Viele Coachs kennen sich in der Coaching-Forschung nicht aus. Statt die Fragen zu beantworten, verweisen sie nur auf ihre Erfahrungen. Ein riskantes Unterfangen: Der Kunde soll sich auf nur ein einziges erfahrenes Individuum verlassen (also eine Stichprobe mit einem N = 1), das zudem noch voreingenommen ist und die eigenen Überzeugungen selten in Frage stellt. Verlässliche Daten, die der Kunde überprüfen kann, werden ihm zumeist nicht angeboten, statt dessen Referenzen, die selten ernsthaft kontrollierbar sind. Vielleicht fragt er noch einen zweiten Anbieter, der ebenfalls nur allgemein über seine hervorragenden Erfolge und Referenzen renommiert. Kann man auf diese Weise kritische Kunden überzeugen?
Die Erfahrungen und Überzeugungen von Coachs können zudem sehr unterschiedlich sein. Der eine Coach schwört auf Konzept A und Vorgehen 17, der andere auf Methode B und Vorgehen 23. Bleibt dem Kunden noch das Einholen von Empfehlungen aus dem eigenen Netzwerk. Wem soll er vertrauen? Woran soll er sich orientieren? Praktisches Erfahrungswissen von Coachs ist wichtig, aber statt uns nur auf Einzelerfahrungen zu stützen, können wir methodische Expertenbefragungen mit vielen Coachs durchführen und systematisch auswerten, wie dies Heß und Roth (2001) begonnen haben.
Mein Eindruck ist, dass viele Coachs empirisch-wissenschaftlichen Untersuchungen generell misstrauen. Mitunter wird sogar jede Wissenschaft in Frage gestellt. Ein extremes Beispiel auf dem DBVC-Coaching-Kongress 2005 in Frankfurt war ein Kollege, der als Einleitung zu seinem Vortrag zu einer Pauschalkritik empirisch-wissenschaftlicher Forschung ausholte und meinte, dass wissenschaftliche Erkenntnisse keinen größeren Wert hätten als subjektive Meinungen. Mit deutlicher Zustimmung seiner Zuhörer behauptete er: „Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied, wenn die einen an die Fallgesetze und andere an Schutzengel glauben. Alles ist sowieso nur subjektiv!“
Selbst die radikalsten Konstruktivisten könnten diesen Rückfall in vorwissenschaftliche Positionen nicht akzeptieren. Wenn alles subjektiv wäre, wäre jede Meinung, Erfahrung oder Erkenntnis beliebig, natürlich auch das, was besagter Referent nach seiner Pauschalkritik über Coaching zu vermitteln versuchte und sogar das, was er über die Subjektivität sagte. Er hat demnach einen logischen Zirkelschluss konstruiert, aus dem er – so wie er das anstellt – nicht herauskommt.
Coaching-Kunden haben ein Recht auf eine wissenschaftliche Kontrolle der Praxiserfahrung und Meinung von einzelnen Coachs. Die Zahl und Qualität wissenschaftlicher Untersuchungen über die Wirkungen haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Coachs, die diese Untersuchungen kennen, müssen einer Antwort auf die Fragen kritischer Kunden nicht mehr ausweichen. Allerdings ist die Coaching-Forschung immer noch relativ schmal und oft angreifbar.
In der Praxis begnügt man sich gerne mit einer retrospektiven Befragung der Klienten und Coachs nach Beendigung des Coachings. Selbst wenn die Klienten in diesen Befragungen angeben, dass sie mit dem Coaching zufrieden bis sehr zufrieden waren, besagt das nicht viel, wenn wir sie nicht zumindest mit der Zufriedenheit mit anderen Maßnahmen vergleichen (Seminare, Gespräche mit Kollegen…). Wie wir aus Untersuchungen zur Evaluation der Ergebnisse von Weiterbildungsseminaren wissen, sind subjektive Zufriedenheitsäußerungen von Kunden zwar basale Reaktionen, die immer erhoben werden sollten, aber sie liefern keinen ausreichenden Beleg für die Wirksamkeit von Coaching. Um die Wirkungen von Coaching wissenschaftlich nachweisen zu können, sollen möglichst verschiedenartige geeignete Kriterien erhoben werden und systematische qualitative Befragungen sowie Messmethoden eingesetzt werden, deren Zuverlässigkeit und Gültigkeit überprüft wurden.
