrer Arbeit neben dem Geldverdienst keinen richtigen Sinn erkennen – ein Erfolgsrezept, wenn man lauter Quiet Quitter heranzüchten möchte, denn Hoferts Auffassung nach, handelt es sich bei ihnen um „Menschen, die sich einbringen würden, wenn sie einen Sinn darin erkennen könnten. Sich von den Karrieremühlen dieser Welt zertreten zu lassen, ist jedenfalls kein attraktiver Grund.“ (ebd.)

So werden Talente und Ideen verschwendet, von denen sonst sowohl das Unternehmen als auch die Mitarbeitenden profitieren könnten. Im Austausch mit dem Coaching-Magazin fordert Hofert daher Führungs- und Personalverantwortliche dazu auf, zu hinterfragen, ob diese Form der Stellenbesetzung und der Arbeit noch zeitgemäß ist. Wäre es nicht sinnvoller, die Tätigkeitsprofile auf die Talente, Stärken und Interessen von Bewerbern zuzuschneiden und zu schauen, wie sie sich im Rahmen der notwendigen Arbeiten positiv weiterentwickeln können?

Dadurch würden sich die Arbeitnehmer wertgeschätzt fühlen und dies kann ein Grund darstellen, sich nicht von der Arbeit bzw. vom Unternehmen distanzieren zu müssen (Rilke, 2023). Sich verstärkt danach zu richten, was ein Arbeitnehmer überhaupt leisten kann, beugt zudem unrealistischem Leistungsdruck vor, der Menschen unzufrieden machen und bei dauerhaftem Bestehen in die innere Kündigung treiben kann (ebd.).

Karriere-Coaching für Quiet Quitter

Den Quiet Quittern, die mit ihrer Work-Life-Abgrenzung nicht nur eine Vorsorgemaßnahme für die eigene Zufriedenheit treffen, sondern eine Form des stillen Protests gegen Ungerechtigkeiten seitens des Arbeitgebers oder der Vorgesetzten betreiben, legt Hofert ein Karriere-Coaching nahe. Gerade für Berufsanfänger sei es unheimlich wichtig, dass die ersten Joberfahrungen positiv ausfallen. Diese hätten nämlich direkte Auswirkungen auf das Selbstbild, so Hofert. Unzufriedenheit nur durch Quiet Quitting auszudrücken und sonst in einem Job auszuharren, den man selbst als sinnlos empfindet, könnte schädliche Folgen für das Selbstwertgefühl eines Quiet Quitters haben. Auch das Arbeitgeberbewertungsportal kununu warnt vor einem möglichen Verschwimmen der Grenzen zwischen Dienst nach Vorschrift und Abstumpfung. Quiet Quitting werde dann zum Problem, wenn Menschen es als Begründung heranziehen, eine für sie nicht zufriedenstellende Arbeitssituation einfach zu akzeptieren und die Arbeitszeit in einer passiven Haltung abzusitzen. „Unzufriedenheit im Job kann viele Ursachen haben – wer sich nicht wohlfühlt bei der Arbeit, sollte etwas dagegen unternehmen.“ (kununu, 2023)

Es stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt gut ist, einer emotionalen Bindung zum Unternehmen derart rigoros auszuweichen, wie es die Befürworter der Quiet-Quitting-Bewegung praktizieren. Die Bindung zur Arbeitsstelle hat nämlich nicht nur für das Unternehmen Vorteile, sondern auch für die Mitarbeiter: „[A]uch auf die Mitarbeitenden […] wirkt sich eine hohe emotionale Bindung positiv aus. Sie sind generell zufriedener, fühlen sich seltener bei der Arbeit gestresst – und nehmen dementsprechend weniger Stress mit nach Hause, wovon auch ihr Umfeld profitiert.“ (Nink, ohne Datum).

Außerdem ist Quiet Quitting als stiller Protest auch nicht für alle Arbeitnehmer praktizierbar. Besonders solche in niedrig bezahlten oder notwendigen Jobs müssen oft unfaire Arbeitsbedingungen hinnehmen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern oder den betrieblichen Ablauf zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auf den Rettungsdienst hingewiesen (Trinsch, 2022).

Ob man als Quiet Quitter ein Gespräch mit den Vorgesetzten simulieren möchte, bei dem man verbesserungswürdige Baustellen anspricht, an einen Jobwechsel denkt oder gar mit dem Gedanken an die Selbstständigkeit liebäugelt, ein Karriere-Coaching kann dabei helfen, ein fluides Selbstbild zu entwickeln und die Ich-Entwicklung zu fördern, betont Hofert.

Literatur

dpa (2022). Quiet Quitting. Zeit Online. Abgerufen am 18.09.2023: https://bit.ly/3EHtegS

Epp, E. (2023). „Quiet Quitting“. Stern. Abgerufen am 18.09.2023: https://bit.ly/3PGS0UL

Hofert, S. (2022). Quiet Quitting. Abgerufen am 18.09.2023: https://bit.ly/3EKWKm8

kununu (2023). Quiet Quitting. Abgerufen am 18.09.2023: https://bit.ly/3Pt6vu3

Nink, M. (o. D.) Rote Karte für schlechte Führung. Gallup. Abgerufen am 18.09.2023: https://bit.ly/3PISI3N

Rilke, M. (2023). Phänomen „Quiet Quitting“. Stepstone. Abgerufen am 18.09.2023: https://bit.ly/3rk07gv

Trinsch, M. (2022). Quiet Quitting. Neue Westfälische. Abgerufen am 18.09.2023: https://bit.ly/3LuiIgC

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