Häufig sind es schwierige Situationen, die Klienten ins Coaching führen und die im Laufe des Coachings thematisiert werden. Dies verdeutlichen u.a. die Top-Themen im Coaching, die sich in der jährlich durchgeführten Coaching-Markt-Umfrage von Middendorf finden. Hier treten schwierige Situationen implizit in Erscheinung – etwa in Gestalt der Themen „Konflikte und Beziehungsthemen“ und „Stressmanagement“. Andere kommen explizit zur Geltung – etwa in Gestalt des Themas „konkrete Problem-Situationen beruflich“ (Middendorf, 2020). Ähnliches zeigt sich in der Coaching-Marktanalyse von Rauen (2020). Klienten bringen jedoch nicht nur schwierige Situationen ins Coaching ein, um sie dort zu bearbeiten. Schwierige Situationen können auch innerhalb des Coaching-Prozesses selbst entstehen, d.h., auch das Coaching selbst ist eine Bühne, auf der es zu schwierigen Situationen kommen kann. Sie äußern sich dadurch, dass sich bei Coach oder Klient nach einer bestimmten Sequenz im gemeinsamen Coaching ein Störgefühl einstellt. Was kennzeichnet diese Situationen? Um welche Inhalte geht es? Wie können sich diese Herausforderungen auf das Coaching auswirken? Wie gehen Coaches mit ihnen um?
Da sich die Coaching-Forschung in den letzten Jahren rasant entwickelt hat und neben dem Outcome inzwischen der Coaching-Prozess stärker in den Fokus von Studien gerückt ist, sollte man meinen, dass sich dort vieles zu Schwierigkeiten des Prozesses finden lässt. Bisher widmete sich die Wissenschaft jedoch nur in seltenen Fällen „kritischeren“ Dynamiken innerhalb von Coaching-Prozessen.
Vereinzelt finden sich Studien und praxisorientierte Beiträge, die „schwierige“ Klienten thematisieren. So untersuchte Mansi (2009), wie Coaches in ihrer eigenen Praxis mit narzisstischen Klienten verfahren sind. Diller et al. (2020) betrachteten den Umgang mit Klienten, die Eigenschaften aufwiesen, die als „Dunkle Triade“ bezeichnet werden. Von der dunklen Triade spricht man, wenn eine Person narzisstische, machiavellistische und psychopathische Tendenzen aufweist. Hafner und Ritz (2020) beziehen sich auf die PSI-Theorie von Julius Kuhl, einer Meta-Theorie der Persönlichkeit. Sie argumentieren, dass die Aufmerksamkeit für extreme Persönlichkeitsakzentuierungen bei Klienten erfolgreiche Veränderungsprozesse im Coaching begünstigt und Fallstricke vermeidet. Graßmann et al. (2020) ließen Coaches einschätzen, warum diese einen bestimmten Klienten als schwierig erlebten, und gaben hierfür mögliche Gründe an (z.B.: wenig Problembewusstsein oder psychische Erkrankungen aufseiten des Klienten). Ihre Studie deutet darauf hin, dass Coaches im konkreten Fall nicht nur einen, sondern vielmehr mehrere mögliche Gründe dafür sehen, dass ein Klient einen Coaching-Prozess herausfordernd werden lässt.
Über schwierige Klienten hinaus finden sich in der Literatur einzelne Beiträge zu weiteren Faktoren, die potenziell schwierige Coaching-Situationen auslösen können. Zu nennen sind hier u.a. die spannungsreichen Dreiecksbeziehung zwischen Coach, Klient und beauftragender Organisation, das Auftreten ethischer Dilemmata und die Abgrenzung zu anderen Beratungsformaten einschließlich der Psychotherapie.
Schermuly hat sich ausführlich mit „Nebenwirkungen“ von Coaching für Coaches und Klienten beschäftigt. Über diese „Nebenwirkungen“ ist mittlerweile einiges bekannt. Schermuly et al. (2014, S. 19) sprechen in diesem Kontext von „schädlichen bzw. unerwünschten Folgen, die unmittelbar durch das Coaching verursacht werden und parallel dazu oder im Anschluss daran auftreten“. Sie orientieren sich hierbei an § 4 Absatz 13 des Arzneimittelgesetzes (ebd.) und greifen die Logik von Arzneimittel und Reaktion auf das Arzneimittel auf. Diesem Verständnis folgend könnten schwierige Coaching-Situationen durchaus unerwünschte Nebenwirkungen haben.
