Die Finanzkrise ist eine globale Wirtschaftskrise geworden. Ihre Auswirkungen dürften enorm und langanhaltend sein. Der Coaching-Branche kommt in dieser Krise eine besondere Verantwortung zu. Denn gerade Coachs können durch ihre neutrale Außenseiterposition helfen, die Aufmerksamkeit auf häufig übersehene Zusammenhänge zu richten. Eine Krise bedeutet nicht Chaos, sondern zeigt – manchmal schmerzlich – auf, an welchen Stellen ein System Schwächen hat. Statt diese zu übersehen, ist eine Auseinandersetzung mit ihnen der reifere Weg zu Lösungen.
In Krisenzeiten wird immer gerne von der „Psychologie der Märkte“ gesprochen. Gemeint ist damit, dass sich die weitere Entwicklung einer Vorhersagbarkeit entzieht, weil die (scheinbar!) stabilen Regeln der Ökonomie außer Kraft gesetzt sind. Dies ist jedoch eine zu kurz gegriffene Annahme, denn natürlich entzieht sich die Psyche des Menschen und sein resultierendes Verhalten nicht einer gewissen Regelmäßigkeit. Insbesondere die Massenpsychologie zeigt, dass das Verhalten von Menschenmengen relativ gut beschreibbar ist. Ein Blick in dieses Feld ist also durchaus lohnend, insbesondere auch für ein besseres Verständnis des Geschehenen, zumal bisherige Erklärungsversuche eher simpel geblieben sind.
Natürlich ist es populistisch – und daher entsprechend beliebt – die Gier Einzelner für die Krise verantwortlich zu machen und diese entsprechend zu Pathologisieren und zu Dämonisieren. Dies greift für eine Analyse jedoch viel zu kurz. Ein solches, leider übliches Personalisieren von Problemen missachtet die dahinterliegenden Zusammenhänge und behindert zudem eine vernünftige Analyse, welche nicht nur Wege aus der Krise aufzeigt, sondern auch eine zukünftige Prävention möglich macht.
Menschliche Gier – natürlich gibt es sie – erklärt für sich genommen wenig. Erst das Verständnis der Zusammenspiels von Mensch und Umwelt ergibt sinnvolle Erklärungen und brauchbare Lösungen. Natürlich ist eine solche Analyse weder leicht noch schnell machbar, aber letztlich ist eine saubere Analyse alternativlos – jedenfalls wenn man ein ernsthaftes Interesse an einer nachhaltigen Lösung hat.
Überblicksartig seien folgend daher einige Eckpfeiler einer solchen Analyse dargestellt:
Die Grundlage für stabile Beziehungen, auch Geschäftsbeziehungen und Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften ist Vertrauen. Betriebswirtschaftlich gesehen spart Vertrauen Kontrollkosten, allerdings ist Vertrauen weder leicht noch schnell herzustellen, so dass ein Vertrauensaufbau immer "Anlaufkosten" verursacht, ohne dass sofort ein "Gewinn" zu erwarten ist. In einer schnelllebigen Zeit ist dies ein Problem. Solange Beziehungen nicht auf die Probe gestellt werden, wird der Vertrauensmangel gerne übersehen. Wenn es jedoch darauf ankommt – also z.B. in Krisenzeiten – hat ein Vertrauensmangel verheerende Auswirkungen und endet im offenen Misstrauen. Das vorübergehend komplett zum Erliegen gekommene Interbankengeschäft ist ein plakatives Beispiel dafür.
Damit Vertrauen entstehen bzw. wachsen kann, muss derjenige, der einen Vertrauensvorschuss erhält, grundsätzlich die Möglichkeit besitzen, diesen zu missbrauchen. Ohne dieses Risiko kann kein Vertrauen aufgebaut werden, denn Beziehungen ohne Risiko brauchen (und verdienen) kein Vertrauen. Natürlich erwartet der Vertrauensgeber nun vom Vertrauensnehmer auch ein Signal des Vertrauens. Bleibt dies aus oder wird der Vertrauensvorschuss gar missbraucht, steht es um die Beziehung denkbar schlecht. [Nebenbei bemerkt: Die Beziehung endet dann nicht. Man bleibt immer in Beziehung zueinander, auch ein sogenannter "Abbruch von Beziehungen" existiert streng genommen nicht; die Beziehung ist weiterhin vorhanden, allerdings ist es eine schlechte Beziehung.] Erhält der Vertrauensgeber aber ein Signal des Vertrauens, kann Schritt für Schritt in einem jeweiligen Geben und Nehmen Vertrauen aufgebaut werden. Diese Interaktionserfahrung führt in einem späteren Stadium der Beziehung – dies kann viele Jahre dauern – zu einem stabilen Vertrauen.
