Anhand konkreter Praxisfälle soll im Folgenden auf die Frage eingegangen werden, wem gegenüber der Coach beim Coaching von Organisationsmitgliedern zur Loyalität verpflichtet ist bzw. sein sollte
Das Business-Coaching beginnt im Auftrag des Geschäftsführers (GF) mit einem Coaching für einen Abteilungsdirektor. Mit Executive-Coachings des GF, Team-Coaching des GF-Ressortführungsteams, der Strategie- und Organisationsentwicklung unter Beteiligung des Eigentümers des Unternehmens wird der Prozess fortgesetzt. Die Dauer des Gesamtprozesses beträgt neun Monate. Der Vertrag des GF wird während dieser Zeit nicht verlängert und führt zu einer großen Enttäuschung sowie Frustration beim GF. Die Nichtverlängerung basiert auf Geschehnissen der letzten zwei Jahre vor dem Coaching. Es steht für den Coach die Frage im Raum, ob er nach seinem Ausstieg für die Organisation weiterhin als Coach und Berater tätig sein kann.
Im Rahmen einer größeren Reorganisation mit großem Kostensenkungsprogramm wird der GF gecoacht. Coach und Klient arbeiten einzeln und mit seinem Führungsteam. Eines der Teammitglieder (Manager) beteiligt sich an einem Lieferanten und hilft diesem, aus seiner bestehenden Position heraus gute, langfristige Verträge mit seiner aktuellen Firma abzuschließen. Der GF ist sehr "gutmütig" und lässt dies zu. Er übersieht, dass ihm diese Situation im Kontext des Konzerns schaden kann.
In einer Teamklausur kommt es zur Auseinandersetzung zwischen dem Manager und dem Coach. Am Morgen der Klausur hat der Coach erst erfahren, dass der Manager die Firma verlässt und zum Lieferanten wechseln wird. Er greift den Coach massiv an und will die Agenda entsprechend seiner künftigen Ausrichtung verändern. Dabei ist ihm die aktuelle Teamsituation nicht wichtig. Der Coach hält dagegen und konfrontiert ihn auch in Bezug auf seinen Einstieg beim Lieferanten. Es finden Solidarisierungen in beide Richtungen statt. Die Agenda wird eingehalten. Der Manager beteiligt sich nicht mehr und ist frustriert. Der GF versucht "gute Miene zum bösen Spiel zu machen". Trotz schlechter Stimmung werden gute Ergebnisse erarbeitet.
In einem anderen Praxisfall wird deutlich, dass der Vorstand eines Konzerns einen ihm nicht loyalen Coach als Moderator seiner Vorstandsressortklausur beauftragt hat. Dieser Coach hatte einen viel direkteren, langjährigen Kontakt zum Vorstandsvorsitzenden. Wenn dieser ihn nun fragt, wie denn der neue Vorstand so mit seinen Direktoren in der Ressortklausur umgeht und wie diese auf ihn reagieren, kann davon ausgegangen werden, dass dieser Coach gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden sich nicht schützend vor dem Vorstand stellen wird, sondern entsprechend seiner Loyalität zum Vorstandsvorsitzenden die "Knackpunkte" nennt. Der Vorstandsvorsitzende hat also den Fehler gemacht, einen ihm nicht loyalen Coach für sehr kritische Situationen an Bord zu holen, womit er die Verlängerung seines Vorstandsvertrags riskiert.
Die Loyalitätsfrage als ein moralisches und wertebasiertes Konstrukt setzt den Coach unter Druck. Kann und sollte der Coach, der durch den Klienten – in diesem Fall z.B. dem GF der Organisation – in das Unternehmen geholt wurde und dessen Vertrag nach zwei Jahren nicht mehr verlängert wird, weiterarbeiten? Oder muss auch der Coach seinen Einsatz für die Organisation beenden, da er loyal sein will? Umgekehrt dürfte es für den Klienten, der den Coach ins Unternehmen geholt hat, nicht einfach sein, zu akzeptieren, dass der Coach nach ihm weiter für die Organisation tätig ist.
Der Coach kann mit dem gekündigten Klienten gemeinsam das Coaching beenden und aussteigen. Oder er kann sein Dilemma offen ansprechen. Der Klient wird ihm, wenn er trotz der Enttäuschung und Frustration aufgrund der Nichtvertragsverlängerung eine professionelle Haltung einnehmen kann, mitteilen, dass es ihm nichts ausmacht, wenn der Coach für die Organisation weiter arbeitet. Ferner kann er ihm mitteilen, dass der Coach den Prozess nicht einfach abbrechen sollte. Ihm kann es wichtig sein, dass die angefangenen, sonstigen Beratungsaktivitäten und Coachings fortgeführt werden sollten.
Dennoch kann es sein, dass dieser ehemalige Klient dem Coach sein Vertrauen entzieht, da er weiß, dass dieser nun für die Chefs der Organisation tätig ist, die ihn entlassen haben. Mit diesem Ende der Beziehung und der damit verbundenen eigenen Trauer sowie den negativen Projektionen des Klienten muss der Coach umgehen und es aushalten können.