Insgesamt weist die Forschung auf möglicherweise weniger wünschenswerte Folgen von schwierigen Coaching-Situationen hin wie beispielsweise eine Verschlechterung der Arbeitsbeziehung oder ein Abbruch des Coachings. Gleichzeitig legen Überlegungen zu Critical Moments (De Haan, 2019) und Spannungsphänomenen in der Arbeitsbeziehung (Ehrenthal et al., 2020) nahe, dass „gut“ gelöste schwierige Situationen einen Mehrwert bieten können.
Dieser kurze Einblick verdeutlicht: An verschiedenen Stellen lässt sich in der Coaching-Forschung zeigen, was schwierige Coaching-Situationen verursachen könnte oder was ihre möglichen Folgen sein könnten. Trotzdem stand bis vor kurzen ein genauer Überblick über die Bandbreite der Situationen aus und die Frage nach einem guten Umgang mit diesen Situationen blieb offen.
Ziel unserer Forschung zu schwierigen Coaching-Situationen war und ist es daher, einen differenzierten Überblick zu entwickeln und gleichzeitig ein tieferes Verständnis für schwierige Coaching-Situationen zu fördern. Hierfür wurde das berufsbezogene Einzel-Coaching in den Blick genommen. In einem ersten Schritt wurden über 70 Coaches darum gebeten, Situationen aus ihrer Praxis zu beschreiben, die sie als schwierig erlebt hatten. Die Ergebnisse (z.T. Möller & Zimmermann, 2020; Zimmermann, 2019) dienten als Grundlage, um neun Diskussionsrunden mit über 30 sehr erfahrenen und bekannten Coaches aus dem deutschsprachigen Raum durchzuführen. Die teilnehmenden Coaches legten ihre Perspektiven zu insgesamt 31 einzelnen, als Praxisbeispiele aufbereiteten schwierigen Coaching-Situationen dar. Hierbei näherten sie sich den Fragen, wie die jeweilige schwierige Situation zustande kam (diagnostischer Aspekt) und was sie selbst in solchen Situationen tun/raten würden (Interventionsfokus). Die Ergebnisse dieser Gruppendiskussion wurden im Buch „Schwierige Situationen im Business-Coaching“ (Möller & Zimmermann, 2020) ausführlich vorgestellt. An dieser Stelle sollen exemplarisch ein Praxisbeispiel und ein Ausschnitt aus der Gruppendiskussion sinngemäß wiedergegeben werden:
Der Coach beschrieb den Fall folgendermaßen (Möller & Zimmermann, 2020): Es habe sich um ein Auftrags-Coaching gehandelt, Ziele des Coachings seien in Absprache mit dem Vorgesetzten der Klientin vereinbart worden. Die Führungskraft habe eine neue Position übernommen, der Coach sollte sie bei der Bewältigung dieser Herausforderung begleiten und unterstützen. Wie der Coach berichtete, habe die Klientin im Zuge des Coachings Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber vermissen lassen, der das Coaching finanzierte. Der Coach habe hierin die Gefahr einer negativen Beeinflussung anderer Mitarbeiter durch die Klientin gesehen und berichtete, dass er es als schwierig wahrgenommen habe, zwischen den mit dem Vorgesetzten der Klientin festgelegten Coaching-Zielen und den negativen Einlassungen der Klientin zu manövrieren.
