Zum Ende einer erfolgreichen Coaching-Sitzung stellt sich immer die Frage: wie kann der Klient oder die Klientin die Erfahrungen und Erkenntnisse wirksam in die Arbeitspraxis übertragen? Klienten haben häufig wenig Spielraum und Zeit für das Coaching an sich – wie dann für das Rekapitulieren von erfolgreichen Prozessen und Einüben von neuen, meist komplexen Vorgehensweisen?
In der Coaching-Praxis nutze ich für diesen Zweck selbst entwickelte „Gaben“. Das sind Geschenke an die Klienten, die den Transfer unterstützten. Diese Gaben beziehen sich immer auf das Vorgehen in der jeweiligen Sitzung. Sie fußen auf theoretisch fundierten, komplexen Verfahren und Modellen. Gaben sind handliche Gegenstände, die speziell für ihr Einsatzgebiet sinntragend verändert werden. Damit wird die Gabe im Unterschied zum herkömmlichen „Reminder“ oder „Give-Away“ zum „Strukturhelfer“ (diesen Begriff verdanke ich Raimund Paugstadt), der ein komplexes Verfahren aus dem Coaching für den Klienten nachhaltig in Erinnerung bringt.
Die Gabe wird im Anschluss an die Bearbeitungsphase innerhalb einer Sitzung übergeben. Dieser „Akt“ ist didaktisch eingebettet in eine Vor- und Nachbereitung. Die Vorbereitung ist das Gespräch auf der Metaebene: Klient und Coach lösen sich vom gerade bearbeiteten Anliegen und reflektieren die Struktur des Vorgehens in der Coaching-Sitzung. Dann wird die Gabe überreicht und im Transfergespräch über ihre Nutzung reflektiert. Die Nachbereitung findet in einer kommenden Sitzung statt, in der über den Verbleib und die tatsächliche Anwendung der Gabe gesprochen wird. Nur wenn die Gabe eine hohe Passung an Thema und Klient aufweist und zur richtigen Zeit und in der richtigen Art übergeben wird, kann sie effektiv den Transfer unterstützen.
Ziel ist es, dem Klienten das Anwenden neuer Deutungsmuster oder Verhaltensweisen im Arbeitsalltag zu erleichtern. Die an das Vorgehen im Coaching erinnernde Gabe ist für den Klienten ständig präsent und griffbereit, sei es auf dem Schreibtisch oder im Auto, in der Aktentasche oder an der Werkbank. Damit wird ein ständiges Erinnerungs- und Lernangebot konkret in die Arbeitsumgebung des Klienten transportiert. Das bedeutet eine direkte Veränderung des Arbeitsumfeldes als Ausgangspunkt für Transfer-Motivation.
Gaben fußen auf theoretisch fundierten, komplexen Verfahren und Modellen wie zum Beispiel dem „Wertequadrat“ (Schulz von Thun), der „intensiven Vorklärung“ (Thomann) oder dem „inneren Team“ (Schulz von Thun). Gaben sind handliche Gegenstände wie Würfel, Spielfiguren oder Spiegel, die speziell für ihr Einsatzgebiet sinntragend verändert werden. Dies geschieht beispielsweise durch das Aufdrucken oder Aufbringen von kurzen Texten oder einer anderen kreativen Weiterverarbeitung.
Am Beispiel einer Coaching-Sitzung, in der mit dem Modell der „Intensiven Vorklärung“ nach Christoph Thomann gearbeitet wurde, wird im Folgenden die Transfersicherung mit einer Gabe beschrieben. Da sich Gaben immer auf bestimmte Modelle oder Strukturen beziehen, sei zunächst das Vorgehen nach Thomann erläutert.
Der Klient, Herr S., Anfang Fünfzig, Leiter der Marketing-Abteilung in einer mittelständischen inhabergeführten Werbeagentur mit circa 30 Mitarbeitern, nutzt das Coaching, um mehr Kompetenzen für Konflikte und kritische Situationen mit Mitarbeitern und Kollegen zu erlangen. Ein wiederholt genanntes Beispiel für sein – persönlich als Versagen erlebtes – Verhalten, ist die dauerhaft kritische Kommunikationssituation mit Herrn H., dem für das Webdesign zuständigen Kollegen.