Wenn aber der Aufsichtsrat den Coach fragt, ob dieser bei der Suche eines GF-Nachfolgers helfen kann, eskalieren die Loyalitätsfrage und damit der Konflikt. Eine gute Lösung ist, wenn sich der Coach aus der aktiven Suche heraushält, auch sollte er keinen Headhunter empfehlen. Wenn aber der Aufsichtsrat ihn bittet, doch den potentiellen Nachfolger später einmal anzuschauen und bei der Entscheidungsfindung zu helfen, so spricht dem nichts gegen. Er sollte sich nur aus dem aktiven Prozess des Suchens raushalten. Dies wäre ein Loyalitätsbruch gegenüber dem GF, da seine Interessen gefährdet wären, z.B. wenn er die Firma vor Ablauf seines Vertrags verlassen muss, da der Nachfolger bereits gefunden ist. In dem Praxisfall hat der Aufsichtsratsvorsitzende akzeptiert, dass der Coach nicht mitsucht, aber den potenziellen GF ggf. mir anschaut.
Im Business-Coaching von Organisationsmitgliedern werden i.d.R. Kontrakte mit einem Auftraggebersystem abgeschlossen. In diesem Fall geht der Coach eine Verpflichtung gegenüber der Organisation und dem Organisationsmitglied, das er coacht, ein. Hierbei schließt der Coach in einem formalen Prozess den Kontrakt mit verschiedenen Systemmitgliedern ab. Neben diesem formalen Prozess gibt es auch die informale Erwartungshaltung der beteiligten Personen, die davon ausgehen, dass der Coach auch ihre Interessen sieht. Darüber hinaus werden sie unbewusste Wünsche haben, dem Coach nahe zu sein und seine Unterstützung zu erhalten.
Die Kontraktierung der potenziellen Konflikte im Vorfeld scheint vermeintlich der einfachere Weg zu sein, um mit der Loyalitätsherausforderung umzugehen, da diese Formalität eine konstruktive und für die Organisation hilfreiche Handlungsmöglichkeit bietet. Oft ist es leider so, dass viele Aspekte und Eventualitäten vor Beginn des Coachings (in der Kontraktphase) nicht vorhergesehen und benannt werden können. Es ist z.B. nicht abzusehen, ob ein Dreijahresvertrag des Klienten verlängert wird oder nicht. Das anzusprechen würde den Klienten unnötig belasten und damit den Prozess stören. Der Coach kann zu Beginn gar nicht wissen, ob der Geschäftsführer überhaupt einen befristeten Vertrag hat. Das Coaching soll ja positiv, stärkend und mit Zuversicht beginnen. Es sei denn, der Klient will die Risiken im Vorfeld explizit bearbeiten.
Wenn der Coach einen Auftrag im Organisationskontext annimmt, so ist er allen Mitgliedern des Klientensystems gegenüber verpflichtet. Seine Loyalität besteht insbesondere gegenüber dem Gesamterfolg der Organisation. Diese beiden Aussagen können übrigens in den Kontrakt aufgenommen werden, wodurch aber der Klient u.U. vor Beginn des Coachings unnötig misstrauisch wird.
Im Team-Coaching, wo zur Rolle als Coach des GF auch die Begleitung seiner Organisation hinzukommt, steht er dem GF loyal zur Seite. Der Coach zieht für diese Loyalität die entsprechenden Projektionen derjenigen Teammitglieder auf sich, die dem GF gegenüber kritisch eingestellt sind. Dies muss der Coach ertragen, wenn er die Loyalität gegenüber dem GF nicht aufgeben will. Diese Loyalität darf jedoch nicht bedeuten, dass der Coach dem GF blind folgt. Er steht ihm durchaus auch kritisch gegenüber und zeigt ihm dies in Einzel-Coachings oder im offenen Team-Coaching. Diese Haltung des Coachs hilft dem GF, da die Teammitglieder sehen, dass der Coach auch in der Lage ist, den GF herauszufordern und der GF das aushalten kann. Die Kritik muss jedoch gut dosiert sein und darf den GF nicht sein Gesicht verlieren lassen.
Der Coach kann in Bezug auf die Loyalitätsfrage schnell an seine Grenzen kommen, da er es nicht jedem Recht machen kann. Hier treffen Interessen der Organisation und des Klienten zusammen, die sich nicht immer zusammenbringen lassen. Der Coach muss sich also entscheiden, ob er mit dem GF, den er gecoacht hat und der ihn in die Organisation geholt hat, mit aussteigt und dabei erklärt, dass er mit der Kündigung nicht einverstanden ist, oder ob er weiter für die Organisation und für ihre Mitglieder tätig wird.
Ein Lösungsansatz kann die innere Haltung des Coachs sein, dass er sich der Organisation als oberste Instanz verpflichtet sieht. Dies würde bedeuten, dass der Coach immer auch die Interessen und das Wohl der Organisation bei seiner Arbeit im Blick behalten muss: Er darf den Klienten nicht so coachen, dass es der Organisation schadet, z.B. indem er mit dem Klienten daran arbeitet, wie er bei einer Trennung das Meiste aus der Organisation für sich herausholt. Falls er dem Klienten in einem oder mehreren Sessions mitteilt, dass er vielleicht die Organisation verlassen sollte, wenn er doch immer so unzufrieden ist, so schadet er der Organisation nicht. Ganz im Gegenteil: Ein permanent unzufriedener Mitarbeiter, der eigentlich etwas anderes machen will, schadet der Organisation, wenn er bleibt.