In der Gruppendiskussion merkte Heidi Möller (Möller & Zimmermann, 2020) an, dass die Schilderungen des Coachs die professionsethische Frage aufwerfen, wer der Kunde im Rahmen eines unternehmensbezahlten Coachings sei. Möller hob dabei die Bedeutung der Souveränität des Coachs in seiner Allparteilichkeit hervor und verdeutlichte, weshalb Coaches diesbezüglich kritische Selbstreflexion betreiben sollten (ebd., S. 161): „Der Coaching-Klient tut ja zunächst gut daran, seine Nichtloyalität mit seiner Firma in einer Auftragsklärungssituation im Dreiecks- oder Viereckskontraktgespräch gar nicht deutlich werden zu lassen. Coachs können davon ausgehen, dass diese Dynamik erst in der dyadischen Situation deutlich wird. Ist dann mein Ziel, Loyalität herzustellen? Auch wenn ich dies vehement verneine, spielt vermutlich vorbewusst eine Rolle, wer die Beauftragung […] zahlt.“
Aus unserer bisherigen Forschung hat sich folgende Arbeitsdefinition für schwierige Coaching-Situationen ergeben: „Eine Situation wird immer dann als schwierig erlebt, wenn sie persönlich relevant ist, das eigene Repertoire an Handlungsstrategien übersteigt und/oder persönliche Ressourcen überlastet bzw. stark in Anspruch nimmt.“ (Möller & Zimmermann, 2020, S. 2) Durch das Erleben und das entstehende Störgefühl werden Handlungsstrategien angestoßen, die darauf abzielen, die Anforderungen der Situation zu bewältigen, die Arbeitsbeziehung und das eigene Wohlbefinden wiederherzustellen.
Nach den Angaben der befragten Coaches gehen die schwierigen Coaching-Situationen von ihnen selbst (u.a. ausgelöst durch eigenes Verhalten oder fehlende professionelle Distanz), vonseiten der Klienten (u.a. ausgelöst durch ihr Verhalten oder falsche Erwartungen) oder vonseiten der beauftragenden Organisation (u.a. durch „verordnetes“ Coaching) aus. Wurde das Schwierige in den Situationen als von ihnen selbst verursacht gesehen, waren es meist Themen der eigenen Abgrenzung (z.B.: „das geht mir nahe“, „da kann ich nicht objektiv bleiben“). Wurde die „Quelle“ der Herausforderungen bei den Klienten verortet, handelte es sich häufig um (als störend erlebtes) Verhalten der Klienten (z.B.: „der Klient redet ohne Punkt und Komma“). Die beauftragende Organisation trat bei schwierigen Coaching-Situationen deutlich seltener in Erscheinung. Eine Einschätzung von Merkmalen der von Coaches als schwierig beschriebenen Situationen hat gezeigt, dass diese sich dadurch von üblichen Coaching-Situationen unterschieden, dass sie eher mit Stress und Gefühlen wie Ängstlichkeit, Ärger und Schuld einhergingen.
Die von den Coaches berichteten Strategien, mit denen sie auf die Coaching-Situationen reagierten, waren häufig darauf ausgerichtet, die Dynamik zu verstehen und das eigene Verhalten auf die jeweilige Situation abzustimmen. Beispielsweise veränderten sie ihre innere Haltung oder passten ihre eigene Arbeitsweise an die Situation an. Nähere Hinweise auf erfolgsversprechende Handlungsstrategien sind in den Ergebnissen der Gruppendiskussionen zu finden (siehe Möller & Zimmermann, 2020).
Befragt nach dem weiteren Verlauf des Coachings, gaben Coaches relativ häufig an, dass das Coaching abgebrochen wurde – entweder durch sie selbst oder durch die Klienten. Gegenwärtig wird daran gearbeitet, auch Klienten dafür zu gewinnen, für sie schwierige Coaching-Situationen zu beschreiben, um so die Perspektive der Coaches auf schwierige Situationen um die Perspektive der Klienten zu erweitern.
Bei einer ersten Sichtung der von (bisher 20) Klienten beschriebenen Situationen findet sich ebenfalls relativ häufig ein Abbruch des Coachings, dem eine schwierige Situation vorausging. Ähnlich wie die Coaches schreiben auch die Klienten diese schwierigen Situationen entweder sich selbst, dem Coach oder der beauftragenden Organisation zu. Gleichzeitig deutet sich an: Die Klienten führen die Schwierigkeiten am häufigsten auf das Verhalten ihrer Coaches zurück, während die Coaches die Schwierigkeiten am häufigsten auf das Verhalten ihrer Klienten zurückführen. Interessanterweise berichten die Klienten außerdem auffällig häufig, der Coach habe wahrscheinlich gar nicht bemerkt, dass für sie etwas schwierig war. Die differenzierte Auswertung einer umfassenderen Stichprobe von Klienten läuft derzeit noch (Kotte et al., 2021).
