Ganz egal, wie man zur Maxime „höher, schneller, weiter“ steht, folgt die Realität vieler Arbeitstätigen nicht seit Jahren genau dieser Philosophie? Noch schnellere Reaktionszeiten. Noch einfachere Prozesse. Noch besserer Service. Denn eines der zentralen Paradigmen der Wirtschaft ist bekanntlich, dass ein Unternehmen wachsen muss, sei dies nun auf der Ebene Marktanteil, Umsatz oder Gewinn (oder am besten natürlich in allen Bereichen).
In den letzten Jahren hat zudem eine weitere Steuergröße das Businessleben stark bestimmt: (Fix-) Kosten sparen. Die Kombination dieser beiden Aspekte impliziert, dass die tendenziell schrumpfende Anzahl von Mitarbeitenden von Jahr zu Jahr mehr leisten muss. Da die Quantität der Leistung durch Arbeitsgesetze zumindest teilweise limitiert ist, liegt der einzig mögliche Ansatzpunkt im Normalfall beim Faktor Zeit. Nicht nur Sprinter und Marathonläufer unterliegen also dem Druck, immer schneller zu werden: Alle werden damit konfrontiert. Im Business-Alltag spricht man dann aber meistens nicht von Tempo, sondern von Einsatzwille und Engagement, Effektivität und Effizienz. Im Rahmen der jährlichen Leistungsbeurteilung mag das dann in etwa so klingen:
„Sie haben in diesem Jahr eine sehr gute Leistung erbracht: Kompliment, Frau X! Im nächsten Jahr müssen wir uns alle aber nochmals steigern. Sie müssen nochmals einen Zacken zulegen, denn um heute im Markt bestehen zu können, müssen wir ständig noch besser werden.“ – Ein Lob mit Widerhaken. Welche Optionen hat Frau X? Sie kann
In verschiedenen Kulturen gibt es unterschiedliche Leistungskonzepte. Während wir im deutschsprachigen Raum Leistung als Notwendigkeit und Tugend betrachten (jedoch eher ohne die spaßvolle Komponente der Leichtigkeit), stehen in anderen Ländern andere Aspekte im Zentrum. Auch ohne eine soziologische Analyse der Leistungskultur in verschiedenen Ländern zu zitieren, kann man wohl davon ausgehen, dass es in China, den USA, in Kenia oder Australien andere Zugänge zum Thema Leistungserbringung und -optimierung gibt als bei uns.
Es gibt aber auch Parallelen, welche kulturunabhängig sind. Dies beginnt beispielsweise bei der physikalischen Definition der Leistung (Arbeit pro Zeit), welche nachvollziehbar macht, dass es bei der Leistungserbringung um Quantitäten (mehr leisten) einerseits und um den Zeitfaktor (in kürzerer Zeit) andererseits geht.
Universell ist auch, dass die körperliche Leistungsfähigkeit nicht in allen Lebensphasen gleich hoch ist. Das Nachlassen der Leistungsfähigkeit ab circa dem 25. Lebensjahr oder das Bedürfnis nach längeren Erholungszeiten sind zum Beispiel gut dokumentierte und wichtige Einflussfaktoren. Kombiniert ergibt sich ein gravierendes Dilemma: Was tun, um die jährlich steigenden Anforderungen erfolgreich zu bewältigen, wenn unsere Leistungsfähigkeit ebenso nachlässt wie die Fähigkeit, Zusatzleistungen zu erbringen (Überstunden, Extra-Einsätze et cetera)?
Die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik ist also auch für den Coach zentral – und durchaus anspruchsvoll. Kernfragen sind unter anderen:
Coach und Klient sind also angehalten, sich mit einer Optimierung der lebensphasenspezifischen Leistung bei gleichzeitiger Minimierung der Risikofaktoren und Nebenwirkungen auseinanderzusetzen. Die Antworten können unterschiedlich sein und implizieren – je nach gewähltem Schwerpunkt – unterschiedliche Coaching-Ansätze:
Fragt man Mitarbeitende und Führungskräfte, wie sie sich auf einer Skala mit den Polen Leistungsverweigerung und Leistungswahn einschätzen, werden sich viele im Mittelfeld (zwischen 4 und 7 auf einer 10er-Skala) einordnen. Im klassischen (nicht spezifisch leistungsorientierten) Coaching ist jede Skalierung in Ordnung. Es sei hier aber die kritische Frage gestellt: Reicht dieser Ansatz aus, wenn man als Coach den Auftrag hat, einen klaren Beitrag zur Leistungsentwicklung zu leisten? Ist es dann nicht die Aufgabe, den Klienten mit der 9 oder der 10 auf der Skala zu konfrontieren?
