In einer von Arbeitsverdichtung und Agilität geprägten Arbeitswelt tritt der Mensch wieder verstärkt in den Vordergrund und damit auch die Frage, wie eine gelungene Balance zwischen Arbeitsanforderungen und den menschlichen Fähigkeiten sowie Bedürfnissen erhalten werden bzw. entstehen kann. Lebenslanges Lernen und der Umgang mit permanenten Veränderungen gewinnen wieder an Bedeutung im unternehmerischen Alltag.
Sogenannte „Business“ oder „Serious Games“, also Spiele mit ernsthaftem Hintergrund, werden bereits in der Aus- und Weiterbildung erprobt; die oft digitalen Spiele übernehmen die Aufgabe, komplexe Anforderungen in einer spielerischen Umgebung effektiver vermittel- und erlernbar zu machen. Zum Tragen kommt dabei die Annahme, dass sich selbstgesteuertes Lernen und die dadurch erlebten Freiheitsgrade positiv auf die Lerneffekte auswirken. Der Einsatz von interaktiven Spielen als Lern- und Trainingsmedium und deren motivationalen Wirkungen werden u.a. in der Pädagogik diskutiert (Hoblitz, 2015). Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass im Spiel ein sogenanntes Flow-Erleben (Csikszentmihalyi, 1992) erzeugt wird, in dem der Lernende ganz in seiner Aktivität aufgeht und so angeregt durch das Tun eher intrinsische Motivation entwickelt, die u.a. für mehr Nachhaltigkeit des Gelernten sorgen soll.
Im Team-Coaching geht es wie in allen Coaching-Prozessen darum, die eigenen Verhaltensweisen zu reflektieren und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Durch systematische Problem- und Selbstreflexion unterstützt der Coach konkrete Veränderungen. Häufiger Anlass für ein Team-Coaching sind zwischenmenschliche Konflikte oder Leistungsprobleme. Dagegen sind Team-Coachings, die die psychische Gesundheit verbessern sollen bzw. an der Reduzierung von Stress und Belastungen ansetzen, noch nicht allzu weit verbreitet.
Charakteristisch für ein Team-Coaching ist es, dass das Team – unterstützt durch interaktionsfördernde Interventionen des Coachs – in der Auseinandersetzung mit dem Problem selbst die Lösung entwickelt. Durch verändertes Verhalten oder gezielte Nutzung der Ressourcen im Unternehmen soll das Team seine Ziele effektiver erreichen, als es ihm bisher gelungen ist (Greif, 2008).
Anders als im Einzel-Coaching moderiert der Team-Coach die Lösungsfindung, indem er die Auseinandersetzung und Interaktion zwischen den Teammitgliedern herbeiführt und Impulse zur Weiterentwicklung gibt. Eine besondere Rolle spielt dabei die Aktivierung von Ressourcen, die in den Fähigkeiten der Teammitglieder, in der Zusammenarbeit des Teams oder in der Mobilisierung von bislang noch nicht genutzten bzw. unentdeckten Ressourcen der Organisation liegen können.
In Team-Coaching-Prozessen, ist es für den Coach mitunter herausfordernd, die Teammitglieder dafür zu sensibilisieren, sich in einen Veränderungsprozess zu begeben bzw. sich mit Problemen ihrer Arbeitssituation auseinanderzusetzen. Der Einsatz eines Spiels hat in der Anfangsphase des Team-Coaching-Prozesses den Nutzen, dass die Teammitglieder durch dieses viel schneller ins Geschehen hineinkommen und typische unternehmerische Problemsituationen und Zwänge hautnah erleben. Das Spiel übernimmt in dieser Phase die Rolle des Coachs als Impulsgeber, um an den Problemen anzuknüpfen bzw. deren Reflexion zu fördern und die Lösungsfindung einzuleiten. Indem die Spielenden z.B. eine Aktionskarte ziehen und eine Alltagsaufgabe selbst gedanklich vorwegnehmen oder mit den anderen diskutieren müssen, wird bereits eine Art Probehandeln ausgelöst. Die Lösungsfindung findet im Diskurs mit den Teammitgliedern statt, die durch das Spiel „eingefordert“ wird.
Hierbei geschieht zweierlei: Zum einem werden konkrete Problemsituationen aufgeworfen und zum anderen wird durch die Lösungsfindung der Zugang zu den eigenen Ressourcen, die im Alltag oft nicht realisiert oder mobilisiert werden können, hergestellt. Im Spiel geschieht das erstmal ohne Zutun des Coachs, der als stiller Beobachter das Problembewältigungs- und Kooperationsverhalten des Teams als Ganzes bzw. der einzelnen Mitglieder in einer quasi Echt-Situation erlebt. Daraus können wiederum wertvolle Erkenntnisse für den weiteren Coaching-Verlauf gezogen werden, für die ein Coach üblicherweise ein sogenanntes „Shadowing“ braucht, in dem die Klienten in den für den Coaching-Prozess relevanten Situationen des Arbeitsalltages vom Coach begleitet werden.
Gerade zu Beginn eines Coaching-Prozesses muss ein Coach Offenheit und Vertrauen für die Auseinandersetzung erzeugen, die Bereitschaft vermitteln, andere Sichtweisen zu überdenken, und so den Grundstein für die Veränderungsbereitschaft legen. Auch diese Aufgabe kann ein Spiel übernehmen, indem es die Klienten – auch auf humorvolle Weise – zur Selbstreflexion aktiviert.