Stober und Grant (2006) fordern, dass Evidenz basiertes Coaching durch experimentelle Untersuchungsanordnungen mit Kontrollgruppen abgesichert wird (s. Kasten). Um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass die Ergebnisse durch irgendwelche verdeckten Vorteile für die Coaching-Gruppe verbessert werden, ist dabei möglichst eine so genannte Randomisierung erforderlich. Das heißt, dass die Personen der Coaching-und Kontrollgruppe per Zufall zugeordnet werden. Experimentelle Vergleichsuntersuchungen mit Randomisierung sind nach den Standards empirischer Wissenschaft besonders aussagekräftig. Noch ist die Zahl dieser Untersuchungen – wie ich in meinem Buch darlege – überschaubar. Coachs sollten sie allerdings kennen. Neben vielen interessanten Einzeleffekten zeigen sie positive Ergebnisse bei allgemeinen Kriterien (s. unten). Es gibt bisher jedoch nur zwei Untersuchungen, die objektivierbare Leistungs- und Verhaltensverbesserungen nachweisen. Wir brauchen mehr davon, nicht weniger!
Wie soll man aber entscheiden, wenn es noch kein oder wenig erfahrungsbasiertes Wissen gibt? Man kann auch grundsätzlicher fragen, ob es überhaupt möglich ist, jemals alle praktischen Entscheidungen Evidenz basiert zu treffen, wenn sich z.B. die Kontextbedingungen unterscheiden, die Situationen verändern oder wenn über die Anwendung innovativer Methoden zu entscheiden ist, über die es noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt? Ohne die Nutzung von Erfahrungswissen werden wir nicht auskommen. Hier halte ich die Evidenz basierte Konzeption für erweiterungsbedürftig. Allerdings sollten die Erfahrungen verschiedener Praktiker durch methodische Expertenbefragungen erfasst und systematisch beschrieben werden. Außerdem sollen die gemeinsamen und unterschiedlichen Erfahrungen – wie in der Wissenschaft und unter kritischen Praktiker üblich – in einem möglichst herrschaftsfreien Diskurs überprüft werden.
Unsystematisches „Herumforschen“ ohne theoretische Fragestellungen ist problematisch. Gemeint ist damit eine Forschung, bei der man ohne theoretische Reflektion irgendwelche Fragebogen oder Instrumente zusammenbastelt und z.B. für die Wirkungsforschung von Coaching einsetzt, ohne vorher anzugeben, welche theoretisch begründeten Hypothesen man prüfen will. Hinterher schaut man, was aus der Untersuchung herausgekommen ist. Irgendein interessantes Ergebnis findet man immer – und das wird dann interpretiert. In der nächsten Studie untersucht man genauso willkürlich irgendwelche anderen Kriterien, interpretiert die neuen Ergebnisse und forscht so weiter herum, ohne dass dadurch irgendwelche konsistenten und verlässlichen Erkenntnisse gewonnen werden.
Wir brauchen empirisch-wissenschaftlich überprüfte Annahmen und Theorien, um gesichertes Fachwissen systematisch entwickeln und weiterentwickeln zu können. Die anglo-amerikanische Coaching-Fachliteratur sucht, wie das Handbuch zum Evidenz basierten Coaching von Stober und Grant (2006), stärker Anschluss an empirisch gesicherte Erkenntnisse psychologischer Theorien verschiedener Richtungen (u.a. humanistische, kognitive und systemische Theorien sowie insbesondere Motivations- und Zielsetzungstheorie). In der deutschsprachigen Coaching-Literatur zeigt sich das psychologische Theoriedefizit darin, dass es kaum Theorien zur Beschreibung und Erklärung des Coaching-Prozesses und seiner Wirkungen gibt. Vernachlässigt werden aber auch betriebswirtschaftliche und organisationswissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse, insbesondere über Organisations-und Managementkonzepte, aber auch pädagogisches Wissen über Weiterbildungskonzepte und -methoden, auch über die Wirkungen verschiedener Arten von Feedback.
