Coaching-Tools

Fundamente

Ein Coaching-Tool von Ralf Gasche

13 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2022 am 16.11.2022

Kurzbeschreibung

„Fundamente“ ist ein Coaching-Tool, mit dem man Klienten vermitteln kann, wie sie sich in schwierigen persönlichen Zeiten aus eigener Kraft stabilisieren und mental sicher fühlen können. Sie lernen, wie sie in subjektiv als höchst instabil empfundenen Lebensphasen, die ihnen buchstäblich „den Boden unter den Füßen wegziehen“ auf tiefste Ressourcen und Lebensfundamente zugreifen und diese als sofort stärkende Visualisierungen zur Festigung ihrer Selbstsicherheit wirksam einsetzen können.

Anwendungsbereiche

Die Anwendung von „Fundamente“ kann in unterschiedlichen Phasen eines Coaching-Prozesses hilfreich sein und schnell Wirkung entfalten: (a) in den ersten Phasen (Kennenlernen, Beziehungsaufbau, Zielklärung und Analyse), um einem aufgewühlten Klienten bereits bei den ersten Schritten schnell ein pragmatisches Werkzeug zur Selbststabilisierung an die Hand zu geben, falls dies erforderlich sein sollte, und (b) in den weiteren Phasen (Alternativszenarien und neue Wege entwickeln sowie Transfersicherung und Abschluss), um in der Umsetzungs- und Etablierungsphase unterstützend Kraft geben zu können.

Zielsetzung & Effekte

Im Coaching gibt es oftmals Situationen oder Phasen, in denen der Klient erkennen lässt, dass er sich destabilisiert und in Teilen handlungsunfähig fühlt. Ursächlich hierfür können viele Faktoren sein, die auf den Klienten einwirken. Entscheidend für den Einsatz des Tools ist die subjektive Wahrnehmung von Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, Schwäche, Bedrohung, Unsicherheit, Destabilisierung und ähnlichen Selbstbeschreibungen des Klienten. Unabhängig von einer eventuellen gezielten Bearbeitung ursächlicher Faktoren hierfür (kongruent zur Zielsetzung des Gesamt-Coaching-Prozesses) hat der Coach mit dem Tool „Fundamente“ ein Werkzeug an der Hand, mit dem es seinem Klienten gelingen kann, seine Lebens-Balance für den Moment schnell und wirksam wieder herzustellen. Es eröffnet dem Gegenüber die Möglichkeit, aus eigenen Kräften und in Kontakt mit seinen eigenen Fähigkeiten eine bessere mentale Ausgangssituation für die Bewältigung seines Lebens und für seinen weiteren Coaching-Prozess herzustellen. Dies schafft psychische Erleichterung sowie eine Minderung des Gefühls, ausgeliefert zu sein, und gibt dem Klienten das erforderliche Maß an Entspanntheit. Ein Boden für weitere konstruktive Schritte zur Erreichung der eigentlichen Coaching-Ziele ist damit gelegt.

Ausführliche Beschreibung

Ausgangsbasis zur Anwendung des Tools „Fundamente“ bildet die Fähigkeit des Coachs, zu erkennen, dass sich sein Klient in einer außergewöhnlich instabilen Situation befindet, die seine aktuelle Lebenssituation dominiert und es ihm offensichtlich nicht gut geht, er sich nicht sicher genug fühlt, die für ihn gewünschten Maßnahmen zu ergreifen, und er Unterstützung benötigt. Hinweise auf eine entsprechende Ausnahmesituation bei dem Klienten sind neben der körpersprachlichen und mimischen Ausdrucksweise Äußerungen wie: Mir zieht es gerade den Boden unter den Füßen weg. Ich kann mich auf nichts anderes mehr konzentrieren, so groß ist meine Aufregung, Enttäuschung und Frustration. Alles bricht weg. Ich fühle mich so ausgeliefert. Nichts und niemand ist mehr für mich da. Ich bin verzweifelt. Nimmt der Coach diese oder ähnliche Äußerungen von seinem Klienten wahr, sollte er sich zeitnah primär auf das Schaffen einer sicheren Lebenssituation bei seinem Klienten fokussieren und kann als schnelle Unterstützung – unabhängig von der Phase des Coaching-Prozesses – die Arbeit mit dem Tool „Fundamente“ anbieten:

