Max Frisch hat mal gesagt, dass eine Krise ein produktiver Zustand sei, man müsse ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Dieser Aspekt ist im Coaching von Führungskräften, die schwierigen Situationen ausgesetzt sind, von zentraler Bedeutung.
Wir haben mit der aktuellen Corona-Situation eine der schwersten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen der letzten Jahrzehnte zu bewältigen. Um der Krise den Beigeschmack der Katastrophe zu nehmen, kann die Transaktionsanalyse im Coaching mit Führungskräften nützlich sein. Als Coach stellte der Autor dieses Artikels im Zuge der Pandemie immer wieder fest, dass Führungskräfte oftmals keine Werkzeuge haben oder auch keine Rituale kennen, wie sie beispielsweise mit den neuen Situationen des Homeoffice oder der Kurzarbeit umgehen können.
Es braucht für die Führungskräfte ein gutes Maß der Bewusstheit und der Souveränität, um durch die Krise zu gehen. Sie befinden sich selbst in einer schwierigen Situation. Einerseits müssen sie einen Weg finden, mit ihren eigenen Ängsten und Sorgen umzugehen. Andererseits sind sie zugleich dafür verantwortlich, die Zusammenarbeit in ihren Teams weiterhin zu gewährleisten. Ihre Aufgabe in der Krise ist es, ihren Mitarbeitern Sicherheit und Kontinuität zu vermitteln und gleichzeitig Krisenmanagement zu betreiben sowie eine Atmosphäre der Geborgenheit zu erzeugen. Sie fühlen sich damit erst einmal überfordert – basierend auf der gefühlten Nichtsteuerbarkeit von Krisensituationen und der ungewohnten Führung der Mitarbeiter auf Distanz.
Natürliche physiologische Grundbedürfnisse sind z.B. Flüssigkeitszufuhr, Nahrung und Obdach. Analog dieser Bedürfnisse eines Menschen gibt es nach transaktionsanalytischer Auffassung psychologische Grundbedürfnisse (Berne, 1983), die ebenso vehement nach lebenslanger Befriedigung verlangen und deren Nichtbeachtung zu schweren Schäden führen kann. Eric Berne (1983) nannte diese in Anlehnung an die körperlichen Bedürfnisse „Hunger“. Es handelt sich um die Grundbedürfnisse nach:
Organisationen sind primär nicht dafür entstanden, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Und doch sind sie mit der Befriedigung dieser konfrontiert – denn die Gestaltung des Arbeitsprozesses sollte die grundlegenden Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigen. Bei der positiven Beachtung der „Hungerarten“ entwickelt sich Motivation für die Aufgabenstellung, bei einer Nichtbeachtung sinkt diese. So thematisiert Hay (2009, S. 145) anhand folgender Aussage den Hunger nach Anerkennung: „Während gute Leistungen als grundsätzlich in manchen Organisationen angesehen werden und nur negatives Verhalten thematisiert wird, zeichnen sich Organisationen mit einer positiven Wertschätzungskultur häufig durch eine höhere Mitarbeiter-Motivation aus.“
Um den Strukturhunger für sinnvolle Arbeitsabläufe zu nutzen, können eine Unternehmensvision und die dazu passende Strategie entwickelt werden. Dadurch können die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten der Führungskräfte und Mitarbeiter definiert werden.
Der Hunger nach Stimulus liegt in der Sinngebung und der Abwechslung hinsichtlich ausgeführter Tätigkeiten. Herausfordernde Tätigkeiten und Reflexionen stimulieren in besonderer Weise. Sie regen die Sinne an und stillen gleichzeitig das Grundgefühl nach Information. Der Mangel an Reizen (Monotonie, Unterforderung oder Langeweile) kann zu psychischen Beeinträchtigungen führen, während die Reizüberflutung die Aufmerksamkeit oder die Reaktionsbereitschaft bei Mitarbeitern beeinträchtigen kann.