Ein solches Vertrauen ist eben kein blindes Vertrauen, sondern ein gewachsenes Vertrauen. Den Wert einer Vertrauensbeziehung weiß jeder zu schätzen, der einmal in einer schwierigen Lage war. Wer sich hingegen nur aufgrund von äußerem Druck berechenbar verhält ist noch lange nicht vertrauenswürdig – ganz im Gegenteil.
Wer nicht bereit ist, einen Vertrauensvorschuss zu geben, kann also niemals Vertrauen erwarten oder glaubhaft einfordern. Wer selbst nicht freiwillig bzw. aus Einsicht vertrauenswürdig agiert, wird kein Vertrauen erlangen. Daher braucht Vertrauen immer Freiräume. Ein mehr an Kontrolle bringt kein Vertrauen, sondern schafft eher eine Misstrauenskultur. Natürlich ist blindes Vertrauen nicht die Alternative zur Kontrolle. Aus gutem Grund existieren Innenrevisionen. Kontrolle ist aber auch keine Alternative zum Vertrauen. In der Praxis muss daher immer eine Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle gefunden werden (ähnlich der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit). Hier braucht es keine Patentrezepte, sondern Mut und echte Dialogbereitschaft. Beides fehlt zur Zeit. Dies ist vielleicht ein Indiz für ein Besetzungsproblem, in jedem Fall ist es ein Zeichen für ein Kompetenzdefizit. Daran kann man aber arbeiten.
Die Finanzkrise kann daher mit Recht als Vertrauenskrise bezeichnet werden. Der Vertrauensvorschuss der Anleger zu den Banken ist missbraucht worden, auch wenn dies von den meisten Akteuren vermutlich nicht einmal bewusst beabsichtigt war. Das Verhältnis der Steuerzahler zu den Banken wird sich noch weiter eintrüben, wenn die Rechnung (= Steuererhöhungen und Inflation) präsentiert wird. Und auch das Vertrauen der Banken untereinander ist schwer beschädigt. Im Ergebnis ist ein massives Misstrauen entstanden, das auf die Branche und ihre Akteure über Jahre, wohlmöglich über Jahrzehnte, negativen Einfluss haben wird. Es wird enormer Anstrengungen – und damit Kosten bedürfen – auch nur Teile des Vertrauensverlustes wieder gut zu machen.
Da präventives Handeln – der rechtzeitige und langfristig orientierte Aufbau vertrauensvoller Beziehungen – nur einen Bruchteil dieser Kosten verursacht hätte, bleibt zu hoffen, dass die teure Lektion jetzt wenigstens sitzt.
Einer der Gründe für das Entstehen der Finanzkrise ist die Schwierigkeit eines untrainierten Menschen, realistische Risikoeinschätzungen vorzunehmen. Dies ist auch eine der Ursachen, warum Lotto und andere Glücksspiele millionenfache Verbreitung gefunden haben. Selbst die magere Aussicht auf die hundertmillionste Chance eines Gewinns hält viele Menschen nicht vom Glücksspiel ab. Abgesehen vom Suchtcharakter dieser Spiele ist dafür der Umstand verantwortlich, dass Menschen in ihrer inneren Bilanz die Gewinnwahrscheinlichkeit mit der Höhe des möglichen Gewinns multiplizieren.
Vereinfacht gesagt: Sichere zehn Euro scheinen daher soviel wert, wie ein Hundertstel der Chance, 1.000 Euro zu gewinnen. Und Menschen nehmen für einen möglichen hohen Gewinn nicht nur ein geringe Erfolgswahrscheinlichkeit in Kauf, sondern sie sind auch bereit, höhere Risiken einzugehen. Ein zehnmal höheres Risiko kann also problemlos durch einen höheren Gewinn kompensiert werden – jedenfalls im subjektivem Empfinden. In der Tendenz neigen Menschen deshalb dazu, viel mehr Verlust zu riskieren, als die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns rechtfertigt.
Dies gilt aber nicht nur für Investmentbanker, sondern auch für den Kleinsparer, der für ein Zehntelprozent mehr Festgeldzins seine Bank wechselt. In der Summe schaukeln sich hier Gier und Risikoverhalten von Anbietern und Nachfragern gleichermaßen auf. Hier mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen, wäre also viel zu kurz gedacht. Es ist die Art der Entscheidungsfindung, auf die der Fokus zu richten ist.
