Beruf Coach

Auswirkungen psychischer Störungen auf Coaching

Implikationen für die Coaching-Praxis

15 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 01 | 2024

Ein Mann und eine Frau sitzen sich gegenüber ins Gespräch vertieft. Der mann scheint zu überlegen, die Frau macht Notizen auf einem Klemmbrett.

Coaches sollten sich mit dem Thema der Auswirkung psychischer Prozesse auf Coaching auseinandersetzen, denn während ihrer Tätigkeit müssen sie damit rechnen, praktisch mit dem gesamten Spektrum psychischer Störungen konfrontiert zu werden. Sowohl im Einzel- als auch Gruppensetting können diese Dynamiken erhebliche Auswirkungen haben. Außerdem liegt es in der Verantwortung der Coaches, immer wieder zu entscheiden, ob die Indikation zum Coaching noch stimmig ist oder aber der Klient möglicherweise psychotherapeutischer und/oder psychiatrischer Hilfe bedarf.

Auf einen Blick

  • Psychische Störungen – sowohl jene des Klienten als auch jene des Coachs – können den Beziehungsaufbau und die Erfolgsaussichten eines Coachings negativ beeinflussen.
  • Coaches sollten ihre eigene Vulnerabilität und eigene Störungen kennen und verstehen, wie sie sich auf einen Coaching-Prozess bzw. auf die Interaktion mit dem Klienten auswirken können.
  • Coaches sollten der psychischen Befindlichkeit ihres Klienten zu Beginn eines Coaching-Prozesses große Bedeutung beimessen und diese bei ihrem Vorgehen zum Beziehungsaufbau berücksichtigen.

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Nicht nur an der Grenzlinie zwischen Coaching und Psychotherapie spielen die Auswirkungen psychischer Störungen auf den Coaching-Prozess eine Rolle. Während man bei den schweren psychischen Krankheiten, den organischen und endogenen Psychosen, eindeutig von Krankheiten sprechen kann, ist es bei anderen psychischen Störungen so, dass das „Normale“ und das „Gestörte“ ineinander übergehen.

Man könnte sagen, dass viele psychische Störungen Akzentuierungen ganz normaler Verhaltensweisen sind. Hier gilt das von Antonovsky (1997) entwickelte Modell der Salutogenese: Die Grundannahme des Modells besteht darin, Krankheit nicht als Gegenteil der Gesundheit zu betrachten, sondern in einem Gesundheit-Krankheit-Kontinuum zu verorten.

  • Jeder ist, oft auch zurecht, in bestimmten Situationen misstrauisch. Im Extrem kann sich das bis zur Paranoia steigern.
  • Die meisten Menschen legen in bestimmten Grenzen Wert auf Ordnung. Die extreme Variante ist die Zwangsneurose.
  • Nur Psychopathen haben keine Selbstzweifel.
  • Jeder ist schon mal depressiv im Sinne von traurig und niedergeschlagen. Ab einem bestimmten Ausmaß und einer bestimmten Dauer nennt man das dann Depression.
  • Auf jeden Menschen trifft zu, dass er narzisstische Züge trägt. Er ist eitel, kränkbar, manchmal beleidigt. Auch hier ist der Übergang gleitend zu der schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung.
  • Viele trinken schon mal gerne ein wenig Alkohol, dennoch sind die meisten keine Alkoholiker.

Die meisten psychotherapeutischen Diagnosen sind entsprechend Momentaufnahmen, bei denen der Kontext eine wichtige Rolle spielt. Jemand, der in einem Gespräch massiv gestört wirkt, kann im nächsten Gespräch deutlich normaler erscheinen.

Für Coaches ist es insofern wichtig, zu lernen, ihre Klienten nicht durch die Brille des Mangels oder der Pathologie anzuschauen, sondern ein immer tieferes Verständnis für die psychodynamischen Hintergründe der unterschiedlichen Befindlichkeiten ihrer Klienten zu entwickeln.

Resonanz

Genauso wichtig ist es auch, als Coach den Blick nach innen zu richten und genau hinzuspüren, welche Gefühle, Wünsche und Ängste der jeweilige Klient im eigenen Selbst des Coachs auslöst.

Eine der wesentlichsten Auswirkungen psychischer Störungen im Coaching-Prozess ist nämlich die Resonanz, die dieser spezielle Klient mit seiner spezifischen Störung im Coach erzeugt. Wenn diese Resonanz im Coach negativ ist, sollte er versuchen, dies zu klären und gegebenenfalls den Coaching-Prozess an eine Kollegin oder einen Kollegen  abgeben.

