Ohne Zweifel: Qualitätssicherung im Coaching ist wichtig, sonst werden der Beliebigkeit und der Scharlatanerie Tür und Tor geöffnet. Daher achten wir im Coaching und in der Weiterbildung zum Coach sowie in der Verbandsarbeit im Bereich Coaching darauf, dass Professionelle über einen soliden Fundus von Konzepten und Vorgehensweisen verfügen und dass sie lernen, Coaching-Prozesse bewusst zu gestalten. Doch dürfen Zielorientierung und die Kontrollierbarkeit der Prozesse vorrangige Gütekriterien für Coaching werden?
Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse formulierte schon Mitte des letzten Jahrhunderts sinngemäß: Wissenschaftliche Methoden, die mehr Sicherheit bieten und Intuition, die mehr Möglichkeiten eröffnet, sind gemeinsam Grundlage kreativen Handelns.
1979 hatte ich Gelegenheit zu einer Studienwoche bei dem legendären Hypnotherapeuten Milton Erickson. Dank diverser Weiterbildungen u.a. in Gruppendynamik, Transaktionsanalyse und Gesprächspsychotherapie war ich nicht unerfahren bezüglich Methoden und Konzepten im Kommunikationsbereich und hatte auch viele Vorstellungen von Didaktik in komplexen Lernerfahrungen.
Ich war am Vorabend im glühendheißen Phönix in der Wüste Arizonas angekommen. Das Seminar fand in einem Hinterhaus von Ericksons Privatanwesen statt. Milton Erickson begann das Seminar unvermittelt mit Erzählungen über seine Gedanken zur Hypnotherapie. Eingestreut erzählte er Praxisbeispiele oder beriet Teilnehmer, die sich zu Demonstrationen bereit fanden. Aufgrund einer Behinderung sprach er nicht deutlich artikuliert. Ich hatte Eingewöhnungsprobleme und Schwierigkeiten, seinen Akzent zu verstehen. Nach ca. zwei Stunden konnte ich den Inhalt der Worte Ericksons nicht länger identifizieren, hörte nur noch ein Gemurmel mit amerikanischem Sound. Ein freundlicher Techniker bot mir zur Behebung meiner „Hörstörungen“ einen Kopfhörer an, über den ich den Ton der laufenden Fernsehaufzeichnung eingespielt bekam. Ich hörte nun akustisch einwandfrei dasselbe Gemurmel, nach wie vor allerdings ohne die Worte verstehen zu können...
Schließlich gab ich auf und ließ mich die verbleibenden Stunden dieses Tages von dem unverständlichen Gemurmel berieseln. Am nächsten Tag war es besser und ich hatte kaum noch akustische Verständnisschwierigkeiten.
Etwa ein Jahr später nahm ich mir die Tonbänder dieses „verlorenen Tages“ vor, um nachzuholen, was ich versäumt zu haben glaubte. Doch zu meinem Erstaunen hörte ich nichts auf dem Band, was ich nicht in Erinnerung gehabt hätte. Ja, ich erkannte sogar Arbeitsfiguren, die ich in meiner (damals psychotherapeutischen) Arbeit bereits übernommen hatte. Irgendwie hatte ich alles mitbekommen. Wer aber hatte hier „Hörstörungen“ und wer hatte trotzdem alles gehört? Und wer war dieses Ich, das verstanden und nach eigenem Plan gelernt und umgesetzt hatte?
Ich war sehr lernbegierig, doch Erickson gab mir keine Gelegenheit, mit ihm direkt zu arbeiten. Dies führte bei mir zuerst zu Frust und dann zu einem „Beziehungswahn“. Ich sah plötzlich glasklar, dass Erickson sowohl mein Talent als aber auch meine Kontrollbedürfnisse erkannt hatte. Er musste beschlossen haben, mich in besonderer Weise zu fördern, wollte aber wegen meines kontrollierenden Eifers nicht direkt, sondern indirekt und „verschlüsselt“ mit mir arbeiten. Ohne mich direkt zu adressieren legte er wesentliche Botschaften an mich in seine Lehrgeschichten und Demonstrationen. Ich war elektrisiert und bezog begierig alles auf mich persönlich.