In der Bearbeitungsphase nimmt der Klient den Vorschlag an, diese Situation beispielhaft in den Fokus zu nehmen und vor einer Lösungssuche zunächst systematisch Zusammenhänge, Beziehungen und Hintergründe zu klären. Die fünf Leitfragen der Thomann‘schen Vorklärung bieten hierfür eine äußerst hilfreiche Struktur.
Mithilfe eines Organigramms verdeutlicht Herr S. seine Position und die von seinem Kollegen H. im Unternehmen. Er selbst zeichnet das Organigramm am Flipchart und kommentiert die verschiedenen Positionen. Es wird deutlich, dass eine reibungslose Auftragserfüllung ganz wesentlich von einer guten Kommunikation zwischen beiden abhängt.
Die Auswahl und die genaue Beschreibung einer konkreten Situation, in der sich das konflikthafte Geschehen wie in einem Brennglas bündelt, eröffnet ein vertieftes Verständnis für das Erleben und Bewerten des Konfliktes durch den Klienten. Er erinnert sich an eine Schlüsselsituation, in der es um die Weitergabe eines Kundenwunsches von ihm an Herrn H. ging. Es wird deutlich, wie angestrengt und gleichzeitig übervorsichtig die Kommunikationsversuche von ihm in Richtung seines Mitarbeiters waren. Auf die Bitte, eine Zeichnung anzufertigen, malt sich der Klient selbst hinter einer riesigen Sprechblase mit vielen Erklärungen und Begründungen, wobei er seinen Mitarbeiter in abgewandter Haltung mit geschlossenen Augen zeichnet. Seinen spontanen Kommentar „Vielleicht rede ich einfach zu viel“ notiere ich mit seinem Einverständnis mit Fragezeichen versehen an den unteren Rand des Flipcharts.
Die Klärung der inneren Situation des Klienten im Konflikt hebt die Bedürfnisse, Gefühle und inneren Stimmen in den geschützten Rahmen des Coachings. In diesem Fall wird nun sehr deutlich, dass Frustration, Selbstzweifel und Wut auf Herrn H. für den Klienten im Vordergrund stehen. Gleichzeitig fühlt er aber auch Sorge darum, immer tiefer in dieses Kommunikations-Chaos zu fallen. Auch verspürt er den Wunsch, einen neuen Weg der Zusammenarbeit mit seinem Mitarbeiter zu finden, um die Arbeitsatmosphäre zu entlasten. Zur Verdeutlichung fertigt er eine weitere Zeichnung an, die ihn inmitten all seiner widerstreitenden Gefühlswelten zeigt.
Die vierte Frage legt den Fokus auf die Zukunft: „Wenn Sie zurückblicken, was wir bis jetzt besprochen und hier auf den Flipcharts festgehalten haben, wie lautet in einem Satz zusammen gefasst Ihr Ziel? Was genau möchten Sie erreichen?“ Der Klient formuliert schließlich die zielführende Frage: „Wie kann ich H. den Kundenwunsch klar und transparent mitteilen und mir die Umsetzung gewiss sein?“
Die fünfte und letzte Frage gilt der Formulierung einer treffenden Überschrift oder Schlagzeile für das Geschehen. Hierdurch wird eine Einordnung und Eingrenzung – und manches Mal auch eine „Normalisierung“ – unterstützt. Herr S. setzt die Überschrift: „Gleicher Wissensstand ermöglicht Umsetzung!“
Nach dieser intensiven Vorklärung, die circa 45 Minuten in Anspruch nimmt, gehen wir mit Hilfe kreativer Methoden in die Lösungsarbeit, wobei die beschriebenen Flipcharts immer in Sichtweite blieben. Das Ergebnis: Der Klient plant einerseits, seinen Mitarbeiter stärker in direkte Kundengespräche einzubinden und andererseits entwickelt er ein systematisches Vorgehen, wie er Mitteilungen an ihn planen, geben und deren Umsetzung kontrollieren kann. Dadurch fühlt er sich gerüstet für die kommenden Absprachen mit Herrn H., und er nimmt sich konkret vor, über neue Formen der Zusammenarbeit mit ihm zu sprechen.
