Während sich Coaching bisher vor allem als professionelle „Hilfe zur Selbsthilfe, bei Leistungs- und Performancedefiziten“ vermarkten ließ, rückt dieser Ansatz heute mehr und mehr in den Hintergrund. Allerorts wächst die Erwartung, dass über das Coaching-Angebot in Unternehmen die Unternehmensentwicklung und auch die Transformationsprozesse Schubkraft erhalten.
Hinzu kommt, dass sich im Zuge der sich verändernden Rahmenbedingungen in Unternehmen auch die Anforderungen an professionelles Führungskräfte-Coaching wandeln. So wie Führungskräfte heute viel offensiver dazu aufgefordert werden, nicht nur im, sondern auch am Unternehmen aktiv mitzuarbeiten, wird auch von Coaches erwartet, dass sie an jenen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihre Leistung zur Verfügung stellen, mitarbeiten. Denn für das, was von Coaches gewünscht und erwartet wird, fehlt es meist an den dafür nötigen Konzepten und Strukturen.
Will man als Coach seine Arbeit in den Dienst der Entwicklung des Unternehmens und die vielerorts angeschobenen transformatorischen Prozesse stellen, ist man aufgefordert, die eigene dialogische Arbeit überhaupt erst einmal im Kontext von Unternehmensentwicklung und Transformation zu reflektieren. Um dann die Frage aufzuwerfen, was man als Coach bisher schon dazu beigetragen hat, dass die Veränderungsprozesse über das eigene Engagement gefördert werden, und was man in Zukunft beitragen könnte und will. Wie können Coaches den Unternehmen aus ihrer Rolle heraus ihr Wissen über Persönlichkeitsentwicklung, Unternehmensentwicklung und Transformationsprozesse hilfreich zur Verfügung stellen, um brachliegendes, für die Zukunftstauglichkeit von Unternehmen relevantes Können, Wollen und Wissen zu mobilisieren? Und wie können sie helfen, dass sich dazu passende Strukturen für Coaching im Unternehmen entwickeln?
Auf der Ebene der Unternehmensleitung werden Strategien und die Investitionen in transformatorische Prozesse entschieden. Hier wird Unternehmenskultur erzeugt und reproduziert. Und hier wird entschieden, welche Rolle die Personalentwicklung (PE) im Veränderungsprozess einnehmen kann.
Das auf dieser Ebene derzeit wohl wichtigste Themenfeld für einen reflektierenden Dialog ist die Unternehmenskultur. Einem Vorstand erkennbar werden zu lassen, dass er als Orientierungsfigur selbst kulturerzeugend ins Unternehmen wirkt, löst nicht unbedingt schnelle Zustimmung für den damit provozierten Reflexionsprozess aus, ist aber notwendig. Einem Vorstand ist oft nur undeutlich vor Augen, dass das, was er tut und was er lässt, sanktioniert oder was er nicht beachtet, die Vorstellung von erwünschtem und unerwünschtem Verhalten im Unternehmen prägt und damit auch die Haltung und das Verhalten der Führungskräfte. Im Besonderen fehlt es ihm häufig am nötigen Bewusstsein über die eigene Rolle als Produktionsfaktor bezüglich jener Kulturmerkmale, die als hemmend für die Entwicklung des Unternehmens erkannt werden.
Dem Vorstand daran anknüpfend aufzuzeigen, wie er ein unternehmensinternes Coaching-Angebot nutzen könnte, um die Kultur im Unternehmen positiv im Sinne der Entwicklungsstrategie und Transformationsbereitschaft zu beeinflussen, ohne dass er sich zunächst selbst grundlegend transformiert haben muss (wenngleich er in aller Regel natürlich nicht drum herum kommt, seine Haltung und sein Verhalten im Kontakt mit der zweiten Führungsebene zu reflektieren und umzustellen), macht auf dieser Ebene zumindest neugierig.
Ansatzpunkt zur Vertiefung so eines Dialogs könnte das Kulturmerkmal „Umgang mit Fehlern“ sein. Eine angstfreie Fehlerkultur ist der Dreh- und Angelpunkt, der über die Freisetzung des Entwicklungs- und Transformationspotenzials im Unternehmen entscheiden kann. Und ein Wandel in der Fehlerkultur kann sehr kraftvoll über den Vorstand und die Bereichsleiter ins Unternehmen transportiert werden. Wenn sich der Vorstand für die Idee öffnet, dass weniger Angst bei gleichzeitigem Erhalt seiner natürlichen Autorität möglich ist. Dafür muss er das Wagnis eingehen, die Balance zwischen seinem Commitment für die Unternehmenszukunft bei gleichzeitig konstruktiver Fehlerkultur einerseits und dem Weglassen von unproduktiven Autoritätsdemonstrationen andererseits zu üben. Der regelmäßige Dialog mit einem Coach könnte hilfreich für ihn sein, um in diesem Wagnis schnell wieder zurück in die gewohnte Sicherheit zu finden.