In meiner Theorie zum ergebnisorientierten Coaching stütze ich mich auf Grundlagentheorien der Psychologie, insbesondere auf die klassische Theorie der Selbstaufmerksamkeit von Frey, Wicklund und Scheier (1984) und die neuropsychologische Motivations-und Persönlichkeitstheorie von Kuhl (2001). Die interdisziplinäre synergetische Selbstorganisationstheorie und gemäßigte konstruktivistische Positionen sowie die Mehrebenensystemtheorie bilden die Grundlage für Basisannahmen. In der Anwendung beziehe ich mich – wie viele anglo-amerikanische Autoren im Coaching-Feld – auf die Zielsetzungstheorie von Locke und Latham (1984) und Erkenntnisse aus der Feedback-Forschung. In für das Coaching modifizierter und erweiterter Form werden auch allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie in die Theorie integriert, wie sie Grawe (1998) in seinen Meta-Analysen über Effekte von Psychotherapien gefunden hat. Ich versuche also, eine Richtungs- und Disziplinen übergreifende Theorie zu entwickeln.
Durch Coaching werden Problem-und Selbstreflexionen gefördert, die zu einem Überdenken eigener Ziele und dazu führen, unser eigenes Handeln zu verändern. Reflexion findet nicht nur nach Coaching statt. In Alltagssituationen kann sie durch Feedback von Freunden, Vorgesetzten oder Kollegen angestoßen werden, aber auch durch neue Aufgaben, Bewerbungen auf Stellen mit hohen Anforderungen, Teilnahme an Assessment-Center oder Potenzialanalysen, Misserfolgserlebnisse oder Konflikte.
Oft bleiben die angestoßenen Reflexionen aber folgenlos und das, was man sich vorgenommen hat, wird nicht konsequent umgesetzt. Im Unterschied dazu fördert professionelles Coaching methodisch und systematisch intensive Problem- oder Selbstreflexionen, aus denen konkrete Ergebnisse folgen. Unterstützt durch den Coach klären die Klienten ihre Ziele, aktivieren ihre Ressourcen und versuchen durch verändertes Verhalten oder gezielte Nutzung der Unterstützung ihrer Umgebung ihre Ziele effektiver zu erreichen, als es ihnen bisher gelungen ist. Dieser Prozess, der einer Aktivierung von ergebnisorientierten Problem-und Selbstreflexionen in Alltagssituationen, beim Coaching, aber auch in der Psychotherapie vorausgeht, lässt sich mit der Theorie der Selbstaufmerksamkeit beschreiben und erklären. Diese sozialpsychologische Theorie ist durch experimentelle Grundlagenforschung abgesichert.
Nach unseren Annahmen reflektieren Menschen nur dann über Probleme, über ihr eigenes Verhalten oder sich selbst, wenn dies für sie wichtig ist oder einem Bedürfnis entspricht. Im Alltag sind Problem-und Selbstreflexionen oft eher sporadisch und sprunghaft, selten systematisch und ergebnisorientiert. Im Unterschied zu Laien gehen Coachs methodischer vor, sie verwenden – angepasst an die einzelnen Klienten – weitere spezielle Methoden und kalkulieren Verteidigungs-, Abwehr-und Vermeidungsreaktionen ihrer Klienten ein. Die methodische Förderung systematischer ergebnisorientierter Selbstreflexionen bei handlungsorientierten Managern ist eine anspruchsvolle, aber wichtige professionelle Kompetenz des Coachs. Ähnlich wie in Grawes Theorie über die allgemeinen Wirkfaktoren in der Psychotherapie nehmen wir an, dass auch der Coach durch seine Wertschätzung und emotionale Unterstützung den Klienten hilft, die unangenehme Diskrepanz zwischen Soll und Ist zu ertragen. Durch systematische Analysen erkennen diese sodann ihre Ressourcen und aktivieren diese reflektiert. Schließlich verringern sie – meist schrittweise – die Diskrepanz zwischen realem und idealem Selbstkonzept durch zielführendes Handeln.