Dabei gibt es keineswegs nur die Resonanz zwischen den pathologischen Anteilen der Klienten und dem Abgrenzungswunsch des Coachs gegen dessen Zumutungen. Es ist sehr wichtig für einen Coach, sich seiner eigenen Vulnerabilität, seiner eigenen Wunden und auch seiner eigenen Störungen bewusst zu sein. Sind ihm diese bewusst, ergibt sich daraus selten eine Kontra-Indikation zu Ausübung des Coach-Berufes. Es entsteht einfach nur eine Deutlichkeit für den Coach, auf welche Klienteninteraktion er sich einlassen kann und sollte, was ihn triggert und er daher in der Supervision besprechen muss, und was er unbedingt für seine eigene psychische Stabilität vermeiden muss. Eine extreme Analogie aus einer anderen Berufsgruppe ist eine junge Ärztin mit massiver sexueller Gewalterfahrung, die ein Gutachten über einen Vergewaltiger schreiben sollte. Hier muss der Selbstschutz greifen.

Häufig sind es gerade die eigenen Erfahrungen mit Schmerz und Scheitern, die aus einem Coach einen guten Coach machen. Ein gutes Beispiel ist ein Führungskräfte-Coach, der lange dachte, dass der Umstand, dass er sein Unternehmen durch eine feindliche Übernahme verloren hatte, ihn eigentlich disqualifiziert. Endlich begriff er, dass gerade diese Erfahrung des Scheiterns bei Klienten mit heftigen Krisen von unschätzbarem Wert ist. Die Sehnsucht vieler Klienten besteht darin, einen Coach zu finden, dem nichts Menschliches fremd ist.

Diese Gedanken sollen dazu ermutigen die eigenen Schatten anzuschauen, sie als Teil der eigenen Persönlichkeit zu integrieren und zu begreifen. Hier liegt die Chance, dass das Coaching aus der Oberflächlichkeit heraus und zu mehr Tiefe kommen kann. Es geht also nicht um die Interaktion zwischen dem gesunden Coach und dem wie auch immer gestörten Klienten. Es geht auch nicht darum, eine Führungskraft davor zu bewahren, zu erkennen, dass ausnahmslos alle Probleme, die sie beim Führen hat, im Wesentlichen in ihrer eigenen Psychodynamik begründet sind.

Gutes Coachen bedeutet immer auch, mutig und achtsam den Klienten mit seinem eigenen Anteil und seiner eigenen Psychodynamik zu konfrontieren. Dies geht natürlich nur dann, wenn umgekehrt der Coach in Bezug auf seine eigene Psychodynamik ein hohes Maß an Bewusstsein hat. Gerade junge Coaches entwickeln gegenüber höherrangigen Klienten oft eine Vaterübertragung und versuchen dann durch angepasstes und gehorsames Verhalten liebe Söhne und Töchter zu sein. Die Hierarchie ist also umgekehrt, weshalb solche Prozesse immer Scheitern.

Ein wesentliches Phänomen in der Psychotherapie und natürlich auch im Coaching ist der Rosenthal Effekt (vgl. Wikipedia, 2023), der besagt, dass die Prognose einer Behandlung umso günstiger ist, je positiver die Erwartung des Therapeuten ist, er sich also vorstellen kann, dass dieser spezielle Klient von dieser speziellen Behandlung profitieren wird. Das setzt eine positive und angstfreie Resonanz voraus.

Im weiteren wird der Fokus daher weniger auf einzelnen Störungsbildern liegen, sondern auf einigen der Mechanismen, die in der spezifischen Kombination des jeweiligen Coachs mit dem jeweiligen Klienten wirksam sind.

Vertrauen und Arbeitsbeziehung

Da Coaching eine Interaktion ist, wirken sich naturgemäß alle normalen, aber auch alle pathologischen psychischen Befindlichkeiten unmittelbar in der Begegnung aus.

Das betrifft u.a. den Bereich der Motivation des Klienten. Seine Fähigkeit zu vertrauen spielt eine sehr große Rolle dabei, wie weit er sich überhaupt einlassen kann und will. Die Vertrauensfrage entscheidet über die Entwicklung einer konstruktiven und tragfähigen Arbeitsbeziehung bzw. auch über deren Chancenlosigkeit.