Ein ebenso gutes Einstiegsthema für Coaching-Dialoge zur Kulturentwicklung können die vielerorts leidigen Vorstandsvorlagen sein, was einen sehr guten Übergang zur Thematik der Ermächtigungskultur bildet. Was ebenfalls ein wichtiges Kulturmerkmal im Zusammenhang mit Entwicklungs- und Transformationsprozessen ist.
Ein anderes Thema, was auf dieser Ebene im reflektierenden Dialog angestoßen werden kann, ist die Arbeitsbeziehung zwischen Unternehmensleitung und PE. Es hilft dem Unternehmen, wenn die Unternehmensleitung eine partnerschaftliche Liaison mit dem meist ungeliebten Kind PE eingeht. Wenn der Vorstand einen Weg findet, dort seine Perspektive für das Unternehmen und den nächsten Horizont der transformatorischen Bemühungen zu teilen, und die PE zum Partner auf Augenhöhe im Gelingen der Unternehmenszukunft werden zu lassen, stellt dies einen wertvollen Beitrag für die Unternehmensentwicklung und die bereits angestoßenen transformatorischen Prozesse dar. Ausgehend von einer partnerschaftlichen Arbeitsbeziehung ist es dann nicht mehr schwer, den PE-Bereich zu ermutigen, vorausschauend Maßnahmen am Markt aufzuspüren, die der Unternehmensentwicklung und dem transformatorischen Klima hilfreich zuarbeiten können.
All diese Überlegungen kann ein Coach im Dialog mit einem Unternehmensvorstand anregen und dazu seine Dienste anbieten. Jedenfalls dann, wenn er seine eigene dialogische Arbeit in den Dienst der Zukunft des Unternehmens stellen möchte.
An dieser Stelle sei noch auf eine Studie hingewiesen, die Coaches aus dem Vereinigten Königreich 2017 vorlegten.Unter der Fragestellung „Does Your Culure Support Your Strategy“ werden in dieser Studie 22 Kulturmerkmale und ihr Einfluss auf den Unternehmenserfolg untersucht. In der Praxis ein sehr hilfreiches Dokument, anhand dessen sich Vorstände leicht in das Thema einlesen mögen, weil es wenig generisch und eher pragmatisch daherkommt.
Im Zuge der Digitalisierung ist zu erwarten, dass sich die Rolle der PE in den nächsten Jahren ebenfalls komplett verändern wird. Die Arbeit der PE wird davon geprägt sein, zu verstehen, wie der nächste Entwicklungshorizont bzw. zukünftige Entwicklungsbedarf beschaffen sein wird, um dann am Markt vorausschauend Maßnahmen zu finden und für das Unternehmen bereitzustellen – und um letztlich Führungskräfte und Mitarbeiter für zukünftige Anforderungen zu befähigen. Die Personalentwickler werden zu „Brokern“, die den Bereich Führungskräfte- und Mitarbeiterentwicklung über digitale Plattformen organisieren lassen, statt selbst Konzepte zu schreiben und Maßnahmen zu organisieren. Schon heute lagern Unternehmen z.B. die gesamte Organisation von Coaching an externe Anbieter aus und es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch mit anderen Entwicklungsangeboten so praktiziert wird.
Und weil in vielen Unternehmen eine PE anzutreffen ist, die eher der fürsorglichen Tradition verhaftet ist, als der Aufgabe der proaktiven Entwicklungsförderung zwecks Zukunftstauglichkeit, fällt es heute dem Coach zu, hier beratend tätig zu werden und auf diese Weise selbst die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Coaching-Angebote, die der Entwicklung von Kultur und Organisation dienlich sind, bei den Führungskräften auch ankommen.
Im Dialog mit dem PE-Bereich kann es für den Coach hilfreich sein, immer wieder die Frage aufzuwerfen, welchen zukünftigen Herausforderungen sich die Zielgruppe seines Coachings demnächst zu stellen haben wird. Und welche dieser Herausforderungen er als Hintergrundmusik in seine Coachings aufnehmen sollte. So regt er aus seiner Rolle heraus eine Überlegung an, die im PE-Bereich nicht unbedingt schon selbstverständlich, für die zukünftige Rolle der PE aber notwendiger Weise zu stellen ist. So kann er beispielsweise im PE-Bereich auf überholte Coaching-Konzepte, die an den Entwicklungsinteressen der Klienten vorbeigehen, aufmerksam machen.
