Beruf Coach

Wenn der Coach in der Zwickmühle steckt

Über den Umgang mit Dilemmata

Verzweiflung, die den Coach in der Arbeit mit Klienten befällt, kann zu Verstrickungen und unguten Lösungen führen. Vor allem, wenn das Erleben von Verzweiflung vermieden wird, weil es vorschnell damit gleichgesetzt wird, etwas falsch gemacht zu haben oder inkompetent zu sein. Dies darf aber keine Einladung zum fröhlichen Dilettieren sein. Aber gerade kompetente Coachs müssen auch aufgeben und verzweifeln können: Um die Chance zu eröffnen, dass sich doch noch etwas Konstruktives für den Coaching-Prozess und den Klienten ergibt.

11 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2008 am 26.02.2008

Manchmal fühlt man sich als Coach im Coaching-Prozess wie eingeklemmt. Man sagt sich beispielsweise: Das ist doch ein lösbares Problem, das der Klient da hat, jetzt
warte ich erst einmal ab, vielleicht ist der Klient gerade verwirrt. Ich schiebe mein Unwohlsein beiseite. Oder ich denke mir: Na gut, vielleicht braucht er doch eine richtige Hilfe, ich gebe ihm jetzt mal eine Fachberatung. Doch tief in mir spüre ich, dass mir eigentlich die Überzeugung fehlt, dass das gewählte Vorgehen meinem Klienten wirklich helfen kann. Trotzdem erkläre ich ihm das eine oder andere, aber er sagt nur immer, dass er das schon kenne oder dass es ihm zwar neu, aber nicht sein Problem sei. Dann strampelt der Coach und ringt mit dem Klienten und dessen Problemen. Bis er schließlich resigniert und sich beispielsweise denkt: Ich muss einen anderen Beruf ergreifen, es muss ja nicht jeder Coach werden...

Wenn Ihnen als Coach solches widerfährt, dann bewegen Sie sich im Dilemma-Zirkel. Irgendwann merken sie, eigentlich verzweifelten Sie an diesem Menschen oder diesem Prozess. Und sich das einzugestehen, ist häufig schwer. Stattdessen verschlechtert sich die Beziehung zum Gegenüber und es liegt nahe, dass sich der Coach durch einen irgendwie gerechtfertigten Beziehungsabbruch seiner Verstricktheit entledigt.

Das erste Problem im Umgang des Coachs mit Dilemmata besteht in der Identifikation der Dilemma-Dynamik. Sie zeigt sich im Prozess als eine Abfolge von (meist subtiler) Verzweiflung, Wegschieben, Strampeln und Resignieren. Und zumeist spiegelt das Dilemma-Erleben des Coachs, dass primär der Klient ein Dilemma erlebt, also in einer Zwickmühle gefangen ist. Eine Zwickmühle ist ein Bezugsrahmen einer Person, innerhalb dessen Lösungen für ein Problem oder die Gestaltung einer Beziehung aufgrund falscher Definitionen, Implikationen und Verknüpfungen so konzipiert sind, dass die Befriedigung des Anliegens durch übliche Lösungen unmöglich oder unannehmbar wird. Jeder Lösungsversuch führt entweder zu einer Unauflösbarkeit der Situation, oder versündigt sich an einem anderen wichtigen Anliegen der Person in einer Weise, dass dieser Weg (subjektiv aus dem Bezugsrahmen der Person gesehen) nicht gegangen werden kann.

Wenn das der Fall ist, hat es keinen Sinn, innerhalb der Lösungslogik der Person weiterhin nach Lösungen zu suchen, denn die Unlösbarkeit liegt bereits in der Art der Fragestellung. Stattdessen muss die Beschreibung des Problems, wie auch die Versuche, das Problem zu lösen, auf in ihr liegende Unmöglichkeiten hin untersucht werden – und dann muss die Fragestellung oder die Herangehensweise verändert werden.