Einem Coach, der sich zum Ziel gesetzt hat, mit dem Klienten die Grenzbereiche des Leistungspotenzials auszuloten, über die Komfortzone hinaus zu blicken, wird zuerst sein eigenes Leistungskonzept reflektieren. Wer selbst ein differenziertes, aber klares Ja zur Leistung sagen kann, der wird seinem Klienten auch bei besonders stark ausgeprägtem Leistungsanspruch wertschätzend und nutzbringend begleiten können.
Hier muss zugleich gesagt werden, dass der Begriff „Coaching for Performance“ aktuell sehr uneinheitlich verwendet wird. Das Spektrum reicht dabei von Coaching, welches hilft, die Erwartungen zu übertreffen (Whitmore, 2009) über Coaching auf Verhaltensebene (Dilts, 2003) bis hin zu lösungsorientiertem Mitarbeiter-Coaching durch Führungskräfte (Meier, 2006). Der Autor selbst verwendet den Begriff – sehr bewusst auf den Wortsinn abzielend – als die Form von Coaching, welche sich explizit um die Leistungsoptimierung kümmert und dem Klienten hilft, herausragende Ergebnisse zu erzielen.
Trotz aller terminologischen Unterschiede lässt sich als gemeinsamer Nenner wohl formulieren: Es geht um gute Leistungen. Es wird eine Optimierung angestrebt. Dies soll sich auf der Verhaltensebene manifestieren; und zu Top-Ergebnissen führen. Diese recht offene Begriffsverwendung ist aber nicht ganz unproblematisch, weil sich der wohl wichtigste Mitbewerber im Leistungsoptimierungs-Markt auf eine einheitliche Terminologie geeinigt hat. Die Vertreter des Total-Quality-Management (TQM) verkaufen ihren Kunden „Excellence“ als Ziel der Intervention. Als Methode verwenden sie in erster Linie systematisierte Prozess- und Ablauf-Optimierungen und formulieren entsprechende Standards. Beim Performance-Coaching liegt der Schwerpunkt hingegen eher auf individuellen, personbezogenen Faktoren (zum Beispiel Einstellung, Anspruchsniveau und Verhalten). Die beiden Ansätze ließen sich zum Wohle des Kunden gut verbinden, was in der Praxis allerdings kaum geschieht.
Wie also muss ein Coaching aufgebaut sein, damit man von einem Performance-Coaching sprechen kann? Davon ausgehend, dass Methoden und Inhalte, die im Performance-Coaching von Bedeutung sind, nicht solitär und klar gegenüber anderen Formen des Coaching abgrenzbar sind, liegen die Schwerpunkte mehr bei der Intensität und Tiefe, mit welcher einzelne Aspekte bearbeitet werden. Schon in Vorgespräch und Contracting sollten vier Punkte besonders gewichtet und genau geklärt werden:
Dass diese Themenkreise dann auch im Coaching-Prozess zentral sind, versteht sich von selbst.