Häufig werden im Coaching-Prozess "Hilfsmittel" eingesetzt, die es dem Klienten ermöglichen sollen, Themen fokussiert und bildhaft zu veranschaulichen. Professionell eingesetzt, kann dadurch der Reflexionsprozess fokussiert und lösungsorientiert unterstützt werden. Dabei können ganz verschiedene Hilfsmittel zum Einsatz kommen, z.B. Spielfiguren, Bildkarten, Brettspiele etc. Hier finden Sie eine Auswahl von Hilfsmitteln, die im Coaching genutzt werden können.
Während des Spiels übernimmt der Coach die Rolle des Spielleiters, der zu Beginn den inhaltlichen Rahmen erläutert und die Spieldynamik erklärt. Das Spiel zu spielen, stellt für das Team eine Herausforderung dar, die es gemeinsam meistern soll. Der Coach tritt beim Spielen in den Hintergrund und lässt das Team spielen. Allerdings ist es wichtig, dass er anwesend ist. Nicht nur kann er – wie zuvor erwähnt – wertvolle Impulse der Teammitglieder aufnehmen, sondern zudem bei eventuellen Konflikten intervenieren. Auch kann er je nach Spielverlauf direkt im Anschluss des Spiels die gemachten Erfahrungen reflektieren lassen, z.B. wie die Teilnehmer das Spiel wahrgenommen haben und welche Aufgaben ihnen leicht und welche schwer gefallen sind.
Das Spiel ermöglicht den Teammitgliedern einen ungezwungenen Umgang miteinander: Es nimmt viel Druck von ihnen, wenn sie Verhaltensweisen, für die sie in der Realität womöglich schief angeguckt würden, frei aussprechen oder probieren können. Ihr Verhalten bzw. getroffene Entscheidungen haben im Spiel erstmal keine Konsequenzen, und die Klienten können auch Schwäche zeigen ohne die ständig ausgeprägte Selbstzensur. Durch die spielerische – und gerne auch humorvolle – Reflexion entstehen kreative Umsetzungsideen im Team, die sich im durchgetakteten, oft stressigen Alltag gar nicht erst entwickeln würden.
Insofern können Spiele auch als eine wertvolle Brücke zum persönlichen wie betrieblichen Veränderungsprozess dienen. Für den Coach ist es auf diese Weise mitunter leichter, Ideen und Diskussionen aus dem Spiel aufzugreifen und das Team zu unterstützen, Veränderungsstrategien für den beruflichen Alltag zu entwickeln (siehe dazu das Fallbeispiel im zweiten Teil dieses Beitrags, der in der kommenden Juli/August-Ausgabe des Coaching-Newsletters erscheint).
Auch Spielpausen, in denen der Coach die Teilnehmer dazu ermuntert, weiter zu diskutieren, sorgen für neue Impulse, die in der nächsten Spielrunde ausprobiert werden können. Beispielsweise können die Teilnehmenden neue Verhaltensweisen in konfliktreichen Situationen im Führungsalltag erproben. Dieses Lernen in Rückkopplungsschleifen mit Trial & Error erinnert an agile Entwicklungsmethoden wie Scrum oder Design Thinking: Die Zwischenlösungen werden immer an den Anforderungen der Arbeitswelt gemessen und dann ggf. angepasst bzw. weiterentwickelt. Das soll den Umgang mit sich ständig verändernden Rahmenbedingungen erleichtern.
Vergleichbar mit neuen Prozessen, die im Rahmen eines agilen Entwicklungsprozesses der Realität standhalten müssen, müssen sich die am Spieltisch erprobten bzw. optimierten Verhaltensweisen im Arbeitsalltag bewähren. Dafür braucht es Training und von daher ist es lohnenswert, neues Verhalten in ergänzenden Workshops einzuüben oder durch den Coach über eine Prozessbegleitung alltagsnah zu verankern.
Wichtig für den Einsatz von Spielen ist zudem, die während des Spiels erzeugte Offenheit und Begeisterung im Team für nachgelagerte Interaktionen zu nutzen. An dieser Stelle kommt es auf den Coach an, wie er den weiteren Coaching-Prozess moderiert. Bedeutsam ist es, dass das Spiel eingebettet ist in einen übergeordneten Veränderungsprozess, dessen Ziele vor dem Spiel vom Coach kommuniziert werden. Nach dem Spiel wird durch zielführende Interventionsfragen der Transfer in den Arbeitsalltag vorbereitet. Z.B.: Welche Impulse der Teammitglieder willst du im Führungsalltag ausprobieren, und wie kann dich die Gruppe bei deinem Vorhaben unterstützen?
Damit der Transfer in den Arbeitsalltag gelingen kann, ist oft von einem langfristigen Veränderungsprozess auszugehen, da unbewusste Muster, die sich eingeschlichen haben, aber auch unzeitgemäße Routinen, erkannt und verändert werden müssen. Die Spielerfahrung der Klienten und die im Spiel gewonnenen Erkenntnisse können zwar helfen, dass etwaige „Aha-Erlebnisse“ im Spiel eher den Weg in die Umsetzung finden. Allerdings wird es auch wie in vielen anderen Coaching-Prozessen erforderlich sein, regelmäßige Rückkopplungsschleifen bzw. eine kontinuierliche Begleitung durch den Coach sicherzustellen, um so Nachhaltigkeit zu erzeugen.
Wie das bisher Geschilderte konkret in der Praxis umgesetzt werden kann – und zwar mit besonderem Augenmerk auf die Förderung der Resilienz von Führungskräften zwecks Stressbewältigung – lesen Sie im zweiten Teil dieses Beitrags.