Klienten unterscheiden sich sehr stark in Bezug auf ihre Fähigkeit zur Selbstexploration und somit auf den Kontakt zu ihrem eigenen seelischen Inneren. Viele Menschen sind es nicht gewöhnt, den Strahl ihrer inneren Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken. Entsprechend verfügen sie auch häufig nur über eine rudimentäre Sprache für ihre emotionalen Prozesse, ihre Ängste, Sehnsüchte und Wünsche. In diesen Fällen wird man als Coach zum „Sprachlehrer“. Dadurch wird es möglich, die innere Objektwelt des Klienten zu thematisieren. Wie ist sein Bezug zu sich selbst und den anderen Menschen?

Manche haben ein sehr negatives Menschenbild, was eine tiefere konstruktive Verbindung zum jeweiligen Gegenüber und damit auch zum Coach sehr erschwert. Dies sollte ein Coach bedenken, wenn er sich Gedanken über die Natur der Arbeitsbeziehung zum Klienten macht. Ein negatives Menschenbild ist einer der häufigsten Gründe, weshalb Führungskräfte in Schwierigkeiten geraten. Sie erleben ihre Mitarbeiter als Widersacher, fühlen sich in ihrer Position gefährdet und entwickeln entsprechend einen Führungsstil, der autoritär sowie kontrollierend ist und verächtliche und paranoide Züge trägt.

Um sich auf ein Coaching einlassen zu können, ist zumindest ein gewisses Maß an Hoffnung notwendig, dass der Coach wohlwollend und kompetent ist und dass er nicht gegenüber seinem Auftraggeber zum Verräter wird, was mitunter durchaus passiert. Hier liegt einer der Gründe, weshalb internes Coaching häufig scheitert. Coaching besteht dann im Austausch politisch korrekter Meinungen und Werte, oder der Coach mutiert zum Trainer von Tools, was beides interaktiv einem Stillstand gleichkommt.

Ebenso wie die Situation, in der der Klient sich befindet, spielt auch seine psychische Befindlichkeit am Beginn eines Coaching-Prozesses eine große Rolle. Wenn der Klient freiwillig um Coaching bittet, heißt das in der Regel, dass er in irgendeiner Weise in Not ist. Er spürt, dass er nicht weiterkommt, und bittet um Hilfe. Dies tut er entsprechend seiner psychischen Struktur, sodass bereits in der ersten Coaching-Sitzung erkannt werden kann, ob jemand eher z.B. depressive, narzisstische, zwanghafte oder auch anklammernde/unterwürfige Interaktionen als Einstieg in die Coaching-Beziehung anbietet. Jede einzelne dieser Zugangsweisen erfordert ein anderes Eingehen des Coachs auf diesen Klienten, was wiederum mitbedingt ist durch die interaktiven Gewohnheiten und damit die Psychodynamik des Coachs. Manchen Klienten fällt es ausgesprochen leicht, sich einer Coaching-Beziehung zu öffnen. Für andere bedeutet es ein Gefühl von Scheitern, zumindest von Niederlage und viele haben große Angst, die Kollegen könnten davon erfahren. Der Chef könnte sein Vertrauen verlieren mit entsprechenden Folgen für die Karriere und die Kollegen könnten ihn für einen Schwächling halten.

Verordnetes Coaching

Noch komplexer ist die Situation, in der der Klient sein Coaching verordnet bekommt. Nur sehr empathische Vorgesetzte schaffen es, ihrem Mitarbeiter zu signalisieren, dass er Coaching in Anspruch nehmen darf – als ein Geschenk des Unternehmens. Meist muss der Klient den Gedanken verarbeiten, dass sein Unternehmen findet, er sei seiner aktuellen Situation, fachlich und/oder menschlich nicht gewachsen. Dies bedeutet für die allermeisten eine Kränkung und eine entsprechend ambivalente Beziehung zum Coach. Dieses Gekränktsein des geschickten Klienten erfordert vom Coach viel Empathie und auch Respekt. Eine solche Arbeitsbeziehung ist von vornherein belastet. Sie muss aufgearbeitet werden, weil das Coaching sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit ineffektiv sein wird.