Spielbanklogik-Entscheidungen sind hochriskant für eine Wirtschaft, die vor allem Stabilität benötigt. Untrainiertes Risikoverhalten und die Gewöhnung an den täglichen Umsatz von Milliardenbeträgen sind Fahrlässigkeiten und führen zwangsläufig in die Katastrophe. Fahrlässigkeiten zu übersehen ist aber wiederum fahrlässig und ein weiterer Beleg für dringend zu beleuchtende blinde Flecken und aufzuarbeitende Betriebsblindheit. Und genau dies sind typischen Coaching-Anliegen, auch wenn die Klienten es im ersten Schritt so nicht beschreiben würden.
Nicht nur die Anlageberater, sondern auch ihre Führungskräfte, Vorstände und Aufsichtsräte sind – bis auf wenige Ausnahmen – auf die o.g. Effekte hereingefallen und haben sich blenden lassen. Bei einer entsprechend risikotrainierten Betrachtung der Zusammenhänge wäre den Verantwortlichen natürlich aufgefallen, dass Geld nicht in größeren Mengen aus dem Nichts geschaffen werden kann, ohne das ein "dickes Ende" folgt. Aber wenn die Investmentabteilung Jahr für Jahr die größten Gewinne verbucht und bei der Konkurrenz wohlmöglich noch größere Gewinne eingefahren werden – wer verweigert sich da dem allgemeinen Trend, ohne als Spielverderber aussortiert zu werden? Wenn dann ein ganzes System an 15, 20 oder gar 25 Prozent Rendite glaubt, ist die Denkhemmung aus Gier und Verlustangst perfekt. Jedenfalls bis zum großen "Katzenjammer".
Auch die "große Politik" hat hier als oberste verantwortliche Rahmengestaltungsinstanz mitgespielt. Zu verlockend waren die Steuereinnahmen aus den sprudelnden Gewinnen der scheinbar cleveren Bankhäuser. Vereinzelt wurde nach internationalen Standards gerufen. Im Vordergrund dürfte hier aber eher der Wunsch nach höheren Steuereinnahmen, als nach Transparenz im Sinne wirtschaftlicher Vernunft gestanden haben.
Als Regulativ für solche Fehlentwicklungen in Unternehmen sollten spätestens die Aufsichtsräte bzw. Verwaltungsräte fungieren. Jenseits des operativen Tagesgeschäftes überwachen sie unabhängig und kompetent – so die Theorie – die Geschäftsführung und mahnen kritische Entwicklungen an. Die nicht immer anzutreffende aber durchaus gängige Praxis der Besetzung solcher Kontrollgremien zeigt mitunter eine vielköpfige Schar von Personen, die eher aus "politischen" als aus inhaltlich nachvollziehbaren Gründen berufen wurden. Damit schließt sich der Kreis eines Systems, das aus den dargelegten Gründen unabhängig von einzelnen Personen kollabieren musste.
Strafen, überbürokratisierte Kontrollen, personeller Austausch und andere der Öffentlichkeit "gut verkaufbare" Maßnahmen lösen keines der aufgezeigten Probleme, insbesondere wenn Kontroll- und Rahmengestaltungsinstanzen mit dem System verquickt bleiben. Im Gegenteil: Auf dem "Holzweg" wird nur das Tempo erhöht, die notwendigen Einsichten und echte Änderungen am System und seiner Kultur unterbleiben. Solange die Schwächen der menschlichen Urteilsbildung sowohl von der Exekutive als auch in den Kontrollgremien fahrlässig übersehen werden, ist keine Besserung zu erwarten.
Erfahrene Coachs wissen um diese Zusammenhänge und können ihren Anteil dazu beitragen, Verantwortlichen bei nachhaltigen Entscheidungen Unterstützung zu geben. In den Krisenzeiten, aber auch weit darüber hinaus, benötigt die Wirtschaft für stabile Verhältnisse angewandtes psychologisches Wissen. Die Alternative und ihre Folgen erleben wir aktuell in der Finanz- und der Realwirtschaft.
Personelle Veränderungen und ein Mehr an Kontrolle können die schon länger existierenden und nun unübersehbar gewordenen Probleme nicht nachhaltig lösen. Ein solcher Ansatz wäre eine reine Symptombehandlung und somit verantwortungslos. Maßnahmen, die ohne Rücksicht auf die psychologischen Faktoren des menschlichen Verhaltens ergriffen werden, erzeugen mittel- bis langfristig meist noch größere Probleme. Oder deutlicher formuliert: Bleibt es bei einer Symptombehandlung ist ein System-Crash unvermeidbar. Dies ist keine Frage des Ob, sondern nur des Wann.