In der Transaktionsanalyse gilt jede Form der Beachtung als Stroke (Anerkennung). Es können hierbei zwei Arten unterschieden werden:
Diese positiven und negativen Strokes können auf unbedingte oder bedingte Weise gegeben werden: Unbedingte positive Strokes werden vom Empfänger basal als wertvoll erlebt. Unbedingt negative Strokes wirken oft schädigend und verletzend aufgrund ihrer zerstörerischen Intensität. Bedingte Strokes dienen häufig dem eigenen Interesse des Senders. Sie sind an Bedingungen geknüpft. Die beiden Varianten der bedingten Strokes sind sich sehr ähnlich und effektiv in der Zusammenarbeit. Denn unterschwellig wird mit dem bedingt positiven Stroke ausgesagt: „Ich mag Dich nicht, wenn Du keine tolle Arbeit für mich leistest.“ Diese Aussage könnte demnach auch als bedingt negativer Stroke wahrgenommen werden.
Wer Chancen in einer Krisensituation nutzen will, muss für sich und sein Team die psychologischen Grundbedürfnisse mit einer entsprechend stärkenden und stützenden Atmosphäre befriedigen. Denn nur in der Atmosphäre der Geborgenheit und des Gefühls der Bindung ist ein Team oder jeder einzelne in der Lage, kreative Lösungen für die Bewältigung der täglichen Themen in dieser Corona-Krise zu entwickeln. Und für diese Aufgabe können Führungskräfte die psychologischen Grundbedürfnisse nutzen.
Mit der Entwicklung der Punkte 1 bis 3 haben die vom Autor begleiteten Führungskräfte ihr Standing gestärkt und konnten eine neue Wirksamkeit für sich entwickeln. Sie glaubten wieder an ihre eigenen Kompetenzen und waren davon überzeugt, anhand ihrer Verhaltensweisen und Entscheidungen positiv durch die aktuelle Situation zu führen. Im Coaching war es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es möglich ist, mit der neuen Situation zurechtzukommen und aus dieser Krise möglicherweise (als Team) sogar gestärkt hervorzugehen.
Im Homeoffice zu sein, war für die Führungskräfte und die Mitarbeiter erst einmal eine Situation mit Überstimulation. Hier passierte viel Neues und Unbekanntes: auf lange Sicht von zu Hause arbeiten und gleichzeitig die beruflichen Themen vorantreiben. In privaten Räumen galt es, den Arbeitsplatz einzurichten, möglicherweise Kinder zu betreuen und gleichzeitig im Arbeitsmodus zu sein.
Das hat sich dahingehend gezeigt, dass sie sich erstmal eine eigene neue Zeitstruktur oder auch eine Beziehungsstruktur aufbauen mussten. Wie wollten sie die „Bürozeit“ von der „privaten Zeit“ zu Hause trennen? Wie wollten sie den Kontakt mit ihren Mitarbeitern, die ja auch im Homeoffice saßen, halten? Wie konnten Meetings angesetzt werden? Welche digitalen Medien waren aus datenschutzrechtlichen Gründen erlaubt und nutzbar? Wie sollte die Kommunikation laufen?
Alle Mitarbeiter setzten sich gleichzeitig mit diesen Herausforderungen auseinander. Auf den Führungskräften lastete zusätzlich die Aufgabe, ihre Mitarbeiter mit den passenden Werkzeugen zu stärken und die Situation für ein gutes und konstruktives Miteinander herzustellen.
Diese Themen konnten im Coaching bearbeitet und unter dem Aspekt der psychologischen Grundbedürfnisse gut beleuchtet werden. Lösungsansätze wurden aktiv erwirkt. Die Ziele jeder Führungskraft sind Autonomie, ein stabiles Selbstwertempfinden und das Gefühl der Handlungsfähigkeit in der Krisenzeit zu spüren. Dafür braucht es emotionale Stabilität. Sie ermöglicht es, auch in Zeiten der Veränderung weiterhin kommunikations- und konfliktfähig zu bleiben. Sie ermöglicht auch das Bewusstsein für die eigenen und fremden Wachstumsprozesse. Im Coaching war jedoch zu merken, dass sie in ihrer Selbstregulation Schwierigkeiten hatten. Lösungsorientierte Kommunikation stringent und zielorientiert durchzuführen und dabei die gesteckten Ziele des Unternehmens im Blick zu halten, viel ihnen schwer.
