Im ersten Teil dieses Beitrags wurde dargestellt, welche Führungsaufgaben, Alibi- und Sündenbock-Funktionen fälschlicherweise als "Coaching" bezeichnet werden. Folgend soll erläutert werden, welche weiteren "Pseudo-Coachings" existieren.
Unzweifelhaft können im Coaching zahlreiche Methoden, Tests und Interventionen fruchtbar zum Einsatz kommen. Bedenklich wird der Einsatz solcher Hilfsmittel jedoch, wenn er derartig in den Fokus gerät, dass man weniger von einem Coach als vielmehr von einem "Coaching-Techniker" sprechen muss. Getreu dem Motto "Bei Anliegen X, Methode Y auswählen" degradiert sich ein Coach damit zum Anwendungsautomaten, der im schlimmsten Fall fest verdrahtet seine Interventionen auswählt und sich am Ende wundert, dass trotz des Einsatzes von 47 Tools der Klient am Ende unzufrieden ist.
Derartige Coaching-Prozesse sind oftmals begleitet von einem Gefühl der Sterilität und ein ständiger methodischer Wechsel verhindert, auf den Punkt zu kommen. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig dazu, dass diese Prozesse von Klienten sofort abgelehnt werden oder gar in Unzufriedenheit münden müssen. Im Gegenteil. Es gibt viele Klienten, für die ein Coaching das aktionistisch motivierte Überdruckventil ist, um ein schlechtes Gewissen ("Da müsste man mal was machen …") zu beruhigen, ohne sich tatsächlich verändern zu wollen. Solche Klienten sind verständlicherweise eher froh, wenn sich ein Coaching persönlichkeitsfern und an der Oberfläche ihrer Emotionen abspielt. Sie trösten sich dann damit, dass "sogar" ein Coaching nichts genutzt hat und da kann man eben nichts machen … im Zweifelsfall ist der Coach schuld (was in so einem Fall sogar nicht ganz falsch ist).
Problematisch dabei ist, dass solche Klienten logischerweise eher einen methodenfixierten Coaching-Techniker als einen unbequemen Coach auswählen. Denn sie spüren, dass der Techniker den vordergründigen Veränderungswunsch akzeptieren wird und letztlich den im Hintergrund befindlichen, oft unausgesprochenen Wunsch nach Nicht-Veränderung erfüllt. D.h. die subjektiv empfundene Passung zwischen Coach und Klient ist bereits ein Symptom der zugrundeliegenden Problematik. Umso wichtiger ist es, dass ein Coach bzw. jemand, der einen Coaching-Pool betreut, dies erkennt. So besteht zumindest eine etwas bessere Chance, dass ein zwar unbequemer, aber letztlich jedoch sinnvollerer Prozess zustande kommt.
Leider gerät bei methodenlastigen Coaching-Prozessen leicht aus dem Blickfeld, dass erst die Bereitschaft zur Begegnung zwischen Coach und Klient zwischen diesen eine Beziehung etablieren kann, auf deren Basis wiederum eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist. Und erst diese Zusammenarbeit ermöglicht es dem Klienten, sich in einem geschützten Rahmen zu öffnen und die Themen anzusprechen, die oftmals schon länger brachliegen und ein großes Optimierungspotenzial aufweisen.
Da Beziehungsgestaltung nie nur durch methodisches Vorgehen geleitet sein sollte, sondern primär durch ein ehrliches Interesse am Gegenüber, ist hier das wichtigste "Instrument" der Coach selbst. Seine Fähigkeit, sich auf einen anderen Menschen einzulassen und einen offenen Denkrahmen zu gestalten, ist dabei unerlässlich. Ist dies gegeben, können einzelne Methoden in den Prozess eingebunden werden.
Denn ebenso wie der Chirurg ein Skalpell benötigt und sinnvoll einsetzen kann, verhält es sich mit Methoden im Coaching: Das Skalpell macht nicht den Chirurgen. Und eine gute Diagnostik – welche in der Medizin wie im Coaching ebenso nicht nur auf Methoden, sondern insbesondere auf dem persönlichen Gespräch beruhen sollte – zeigt auch, dass nicht in jedem Fall operiert werden muss.