In der 2014 durchgeführten Studie „Führung von Innen“ (erfolgte durch die Leader in Mind GmbH, hier abrufbar) wurde ermittelt, dass es vor allem die dialogischen Fähigkeiten sind, mittels derer das verdeckte Wissen, Können und Wollen der Mitarbeiter für das Unternehmen nutzbar freigesetzt werden kann. Dialogmoderation, die Organisation co-kreativer Denkräume und Führung im Angesicht von kultureller, räumlicher und zeitlicher Diversität sind nur einige der markanten dialogischen Felder, die den (seinerzeit noch zukünftigen) Führungsalltag kennzeichnen.
Eine weitere Thematik, für die der Coach den PE-Bereich sensibilisieren könnte, ist das Thema Eigeninitiative der PE in der Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung. Von sich aus co-kreative Denkräume anzubieten, in denen man gemeinsam Ausschau nach zukünftigen Entwicklungsbedarfen auf Seiten der Führungskräfte hält, könnte ein nützlicher Service in Richtung Unternehmensleitung sein.
Das sind nur zwei der Themenfelder, zu denen ein externer Coach sich einbringen kann, um seinen Beitrag im Sinne einer Arbeit am Unternehmen zu leisten und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er da, wo er hilfreich sein will, auch wirklich ankommt.
Im Coaching-Dialog geht es immer um den Auftrag, den der Klient, sprich der Coaching-Nutzer (die Person, die unmittelbaren Nutzen aus dem Coaching zieht) erteilt hat. Er allein ist der Themenhalter seines Coaching-Prozesses. Und alle Ethikstandards, ebenso wie das ethische Empfinden eines Coachs gebieten es, an diesem Punkt kompromisslos und parteiisch alle Einmischungen Dritter zurückzuweisen. Und dennoch kommt es vor, dass der Coach, der um die Zukunftsrelevanz dialogischer Kompetenz weiß, es für nützlich hält, wenn der Klient sich nicht nur für das Gelingen seiner aktuellen Coaching-Ziele engagiert, sondern er im Coaching-Prozess beginnt, auch zukünftige Anforderungen zu reflektieren und in seine Lösung zu integrieren.
So begegnen Coaches vielleicht heute noch Klienten, die im Coaching lernen wollen, sich besser durchzusetzen und Problemen des Führungsalltags mit eindrücklichen Machtdemonstrationen und innerer Distanz zu begegnen. Aber die meisten Coaches wissen, dass dies auf Dauer nicht reichen und dem Unternehmen eher schaden wird. Nur, wie motiviert man einen Klienten dafür, sich gedanklich für ein Thema zu öffnen, das erst in Zukunft für seinen und den Erfolg des Unternehmens relevant werden wird, ohne ihm gleichzeitig abzuverlangen, sich tiefer als von ihm gewünscht in diesen Themenkomplex einzulassen? Wie begegnet man als Coach der Gefahr, den Entwicklungsinteressen des Unternehmens im Coaching zu viel Raum zu öffnen und daneben die aktuellen Entwicklungsinteressen des Klienten als zu wenig vorausschauend „geringzuschätzen“?
Nach dem Motto „Wenn Du ein Problem nicht lösen kannst, teile es“, könnte der Coach ebendies mit dem Coaching-Nutzer teilen und ihm die Entscheidung überlassen, wie er in seinem Coaching damit umgehen möchte.
Solange Coaching als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden wird und Coaching-Klienten unter dieser Überschrift davon Gebrauch machen, gibt es keine Erlaubnis, anders damit umzugehen. Weder ist es legitim, zu ignorieren, dass man als Coach die Begrenztheit seines Anliegens im Fluss der Unternehmensentwicklung unterstellt, noch, dass man das Coaching einfach so umlenkt, dass der Klient automatisch die weiterführenden Fragen reflektiert.
Es könnte sein, dass auch für Coaching ein Transformationsprozess ansteht. Ein Prozess, der nicht darauf hinausläuft, Coaching zu digitalisieren, sondern eine echte Strukturveränderung zu durchlaufen. Ein Prozess, der darin besteht, dass neue Wege gesucht werden, wie Coaches zukünftig ihr Können, Wissen und Wollen mit Blick auf die Unternehmensentwicklung und die in Unternehmen laufenden Transformationsprozesse hilfreich zum Einsatz bringen können. Coaching-Programme in Großgruppen, themenspezifische co-kreative Dialogräume via Coaching-Dialoge zu organisieren, Formate für Coaching zu finden, bei denen auch die Gruppen einbezogen sind, die bisher vom Coaching ausgeschlossen waren – alles Versuche, mit denen man derzeit experimentiert, um in Unternehmen eine Öffnung für die Idee zu schaffen, dass Coaching als kraftvolles Instrument für die Unternehmensentwicklung genutzt werden kann.