Gegen das Interesse der Teammitglieder und vor allem gegen das Gesamtinteresse der Organisation können die Interessen des Klienten nicht gewahrt werden. Gegenüber der Organisation, die letztlich das Business-Coaching finanziert, besteht per se eine Loyalität. Wenn der Klient im Extremfall gegen die Interessen der Organisation arbeitet und diesem schadet, müsste der Coach seinen Auftrag zurückgeben.
Die Interessen der einzelnen Teammitglieder müssen vom Coach auch gesehen werden. Er kann sich nicht völlig auf die Interessen des Klienten fokussieren. Offen ist nur, was passiert, wenn es "hart auf hart kommt". Muss der Coach in diesem Fall seinen Klienten schützen? Wenn dies geschieht, wird sich übrigens niemand in der Teamrunde wundern. Jedem wird klar sein, dass der Coach vom GF beauftragt ist und sie werden sich denken können, dass der Coach vom GF in Bezug auf die einzelnen Personen gebrieft und damit beeinflusst wurde. Der Coach baut im Interesse seines Klienten Brücken zu anderen (kritischen) Teammitgliedern.
Den Klienten in der Auseinandersetzung unterstützenIn die Auseinandersetzung gehen, sie jedoch im Vorfeld intensiv mit dem Klienten reflektieren. Die Loyalität des Coachs zum Klienten und zur Organisation kann in der Praxis so weit gehen, dass der Coach für seinen Klienten in die Auseinandersetzung mit unangenehmen, ihm schadenden Teammitgliedern geht. Der Coach wird diese Personen offen in der Runde konfrontieren, wenn diese sich z.B. so verhalten, dass sie damit dem GF bzw. der Organisation schaden. Der Coach wird mit den Konsequenzen seiner Konfrontation leben müssen.
Wenn der Coach in der Moderation einer Vorstandsteamklausur einen Konflikt erkennt, so kann er den Teamkollegen mit dem Vorstand zusammenbringen und versuchen, den Konfliktpunkt zu bearbeiten. Wenn der Vorstand das Gefühl hat, dass der Coach ihm gegenüber loyal ist, wird er diesen Mediationsprozess eher zulassen, als wenn er in Bezug auf die Loyalität des Coachs im Unklaren ist. Bei erfolgreicher Mediation hat die Organisation einen enormen Vorteil und Gewinn. Und das im Konflikt mit dem Vorstand stehende Mitglied freut sich über die entspannte Lage und darüber, dass er "aus dem Schussfeld kommt". Damit zahlt sich Loyalität des Coachs gegenüber dem Klienten in der Organisation aus – eine vermeintliche Allparteilichkeit bringt hier keinen Nutzen. Ganz im Gegenteil kann die Allparteilichkeit, wie es hier und da in der Theorie gefordert wird, kontraproduktiv sein.
Wenn der GF aus einer Führungsschwäche heraus mit den Teammitgliedern und ihrem destruktiven Verhalten nicht zurechtkommt, wird er die Zusammenarbeit mit dem Coach, der eigentlich die "Schlacht für ihn geschlagen" hat, ggf. beenden. Starke Führungskräfte bzw. Klienten werden dieses Phänomen erkennen und die Auseinandersetzung sowie die Verwicklung des Coachs in einem Konflikt, der eigentlich ihr Konflikt ist, in den richtigen Kontext setzen.
Als Coach sind wir für den GF, der uns in die Organisation hineingeholt hat, voll da. Stützen und helfen ihm in der Ausübung seiner GF-Rolle. Stehen ihm zur Seite, wenn er schwierige Auseinandersetzungen in seinem Team aushalten bzw. meistern muss. Das Besondere beim Business-Coaching im Organisationskontext ist, dass der Coach, bei guter Arbeit, schnell weitergereicht wird bzw. weitergehende Aufträge, z.B. Team-Coaching, erhält.
Je höher man mit dem Klienten in der Organisationshierarchie steigt, umso dünner wird die Luft, es wird kälter, einsamer, politischer und komplexer. Die Verträge dieser Führungskräfte sind i.d.R. befristet und die Frage der Loyalität und Unterstützung des Coachs wird Teil der Existenzfrage. Dies bedeutet, dass der Klient die Frage der Loyalität seines Coachs nicht nur intuitiv, sondern auch strategisch beantworten muss.
Am Ende sollte jeder Coach, der sich mit Kollegen und seinem Supervisor beraten hat, auch seiner Intuition folgen. Denn die Loyalitätsfrage kann nicht pauschal beantwortet werden, vielmehr ist sie von vielen Variablen wie z.B. Kontext, Beziehung zum Coach, Auftragsumfang, Vertragssituation und den Werten und der Professionalität des Coachs abhängig.