Für die kommende Sitzung planen wir die Überprüfung dieses Vorgehens. Diese „reife“ Lösung, erarbeitet vom Klienten, kann durch die reflektierte Vorarbeit nach dem Thomann-Modell flüssig und in hoher Passung auf Person, Thema und Beziehung erreicht werden. Die „intensive Vorklärung“ ebnet also den Weg für komplexe und passgenaue Lösungen.
Nach dieser erfolgreichen Analyse- und Lösungsarbeit stellen sich die Fragen:
Wenn der Klient mit dem systematischen Vorgehen gut zurecht kommt und die Lösungserarbeitung dadurch wesentlich gefördert wurde, kann auf der Metaebene die angewendete Methode reflektiert werden. Im hier beschriebenen Fall resümieren wir mit Hilfe der angefertigten Flipcharts die fünf Erkenntnis leitenden Fragen. In diesem Resümee wird der Fokus auf die unterschiedlichen Perspektiven und Erkenntnismöglichkeiten, die die fünf Fragen eröffnen, gelegt. Ein kleiner Input über die Methode, das Vorgehen und ihre Vorteile unterstützt die Überleitung vom konkreten Anliegen hin zur Struktur der Bearbeitung. Denn jetzt steht das generelle Vorgehen der „intensiven Vorklärung“ im Mittelpunkt.
Da auch der Klient die Erfahrung machte, dass sich durch die Vorklärung die Lösungen förmlich aufdrängten, formuliert er die Hoffnung, zukünftig dieses Vorgehen für sich weiter zu nutzen und vielleicht auch schwierige Gespräche auf diese Art vorbereiten zu können.
Solche Hinweise sind ein deutliches Signal, dass der Klient die Struktur, die hinter der Bearbeitung des aktuellen Anliegens liegt, versteht und für sich als hilfreich anerkennt. Dies sind entscheidende Vorbedingungen, um eine Gabe einzusetzen. In diesem Falle sind die Vorbedingungen also erfüllt und die Gabe „Würfelyse“, ein mit den fünf Kernfragen beschrifteter Würfel, kann dem Klienten übergeben werden.
Für diesen Akt bieten sich eine Anmoderation wie diese an: „Ich möchte Ihnen ein Geschenk machen, von dem ich überzeugt bin, dass es Ihnen dabei helfen wird, zukünftig ähnlich schwierige Situationen zu meistern.“ Anschließend wird die Gabe vorgestellt und ihre Anwendungsmöglichkeiten besprochen. Mit dem Klienten reflektiere ich den Einsatz der „Würfelyse“ für das Thema Gesprächsvorbereitung, da der Klient selber dieses Thema kurz zuvor eingebracht hat.
Die „Würfelyse“ mit den fünf Erkenntnis leitenden Fragen nach Thomann kann der Klient nun jederzeit konsultieren. Damit wird die Gabe zu einem Angebot, den weiteren Lernprozess und das Lernergebnis in die eigene Verantwortung zu übernehmen.
In der kommenden Sitzung gilt es, den Verbleib und die weitere Nutzung der Gabe vertiefend zu erfragen. Eine möglichst lockere und offene Eröffnung unterstützt den entspannten Austausch über die Nutzung der Gabe. Zum Beispiel: „In der vergangenen Sitzung übergab ich Ihnen die Würfelyse – nun bin ich neugierig: Was ist daraus geworden?“
Im Falle von Herrn S. wurde die „Würfelyse“ auf dem Schreibtisch in Reich- und Sichtweite deponiert und war für ihn bereits zu einem hilfreichen Tool geworden. Als Unterstützung im Selbst-Coaching gelang es ihm zudem, sich mit Hilfe der aufgedruckten fünf Fragen auf einen schwierigen Kunden besser einzustellen.