Der Dilemma-Zirkel

Dilemmata sind oft inhaltlich schwer zu erkennen. Doch kann man daraus folgendes typisches Erleben gut identifizieren, wenn man dafür offen ist. Die emotionalen und verhaltensmäßigen Komponenten eines Dilemmas sind nicht als Phasenschema im Sinne von Hintereinander zu verstehen, sondern als verschiedene Zustände, zwischen denen man in unterschiedlichen Reihenfolgen wechseln kann:

Das eine ist das Vermeiden. Wenn jemand, beispielsweise in der Beziehung zum anderen Geschlecht, regelmäßig in Dilemmata gerät, versucht er einfach über längere Zeit solche Beziehungen zu meiden. Jedoch lassen sich elementare Entwicklungs- oder Lebensanliegen auf Dauer nicht vermeiden.

Wird man mit der Sache wieder konfrontiert, gerät man in der Regel in das zweite Stadium. Man erlebt das Gefühl, zu kämpfen, zu strampeln und sich zu verausgaben und merkt, es löst das Problem nicht wirklich. Es ist kein wesentlicher Fortschritt erreichbar oder zu verspüren. Aber Strampeln, Kämpfen oder Rudern nicht zu versuchen, fühlt sich noch schlimmer an.

Im dritten Stadium gibt man Lösungsversuche oder solche, sein Entwicklungsanliegen zu befriedigen, auf, zieht sich raus, ohne dass man sich wirklich erholt oder sich die Verstrickung löst. Man lässt nur das Strampeln sein. Diesen Zustand nennt man Resignieren. Will man das Problem wieder angehen, gerät man wieder ins Strampeln.

Bleiben Menschen innerhalb der Logik, in der sie ihr Problem definiert haben, wechseln sie zwischen Vermeiden, Strampeln und Resignieren hin und her. Sie kämpfen intensiv und sind danach erschöpft, tun eine Weile nichts, um das Problem anzugehen, ohne aber eine neue Haltung zu ihrem Problem zu finden.

Das vierte Stadium im Dilemma-Zirkel ist das unangenehmste, aber fruchtbarste, das ist die Verzweiflung. Dies ist eine natürliche Reaktion, wenn eine Situation als ausweglos erlebt wird. Verzweifelung ist dabei eher die Gefühlsqualität „Egal, was ich versuche, es geht nicht gut aus!“ – nicht unbedingt eine heftige Emotion. Verzweiflung ist – positiv gesehen – ein Indikator, der auf eine Unlösbarkeit hinweist. Weil dies jedoch oft nicht erkannt wird oder aber als existenziell bedrohlich empfunden wird, möchte man sich dieser Verzweiflung nicht hingeben. Dann kann man allerdings Verzweiflung auch nicht als Kompetenz nutzen. Es fehlt als Gegenkraft die Zuversicht, dass man einerseits die Unlösbarkeit erkennen und aufgeben darf, dass darin aber auch eine Chance liegt, die Sache neu zu konzipieren und eine Lösbarkeit zu erzeugen. Viele meiden an dieser Stelle diese für die Steuerung der Situation richtige Emotion und gehen stattdessen wieder ins Strampeln.

Verzweifeln als Kompetenz

Viele Coachs, die in einer Coachingsituation das Gefühl haben, an ihr zu verzweifeln, setzen dieses Gefühl gleich mit der Überzeugung, sie hätten es besser machen können. Und es sei ihr Problem, dass sie das Problem des Klienten nicht lösen. Jetzt ist zweierlei möglich:

  • Entweder neigt der Coach selbst zu Dilemmata, dann kann es sein, dass er an den Dilemmata des Klienten mit konstruiert. In einem solchen Fall wird der Coaching-Prozess für beide Seiten sehr problematisch.
  • Oder der Coach hat keine eigene Neigung zu Dilemmata, wird aber in die Inszenierung von Dilemmata durch den Klienten hinein gezogen. Dann wird er gefangen, wenn er nicht wagt, zu verzweifeln und zu erkennen, dass er eigentlich keine Lösung für den Klienten hat. Je länger dieser Prozess dauert, desto problematischer wird es sowohl für den Coach als auch für den Klienten.