Start: „Lieber Klient, ich habe das Gefühl, dass Sie sich nicht umfänglich sicher genug fühlen, die nächsten – für Sie hilfreichen – Schritte selbstbewusst zu gehen. Wenn Sie mögen, können wir uns ein Werkzeug für Sie genauer ansehen, das Ihnen helfen wird, Ihre Basis und Kraft wiederzufinden, um die von Ihnen formulierten neuen Schritte zu gehen und Ihre Ziele für sich zu erreichen. Es wird Ihnen Ihre Fähigkeiten und Ihre wirklichen Fundamente in Erinnerung rufen, die Sie tragen. Ich würde mich sehr freuen, mit Ihnen zusammen Ihre persönlichen Fundamente zu identifizieren. Wie klingt das für Sie? Sollen wir es ausprobieren?“

Der Coach kann dem Klienten bei der Entwicklung seiner individuellen Fundamente und stützenden Elemente mit einem Angebot von Bildern und Analogien zur Seite stehen oder diese Auswahl ganz dem Klienten überlassen. Dies hängt von dessen persönlichen Visualisierungs-, Fantasie- und Vorstellungsfähigkeiten ab.

Ablauf

Der Coach erläutert die Funktionalitäten und die Möglichkeiten des für den Klienten neuen Werkzeugs und hilft ihm zunächst bei der Suche nach den persönlichen Dingen, Erinnerungen, Fähigkeiten und Beziehungen, die ihn tragen bzw. tragen könnten. Denn wir lassen uns zu oft von äußeren Faktoren ablenken und vergessen dabei, dass es Dinge gibt, die uns unabhängig von den Umgebungsfaktoren immer und zuverlässig zur Verfügung stehen und uns festen Halt geben. Oft haben wir diese Stärken und Erfahrungen nur vergessen oder erachten sie als nicht so wichtig.

Der Klient muss sich nun auf die Dinge, Umstände, Menschen, Beziehungen, Erinnerungen konzentrieren, die schon jetzt für ihn da sind und ihn tragen. Der Coach regt den Reflexionsprozess an: „Bestimmt gibt es Erfahrungen, Erfolge, Hobbys oder Beziehungen etc., die Ihnen wirklich Halt und Sicherheit geben und in Ihnen ein schönes Gefühl erzeugen, wenn Sie an sie denken.“ Kurze Wartezeit, dann: „Was kommt Ihnen hierzu alles in den Sinn?“

Erfahrungsgemäß wird es – nach einer kurzen Besinnungszeit und dem „Umschalten“ nach innen zu den eigenen Gedanken und Fähigkeiten – eine Reihe von Fakten und Themen geben, die dem Klienten hierzu einfallen. Es empfiehlt sich, entweder den Klienten zu bitten, diese wichtigen Bereiche und Erinnerungen selbst für sich aufzuschreiben, oder ihn zu unterstützen und alle tragenden Fundamente auf ein Flipchart oder im digitalen Raum in ein geeignetes Medium zu schreiben. Wichtig an dieser Stelle ist es, dass alle Punkte intensiv betrachtet und erfasst werden. Durch die Fokussierung werden sie ihre erste Kraft entfalten und den Klienten merklich stärken.

„Was fällt Ihnen noch ein?“ Mit dieser zunächst unscheinbar wirkenden Frage wird das Gegenüber zur erneuten Suche nach bisher nicht entdeckten Antworten motiviert und der Klient ermutigt, tiefer in Erinnerungen und Verknüpfungen zu „graben“, um weitere hilfreiche Fakten zu entdecken. Und noch einmal: „Was noch?“ In diesen Momenten ist die innere Haltung des Coachs von großer Bedeutung. Sie sollte eine ruhige, stützende und positive Ausstrahlung vermitteln. Die unerschütterliche Gewissheit des Coachs – vor allem an dieser Stelle – entscheidet, ob es dem Klienten gelingt, die Sicherheit der Überzeugung zu entwickeln. Sie stärkt die Überzeugung, dass es diese Dinge gibt und es sich lohnt, sich entsprechend entschlossen auf die Suche zu begeben. Zweifel werden hierdurch wirksam entkräftet.

Beispiele für die hier gewonnenen tragenden Themen und Faktoren, die als Ausgangsbasis für das Tool geeignet sind und mit Hilfe des Coachs bewusst gemacht werden können, finden sich auf sechs verschiedenen Ebenen, welche die zeitlichen Perspektiven der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft umfassen: (1) Wer bist du? (2) Was kannst du? (3) Was hast du? (4) Was war früher? (5) Was ist jetzt? (6) Was ist zukünftig möglich? Im Einzelnen:

Vergangenheit

Erfolge und Erfolgserlebnisse (Privat, Hobby, Beruf, Sport, Kunst, Kultur), besondere Ausbildungen, Erinnerungen an schöne Reisen, Wanderungen oder Fahrten, Natur, schöne Landschaften, tolle Bauwerke, Städte, Shoppingerlebnisse, besondere Glücksmomente, überwundene Schwierigkeiten und Krankheiten, erreichte Ziele, erlebte Genusssituationen (schönes Essen, schöne Dinge und Orte, die mit positiven Erinnerungen aufgeladen sind, Musik, Bilder sowie lustige Situationen), erlebte eigene Körperlichkeit und Sexualität.

