Methoden

Rational-emotive Verhaltenstherapie in der Coaching-Praxis

Wie man mit REVT limitierende Glaubenssätze erkennt und verändert

Eine Herausforderung steht bevor und man ist sich sicher: „Ich werde versagen und das ist eine Katastrophe.“ Die Reaktion: Panik. Momente wie diese kennen viele Menschen. Häufig ist ihnen dabei jedoch nicht klar, dass nicht die reizauslösende Situation zur irrationalen Reaktion führt, sondern das Denken, das diese in der Person auslöst. Hier setzt die Rational-Emotive Verhaltenstherapie (REVT) an, mit der es möglich ist, die limitierenden Denkweisen sowie deren Wirkung zu erkennen und aufzulösen. Der Beitrag blickt auf die konzeptionellen Grundlagen und die Coaching-Anwendungspraxis der REVT.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2024 am 12.11.2024

Auf der Collage sieht man eine große Faust, die auf einen Tisch donnert. Davir sitzt eine Frau, die erschrickt und Angst hat.

Unser aller Denken und Handeln ist von Glaubenssätzen mitgeprägt. Da diese oftmals früh im Leben erlernt bzw. von anderen Personen übernommen oder durch andere äußere Einflüsse geprägt wurden (Klein, 2021), können sie im Hier und Jetzt durchaus einengend, dysfunktional und irrational sein. Glaubenssätze weisen eine starke emotionale Verankerung auf. Will man sie ablegen oder verändern, ist das Erkennen der erste wichtige Schritt. Sich lediglich der Zusammenhänge rational bewusst zu werden, reicht jedoch noch nicht. In Folge 35 des Podcasts „Business-Coaching and more“ sprachen Dr. Christopher Rauen und Andreas Steinhübel über die Frage, wie Coaches Glaubenssätze aufseiten ihrer Klientinnen und Klienten erkennen und mittels REVT (siehe Ellis & Joffe Ellis, 2012) bearbeiten können. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte des Gesprächs.

Auf einen Blick

  • Ausgehend vom ABC-Modell nach Albert Ellis ist die Reaktion, die ein Mensch auf eine schwierige Situation zeigt, nicht direkt auf die Situation selbst zurückzuführen, sondern auf seine Glaubenssätze bezüglich der Situation.
  • Die Rational-Emotive Verhaltenstherapie (REVT) kann im Coaching eingesetzt werden, um Glaubenssätze aufzuzeigen, zu hinterfragen und zu bearbeiten, damit Klientinnen und Klienten in schwierigen Situationen angemessenere Reaktionen zeigen können.
  • Limitierende Glaubenssätze durch funktionalere zu ersetzen, bedarf einer von intensivem Einüben begleiteten Verankerung.

Was steckt hinter REVT?

Wie bei vielen Methoden, die im Coaching eingesetzt werden, handelt es sich bei REVT um einen therapeutischen Ansatz. Aber keine Sorge, das macht Coaching nicht zur Psychotherapie. Mit REVT ist es möglich, bestimmte Alltagsphänomene, die uns in unserem Handeln limitieren und die wir alle kennen, unter Einbezug der emotionalen Ebene bearbeitbar zu machen. Das Modell kann daher auch im Coaching – d.h. in nicht-klinischen Fällen – zum Einsatz kommen, damit Menschen gar nicht erst einen Therapiebedarf und entsprechend hohen Leidensdruck entwickeln. Prävention ist eine wichtige Funktion von Coaching.

Bei den Alltagsphänomenen geht es um innere Überzeugungen – Glaubenssätze, die uns hilfreich zur Seite stehen, aber in bestimmten Situationen auch hinderlich sein können. Gründer der REVT ist Albert Ellis, geboren 1913. Ellis befasste sich intensiv mit der Frage, was Klienten – bzw. Patienten im klinischen Kontext – hilft und was sie einschränkt. Hier kommt sein ABC-Modell (siehe z.B. Wikipedia, o. D.) ins Spiel.