Es ist sinnvoll in der Nachbereitung nicht nur nach dem aktuellen „Wie“ zu fragen, also, in wie weit die Gabe genutzt wird, sondern genauer nachzufragen und auf die Zukunft zu schauen, beispielsweise: „Wann genau ist es hilfreich gewesen?“ „Was genau war daran hilfreich?“ „Wie können Sie wohl in Zukunft diese Struktur oder dieses Modell nutzen?“ Angeregt durch diese Fragen reflektiert der Klient weitere Einsatzmöglichkeiten in seinem Arbeitsgebiet. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass er dieses im Coaching neu erworbene Vorgehen in sein Verhaltensrepertoire übernimmt.
Jeder Coach kann sich seine eigenen Gaben herstellen – sie müssen zum Coach und seinem Vorgehen passen. Voraussetzung für die Herstellung von Gaben ist eine gewisse Kreativität in der Entwicklung von „Repräsentanten“ für die jeweiligen Strukturen, Modelle und Vorgehen, die der Coach im Coaching-Alltag bevorzugt anwendet. Gaben sollten einen gewissen „Pfiff“ haben, sie sollten schön anzuschauen oder anzufassen und dennoch sinntragend und strukturgebend sein. Allzu Seichtes oder Oberflächliches wird von Klienten im besten Falle freundlich angenommen, jedoch kaum zu Prozessen selbstorganisierten Lernens genutzt.
Gaben, richtig entwickelt und eingesetzt, sind didaktisch und inhaltlich erweiterte „Give-Away“ oder „Reminder“, die die Klienten in die Lage versetzen, nach dem Coaching neue und erfolgreiche Deutungs- und Verhaltensmuster einzuüben und nachhaltig in das eigene Verhaltensrepertoire zu übernehmen. Coachs entlassen damit ihren Klienten nach dem erfolgreichen Coaching-Prozess einerseits in die Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit, bleiben aber durch die „ertastbare“ Gabe andererseits weiterhin präsent.
Vor dem Einsatz von Gaben ist die Dokumentation der Coaching-Sitzung unumgänglich, um nach der Bearbeitung Erfolg versprechend auf der Metaebene die Struktur des Vorgehens in den Fokus zu nehmen. Erfahrungsgemäß ist es für Klienten zunächst ein Angang, sich vom aktuellen Anliegen zu lösen und „auf den Berg zu steigen“, um von oben auf das Geschehen zu schauen. Je besser die Dokumentation aus der Bearbeitungsphase (beispielsweise sollten Flipcharts immer eine Überschrift aufweisen), desto einfacher der Weg „auf den Berg“, also das Erreichen der Metaebene.
Weitere wesentliche Vorbedingungen sind, dass der Klient die angewendete Methode oder das Modell versteht und für sich als hilfreich anerkennt. Der Coach muss sehr genau darauf achten, in wie weit der Klient persönliche Nutzenerwartungen formuliert. Das Überreichen und Erläutern der Gabe ist ein didaktischer Akt, der Zeit und Aufmerksamkeit verdient. Für diese Intervention muss ausreichend Zeit und Ruhe eingeplant werden.
In der Nachbereitung der tatsächlichen Nutzung der Gabe sollte der Coach sich um eine neugierig distanzierte Haltung bemühen. Auch wenn noch so viel Herzblut in der Entwicklung der Gabe liegt, wenn der Klient diese nicht als passend oder hilfreich empfindet, gilt es, die Suche nach angemesseneren Transfer-Unterstützungen aufzunehmen!
Die intensive Vorklärung dauert circa 45 Minuten. Die ersten beiden Transfer-Schritte können auch noch einmal circa 45 Minuten in Anspruch nehmen.