Gegenwart

Gesundheit, nahestehende Menschen, wie die eigene Familie (Partnerschaft, Kinder) und die Herkunftsfamilie (Eltern, Großeltern, Geschwister) sowie Freunde, Kollegen, Nachbarn, bestimmte Vorbilder, aktuelle positive Lebenssituationen (Wohnung, Haus, Garten, Heimat), finanzielle Situation (Erspartes, Einkommen, Sicherheit), schöne Dinge und Symbole, die eigenen Fähigkeiten (Stärken, Aussehen, Leistungsfähigkeit, bestimmte Eigenschaften, Intelligenz, Resilienz, Ideenreichtum, Kreativität, Durchsetzungsfähigkeit, Hartnäckigkeit, Liebeswürdigkeit, Großherzigkeit etc.).

Zukunft

Positives, das in Kürze eintreten wird, mittel- und langfristig erstrebenswerte Ziele (Privat, Beruf, Reise, Hobby, Sport, Gesundheit), Ideen für alternative Lebensmodelle, Lösungen für die momentanen Probleme und Herausforderungen, entlastende Vorstellungen, Coaching-Ziele.
 

Im nächsten Schritt entwickeln Coach und Klient das persönliche Bild der Fundamente. Der Coach bestärkt den Klienten vorab nochmals, um eine positivere Selbstwahrnehmung zu unterstützen: „Ich freue mich sehr, dass wir jetzt einige sehr überzeugende Faktoren gefunden und aufgeschrieben haben, die stabil in Ihrem Leben existieren, die für Sie da sind und Ihnen Halt geben! Wenn ich Ihnen das Feedback geben darf: Sie strahlen für mich bereits in diesem Moment deutlich aus, dass Ihnen diese Gewissheit sehr guttut.“ Dann wird der Klient gebeten, aufzustehen und im Raum umherzugehen (das ist auch bei digitalen Sitzungen machbar, abhängig von der jeweiligen Raumsituation des Klienten). Dabei stellt er sich vor, dass jeder seiner Schritte von einem Balken, einem dicken Brett, einem großen Stein oder einem anderen Fundament seiner Wahl getragen wird. Bei jedem Schritt, egal wie lang und in welche Richtung, gilt: Die Fundamente sind für den Klienten in diesem Gedankenspiel immer da. Nun geht es darum, welche Bilder ihm spontan hierzu bzw. zu dieser Situation einfallen.

Der Coach kann hier gut ermutigen und anleiten: „Malen Sie die Bilder ruhig fantasievoll aus, geben ihnen Farben und Formen, eine spezielle Oberflächenbeschaffenheit und weisen ihnen eine bestimmte Lage im Raum zu, so dass Sie komfortabel und sicher auf Ihnen gehen können. Vielleicht reihen sich die Fundamente nacheinander vor Ihnen auf oder befinden sich sternförmig um Sie herum, das tragende Zentrum genau unter Ihnen? Wie auch immer, sie sind so, wie es sich für Sie gut anfühlt.“

Im Anschluss wird jedem dieser Fundamente eines der vorhin erarbeiteten tragenden Themen im Leben des Klienten gewidmet. Die Fundamente werden entsprechend benannt. Auch hier ist es gut, wenn der Coach motivierend zur Seite steht und den Klienten – zwecks zusätzlicher Verankerung positiver Gefühle – dazu anregt, die Wirkung der Fundamente auch körperlich zu erfahren: „Gehen Sie auf Ihren Fundamenten sicher durch die Welt und spüren Sie, welche Kraft sich mit jedem Schritt unter Ihnen entfaltet und jedes der Themen einzig und allein für Sie da ist. Immer und absolut zuverlässig. Es gehört unzertrennlich zu Ihnen und ist durch und durch Sie. Spüren Sie es? Egal wohin Sie sich wenden und wohin Sie gehen, die Fundamente sind da.“

Im weiteren Verlauf erarbeitet der Coach mit dem Klienten die einzelnen Fundamente und bestätigt ihre Fähigkeit, ihn stets und sicher zu tragen. Es kommt weniger darauf an, viele Fundamente zu finden, sondern die wesentlichen starken Themen im persönlichen Leben des Klienten zu identifizieren, die ihm Kraft und Zuversicht geben, und diese in dem Bild der Fundamente für den Lebensalltag nutzbar zu machen.