Es zeigt sich, dass Klienten nicht nur schwierige Situationen ins Coaching einbringen, um sie zu bearbeiten, sondern dass auch Coaching-Prozesse selbst Bühne verschiedener schwieriger Coaching-Situationen sein können. Coaches und Klienten ist gemein, dass sie ein breites Spektrum verschiedener Situationen als schwierig erleben. Das Schwierige kann für sie hierbei vonseiten der Coaches, der Klienten oder der beauftragenden Organisation ausgehen. Gleichzeitig zeigen sich Unterschiede: Sind es bei Coaches häufig Schwierigkeiten, die im Verhalten der Klienten gesehen werden (z.B.: der Klient greift in den geplanten Ablauf des Coachings ein, der Klient redet zu viel), berichten die Klienten oft vom Verhalten des Coachs (z.B.: der Coach geht nicht auf Bedürfnisse ein, der Coach greift angestoßene Themen nicht wieder auf).
Auf Grundlage unserer bisherigen Forschung schlagen wir vor, schwierige Coaching-Situationen nicht als etwas zu betrachten, das es in jedem Fall zu vermeiden gilt. Sie sollten betrachtet werden
(1) als ein normales Geschehen zwischen Coach und Klient,
(2) das einen reflektierten Umgang erfordert und
(3) das sich als Ausgangspunkt für eine gemeinsame Reflexion des Coaching-Prozesses und möglicher Anpassungen im weiteren Vorgehen sowie der weiteren Zusammenarbeit eignet.
Eine gemeinsame Bewältigung der schwierigen Situationen führt möglicherweise zu einer verbesserten Arbeitsbeziehung.
Die bisherigen Ergebnisse deuten (in Übereinstimmung mit Wahrnehmungsunterschieden zwischen Coaches und Klienten im Hinblick auf die Coaching-Wirksamkeit oder Critical Moments) darauf hin, dass nicht alle Beteiligten Situationen als gleichermaßen schwierig erleben und insbesondere die von Klienten erlebten Schwierigkeiten in vielen Fällen für Coaches verborgen bleiben. Daher sollten Coaches den inneren Raum dafür öffnen, dass sehr unterschiedliches Erleben zwischen Coaches und ihren Klienten möglich ist. Schwierige Coaching-Situationen sollten nicht reflexhaft auf den „schwierigen Kunden“ zurückgeführt werden, sondern Anlass zur selbstkritischen Reflexion des professionellen Handelns sein. Die Achtsamkeit gegenüber eigener fachlicher Unzulänglichkeit, Unsicherheit, dem Nichtwissen oder Nichtmerken als Möglichkeit mitlaufen zu lassen, macht es auch für den Klienten einfacher, Schwierigkeiten offen anzusprechen, z.B. im Rahmen kurzer Prozessreflexionen am Ende einer Coaching-Sitzung.
Insgesamt spricht vieles dafür, dem Thema „schwierige Coaching-Situationen“ mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen – sei es in der persönlichen Weiterbildung, in der Aus- und Weiterbildung von Coaches oder in der Forschung. Für die Coaching-Forschung ergeben sich zahlreiche weiterführende Fragen. Beispielsweise stellte sich heraus, dass keineswegs nur unerfahrene Coaches schwierige Coaching-Situationen erleben: Was sind Gemeinsamkeiten, was sind Unterschiede im Erleben erfahrener und unerfahrener Coaches? Es wurde bisher berufsbezogenes Coaching im Einzelsetting näher betrachtet: Welche schwierigen Situationen ergeben sich während Lehr-Coachings, die einen festen Bestandteil vieler Coaching-Ausbildungen darstellen?
Insbesondere der kollegiale Austausch unter Coaches im Rahmen von Intervision/kollegialer Fallberatung oder im Rahmen von Austauschforen der Berufsverbände bietet einen Rahmen, innerhalb dessen erlebte schwierige Situationen und die eigenen Bewältigungsstrategien vorgestellt, diskutiert und das Handlungsrepertoire erweitert werden können. Die gezielte Auseinandersetzung mit schwierigen Coaching-Situationen ist ein geeigneter Zugang, an der Qualitätssicherung und der Qualitätsverbesserung der eigenen Coaching-Tätigkeit zu arbeiten. Abschließend sollen daher einige Fragen für die eigene Reflexion als Coach mit auf den Weg gegeben werden: