In den letzten sieben Jahren sind die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen um mehr als 97 Prozent angestiegen. Somit gelten Erkrankungen der Psyche als alarmierendes Zeichen unserer Zeit. Dabei ist die Angststörung die am häufigsten diagnostizierte psychische Störung in Deutschland. Ängste führen sowohl zu einer Minderung der Arbeitsproduktivität als auch der Lebensqualität, sodass nicht nur persönliche Belange der Erkrankten, sondern auch unternehmerische Interessen betroffen sind. Es wird geschätzt, dass der deutschen Wirtschaft jährlich ein Schaden von über 51 Milliarden Euro entsteht – verursacht durch Ängste, die Mitarbeiter und Führungskräfte am Arbeitsplatz erleiden (Hollersen, 2015; Hlous & Prager, 2006).
Ängste sorgen für Unsicherheiten im Team und können die Beziehung zwischen Mitarbeitern und Führungskräften nachhaltig schädigen. Die Schwierigkeiten beruhen einerseits auf organisatorischen und kommunikativen Herausforderungen, die bislang nicht ausreichend gelöst sind. Führungskräfte sind nach wie vor nur ungenügend darauf vorbereitet, Ängste zu erkennen. Dementsprechend mangelt es an Wissen darüber, wie sie sich im Umgang mit angstbetroffenen Mitarbeitern verhalten sollen – nicht zuletzt, da die Tabuisierung von Ängsten eine große Rolle in Unternehmen spielt. Andererseits sind Angsterkrankungen, wie andere psychische Erkrankungen auch, noch immer mit Stigmata behaftet, sodass die Tabuisierung nicht nur seitens der Führungskräfte, sondern auch seitens der betroffenen Mitarbeiter erfolgt, die ihre Ängste verschweigen (Fuchs, 2010).
Die Angststörung als häufigste psychische Erkrankung bestimmt und wird auch in Zukunft wie keine andere psychische Störung den deutschen Arbeitsmarkt bestimmen. Ängste wirken sich auf die Motivation und die Produktivität des Mitarbeiters und somit auch auf das Unternehmen aus, indem die Wirtschaftlichkeit reduziert wird. Da hierdurch Kosten entstehen, können Unternehmen nur bis zu einem gewissen Grad Einschränkungen von Mitarbeitern finanziell auffangen. Vor diesem Hintergrund ist es von Bedeutung, einen Weg zu einem angsterlaubenden Arbeiten aufzuzeigen, der persönliche und wirtschaftliche Interessen verbinden kann. Um die Organisation und Kommunikation eines Unternehmens angstorientiert verbessern zu können, wird thematisiert, wie Coaching Unternehmen und Führungskräfte bei einem adäquaten Umgang mit Ängsten und Angsterkrankungen unterstützen kann.
Angst davor, eine Präsentation zu halten, Angst vor einer Prüfung oder auch Angst vor einem Vorstellungsgespräch – Situationen, die jeder auf bestimmte Weise kennt. Angst beschreibt einen von Anspannung, Erregung und Bedrückung geprägten Gefühlszustand. Häufig tritt Angst in bedrohlichen oder in für die jeweilige Person bedrohlich erscheinenden Situationen auf. Die Angst kann dabei von Reaktionen des Körpers, wie Herzklopfen, Zittern, Übelkeit, Erröten o.ä. begleitet sein. Menschen mit generalisierter Angst leiden unter anhaltender Angst, die über mindestens sechs Monate besteht (Schrader, 2008). Diese ist nicht an bestimmte Situationen oder Dinge gebunden, weshalb eine Angsterkrankung klar von einer Phobie differenziert werden kann. Symptome der generalisierten Angst sind Schlafschwierigkeiten, Ruhelosigkeit, Muskelverspannungen, erhöhte Reizbarkeit und Nervosität. Die körperlichen Symptome basieren auf der Tatsache, dass Ängste und Sorgen zu einer erhöhten motorischen Spannung, zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und zu Hypervigilanz, einer erhöhten Wachheit, bei den Betroffenen führen (Becker & Hoyer, 2005).
In der Psychologie gibt es verschiedene Ansätze, um die Entwicklung von Angststörungen zu erläutern. Es gilt festzuhalten, dass nicht die eine Ursache existiert, sondern Angsterkrankungen multifaktoriell verursacht werden, sodass Ängste immer als Einzelfall betrachtet werden sollten.
Bei Angsterkrankten ist häufig die sogenannte Angst vor der Angst zu beobachten. Sie führt zu einem Teufelskreis (siehe Abb. 1), da angstbesetzte Situationen schon mit Angst aufgesucht werden, wodurch der Alltag von Betroffenen enorm beeinträchtigt wird.
Das ursprüngliche Verständnis eines Stigmas beschreibt eine äußerlich erkennbare Eigenschaft. Beispiel hierfür können die Brandmale der Sklaven bei den Römern sein. Kommt es zu einer Stigmatisierung, dann werden bestimmten Personen prozesshaft negativ behaftete Eigenschaften zugeschrieben, was Randgruppenpositionen und Ausgrenzungen mit sich bringt. Grundsätzlich kommt es aufgrund eines Mangels an Informationen zu stigmatisierenden Einstellungen gegenüber psychisch Erkrankten.
Einerseits herrscht die Ansicht vor, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen komplex ist und wenig Aussicht auf Erfolg hat. Andererseits besteht die Annahme, dass der Betroffene oder dessen Familie an der Erkrankung selbst schuld seien; eine psychische Erkrankung wird folglich nicht als Erkrankung an sich verstanden, sondern als Konsequenz einer charakterlichen Schwäche des Betroffenen.
Demjenigen, der Ängste offen zugibt, wird demzufolge häufig noch eine Charakterschwäche unterstellt, sodass Mitarbeiter, aus Angst vor Konsequenzen und um der Stigmatisierung zu entgehen, ihre Belastungen verstecken. Dieser Effekt wird durch die Tatsache verstärkt, dass den Betroffenen wenig Empathie und Verständnis für ihre Ängste entgegengebracht wird. Der Vorgang des Kaschierens von Ängsten (und anderen psychischen Belastungen) ist bereits eine Folge der sogenannten Selbststigmatisierung. Dem Betroffenen wird bewusst, dass seine Ängste einem Stigma unterliegen. Der Angstbetroffene überträgt negative Annahmen auf sich selbst, wodurch Ängste als unnormale Last empfunden und verschwiegen werden (Fuchs, 2010).
Einen Weg aus der Stigmatisierung von Ängsten und anderen psychischen Erkrankungen stellt das Konzept der Inklusion dar. Inklusion beschreibt das bewusste Erleben, integriert zu sein. Sie überwindet die Schwachstellen der Integration und stellt somit eine Optimierung des Integrationsverständnisses dar, indem die Organisation in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt und nicht eine Einzelfallbetrachtung stattfindet.
Kurz gesagt: Inklusion widmet sich der Verbesserung der Rahmenbedingungen, um eine Normalität der Andersartigkeit zu schaffen – während bei der Integration noch von einem gemeinsamen Nebeneinander gesprochen werden kann, beschreibt Inklusion den Verzicht auf die Unterscheidung von Menschen. Vielmehr widmet man sich dem Schaffen von, in diesem Falle, angsterlaubenden Rahmenbedingungen. Ergo bedeutet Inklusion, dass die Struktur sich den individuellen Bedürfnissen anpasst, wohingegen bei der Integration nur vorher Getrenntes wieder zusammengefügt, aber keine Gemeinschaft geschaffen wird (Bernath et al, 2007).
Im Rahmen einer qualitativen Erhebung wurde erforscht, inwieweit Coaching die Inklusion von angsterkrankten Mitarbeitern und somit die generelle Entstigmatisierung von Ängsten in Unternehmen beeinflussen kann. Das mehrdimensionale Konstrukt „Inklusion qua Coaching“ wurde zwecks Operationalisierung in die Dimensionen Coach, Führungskraft, Zusammenarbeit der vorgenannten Akteure sowie unternehmerische Rahmenbedingungen differenziert. Anschließend wurde ein Leitfaden für die Durchführung der teilstrukturierten Interviews erstellt. Um die Funktionalität des Interviewleitfadens zu reflektieren, wurde zunächst ein Pretest durchgeführt.
Die gewonnenen Informationen sind mit Hilfe der Methode zur qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring untersucht worden.
Die Interviewteilnehmer waren Coaches und Klienten von verschiedenen Unternehmen, die bereits ein Coaching in Anspruch genommen haben. Die qualitative Forschung beinhaltete dabei die folgenden Forschungsfragen:
Coaching ist ein Konzept, das hilft, die Unausgesprochenheit von Dingen, in diesem Falle von Ängsten, zu überwinden. Es kann sowohl unerfahrene als auch erfahrene Führungskräfte dabei unterstützen, das Thema Angst zu enttabuisieren. Dazu kann das Coaching zur Angst-Aufklärung dienen, sodass eine bessere Kenntnis der Krankheit und der Folgen zu einem besseren Umgang mit Ängsten führen kann. Des Weiteren kann diese Methode Führungskräfte dabei unterstützen, Ängste von Mitarbeitern zu erkennen und diese auch kommunizieren zu können. In diesem Zusammenhang liefert Coaching hilfreiche Instrumente in Form von Fallbeispielen oder Rollenspielen, die einen Perspektivenwechsel ermöglichen.
