Wie hat sich die Zusammensetzung des Spektrums der Coaching-Formate entwickelt? Wie gestaltet sich das aktuelle Verhältnis von Online- und Präsenz-Coaching, das sich im Zuge der Corona-Pandemie deutlich zugunsten des Online-Coachings verschoben hatte? Diesen Fragen geht der folgende Beitrag auf Basis der Ergebnisse der RAUEN Coaching-Marktanalyse 2023 nach.
Seit 2020 werden im Rahmen der Marktanalyse jährlich valide Daten erhoben und ausgewertet, um den Stand des Coaching-Marktes und aktuelle Entwicklungen in diesem einzufangen. Der vollständige Ergebnisbericht der Marktanalyse 2023 steht nun wie gewohnt für alle Interessierten zum freien Download bereit – kostenlos und ohne jede Zugangsbeschränkung.
Auf einen Blick
Neben zahlreichen weiteren Aspekten ist die Frage, welche Coaching-Formate von Coaches verwendet werden, von Beginn der Marktanalyse an Gegenstand der Erhebung. Besonders auffällig war dabei der sprunghafte Anstieg des Online-Coachings im Zuge der Corona-Pandemie. So zeigten die Ergebnisse der Coaching-Marktanalyse 2021 (Rauen, 2021) einen deutlichen Anstieg via Videokonferenzsysteme durchgeführter Online-Coachings auf. Vor der Pandemie spielten diese innerhalb des Spektrums der praktizierten Coaching-Formate, wie die Ergebnisse der Coaching-Marktanalyse 2020 (Rauen, 2020) erkennen ließen, eine untergeordnete Rolle, während das Präsenz-Coaching das mit Abstand beliebteste Format war. Konkret in Zahlen verdeutlicht: Der Anteil des Online-Coachings via Videokonferenz lag 2020 bei 7,70 Prozent, wuchs jedoch 2021 auf 37,11 Prozent an. Der Anteil des Präsenz-Coachings fiel derweil von 75,71 Prozent im Jahr 2020 auf 45,07 Prozent in 2021.
Diese sehr eindrückliche Verschiebung von 30,64 Prozentpunkten verstärkte sich im Folgejahr 2022 nochmals deutlich (Rauen et al., 2022). So sank der Anteil der Präsenz-Coachings im persönlichen Gespräch weiter auf nunmehr 44,01 Prozent. Das online durchgeführte Coaching mittels Videokonferenz stieg hingegen nochmals auf 45,00 Prozent an, womit es das Präsenz-Coaching gar von Platz 1 verdrängte.
Eine auf den ersten Blick naheliegende Schlussfolgerung konnte nun lauten: Coaches waren aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen zur Anwendung des vormals eher verschmähten Online-Coachings gezwungen. Hierdurch lernten sowohl sie als auch ihre Klientinnen und Klienten die durchaus gegebene Funktionalität und die Vorteile (z.B. räumliche Unabhängigkeit, entfallende Anfahrten und Opportunitätskosten etc.) des Online-Coachings kennen und wollen nicht mehr auf dieses als fortan bevorzugtes Coaching-Format verzichten.
Zu bedenken war jedoch, dass die Präsenz-Hemmnisse – obwohl es bereits Testmöglichkeiten und Lockerungen der Kontaktbeschränkungen gab – im Erhebungszeitraum noch nicht vollständig abgebaut waren (Rauen & Ebermann, 2022). Zudem erschien die Vorstellung, eine Normalisierung hin zur großen Dominanz des Präsenz-Formats könne ebenso ruckartig eintreten wie die durch existenzbedrohende äußere Umstände (COVID) erzwungene Verschiebung, eher abwegig. Beim Ausblick, wie sich das Spektrum der Coaching-Formate nach vollständigem Abbau der pandemiebedingten Beeinträchtigungen zusammensetzen würde, war also durchaus Vorsicht geboten. Mit umso mehr Spannung waren die Ergebnisse der diesjährigen Marktanalyse 2023 abzuwarten.
Mit den Ergebnissen der aktuellen Marktanalyse 2023 (Rauen et al., 2023) klettert das Präsenz-Coaching im persönlichen Gespräch wieder auf einen Anteil von 53,03 Prozent. Hiermit liegt es noch weit unter seinem Vor-Pandemie-Stand (2020: 75,71 Prozent), jedoch wieder vor dem Online-Coaching (siehe Abb.). Letzteres liegt nun mit einem Anteil von 37,58 Prozent noch knapp über dem Wert von 2021 (37,11 Prozent). Die weiteren Formate spielen, wie die Abbildung zeigt, deutlich untergeordnete Rollen.
Es lässt sich somit festhalten: Das im persönlichen Gespräch geführte Präsenz-Coaching ist das beliebteste und meistpraktizierte Coaching-Format – vor der Pandemie und ebenso 2023. Der von 2021 auf 2022 beobachtete Anstieg des Online-Coachings war wohl ebenso von der Pandemie getrieben, wie es der erste, sprunghafte Anstieg zu Beginn der Pandemie war.
Krisen stehen im Ruf, innovationstreibend wirken zu können. In der Pandemie wurde dies auch häufig in Bezug auf das Emporsteigen des Online-Coachings erwähnt. War dies falsch? Nein! Zwar hat das Präsenz-Coaching, das vor der Pandemie mit weitem Vorsprung am beliebtesten war, den kurzzeitig verlorenen Platz an der Sonne innerhalb des Coaching-Format-Spektrums zurückerobert. Dies heißt jedoch nicht, dass die Entwicklung wieder auf null gestellt ist. Mit einem Anteil von nun 37,58 Prozent ist das Online-Coaching via Videokonferenz heute deutlich etablierter als noch vor der Pandemie (2020: 7,70 Prozent) und befindet sich auf Rang 2 – mit deutlichen Vorsprung vor den weiteren Formaten, wie die Abbildung zeigt. Es ist nicht mehr wegzudenken.
Somit ist ein Teil der Schlussfolgerung, die man 2022 ziehen konnte, weiterhin richtig: Coaches ziehen das Online-Coaching zwar nicht mehrheitlich dem Präsenz-Coaching vor, wie man etwas voreilig vermuten konnte. Jedoch haben viele von ihnen erkannt, dass sie auch im Online-Setting erfolgreiche Coachings durchführen und den dafür notwendigen Beziehungsaufbau zur Klientin bzw. zum Klienten – anders als vor der Pandemie oft als Gegenargument angeführt wurde – durchaus gewährleisten können. Sie stellten zudem fest, dass der Methodeneinsatz online zwar einiger Anpassungen bedarf, dass dies jedoch nicht zwingend mit einer Einschränkung gleichzusetzen ist. Nicht zuletzt werden sie Vorteile wie die räumliche Entgrenzung, die es ihnen erlaubt, ihren Kundenstamm zu erweitern, zu schätzen wissen.
Letzteres dürfte auch auf die Klientinnen und Klienten zutreffen, die bei der Suche nach einem passenden Coach auch problemlos überregional aktiv werden können, sofern sie ein Online-Coaching in Betracht ziehen. Auch die Nachfrage dürfte somit so schnell nicht versiegen. Für Coaches, die spezifische Kompetenzen im Online-Coaching (siehe hierzu z.B.: Berninger-Schäfer, 2020; Friesenhahn & Taylor, 2019) aufgebaut haben, bedingt dies weiterhin einen Wettbewerbsvorteil.