In dem Augenblick, wo der Coach wagt, zu verzweifeln, wird die Chance, dass er mit der Beratungssituation kompetenter umgehen kann, größer – je früher, desto eher. Wenn er lernt, Verzweifelung auf gute Weise offen zu legen, ermutigt dies den Klienten, sich seinem Dilemma zu stellen. So lange er aber hofft, die Verzweiflung zu vermeiden und innerhalb des Dilemmas zu einer professionellen Lösung zu gelangen, wird die Chance kleiner. Das ist wieder ein Dilemma. Auch als Coach muss ich aufgeben und verzweifeln können, um die Chance zu eröffnen, dass sich doch noch etwas Konstruktives ergibt. Deswegen ist es wichtig, Verzweiflung, die in mir als Coach mit Klienten entsteht, wahrzunehmen und sie nicht gleichzusetzen mit „Ich habe da etwas falsch gemacht“ oder „Ich bin inkompetent“.

Lösungen mit Metaphern anregen

Es ist manchmal schwierig, mit Dilemmata zu arbeiten, weil man es inhaltlich nicht klar identifizieren kann. Dennoch muss man als Coach selbst loslassen und dies dem Klienten zumuten. Dieser muss - trotz seiner Not - loslassen, damit Rettung möglich ist. Um das Verständnis dieser Schwierigkeiten zu erleichtern, ist es meist hilfreich, mit Metaphern zu arbeiten:

Ein Mensch ist ins Eis eingebrochen. Er möchte am liebsten, dass sofort jemand kommt und ihn herauszieht. Wenn der Helfer aber hinginge, sich an den Rand des Eisloches stellen und ziehen würde, dann würde er mit einbrechen. Gerade dann, wenn die Verzweiflung des Eingebrochenen am größten ist, muss der Helfer also weggehen und den Hilfsbedürftigen verlassen, um eine Leiter zu holen, damit eine Lösung möglich ist. - Und er muss es demjenigen zudem plausibel machen.

Der Klient empfindet, dass der Coach ihn in seiner verzweifelten Situation ohne Hilfe lässt oder ihn gar durch Verweigerung strampelnder Rettungsversuche und dem Aufzeigen dieser Dynamik erst recht in die Verzweiflung stößt. Gleichzeitig muss er empfinden oder ahnen können, dass dieser Schritt notwendig ist. Und danach etwas Besseres kommen kann, was ihm der Coach zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht versprechen kann. Auch der Coach weiß nicht, was nach dem Dilemma sein wird, hat aber positive Erfahrungen damit, was ihm ermöglicht, Zuversicht zu empfinden. Allerdings kann und darf er Zuversicht nur vermitteln, wenn er sie auch empfinden kann. Zuversicht ist etwas anderes als zu wissen, wie man „das macht“. Zuversicht ist die Überzeugung, alles, was man hat, loslassen zu können mit dem Vertrauen darauf, dass sich danach etwas Neues ergeben wird. Als Coach begleite ich den Klienten, aber ich teile nicht seinen Bezugsrahmen. Doch das ist für viele Menschen schwierig zu verstehen.

In die Metapher übersetzt heißt das: Derjenige, der im Wasser sitzt, hat das Eisloch, in das er eingebrochen ist, meist selbst gemacht. Es kann aber dennoch sehr real geworden sein. Und Lösungen können ohne die Hinnahme von Verlusten unmöglich sein. Manchmal bedingt gerade die Illusion, Verluste vermeiden zu können, das Dilemma. Seine Idee von Rettung ist, dass jemand, der ihm wirklich helfen will, zu ihm in das Eisloch steigt und ihn da herausholt. Er glaubt, dass der andere es mit ihm nur dann wirklich ernst meint, wenn er bereit ist, in seine Wirklichkeit – das Eisloch – einzutreten und mit ihm von innen heraus das Problem zu lösen. Das Problem ist aber von innen heraus nicht zu lösen. Der Coach muss dem Klienten sagen, dass keiner ihn retten kann, wenn er bei seiner Lösungsvorstellung bleibt, dass es keinen Sinn ergibt, wenn er zu ihm ins Eisloch springt; denn er hätte dann das gleiche Problem wie sein Klient.