Depressive Klienten sind immer versucht, regressiv zu reagieren, nach dem Motto ich habe schon immer gewusst, dass ich nichts tauge. Coaching bedeutet hier das achtsame Herausführen aus der habituellen Opferhaltung. Narzisstische Klienten hingegen reagieren auf Kränkungen oft mit Wut und Empörung, lehnen den Coach entweder ab oder versuchen ihn zum Verbündeten gegen das Unternehmen zu machen. Hier besteht die Kunst des Coachs darin, so gut wie möglich zu verhindern, in diese manipulativen Fallen zu treten.

An dieser Stelle muss allerdings auch erwähnt werden, dass Coaching zu verordnen oft der verzweifelte Versuch eines Arbeitgebers ist, einen psychisch auffälligen Mitarbeiter doch noch zu integrieren. Dabei haben manche Auftraggeber ebenso magische wie unrealistische Erwartungen, was Coaching bewirken könnte. In so einem Fall muss sich der Coach innerlich schützen und die Grenzen seiner eigenen Möglichkeiten in Demut annehmen. Manche Menschen kann man nicht integrieren, und sie stellen eine schwere Belastung für das System dar, deren Ausmaß oft erst an der Erleichterung erkennbar ist, wenn sie die Firma verlassen haben.

All diese Faktoren machen es empfehlenswert, zu Beginn eines Coachings viel Aufmerksamkeit darauf zu richten, wie der Klient sich ins Coaching einbringt. Der Psychoanalytiker Argelander (1989) beschreibt, wie der spezifische Klient sich inszeniert. Dabei ist es wichtig, dass der Coach gerade beim Erstkontakt den kompletten Fokus seiner Präsenz und Wahrnehmung auf den Klienten richtet und auf seine persönliche Resonanz. Das ist leichter gesagt als getan, weil auf Seiten des Coachs dessen Klischees und Vorurteile zwischen ihm und dem Klienten stehen. 

Selbst- und Objektrepräsentanzen

Die Ich-Struktur jedes Menschen ist geprägt durch eine Art inneres Drama. Die Akteure dieses Dramas sind die unterschiedlichen Bilder vom eigenen Selbst, die sogenannten Selbstrepräsentanzen. Diese agieren mit den Bildern der andren Menschen, den sogenannten Objektrepräsentanzen. Aus den Bildern erlebter Interaktionen entwickeln sich die Beziehungsrepräsentanzen. Dieses innere Drama durchläuft in der frühen Phase des Individuums einen Entwicklungsprozess. Durch unterschiedlichste Umweltbedingungen kann dieser Prozess gestört werden, was dann die Ursache für Entwicklungshemmung oder zumindest -verzögerung darstellt. Wenn der Klient nun mit seinem inneren Drama versucht, dem Coach gegenüberzutreten, inszenieren sich dabei immer auch die jeweiligen Reifungszustände seiner Innenwelt, was jeden Begegnungsprozess und damit auch jeden Coaching-Prozess aufs Intensivste beeinflusst.

Daher scheint es sinnvoll, die Entwicklungsstufen der Ich-Struktur, so wie sie u.a. Kernberg (1989) vertritt, zu betrachten.

1. Am Anfang steht ein rudimentäres Ich, das das Objekt (Gegenüber) noch nicht erkennt und auch sich selbst nur in Ansätzen wahrnimmt. Lange nannte man dies die autistische Phase, wobei man heute weiß, dass Säuglinge keineswegs autistisch sind, sondern mit einer reichen Ausstattung an Interaktionsinstrumenten geboren werden. Gleichwohl entzieht sich das eigene Selbst weitgehend, das Objekt praktisch vollständig dem bewussten Erleben.

2. In der nächsten Phase wird das Bewusstsein des eigenen Selbst wacher und die Auswirkungen der mütterlichen Fürsorge erlebbarer. Im Erleben des Kindes sind Selbst und Objekt eins. Man spricht vom Selbstobjekt. Es besteht eine großartige Symbiose und die Illusion, quasi im Zentrum des Universums zu sein. Dieses Gefühl der allumfassenden Verbundenheit entspricht jener Sehnsucht, die viele Menschen haben, wenn sie sich verlieben: „Sei du mein alles, lass uns miteinander verschmelzen und damit der Konfrontation durch die Welt entgehen.“ Manche nutzen ihr Kind als Selbstobjekt und rauben ihm dadurch seine eigene Identität und Freiheit. In manchen Fällen inszenieren Klienten eine solche Beziehungsfantasie mit dem Coach.