Wie vielfältig die zur Verfügung stehenden Werkzeuge im Coaching dabei sein können, wird exemplarisch an den Aussagen eines teilnehmenden Coachs deutlich. Qualitativ angeleitetes Coaching mit Pferden kann das Auftreten der Führungskraft widerspiegeln, sodass diese Reflexionsmethode, abgerundet mit einem Transfer in die eigene Arbeitswelt, das Führungsverhalten verbal sowie nonverbal verbessern kann. Durch Inanspruchnahme eines Coachings kann auch ein Konzept zum Umgang mit Angsterkrankungen erarbeitet werden, sodass die Kommunikation von Ängsten unternehmensübergreifend verändert werden kann.
Die persönliche Entwicklung der Führungskraft kann durch Coaching günstig beeinflusst werden. Hierdurch ist sie dazu befähigt, als Vorbild konstruktiv an ihrem Verhalten zu arbeiten. Auf Grundlage dessen kann die Führungskraft die Kommunikation zu ihren Mitarbeitern deutlich verbessern, Ängste offen ansprechen und durch angemessene Interventionen (Angstführung) unterstützend bei der Überwindung ebendieser zur Seite stehen.
Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass seitens der Führungskräfte eine strategische sowie eine operative Angstführung den Inklusionsprozess von Angsterkrankten fördern können. Die strategische Angstführung dient grundsätzlich der Beseitigung von emotionalen Dissonanzen. Dieser Vorgang beinhaltet vor allem die Verbesserung der Kommunikation im Unternehmen und kann durch die Inanspruchnahme eines Coachings gestützt werden. Dabei sollte die Chance zur Kommunikation jedoch beidseitig wahrgenommen werden.
Die Führungskräfte können durch ein angsterlaubendes Betriebsklima die Basis dafür schaffen, dass Mitarbeiter offen ihre Ängste thematisieren können. Dazu zählt auch, dass man Angsterkrankten die Chance einräumt, eine Anstellung im Unternehmen zu erhalten. Die operative Angstführung wiederrum setzt sich aus Instrumenten zusammen, die der Führungskraft im Hinblick auf eine Reaktion bezüglich eines angsterkrankten Mitarbeiters zur Verfügung stehen. Hier sind die Individualisierung der Arbeitsintensität und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten denkbar.
Wichtig anzumerken ist, dass die operativen Empfehlungen zur Angstproblematik in Unternehmen nur in Ergänzung zur im Coaching erlernten, strategischen Angstführung gesehen werden sollten. Die operative Angstführung ermöglicht es beispielsweise, in Krisen auf den angsterkrankten Mitarbeiter einzugehen – die strategische Angstführung wiederum dient der Prävention ebensolcher Krisen und bildet die Basis für ein nachhaltig angsterlaubendes Betriebsklima, das zusammen mit dem jeweiligen Coach geschaffen werden kann.
Während des Coaching-Prozesses zur Inklusion von Mitarbeitern mit generalisierten Ängsten können einige Herausforderungen auftreten. Zunächst ist das Finden eines Coachs schwierig, da das Thema Angst sehr speziell ist. Nicht jeder Coach ist mit der Thematik der Angsterkrankung vertraut. Somit muss ein Coach gefunden werden, der dieses Thema leisten kann und über die notwendige Expertise verfügt. Auch während der Zusammenarbeit kann es zu anspruchsvollen Situationen kommen. Das Coaching kann von der Führungskraft nicht akzeptiert sein oder die Führungskraft arbeitet nicht überzeugt mit, wodurch der Coaching-Erfolg infrage zu stellen ist. Somit ist die Freiwilligkeit Grundvoraussetzung für den Erfolg. Ein weiterer Einflussfaktor ist das Betriebsklima. Hierbei erleichtern Offenheit und Transparenz den Umgang mit Ängsten, mangelnde Kommunikation erschwert diesen wiederrum.
Auf Grundlage der vorangegangen Ergebnisse wurde ein Angst-Kompass entwickelt (siehe Rubrik Coaching-Tool), der auf dem Akronym FEAR basiert. Er soll als Praxishilfe für Coaches und Führungskräfte dienen und die strategische sowie operative Angstführung zusammenfassend darstellen. Im Sinne des aus dem Controlling entliehenen Begriffs des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses ermöglicht der FEAR-Zyklus es, einen strategischen und operativen Umgang mit Ängsten zu erlernen und stetig zu verbessern. Dabei ist der Prozess in vier unterminierte Phasen unterteilt (siehe Abb. 2).