Variation

Für einige Klienten kann es sehr hilfreich sein, vor dem Zusammenstellen der einzelnen, ihn stabilisierenden Themen, zunächst das Bild der tragenden Balken, Steine, Untergründe sowie Fundamente kennen zu lernen und für sich zu entfalten, um möglichst schnell wieder Boden unter den Füßen zu spüren. Das Gefühl, wieder etwas zu „sehen“ oder zu empfinden, das sie trägt, ist für viele Klienten in der Tat sehr hilfreich, sogar erleichternd. Oft ergibt es sich parallel zu den entstehenden Fundament-Bildern, dass sich der Klient in der Situation an persönliche Stärken oder Gefühle erinnert, die er als sehr passend zu dem gerade für ihn tragenden Bild empfindet. Mit Empathie, sensiblen Fragen und Hinweisen kann der Coach die sich entwickelnde Stabilität zusammen mit dem Klienten ausbauen sowie situativ und pragmatisch beim Gehen im wahrsten Sinne Schritt für Schritt stärker werden lassen. Hierfür bietet es sich an, sofern die Coaching-Situation es in diesem Moment ermöglicht, das Coaching in die Bewegung zu bringen und mit dem Klienten an einen geeigneten Ort zu gehen, der die Möglichkeit bietet, die tragenden Bilder zu verstärken. Das kann ein großer Raum, aber auch ein Ort draußen in der Natur oder in der Stadt sein. Der Erfolg wird von der persönlichen Präferenz des Klienten unterstützt werden, sich einen passenden Ort aussuchen zu können und im Gehen sein Fundament „auszuprobieren“.

Falls sich gute und überzeugende Bilder und Fundamente gefunden haben, die dem Klienten weiterhelfen, kann als Aufgabe bis zur Folgesitzung die Weiterentwicklung und Festigung der neuen Visualisierung dienen. Der Klient ist gefordert, in möglichst vielen Lebenssituationen an seine neuen fundamentalen Bilder zu denken und sie zur Unterstützung aufzurufen.

In einigen Fällen kann es einer weiteren Verstärkung der Visualisierung bedürfen. Es sollte zunächst in Eigenarbeit durch den Klienten eine weitere Suche nach Bildern und sicheren Lebensthemen erfolgen, um nach und nach etwas für sich zu finden, das subjektiv geeignet ist, mehr Stabilität in seinem Leben zu erzeugen. Eine dichte Begleitung und eng getaktete Sitzungen werden hierbei sicherlich sehr hilfreich sein.

Voraussetzungen & Kenntnisse

Coaches sind mit diesem Tool gefordert, sehr empathisch und sensibel zu spüren, wo der Klient Instabilität empfindet. Zugleich ist es ihre Aufgabe, unterstützend zur Seite zu stehen, um den Klienten mit allen Sinnen sowie mimisch und körpersprachlich zu ermutigen, sämtliche Fähigkeiten, Erinnerungen, Vorstellungen und Lebensrealitäten hervorzuholen, die tragend wirken können. Hierzu werden eine große Selbstreflexion und Selbstarbeit seitens des Coachs hilfreich sein, um eine eigene stabile Resilienz als Muster zur Verfügung zu haben, an dem sich sein Klient orientieren kann. Sehr hilfreich ist es darüber hinaus, wenn der Coach Beispielsituationen aus seinem eigenen Leben anbieten kann, die mit Hilfe des Tools bewältigt werden konnten.

Persönlicher Hinweis

Die Anwendung des Tools ist für den Klienten eine dichte, beeindruckende und zumeist nachhaltig verändernde Lebenserfahrung, die sensibel und mitfühlend sowie gleichzeitig selbstbewusst und optimistisch begleitet werden sollte. Der Coach sollte erfahren genug sein, sich zu trauen, eigene Erlebnisse empfundener Schwäche und Hilflosigkeit einzubringen und dem Klienten als bewältigte Erfahrung anzubieten, um ihn in seinem eigenen Weg zu stärken. Der Erfahrung des Autors nach geben gerade diese authentischen Momente den Klienten großen Halt in ihren gerade als sehr unsicher empfundenen Lebenssituationen.

Technische Hinweise

Wie in den meisten Coaching-Sitzungen empfiehlt es sich, gute Visualisierungsmöglichkeiten vorzubereiten: Flipchart, Papier, Stifte, entsprechend geeignete digitale Tools und vor allem eine intensive Selbstvorbereitung. Das Tool entfaltet eine große Tiefe und emotionale Berührung auf beiden Seiten.

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