Der Coach bleibt außerhalb der Wirklichkeit des Klienten und versucht zu beschreiben, was er sieht. Dadurch „stößt“ er den Klienten in die Verzweiflung. Auch das will gelernt sein. Damit der Klient nicht zu viel Pein erleidet, ist es wichtig, ihm zu sagen, dass man ihm beisteht und dass es vermutlich eine Lösung geben wird, die ganz anders sein wird als das, was er sich jetzt vorstellt. „Wie“ kann der Coach aber nicht erklären, das muss sich finden, wird sich aber erst zeigen, nachdem der bisherige Ansatz aufgegeben worden ist. Wenn es gelingt, dem Klienten plausibel oder wenigstens spürbar zu machen, dass es entsprechend seiner Wirklichkeitskonstruktion ohnehin keinen Ausweg gibt, kann es sein, dass der Klient wirklich verzweifelt. In dem Coach hat er jemanden, der ihn dann nicht allein lässt, obwohl er die Verzweiflung nicht teilt.

Nach einer Phase der Verzweifelung, aber auch der Befreiung vom Kämpfen, eröffnen sich auf nicht wirklich bekannte Weise, meist Möglichkeiten, die Fragestellung neu zu konzipieren und so zu neuen Ansätzen zu kommen, die auch das ursprüngliche Problem versorgen. Dies geschieht jedoch nicht rational planbar, sondern wirkt auf einen Beobachter eher wie ein emotionaler Prozess. Oft wirkt der Klient nach einiger Zeit befreit, so als ob irgendetwas an seiner Dilemma-Dynamik aufgelöst sei. Darüber hinaus lernt er frühzeitiges Loslassen als professionelle Kompetenz schätzen. Dies wird durch die Zeilen von Bert Brecht schön beschrieben:


Gehe ich bei Zeiten in die Leere,
komm ich aus der Leere voll.
Wenn ich mit dem Nichts verkehre,
weiß ich wieder, was ich soll.


Jetzt wären die Voraussetzungen günstig, die Dilemma-Logik genau zu analysieren. Aber Klienten, die im Dilemma gefangen waren, interessieren sich nachher in der Regel nicht mehr für die Struktur ihres Dilemmas. Sie wollen einfach nur draußen sein. So lange Menschen im Dilemma gefangen sind, verstehen sie es nicht, und wenn sie draußen sind, interessiert es sie nicht mehr. Und das ist wieder ein Dilemma: für den Theoretiker.

Dilemma versus Tetralemma

Die bekannten Organisationsaufsteller Matthias Varga von Kibèd und Insa Sparrer beschreiben in ihrem Buch „Ganz im Gegenteil“ die Arbeit mit dem Tetralemma. Neben den beiden polaren Positionen „Entweder“ und „Oder“ unterscheiden sie als dritte Position das „Sowohl als auch“ (beides) und als vierte Position das „Weder noch“ (keines von beiden).

Im Gespräch, das die Zeitschrift „Lernende Organisation“ veröffentlichte, gehen Dr. Bernd Schmid und der Münchener Logikprofessor Dr. Matthias Varga von Kibèd den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in ihren Konzeptionen nach.
Was Schmid Strampeln nennt, ist für Varga von Kibèd ziemlich nahe bei dem, was er selbst Oszillation nennt. Oszillation zwischen den ersten beiden Positionen „Entweder“ und „Oder“. Varga von Kibèd assoziiert das Verzweifeln, das Schmid beschreibt, mit seiner fünften Position. Einer Position, die eigentlich keine Position ist, die bei ihm diesen seltsamen Namen „All dies nicht – und selbst das nicht“ bekam; „all dies“ bezieht sich dabei auf die genannten ersten vier, und das „das“ auf diese Position selbst.

Varga von Kibèd findet, dass in Verzweiflungssituationen Aufstellungsarbeit sehr nützlich ist, weil sie in der Lage sei, ein Erleben für etwas zu vermitteln, was kognitiv noch nicht zugänglich ist. Schmid seinerseits betont, wie wichtig das emotionale Erleben der Verzweiflung für eine Lösung sei.

Literatur

Sparrer, Insa & Varga von Kibèd, Matthias (2005): Ganz im Gegenteil. Heidelberg: Carl Auer Systeme Verlag.
Varga von Kibèd, Matthias & Schmid, Bernd (2005): Mit Dilemmata einfach umgehen. LO – Lernende Organisation. Zeitschrift für systemisches Management und Organisation; Nr. 26.

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