3. Mit wachsender Bewusstheit fängt das Kind an zu begreifen, dass von den Objekten nicht nur Lust, sondern auch Unlust ausgeht. Es kann diese Erlebnisse noch nicht verknüpfen, sodass es in seiner Wahrnehmung zur Spaltung zwischen dem einerseits unendlich guten und dem andererseits unendlich schlechten Objekt kommt. Man kann jetzt von Objektrepräsentanzen im eigenen Selbst sprechen, weil das Kind die widersprüchlichen Erlebnisse in seinem Selbst speichert. Dem gegenüber steht das Selbsterleben des Kindes, das sich von dem guten Objekt als ein ausschließlich positives Wesen bestätigt fühlt, mit entsprechend lustvollen Selbstgefühlen: Ich bin unendlich liebenswert, großartig, einfach grandios. Das Selbsterleben durch das negative Objekt bedeutet: Ich bin wertlos, schlecht, hässlich, habe eigentlich kein Recht zu leben.

Manche Menschen bleiben in diesem Stadium der gespaltenen Selbst- und Objektrepräsentanzen hängen. Aus diesen gespaltenen Bildern baut sich dann der Bezug zur Welt auf. Es finden extreme Bewertungen statt. Das Gute ist total positiv und das Schlechte ist abgrundtief böse. Diese Ich strukturelle Unreife ist ein häufiger Quell psychischer Störungen. Hier entstehen massive Ängste in einer bedrohlichen Welt. Hier entwickeln sich paranoide Vorstellungen über Mitmenschen, insbesondere auch gegenüber Vorgesetzten. Hier ist der Quell von Perfektionismus und Versagensangst angesichts destruktiver, gnadenloser Introjekte. Auch die in vielen Beziehungen heftigen Verlustängste haben hier ihren Ursprung.

4. Wenn die Entwicklung gut läuft, folgt jetzt der nächste Entwicklungsschritt. Das Kind begreift, dass die versorgende Mutter, die absolut als gut erlebt wird, die gleiche Person ist, die enttäuscht und daher als abgrundtief schlecht wahrgenommen wird. Dieser Prozess führt dazu, dass die negativen und die positiven Objektbilder Stück für Stück miteinander verschmelzen. Für die Entwicklung einer gut integrierten und voll funktionierenden Persönlichkeit hängt jetzt alles davon ab, dass das positive Objekt ein wenig größer wahrgenommen wird als das negative. Man kann z.B. denken: Ich liebe meine Mutter. Sie ist ein wunderbarer Mensch und ich verdanke ihr sehr viel. Andererseits ist sie eine richtige Hexe, unter deren Stimmungen und Unberechenbarkeit ich früher oft sehr gelitten habe. Analoges passiert bei den Selbstbildern. Auch hier fließen die positiven Bilder von der eigenen Grandiosität mit den negativen, der völligen Wertlosigkeit zusammen. Und auch hier ist es für die Entwicklung eines stabilen, integrierten und ausgeglichenen Selbstwertgefühls entscheidend, dass das Positive ein wenig größer ist, als das Negative. Ich kann damit Frieden schließen, dass ich weder Gott noch das Allerletzte bin. Ich kann akzeptieren, dass ich ein Mensch mit Stärken und Schwächen bin und dass das völlig in Ordnung ist.

Es ist im Coaching sehr hilfreich, über diese Konstellationen von Selbst- und Objektrepräsentanzen beim Klienten nachzudenken, und es ist sehr wertvoll, ein ziemlich klares Bild davon zu haben, wie unser eigenes inneres Drama strukturiert ist.

Jeder Coaching-Prozess bedeutet eine Begegnung der inneren Repräsentanzen meines Lebens und damit meiner Beziehung zur Welt mit der des Klienten.

 

Dank gilt Heinz-Jürgen Weigt für eine Fülle fachlicher, inhaltlicher und auch formaler Anregungen.

Literatur

Antonovsky, A. (1997). Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt-Verlag.

Argelander, H. (1989). Das Erstinterview in der Psychotherapie. Darmstadt: wbg.

Kernberg, O. (1998). Innere Welt und äußere Realität. Stuttgart: Klett-Cotta.

Krahé, W. & Weigt, H-J. (2010). Wie geht es Dir? – Die heilsame Kraft der Begegnung. Hohenwarsleben: Westarp.

Wikipedia (2023). Rosenthal-Effekt. Abgerufen am 15.01.2023: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosenthal-Effekt

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