Auch in den Wochen danach hielt dies an und ich war fasziniert davon, wie sich die Lehren des Meisters in mein Denken, in meine methodischen Vorgehensweisen und meine Beziehung zur Vielschichtigkeit meiner Klienten wie von selbst hineinarbeiteten. Oft bemerkte ich dies erst, nachdem es bereits in vollem Gange war. Mein Bewusstsein hatte eher beobachtende Funktionen. Wer aber führte hier Regie? Später in einem Gespräch mit Jeff Zeig wurde mir klar vor Augen geführt, was ich schon geahnt hatte: Das meiste von dem, was ich auf mich bezogen hatte, war nicht speziell für mich bereitet worden. Doch machte das noch einen Unterschied? Ich würde nichts mehr hergeben von dem, was es in mir so angeeignet hatte.
Leider starb Erickson kurz darauf, so dass mir seine Einladung zum Besuch weiterer Lehrseminare als offene Gestalt geblieben ist. Obwohl ich nur fünf Tage mit Erickson in Phönix verbracht habe, ist er einer meiner wichtigsten Lehrer über Jahrzehnte geblieben.
Warum erzähle ich davon? Sicher nicht, um jedem Hokuspokus Rechtfertigung zu liefern. Eher um anzuregen, das handwerklich Solide im Coaching nicht für das allein Wesentliche zu halten.
Hierzu möchte ich noch etwas aus der langjährigen Erfahrung am Institut für systemische Beratung in Wiesloch berichten. Die Absolventen unserer Weiterbildungen berichten schriftlich und mündlich über entscheidende Lernerfahrungen. Dabei werden oft Situationen als wesentlich berichtet, die so nicht im Zentrum unserer didaktischen Planung, unserer inhaltlichen Perspektiven oder unserer methodischen Demonstrationen standen. Das von den Teilnehmern als entscheidend berichtete Lernen scheint oft anlässlich beiläufiger Bemerkungen eher am Rande der offiziellen Ereignisse, oft zu einem ganz anderen Zeitpunkt, anhand eines anderen Themas und an einem anderen Ort als geplant stattzufinden. Dennoch scheinen solche Lernsituationen nicht in beliebigen Prozessen und zufällig stattzufinden, sondern am Rande hochwertiger Lernsituationen und wesentlicher persönlicher Begegnungen.
Man kann sie also einerseits nicht der Beliebigkeit überlassen, kann sie aber andererseits nicht direkt planen. Man muss zwar handwerklich ordentliche Lernsituationen schaffen und sollte dennoch davon ausgehen, dass das für die Lernenden persönlich Wesentliche unkontrollierbar am Rande geschieht. Eine erziehungswissenschaftliche Beschreibung des Problems wie auch eine darauf bezogene pädagogische Methodik müssen wohl erst noch entwickelt werden – wir bereiten derzeit ein wissenschaftliches Projekt dazu vor.
Es ist also eine paradoxe Situation: Man muss Lernen, ordentlich und kontrollierbar zu organisieren, und gleichzeitig davon ausgehen, dass das Wesentliche nicht direkt geplant oder methodisch angegangen werden kann. In der Segelmetapher gesprochen müssen Ausrüstung und Kompetenz zwar verfügbar sein, doch kann man damit nur den Wind geschickt einfangen, ihn nicht erzeugen. Will man sicher gehen, kann man immer unter Motor fahren, nur ist es dann kein Segeln, kein Umgehen mit dem prinzipiell Unkontrollierbaren.
Dennoch: bei Flaute oder zum Erreichen besserer Windverhältnisse ist ein Motor nützlich, jedoch in der Funktion einer zusätzlichen Hilfe. Welcher Coach oder Gruppenleiter kennt nicht die Leiden, wenn man zwar nichts Falsches macht, aber auch keine stabile und lebendige Brise aufkommt. Dann ist Rudern oder Motorbetrieb angesagt. Damit geht es auch, doch kann dies sehr anstrengend und wenig inspirierend werden. Wer dieses Risiko meiden möchte, kann zu Ruder- oder Motorfahrten einladen, verzichtet aber darauf, sich von den Elementen tragen zu lassen.
Zurück zum Coaching und Coaching-Weiterbildungen. Die Prozesse müssen vernünftig fokussiert und methodisch geführt werden. Gleichzeitig müssen sie so offen sein, dass im Hintergrund Themen erarbeitet werden und persönliches Lernen stattfindet, das durch die Veranstaltung im Vordergrund zwar inspiriert und gefördert wird, ihr aber im Einzelfall nicht gesichert zugeordnet werden kann.