Das ABC-Modell

Ellis bemerkte, dass Menschen häufig auf einen bestimmten Reiz reagieren. Zwischen dem aktivierenden Signal bzw. Ereignis (A – Activating Event) und der Reaktion (C – Consequences) verortete er das Belief System (B). Letzteres besteht aus Glaubenssätzen, Überzeugungen und Grundannahmen. Bestimmte Überzeugungen können dazu führen, dass zwischen dem Reiz und der Reaktion etwas passiert, was in der jeweiligen Situation nicht hilfreich ist. Z.B. hört jemand von hinten Schritte und ihm läuft ein kalter Schauer über den Rücken, weil seine Annahme lautet, was er nicht sieht, sei gefährlich.

Grundannahmen über uns, die Welt oder das Wesen des Menschen werden früh geprägt. Sie führen dazu, dass bestimmte Reize, die für den einen unproblematisch sind, auf den anderen gar nicht harmlos wirken. Das Interessante daran ist, dass uns in der Regel nur das A und das C bewusst sind. Die inneren Überzeugungen hingegen bleiben oftmals unbewusst. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn sie irrational ausfallen.

Kategorien irrationaler Überzeugungen

Ellis definierte vier Kategorien irrationaler Überzeugungen. Diese führen dazu, dass Menschen sich in der Verwirklichung ihrer Ziele selbst sabotieren.

Eine Kategorie bildet das mussturbatorische Denken. Es liegt immer dann vor, wenn Klienten in Absolutismen denken. Diese können sich sowohl auf die eigene als auch auf andere Personen beziehen: „Ich muss das schaffen! Ich muss der Beste sein! Die anderen müssen …“ Die zweite Kategorie ist das Katastrophendenken. Eine Situation wird überzeichnet und „katastrophisiert“. Wichtig ist es, das Denken in Katastrophen von der bewussten Beschreibung einer kritischen Situation zu unterscheiden.

Hinzu kommt die Kategorie der negativen globalen Selbst- und Fremdbewertung. Ein Beispiel ist die global abwertende Annahme: „Ich bin total wertlos, wenn ich das nicht schaffe! Also muss ich es schaffen!“ Die Überzeugung könnte sich ebenso auf andere Personen beziehen und etwa lauten: „Wenn er das nicht kann, ist er ein Versager!“

An diesen von Absolutismen geprägten Abwertungen wird eine Verbindung mit dem mussturbatorischen Denken erkennbar. Die Kategorien irrationaler Überzeugungen sind nicht unabhängig voneinander, sondern gehen teilweise ineinander auf und verstärken sich gegenseitig. Die letzte Kategorie bildet die niedrige Frustrationstoleranz, die in Sätzen wie den folgenden zum Ausdruck kommt: „Ich ertrage es nicht! Das kann man nicht schaffen!“ Es geht um den Glauben, etwas Negatives nicht aushalten zu können.

Wie irrationale Überzeugungen entstehen

Irrationale Überzeugungen entstehen durch die Erfahrungen, die wir machen, wenn wir groß werden. Hier spielt das gesamte Umfeld rein – Eltern, die Schule, Verwandte und Freunde etc. Unsere Überzeugungen werden demnach früh geschaffen. In unserer Kindheit haben sie durchaus auch eine Funktionalität. Nehmen wir das Katastrophendenken: Wenn ein Kind beispielsweise lernt, besonders vorsichtig zu sein, kann das mit Blick auf bestimmte Situationen in der Kindheit sinnvoll sein. Allerdings verbleiben diese Überzeugungen in manchen Menschen und steuern sie unbewusst auch im Erwachsenenalter. Dies kann zu irrationalem Handeln führen.

Anwendung im Coaching – erkennen, variieren, verankern

Die Kraft der REVT-Methode liegt genau hier: Sie setzt an den inneren Überzeugungen der Klienten an, dem „Belief System“. Der erste Schritt der Anwendung zielt darauf, dieses zu begreifen – es geht ums Erkennen. Gemeinsam mit dem Klienten schaut der Coach auf eine spezifische Situation. Was ging dem Klienten in dieser Situation durch den Kopf? Woran hat er gedacht? Welche Glaubensmuster und Annahmen (B) haben ihn vom aktivierenden Ereignis (A) zur jeweiligen Reaktion (C) geführt? So soll die Logikkette von A, B und C aufgezeigt werden.