In eine ebenfalls medizinnahe Kategorie fällt das Coaching als Ersatzpsychotherapie. Dies ist natürlich ein Widerspruch in sich, da die Notwendigkeit einer Psychotherapie i.d.R. als Ausschlusskriterium für ein Coaching angesehen werden kann. Da viele Psychotherapeuten aber inzwischen auch Coaching anbieten, ist es naheliegend, wenn Klienten auf die Idee kommen, hier eine niedrigschwelligere Form von Unterstützung finden zu können. Wer als Coach mit derartigen Auftragstellungen konfrontiert wird, sollte seine Rolle klar definiert haben, um weder sich noch seinen Klienten in eine missliche Lage zu bringen. So ist es für einen Coach sehr hilfreich, über ein Netzwerk von Therapeuten zu verfügen, um einen Klienten, der ein therapeutisches Anliegen äußert, weiterhelfen zu können.
Von der Vermengung von Coaching und Therapie kann jedoch nur abgeraten werden. Coachings setzen die Selbststeuerungsfähigkeit des Klienten voraus. Jemand, der ein therapeutisches Anliegen hat, ist hingegen oftmals deutlich in seiner Selbststeuerungsfähigkeit eingeschränkt (z.B. bei einer substanzinduzierten Abhängigkeit). Somit erweist sich auch das "Couching" als Pseudo-Coaching und kann daher eher als Indiz für eine Gesellschaft angesehen werden, in der die offene Inanspruchnahme psychotherapeutischer Dienstleistungen nach wie vor einer Stigmatisierung gleich kommt.
Deutlich niedrigschwelliger ist da das folgende Angebot: Das kleine Coaching zwischendurch, während man ohnehin nichts besseres zu tun hat und auf das Flugzeug oder den Zug wartet oder sich auf einem Kongress langweilt. Warum also nicht die Zeit nutzen, um die Karriere aufzumöbeln, über die Mitarbeiter zu jammern oder sich noch rasch ein paar Verhandlungstricks verraten zu lassen?
Natürlich lassen sich Anliegen manchmal in 10 Minuten klären. Man sollte hier aber nicht darüber hinwegsehen, um was für Anliegen es sich dabei wohl gehandelt haben mag. Es darf wohl als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass hier tiefergehende Themen bearbeitet werden. Und somit stellt sich die Sinnfrage bzgl. des Nutzens bzw. der Existenzberechtigung solcher Angebote jenseits einer Unterhaltungsfunktion. Coaching sollte jedoch weder der Belustigung noch der Unterhaltung von Klienten dienen, es sei denn man versteht unter einem Coach einen Pausen-Clown. Mit einem derartigen "Kasper-Coaching" – womöglich noch samt Anleihen aus Religionssurrogaten – macht der Coach sich und das Coaching lächerlich und unglaubwürdig.
Natürlich können auch kurze Gespräche Impuls-Charakter haben und damit weiterführende Prozesse initiieren. Selbst einzelne Sätze oder Wörter können bekanntermaßen als Auslöser für Veränderungen dienen. Und dennoch: Ein derartiges Vorgehen als "Coaching" zu bezeichnen, scheint mir ähnlich übertrieben wie die Aufadelung eines biederen Kleinwagens zum Boliden. Auch hier gilt: Unter marketingtechnischen Gesichtspunkten ist dies verständlich, zur definitorischen Klarheit trägt es unzweifelhaft wenig bei.
Co-Manager, Führungskräfte-Dompteur, Sündenbock, Methodenjünger, Ersatztherapeut, Pausen-Clown … die Welt der Pseudo-Coachings ist bunt. Wer ein fundiertes Coaching sucht, wird nicht darumkommen, sich genauer mit der Definition, der Funktionsweise und den Grundlagen von Coaching auseinander zu setzen. Wer aus Bequemlichkeit darauf verzichtet, hat gute Chancen ein Angebot zu wählen, dessen "Nachhaltigkeit" sich dem Quartalsdenken diverser Unternehmen angepasst hat.