Die Kurzarbeit hat die Mitarbeiter vor eine große Aufgabe gestellt. Einerseits mussten sie ihre Aufgaben in kürzerer Zeit erledigen. Andererseits fehlten die bekannten Prozesse und die gewohnte Kommunikation im Büro. Das bedeutete, dass viele Aufgaben, die in den Bereichen und Abteilungen zum täglichen Ablauf gehörten, in einem neuen Rahmen erledigt werden mussten. Das hieß auch, dass die fehlende Einbindung durch die Anwesenheit im Büro und die Kommunikation – reduziert auf Telefon, E-Mail und Video – die individuellen Zukunfts- und Existenzängste schürte. Alle Mitarbeiter brauchten klare Strukturen und das Gefühl der Bindung und Geborgenheit zur Stärkung der Beziehungen. Dafür nutzten die Führungskräfte das Konzept der psychologischen Grundbedürfnisse.
Hervorzuheben ist der Aspekt der Selbstwirksamkeit bei den Führungskräften. Es war wichtig, den Führungskräften die Krise auch als Chance der Erneuerung und der Innovation aufzuzeigen. Das kann nur gelingen, wenn sie die Krise von den negativen Affekten loslösen und sich nicht auf die persönliche Betroffenheitsebene begeben. Hätten die Führungskräfte sich ihren Ängsten und Sorgen zur Zukunft hingegeben, hätten sie sich in ihrer Führungsrolle nicht entfalten können und hätten sich nicht stärkend für die Mitarbeiter einsetzen können. Sie wären möglicherweise in eine Passivität gefallen und hätten den Kontakt und die Bindung zu ihren Mitarbeitern verloren. Das kann verhindert werden durch die Nutzung der psychologischen Grundbedürfnisse zur Stärkung der eigenen Ressourcen.
Ziel war es, die Handlungsfähigkeit über die Führungskräfte auch auf die Mitarbeiter zu übertragen. Im Coaching klärten die Führungskräfte, wie sie diese Aufgabe angehen konnten. Da galt es zunächst, eine Struktur zur Verfügung zu stellen. Durch klare Absprachen für virtuelle Besprechungen, durch klare Terminierung der täglichen Kommunikation in den Homeoffices und auch durch ein positives Gesamtgefühl für das Team. Damit sollte die Führungskraft aufzeigen, dass auch in Krisenzeiten Handlungsfähigkeit durch ein Bewusstsein ermöglicht werden kann. Die Führungskräfte fühlten sich mehr und mehr in der Lage, die Zusammenarbeit in den Teams positiv zu gestalten und damit auch die augenscheinlich negativen Aspekte der Krise positiv zu begleiten.
Die Wissenschaft hat immer wieder aufgezeigt, wie Emotionen das menschliche Verhalten beeinflussen und bei der Entscheidungsfindung von Bedeutung sind. Phasen von emotionaler Beunruhigung beeinträchtigen das subjektive Gefühl der Sicherheit und es entsteht Unsicherheit. In dieser Haltung werden die Fähigkeit des guten Denkens und die Empathie beeinträchtigt und Angst entwickelt: Angst, in der neuen Situation nicht zurechtzukommen. Dabei kann eine gefühlte Angst als Reaktion auf eine Gefahr auch genutzt werden, um potenzielle Risiken konstruktiv anzugehen.
Angesichts der durch die Corona-Krise hervorgerufen Bedrohung – nicht nur aufgrund der möglichen gesundheitlichen Probleme, sondern auch der möglichen Veränderung der finanziellen Situation oder auch der psychologischen Folgen durch soziale Isolation – kann vom Autor dieses Artikels bestätigt werden, dass diese Angst von den Führungskräften in den Coachings wahrgenommen wurde. Diese Angst ist eine natürliche Reaktion auf die Pandemie und sollte beachtet und beleuchtet werden.
Als ernstgenommene Emotion trägt Angst dazu bei, potenzielle Risiken wie Orientierungslosigkeit oder fehlende Selbstwirksamkeit wahrzunehmen. Auf diesem Weg kann die Führungskraft die eigene Fähigkeit stärken, dem Einzelnen im Team ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln und seine Handlungsfähigkeit und Autonomie zu fördern.