Dies kann durchaus etwas dauern und „Detektivarbeit“ erfordern. Gelingt es, ist dies für viele Klienten aber bereits sehr hilfreich, weil sie erkennen, dass sie reizauslösenden Situationen nicht ausgeliefert sind. Sie realisieren: „Nicht der Reiz, sondern meine Gedanken und Überzeugungen steuern meine Reaktion.“ Wurden die dysfunktionalen Glaubenssätze erkannt, können sie im nächsten Schritt variiert werden.

Die Infografik erläutert in Stichpunkten die Anwendung des REVT-Modells im Coaching: Erkennen, Variieren und Verankern.

Abb.: Grundzüge der Anwendung des REVT-Modells im Coaching

Variieren und Angemessenheit herstellen 

Dabei ist eines wichtig: Es kann weiterhin Kontexte geben, in denen die alten Glaubenssätze einen Nutzen haben. Das negieren und alles „Negative“ durch „Positives“ ersetzen zu wollen, funktioniert nicht, und die Intention wäre auch falsch. Man kann Menschen nichts „weghexen“.

Es geht stattdessen darum, Angemessenheit und Funktionalität herzustellen, und hierfür benötigt man einen neuen, funktionaleren Glaubenssatz. Dieses Vorgehen ermöglicht dem Klienten ein freieres Handeln. Wer hingegen fest „verdrahtet“ und von unbewussten Annahmen gesteuert bleibt, läuft Gefahr, immer wieder in ähnliche Löcher zu fallen.

Glaubenssätze auszutauschen, ist nicht einfach. Es erfordert einiges an „Detektivarbeit“ und viel Einüben. Es ist aber tatsächlich möglich, Überzeugungen schrittweise zu verändern. Haben wir im Coaching einen Glaubenssatz erkannt, der in einer bestimmten Situation nicht funktional sein könnte, ist es angebracht, ihn infrage zu stellen und an der Realität zu messen (auch als „D – Disputation“ bezeichnet; siehe Wikipedia, o. D.). Das kann unter dem Slogan laufen: Glaubenssätze vor Gericht. Ist der Glaubenssatz wirklich angemessen? Ist wirklich einmal etwas dramatisches passiert? Finden die Befürchtungen eventuell nur in der Phantasie statt? So besteht die Chance, einen weniger funktionalen Glaubenssatz Stück für Stück gegen einen angemesseneren auszutauschen – oder ihn wenigstens abzuschwächen.

In der Anwendung sollten Coach und Klient in einer Situation bleiben und erst nach der erfolgreichen Bearbeitung eine weitere betrachten, denn unterschiedliche Situationen sind oftmals mit unterschiedlichen limitierenden Glaubenssätzen verbunden. Wenn man nicht auf eine Situation zur Zeit fokussiert, wird es ganz schwierig.

Verankerung und die Bedeutung der emotionalen Ebene

Wir bleiben also spezifisch. Wichtig ist darüber hinaus, dass der neue Glaubenssatz vom Klienten selbst stammen sollte. Glaubenssätze, die in klugen Büchern und Kalendern stehen oder die von einem Coach vorgegeben werden, können nie so kraftvoll sein wie der neue, funktional-hilfreiche Glaubenssatz, der „aus“ dem Klienten selbst kommt.

Aufgabe des Coachs ist es dabei, den erforderlichen Suchmodus zu unterstützen. Die Suche ist ein emotionaler Prozess, bei dem oftmals alte Muster zu Tage treten. Daher ist es wichtig, als Coach klar strukturiert zu arbeiten, das A, B und C systematisch gut herauszuarbeiten und einen Denkprozess zu initiieren, der das Verankern eines funktionaleren Glaubenssatzes ermöglicht. Das Verankern ist zentral, damit der neue Satz in realen Situationen auch abgerufen und aktiviert werden kann.