Ein vereinfachtes theoriegeleitetes Wirkmodell fasst die Hauptergebnisse von insgesamt neun experimentellen Untersuchungen zusammen. Es bildet allerdings nur den kleinen Ausschnitt aus der wesentlich umfassenderen gesamten Theorie ab, der sich heute schon durch einzelne abgeschlossene und begonnene experimentelle Untersuchungen absichern lässt. In der linken Spalte werden förderliche Voraussetzungen des Coachs sowie des Klienten für den Coaching-Erfolg aufgeführt. In der zweiten Spalte die Erfolgs-oder Wirkfaktoren im Coaching-Prozess und in der dritten und vierten Spalte die allgemeinen und spezifischen Kriterien, an denen der Coaching-Erfolg gemessen wird.
Nach den vorliegenden experimentellen Vergleichsuntersuchungen können durch Coaching signifikante Wirkungen, teilweise sogar starke Effekte erzielt werden. In einzelnen Untersuchungen wurden mit zuverlässigen Fragebogen-und Ratingskalen weitere spezielle Ergebnisse gefunden und in zwei Untersuchungen Ergebnisse mit objektiven Verhaltens-und Leistungsmaßen. Allerdings sind die Wirkungen nicht immer konsistent und entsprechen nicht immer den Erwartungen. Erforderlich sind deshalb mehr Wiederholungsuntersuchungen mit vergleichbaren Messungen.
Als „gesichertes Wissen“ können im Grunde nur solche Merkmale und Kriterien gerechnet werden, die durch mehrere Untersuchungen bestätigt wurden. Bei den Wirkfaktoren gehören dazu nur die beiden Erfolgsfaktoren (1) Wertschätzung und Unterstützung des Klienten durch den Coach und (4) Zielklärung im Coaching-Prozess. Wiederholt gefunden wurden zudem bei den allgemeinen Erfolgskriterien, dass durch Coaching der (1) Zielerreichungsgrad erhöht, die (2) Zufriedenheit des Klienten und der (3) Affekt verbessert wurden.
Wissenschaft und professionelle Coachs sind gefordert, zukünftig erheblich mehr theoriegeleitete experimentelle Untersuchungen zur allgemeinen Evaluation der Coaching-Wirkungen durchzuführen, aber auch Studien zur Überprüfung der Wirkungen bestimmter Methoden. Auftraggeber wollen wissen, ob sich Coaching nachweisbar lohnt. Die beste Antwort des seriösen Coachs ist ungeschönt zusammengefasstes Wissen zum Stand der Forschung, insbesondere über experimentelle Vergleichsuntersuchungen.
Seriöse Coachs brauchen die Ergebnisse der Coaching-Forschung nicht nur, um ihre Kunden von der Wirksamkeit von Coaching und der Seriosität ihrer Dienstleistung überzeugen zu können. Sondern auch dafür, um die Wirkungen von Coaching besser verstehen und ihren Kunden unter Rückgriff auf wissenschaftlich fundierte Prozessmodelle erklären zu können. Erfahrungen zeigen, dass es möglich ist, auch vielbeschäftigte Führungskräfte für die Begleitforschung zu gewinnen, wenn sie mit praxisangepassten Methoden durchgeführt wird, die ihnen neue Einsichten liefern und die von den Coachs engagiert als Qualitätsmerkmal vermittelt werden.
Coaching-Verbände in aller Welt sind gefordert, die Coaching-Forschung nachhaltig zu fördern. Keine seriöse Coaching-Ausbildung darf auf die engagierte Vermittlung von Grundwissen und aktuellen Untersuchungen und auf das Erproben von Evaluationsinstrumenten verzichten. Scharlatane scheuen die wissenschaftliche Überprüfung ihrer Arbeit „wie der Teufel das Weihwasser“. Die sicherste Methode, im Coaching Scharlatane auszugrenzen, ist die Offenheit und Bereitschaft professioneller Coachs, die eigene Arbeit durch wissenschaftlich fundierte Evaluationsforschung zu überprüfen.