Dieser Fachbeitrag entstammt einem Experten-Austausch zwischen Prof. Dr. Monika Zimmermann und Dr. Bernd Schumacher. Das zunächst simpel anmutende Gedankenflussmodell veranschaulicht den Umgang einer Person mit den eigenen Gedanken, sowohl den angestrebten Zustand, bei dem Gedanken wie ein Fluss vorbeiziehen, als auch die hinderliche Tendenz, sich an den eigenen Gedanken festzubeißen und so im Gedankenstrudel zu „ertrinken“. Das Modell stellt einen Zusammenschnitt aus anderen Ansätzen bzw. philosophischen Schulen dar und ist im weitesten Sinne die Quintessenz von Meditationstechniken. Die Grundidee des Gedankenflussmodells, nämlich dass das, was wir denken, im Grunde Nichts ist, ist uralt – ein Blick auf die theoretischen Hintergründe erscheint daher lohnend.
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Gehen wir in der Ideengeschichte weit zurück, dann findet sich diese Idee schon vor etwa 2.500 Jahren bei den Vorsokratikern (600 bis 350 v. Chr.), im Buddhismus (6. Jh. v. Chr.) und bis zu einem gewissen Grad auch im Konfuzianismus (600 v. Chr.). Die Idee ist, dass es zwei Ebenen des Denkens gibt. Zunächst gibt es das, was wir denken, und dann das, was wir über unser Denken denken. Das entspricht der klassischen Unterscheidung zwischen Inhalt und Form. Der Inhalt ist das, was wir denken. „Was?“ ist immer die Frage nach dem Inhalt. „Was denkt er oder sie?“ Die Form ist immer die Beziehung. Meine Beziehung zu mir, meine Beziehung zu meinen Gedanken oder meine Gedanken über meine Gedanken. Die Form ist immer die Frage nach dem „Umgang mit …“. Systemiker bemühen sich darum, die Form zu halten. Es ist also unwichtig, was jemand denkt, essenziell ist stattdessen, wie er oder sie damit umgeht.
Dies wurde auf unterschiedliche Art und Weise aufgegriffen. Aus dem 18. Jahrhundert stammt folgender Ausspruch von Georg Christoph Lichtenberg, einem Aphoristiker und Mathematiker. Anstatt zu sagen „Ich denke“, solle man sagen „es denkt“. Dies erzeuge eine Distanzierung.
Später hat auch Edmund Husserl (1859–1938) diesen Aspekt in seiner Transzendentalphilosophie aufgegriffen. Er versuchte zwei Bewusstseinsebenen einzuführen: Die eine Bewusstseinsebene, die denkt, und die zweite, die darüber denkt, was man denkt. Selbst in der Bedürfnispyramide von Maslow, die er 1970 nochmals revidiert hat, steht Transzendenz seither an der obersten Stelle.
In den 1980er Jahren ist der Konstruktivismus aufgekommen. Insbesondere der Radikale Konstruktivismus im Sinne von Ernst von Glasersfeld und Heinz von Foerster verteidigt die Idee, dass wir keinen Zugang zur wirklichen Welt haben können, direkt und unmittelbar, sondern dass unsere innere Struktur bestimmt, wie wir die Welt wahrnehmen, sehen und letztlich verstehen. Es gibt also keine Trennung zwischen uns und der Welt, in der wir glauben, zu leben, denn sie wird von uns selbst konstruiert. Dieser Umstand ist ebenfalls Forschungsgegenstand der Neurowissenschaften.
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