Im Coaching kann man bevorstehende Situationen durchspielen und den Klienten fragen: „Wenn Sie sich den neuen Glaubenssatz vor Augen führen – vielleicht möchten Sie ihn auch laut aussprechen oder aufschreiben – und sich vorstellen, dass Sie jetzt mit demselben Reiz in die Situation gehen … Was verändert sich dann? Welche positiven Konsequenzen können Sie jetzt wahrnehmen?“ Haben Klienten die Arbeit mit dem REVT-Modell einmal im Coaching erlebt, können sie es auch weiterhin gut für sich nutzen. Es zahlt somit positiv auf die Selbstermächtigung ein.

Ein wichtiger Aspekt ist noch zu erwähnen: Wir sprechen von der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie. D.h., dass es immer auch um die Frage geht, was auf der emotionalen Ebene passiert. Wie können wir durch die Umstrukturierung eines Glaubenssatzes bewirken, dass sich im Klienten auch eine andere emotionale Reaktion abspielt? Hier gilt der Grundsatz: Keine Veränderung ohne Emotion.

Im Coaching schauen wir also, wo Emotionalität vorliegt, binden sie ein und lassen sie eben nicht außen vor, damit es zu einer kognitiven, aber auch emotionalen Umstrukturierung (auch als „E – Effect“ bezeichnet; siehe Wikipedia, o. D.) kommt. D.h., dass das veränderte Belief System ein anderes inneres Erleben bedingt, das zu einem anderen äußeren – idealerweise funktionaleren – Verhalten führt.

Das klappt nicht in einer Sitzung. Der Coach ist kein Magier, der den Zauberstab schwingt. Stattdessen ist viel Übung erforderlich. Klienten müssen die neuen Glaubenssätze ausprobieren und sich bewusst in Situationen bringen, die sie zuvor gemieden haben, damit die neuen Glaubenssätze sich einschleifen und später auch in Stresssituationen, die schnell alte Muster zum Vorschein bringen, abrufbar sind. Menschen wollen sich von Emotionen nicht einschränken lassen. Viele versuchen, negative Emotionen daher auszublenden.

Dies ist aber keine nachhaltige Lösung, denn es ist sehr schwierig, Emotionen partiell auszublenden – es findet dann eher eine emotionale Verarmung statt. Das REVT-Modell berücksichtigt sowohl die kognitiven, rationalen als auch die emotionalen Elemente, die uns als Menschen auszeichnen. Darin liegt seine Stärke.

Fallbeispiel

Eine Klientin setzte sich anlässlich einer Vorstandspräsentation selbst massiv unter Leistungsdruck. Ihr innerer Satz lautete: „Ich muss immer die Beste sein und top performen! Wenn ich das nicht schaffe, bin ich wertlos!“ In dem Satz überlagern sich zwei Kategorien irrationaler Überzeugungen: das Denken in Absolutismen und die negative globale Selbstbewertung. Hiermit hat sie sich derart limitiert und unter Druck gesetzt, dass sie immer wieder auch Misserfolgserlebnisse und deutliche Stressphänomene hatte.

Die erarbeitete Varianz bestand darin, sich in der spezifischen Situation in bewusst mildem Ton einen kleinen Satz zu sagen: „In bestimmten Situationen darf ich auch mal die Nummer 2 sein.“ Das hat die Klientin wahnsinnig entlastet und ihr mehr Freiheit beschert.

Literatur

Ellis, A. & Joffe Ellis, D. (2012). Rational-Emotive Verhaltenstherapie. München: Ernst Reinhardt.

Klein, O. G. (2021). Eine Frage der Zeit. Coaching-Interventionen und ihre zeitlichen Dimensionen. Coaching-Magazin, 1, S. 33–37.

Rauen, C. & Steinhübel, A. (2024). REVT. Podcast „Business-Coaching and more“, Folge 35. RAUEN Coaching.

Wikipedia (o. D.). ABC-Theorie. Abgerufen am 20.06.2024: https://de.wikipedia.org/wiki/ABC-Theorie

Dieser Artikel gefällt Ihnen?

Dann unterstützen Sie unsere redaktionelle Arbeit durch den Abschluss eines Abonnements und ermöglichen Sie es uns, auch in Zukunft fundiert über das Thema Coaching informieren zu können.

Nach oben