Es gibt aber auch einige methodische Ansätze, welche beim Coaching mit dem Ziel „Leistungsoptimierung“ oder „Top-Leistung“ besonders wichtig sind. Das sind unter anderen ein solides Benchmarking (Auseinandersetzung mit den Einstellungen und Verhaltensweisen der Besten) und ein intensiver Weg-Ziel-Dialog (Zielhöhe, notwendige Ansatzebenen, nötiger Aufwand et cetera). Zudem hilft es sehr vielen Klienten, wenn man den Weg zum Ziel sehr systematisch bearbeitet und klärt, was ziemlich aufwendig sein kann (Was braucht es auf den verschiedenen Ebenen, um ans Ziel zu gelangen?). Diese drei Ansatzpunkte werden noch klarer, wenn man sie in Tool-Form betrachtet:
Nach der aufmerksamen Bearbeitung von Ziel und Weg bietet sich oft eine Reflexion der vorhandenen oder der notwendigen Ressourcen an. Hier gilt es unter anderem, sich mit Aspekten der Psychoregulation (Emotionen, Denken, Konzentration et cetera) auseinanderzusetzen. In vielen Fällen ist die Arbeit in diesen Kompetenzbereichen ein Schlüsselfaktor für die Leistungsoptimierung.
Natürlich können in der Startphase eines Performance Coachings (oder zwischendurch) auch diagnostische Instrumente nützlich und wertvoll sein (s. Kasten). Gerade bei den ohne theoretisches Hilfskonstrukt nicht leicht erschließbaren Aspekten der Einstellung zur Leistung können sie wertvolle Dienste leisten.
Zwei Verfahren, die sich als sehr wertvoll herausgestellt haben, sind das Leistungsmotivationsinventar (LMI) von Schuler, Prochaska & Frintrup (2001) und das Verfahren AVEM (Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster) von Schaarschmidt & Fischer (2003). Sie bieten sowohl für das Erkennen möglicher Entwicklungsbereiche wie auch für die Ressourcen-Klärung nützliche Anregungen. Diese Tests sollen jedoch nicht als klassische Messinstrumente genutzt werden, sondern als Initialzündung zum Dialog.
LMI
Das Leistungsmotivationsinventar integriert die wichtigsten Dimensionen, die in verschiedenen Leistungsmotivationstheorien angesprochen werden. Besonders spannende Dimensionen können im Leistungs-Coaching Beharrlichkeit, Engagement, Erfolgszuversicht, Flow, Leistungsstolz, Wettbewerbsorientierung und anderes sein. Vorteil des LMI: Es bietet sehr vielfältige und nützliche Ansatzpunkte. Nachteile: Das Ausfüllen der Vollversion dauert 45 Minuten, und die Auswertung ist aufwendig.
AVEM
Das Verfahren erlaubt Aussagen über gesundheitsförderliche oder gefährdende Verhaltens- und Erlebensmuster bei der Bewältigung von Arbeits- und Berufsanforderungen. Besonders spannende Dimensionen können im Leistungs-Coaching beruflicher Ehrgeiz, Verausgabungsbereitschaft, Perfektionsstreben und anderes sein. Vorteile des Tests: Das Ausfüllen ist schnell gemacht und gibt auch Hinweise auf personenbezogene Risikofaktoren für Burnout (wenn spezifisches Burnout-Wissen vorhanden ist). Zudem ist eine elektronische Auswertung möglich.
www.persoenlichkeitspsychologie-potsdam.de/AVEM.htm
Kombination LMI und AVEM
Die beiden Tests lassen sich optimal kombinieren, auch wenn sich gewisse Redundanzen nicht wegdiskutieren lassen. Eine Kombination verlangt allerdings Erfahrung im Bereich Persönlichkeitspsychologie.
Performance-Coaching ist keine eigene Coaching-Disziplin, sondern eher eine Spezialität, eine Nische. Im Gegensatz zu anderen, „größeren“ Coaching-Disziplinen (Life-Coaching/Business-Coaching) lässt sie sich aber inhaltlich recht präzise beschreiben – auch wenn sie thematisch in viele andere Disziplinen hineinspielt. Performance-Coaching lässt sich also vielleicht mit anderen Coaching-Spezialitäten wie „Die-ersten-100-Tage-Coaching“ oder „Executive-Coaching“ vergleichen, wo spezifisches konzeptionelles und inhaltliches Wissen ebenso bedeutungsvoll ist. Gleichzeitig thematisiert Performance-Coaching aber in intensiver Form eine ganze Menge von Themen, welche im Life- und Business-Coaching generell bedeutungsvoll sind. Oder sind das Sprengen der eigenen Grenzen und das Streben nach mehr nicht ganz alltägliche Coaching-Themen?