Es ist wichtig abzugrenzen, dass Coaching kein Therapieersatz ist, sondern eine Methode darstellt, mit der Führungskräfte dabei unterstützt werden, adäquat auf Mitarbeiter dieser Krankheitsgruppe zu reagieren. Die Problembehandlung bei der Psychotherapie geht wesentlich tiefer als beim Coaching, da sich dieses auf die Bearbeitung von Herausforderungen im beruflichen Kontext beschränkt. Eine Psychotherapie darf weiterhin nur von approbierten psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten durchgeführt werden.
Das Coaching hat folglich nicht die Heilung von angsterkrankten Mitarbeitern zum Ziel. Vielmehr kann die Führungskraft mittels Coaching lernen, Anlaufstelle für angstbetroffene Mitarbeiter zu sein, Fehlentwicklungen, Leistungsminderungen und Veränderungen zuerst zu erkennen und diese zu kommunizieren. Coaching unterstützt dabei das Erkennen von Ängsten.
Angsterkrankungen sind nach wie vor mit Stigmata behaftet. Die Angsterkrankung ist die häufigste psychische Störung in Deutschland. Auch wenn Ängste nicht direkt sichtbar sind, so sollten Unternehmen nicht dem Trugschluss unterliegen, dass absence of proof automatisch proof of absence bedeutet – denn Angstbetroffene verstecken häufig ihre Ängste, um der Stigmatisierung zu entgehen. Schon Deming (2000; 59) hat im Kontext seiner 14 Management-Regeln gesagt: „Drive out fear.“ Diese Regel ist vor dem Hintergrund der eingangs präsentierten finanziellen Schäden durch Ängste in der Wirtschaft aktueller denn je. Dabei sollte nicht Ziel sein, Ängste zu beseitigen. Vielmehr sollte angestrebt werden, Ängste als Teil des menschlichen Naturells zu akzeptieren und, darauf aufbauend, einen adäquaten Umgang mit ihnen zu finden. Dies ist auch vor dem Hintergrund notwendig, als dass Arbeit eine existenzielle Bedeutung für alle Menschen, so auch für Angsterkrankte, innehat (Becker et al, 2014).
Es wurde auch ersichtlich, dass die Entstigmatisierung von Ängsten in Unternehmen wichtig ist, damit die Führungskraft als Ansprechpartner für angstbetroffene Mitarbeiter gelten kann. Dabei ergibt sich, dass Coaching eine geeignete Methode sein kann, um die Inklusion von Mitarbeitern mit generalisierten Ängsten aktiv zu fördern. Die Methode kann den Führungskräften Instrumente liefern, die eine Selbstentwicklung der Führungskraft ermöglichen und, als Konsequenz dessen, den Weg zu einem besseren Umgang mit Angsterkrankungen von Mitarbeitern ebnen. Auch Mitarbeiter können indirekt, in Form von Verhaltensänderungen der Führungskraft, vom Coaching profitieren.
Es ist notwendig, dass Unternehmen sich dem Thema Angstbewältigung aktiv öffnen. Das jeweilige Unternehmen kann durch die Einstellung von Mitarbeitern trotz Angsterkrankung und durch Inanspruchnahme eines Coachings zum adäquaten Umgang mit ebendiesen positiv in den virtuellen Sozialraum hineinwirken, weil es aufzeigt, dass Angsterkrankte soziale Rollen innehaben (Grüber, 2015). Weiterhin empfiehlt sich, dass die Führungskräfte aufmerksam sind und Veränderungen des Mitarbeiters auf der Ebene des beschreibbaren Verhaltens wahrnehmen. Ein Coaching kann hierbei helfen, ein Gespür für Verhaltensänderungen seitens der Mitarbeiter zu bekommen.
Darüber hinaus ist es sinnvoll, Prävention durch Coaching zu betreiben, um gesundheitserhaltende Bedingungen zu schaffen, Angsterkrankungen im Vorfeld zu verhindern bzw. das Risiko für die Entwicklung von Ängsten zu minimieren. Vor dem Hintergrund der sich im Inklusionsprozess von Angsterkrankten ergebenden Anforderungen an den Coach wäre auch denkbar, dass über eine Einführung der Begrifflichkeit des Angst-Coachings nachgedacht wird. So kann eine Spezifikation des allgemeinen Coaching-Begriffes geschaffen werden, damit das angstbezogene Coaching nicht nur inhaltlich, sondern auch begrifflich von anderen Coaching-Anlässen abgrenzbar ist. Dies würde den Unternehmen den Zugang zu geeigneten Angst-Coaches erleichtern.