Immer wieder kann man in Zeitschriften lesen, dass Coaching als eine Art verdeckte Therapie dabei helfen soll, die zahlreichen Neurosen zu heilen, die Führungskräften unterstellt werden. "Wer sich nicht zum Psychiater traut", so die deutliche Botschaft zwischen den Zeilen, "lässt sich halt heimlich coachen." Diese Botschaft halte ich aus mehreren Gründen für problematisch und möchte dies wie folgt erläutern:
Coaching ist keine verdeckte Psychotherapie für Manager, dies ist schlichtweg nicht leistbar, selbst wenn es (heimlich) gewünscht wäre. Auch wenn im Coaching durchaus Techniken aus psychotherapeutischen Schulen eingesetzt werden (z.B. Gesprächstechniken, kognitive Verfahren, Transaktionsanalyse, Kreativitätsübungen, Rollenspiele uvm.) kann der Coach keinen Therapeuten ersetzen.
Prinzipiell richtet sich Coaching an "gesunde" Personen und widmet sich vorwiegend den Problemen, die aus der Berufsrolle heraus entstehen. Dies kann natürlich mit privaten Anliegen und persönlichen Schwierigkeiten zusammenhängen, Ausgangspunkt sind aber hauptsächlich die mit der "Berufspersönlichkeit" zusammenhängenden Anliegen, die ohne entsprechendes Fachwissen/Businesswissen des Coachs (welches Therapeuten i.d.R. nicht besitzen) nicht bearbeitet werden können.
Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit, psychische Erkrankungen oder die therapeutische Aufarbeitung der gesamten Lebensgeschichte eines Menschen sind ausschließlich die Sache von entsprechend ausgebildeten Psychotherapeuten, Ärzten und medizinischen Einrichtungen; sie sind nicht das Aufgabenfeld eines Coachs. Wer über eine entsprechende Doppelqualifikation (Coach und zugelassener Therapeut) verfügt, sollte genau darauf achten, die beiden Rollen nicht zu vermengen.
In einem Punkt ist der oben erwähnten Botschaft zuzustimmen: Führungskräfte trauen sich in der Tat eher selten zum Psychiater oder zu einem Psychotherapeuten. Meiner Einschätzung nach unterscheiden sie sich hier aber nicht wesentlich vom Rest der Bevölkerung: Während die Behandlung körperlicher Gebrechen als vollkommen normal angesehen wird, ist die Behandlung seelischer Störungen etwas "Unheimliches", wer zur Therapie geht, wird für "nicht normal" gehalten. So käme zwar niemand auf die Idee, sich mit einem gebrochenen Bein nach Hause zu schleppen und es dort eigenhändig zu schienen; bei psychischen Befindlichkeitsstörungen ist der Griff zum Medikamentenschrank oder der Gang zur Hausbar hingegen eher die Regel, als die Ausnahme. Die oft heimlich vorgenommene "Selbstbehandlung" (besser: Symptomverschleierung) ist leicht nachvollziehbar, da eine Führungskraft ihren Ruf nicht durch den Gang zum Psychiater "beschädigen" möchte, selbst wenn sie psychische Probleme hat - wer weiß, von wem man im Wartezimmer gesehen wird...?
So kommt es durchaus vor, dass eine Führungskraft sich aus Sorge, für unfähig gehalten zu werden, in aller Heimlichkeit an einen Coach wendet. Ist Coaching also doch eine diskrete Seelentherapie? Dies kann ein verantwortungsvoller Coach nur mit "nein" beantworten. Stellt sich im Vorgespräch oder erst während des Coachings heraus, dass der Klient therapiebedürftig ist, muss der Coach auf entsprechende Einrichtungen hinweisen. Ggf. sollte er seinem Klienten auch bei der Suche nach einem kompetenten Therapeuten bzw. einer entsprechenden Einrichtung unterstützen. Der Coach kann hier also bestenfalls indirekt helfen, z.B. in dem er dazu ermutigt, sich den Problemen zu stellen.
Ob jemand während einer Therapie noch Coaching in Anspruch nehmen sollte ist eine Einzelfallentscheidung. Grundsätzlich würde ich persönlich davon abraten, da dies eine zu große Belastung darstellen könnte. Dies würde möglicherweise mehr Schaden anrichten, als helfen. Das Coaching sollte daher abgebrochen oder zumindest ausgesetzt werden.
Anhand eines Beispiels möchte ich dies verdeutlichen: Wenn ein alkoholabhängiger Klient über Probleme mit seinen Mitarbeitern klagt, macht es keinen Sinn, in einem Coaching Führungskompetenz aufbauen zu wollen (meist wissen es alle Mitarbeiter, wenn der Chef Alkoholiker ist, nur dieser denkt, dass niemand etwas ahnt). Das Problem liegt auf einer anderen, tieferen Ebene und dort muss auch die Behandlung ansetzen. Danach kann man sehen, ob ein Coaching überhaupt noch nötig oder sinnvoll ist. Nur bei einer Einsicht kann der Coach in einer solchen Problemkonstellation vielleicht helfen: Dem Klienten klarzumachen, dass sein Problem früher oder später eskaliert und es das größere Stigma ist, den Alkoholismus scheinbar verheimlichen zu können und zu verleugnen als sich in eine Therapie zu begeben. Kurzum: Ein Coach muss den Mut haben, das auszusprechen, was ansonsten unausgesprochen bleibt und er muss einen Klienten unterstützen und ermutigen, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Darüber hinaus kann ein Coach keinen (Psycho-)Therapeuten ersetzen.
Anhand welcher Kriterien unterscheidet sich Coaching nun von der Psychotherapie?
Coaching bedient sich durchaus einiger Methoden, die auch im therapeutischen Bereichen eingesetzt werden. Coaching ist jedoch keine verkappte Psychotherapie für Manager, sondern diese Methoden werden benutzt, weil Sie in erster Linie wirksam sein können und nicht, weil sie per se "therapeutisch" sind. Rahmenbedingungen, Beratungskonzept, Qualifikation des Beraters und Zielsetzung von Coaching und Psychotherapie unterscheiden sich beträchtlich. Coaching kann ebenso wenig die Psychotherapie ersetzen, wie eine Psychotherapie ein Coaching ersetzen könnte.
Weitere Informationen finden Sie auch im Coaching-Report.