Wir behelfen uns mit Begriffen wie „systemische Didaktik“, um dem didaktischen Mix und den vielschichtigen Wirklichkeitsbezügen und unterschiedlichen Lernstilen gerecht zu werden. Wir sprechen von "fragmentarischem Lernen", um deutlich zu machen, dass Vollständigkeit eine Illusion ist und Beispiele vorrangig hochwertige Lernsituationen erzeugen sollten, in deren Zusammenhang und an deren Rande dann das Wesentliche geschehen kann. Wir sprechen von "qualitativem Transfer", um deutlich zu machen, dass die inhaltliche Übertragbarkeit nur bedingt entscheidend ist und es mehr auf die Stimulation von vielschichtigem Lernen und kreativem Transfer ankommt, wenn die Effektivität einer Maßnahme beurteilt werden soll. Am einfachsten zu überzeugen sind die Menschen davon, solange sie in unmittelbarem Kontakt mit solchen Erfahrungen sind.
Ein Problem sind die aus unserer Bildungssozialisation entstandenen Kontrollkriterien für Lernen. Der „Bildungskontroller im eigenen Kopf“ und die betrieblichen Bildungscontroller draußen können mit ihren üblichen Kategorien solchen Gütekriterien nicht genügend Gewicht einräumen, da sie sich eben „objektiver Kontrolle“ verpflichtet sehen. Dann entsteht oft die schwierige Situation, dass fruchtbares Lernen unter ungeeignete Bewährungskriterien gestellt wird. Wenn dies überhand nimmt, wird Lernkultur stranguliert. Es ist also wichtig, sowohl die innerlichen Bildungscontroller der Lehrenden und Lernenden wie auch die im Unternehmen tätigen in den Umgang mit der oben beschriebenen Paradoxie mit einzubeziehen, um sie mit besseren Gütekriterien auszustatten. Hierzu bedarf es einer anderen und vielschichtigeren inneren und äußeren Kommunikation über Lernen.
Ein Beispiel
In der Beratermarktübung in Untergruppen schildert A kurz ein berufliches Problem. B, C und D dürfen nach kurzem Nachfragen eine Problemskizzierung und ein Beratungsangebot aus ihrer Sicht dem Kunden A vortragen. Dieser wählt aus und erhält vom so Beauftragten (sagen wir B) eine Beratung. C und D müssen nun „umschalten“. Ab sofort sind sie für die kollegiale Supervision von B bezüglich seiner Beratung mit A zuständig. Dies erfordert einen nicht nur oberflächlichen Rollen- und Fokuswechsel, damit man nicht hintergründig in der vorhergehenden Konkurrenzsituation hängen bleibt. Nach der Beratung und der darauf bezogenen kollegialen Supervision wird nun das Marktgeschehen nochmals besprochen. Warum hat A den Auftrag an B gegeben? Hat sich dies im Nachhinein betrachtet bewährt? Welches Verhalten von C und D hat dazu geführt, nicht gewählt zu werden. Wie hätten deren Angebote bessere Chancen gehabt? Usw.
Die Praxisnähe, die notwendige Fokus- und Rollendisziplin, das gezielte Wechseln der Kommunikationsebenen, die Verknüpfung von persönlichem Lernen mit sachlichen Fragestellungen sowie die Bewährung in der Kommunikation beim Kunden werden durch eine solche Schilderung in ihrer Vielschichtigkeit unmittelbar spürbar.
Ähnliche Wege gehen wir in der Evaluation von Weiterbildung und Coaching durch einen zirkulären Ansatz. Das persönliche Gefühl, viel gelernt zu haben, ist kein hinreichendes Kriterium – der „objektive Beweis“ aber eben auch nicht. Anstatt die Effektivität von Lernen direkt nachzuweisen, bitten wir kompetente Partner im beruflichen Umfeld um ihre Einschätzung der Lernenden bezüglich deren Lernfortschritte und Umsetzung des Gelernten im Beruf. Hier kommen dann objektivierbare und intuitive Beurteilungen zusammen. Dies hat überdies den Vorteil, dass diese Evaluation Marktrelevanz hat, da Beurteilung und Empfehlung in der Praxis ohnehin so funktioniert. Natürlich hat man auch hier nicht soviel Kontrolle wie bei einer Objektivierung; dafür aber Vielschichtigeres und Wesentlicheres, was komplexen Organismen eher gerecht wird.
Das Kontrollierbare wird so leicht banal und taugt bestenfalls für Rechtfertigung. Wenn Kontrolle allein nicht geeignet ist, Qualität im Coaching zu sichern, was dann? Wie können wir beliebige Kulte von sinnvoller Lernkultur unterscheiden? Wie können wir uns vor Sekten schützen, ohne selbst zur Inquisitionssekte zu werden?