Coaching-Tools

Die Persona-Analyse

Ein Coaching-Tool

11 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2022 am 23.02.2022

Die Collage zeigt einen Mann im blauen Jacket. Vor die eine Hälfte seines Gesichts hält er ein gezeichnetes Porträt von sich.

Kurzbeschreibung

Den Kern der Persona-Analyse bildet ein Abgleich zwischen der Kernpersönlichkeit eines Klienten bzw. einer Klientin und der Persona, die sich in einem bestimmten Kontext entwickelt hat. Unter der Persona (Altgriechisch für Maske) versteht man eine nach außen hin sichtbare Variante der eigenen Persönlichkeit, die den Anforderungen der Umwelt eines Menschen angepasst wird (Dorsch, 2016). Ein Mensch hat zwar nur eine Persönlichkeit, aber er kann diese aufgrund von bestimmten Normen und Erwartungen nicht immer in allen Lebensbereichen ausleben. Gerade im beruflichen Kontext müssen oft bestimmte Eigenschaften der Persönlichkeit zurückgehalten werden. Stattdessen müssen andere Eigenschaften, die der jeweiligen Person eventuell gar nicht so sehr entsprechen, verstärkt gezeigt werden, um im Job erfolgreich zu sein. Wird dieser Anpassungsdruck zu stark und die Diskrepanz zwischen Kernpersönlichkeit und Persona zu groß, dann führt dies zu kognitiven Dissonanzen und Stress. Durch einen Abgleich zwischen Kernpersönlichkeit und Persona kann im Coaching ein besseres Verständnis für die Ursachen von Stress und Unzufriedenheit erlangt werden. Genau dies geschieht im Rahmen einer Persona-Analyse im Coaching.

Anwendungsbereiche

Neben der Analyse der Ursachen von Unzufriedenheit, Stress und anderen negativen Emotionen in einem zuvor definierten Lebensbereich (z.B. Job, Beziehung oder Familie) eignet sich die Persona-Analyse sehr gut für die Karriereberatung, da die Passung zwischen Persönlichkeit und aktuellem bzw. zukünftigem Job herausgearbeitet werden kann. Auch in der Führungskräfteentwicklung wird dieses Coaching-Tool eingesetzt. Hier kann z.B. reflektiert werden, ob eine Führungskraft im Führungskontext authentisch auftritt oder sich eine Persona zugelegt hat, da sie sich in der Führungsrolle eigentlich eher fremd fühlt.

Auch außerhalb des geschäftlichen Umfeldes ist die Persona-Analyse einsetzbar. Im Life-Coaching kann sie ein enormes Potential für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit entfalten, wenn die betrachteten Personas z.B. aus dem Bereich der Partnerschaft (Kann ich in meiner Beziehung wirklich ganz ich selbst sein?) oder Familie (Muss ich mich vor meinen Eltern verstellen, da ich ihre Vorstellungen von Moral und Tugend nicht teile?) kommen.

Effekte

Ein sehr großer Gap zwischen Kernpersönlichkeit und Persona kann auf Dauer negative Konsequenzen für die betreffende Person haben. Die Identifikation solcher Gaps ist eines der zentralen Ziele der Persona-Analyse. Für Klientinnen und Klienten stellt bereits die Identifikation solcher Gaps in der Regel einen immensen Mehrwert dar, da sie sich der Zusammenhänge zwischen ihren entwickelten Personas und den daraus resultierenden Konsequenzen (Dissonanzen, Stress, Unzufriedenheit) häufig nicht bewusst sind. Die Erkenntnis, in einem Arbeitsumfeld zu arbeiten, dass nicht oder nur bedingt zur eigenen Persönlichkeit passt, ist ein ebenso erhellender wie tiefgreifender Moment und kann zu den unterschiedlichsten Pfaden im Coaching führen. Darüber hinaus kann der Umgang mit den erarbeiteten Erkenntnissen – beispielsweise im Sinne einer Entscheidungsfindung (z.B.: Soll ich meinen Job wechseln?) – lohnender Bestandteil der Persona-Analyse sein.

Ausführliche Beschreibung

Ein Praxisbeispiel

Susanne, 40 Jahre (Name und Alter geändert), arbeitet seit einem Jahr in einem großen Unternehmen in der Personalabteilung. Vorher war sie knapp fünf Jahre in einem mittelständischen Unternehmen tätig, in welchem sie sich sehr wohl gefühlt hatte. Das Team in der dortigen Personalabteilung kannte sich sehr gut und hatte untereinander freundschaftliche Beziehungen aufgebaut. Schweren Herzens wechselte Susanne dennoch in ein größeres Unternehmen, da sie in ihrer alten Firma wenig Chancen zur beruflichen Weiterentwicklung gehabt hatte. Schnell merkte Susanne, dass bei ihrem neuen Arbeitgeber „ein anderer Wind wehte“ als bei der vorherigen Firma, wie sie es ausdrückte. So fiel ihr z.B. auf, dass es bei ihrem neuen Unternehmen als Schwäche angesehen wird, Emotionen zu zeigen, dass erwartet wird, top vorbereitet in jedes Meeting zu gehen, und die Kolleginnen und Kollegen insgesamt sehr wenig Persönliches von sich preisgeben. All diese Verhaltensweisen entsprechen nicht Susannes Persönlichkeit, sie passte sich dennoch an, da es ihr sehr wichtig war, erfolgreich in den neuen Job zu starten. Mit der Zeit merkte Susanne aber, dass sie auf der Arbeit ständig angespannt war, sich gestresst und generell unzufrieden fühlte, ohne genau zu wissen, warum. Als sich diese negativen Emotionen dann auch auf Susannes allgemeine Lebenszufriedenheit auswirkten, entschied sie sich, einen Termin bei einem Coach zu vereinbaren. Der konsultierte Coach schlug Susanne vor, eine Persona-Analyse durchzuführen. Diese offenbarte, dass die Abweichungen zwischen Susannes Persönlichkeit und den Verhaltensweisen, die sie seit einiger Zeit im Job zeigte, zu kognitiven Dissonanzen, Stress und infolge dessen einer verringerten Lebensfreude führten. Susanne entschied sich daher, sich nach alternativen Jobs umzusehen, wobei sie stärker auf die im Unternehmen vorherrschende Unternehmenskultur achtete.

Die Persona – eine Variation unserer Persönlichkeit

Um besser zu verstehen, worum es in der Persona-Analyse geht, gilt es zuerst einmal, die Frage zu beantworten, was eine Persona ist und inwieweit sich diese von der Persönlichkeit unterscheidet. Können wir über einen längeren Zeitraum nur einen bestimmten Teil unserer Persönlichkeit ungefiltert zeigen, z.B. an unserem Arbeitsplatz, bilden wir eine sogenannte Persona aus. Diese legt sich wie eine Maske über unsere Kernpersönlichkeit. Während wir bestimmte Charaktereigenschaften weniger zeigen, betonen wir andere bewusst. Eine Persona ist also eine Variation unserer Kernpersönlichkeit. C.G. Jung (1933; zitiert nach Wischmann, 1994) bezeichnet die Persona als Kompromiss „zwischen Individuum und Sozietät über das, ‚als was Einer erscheint′“.

Besonders wenn Klientinnen und Klienten davon berichten, sich in wiederkehrenden Situationen unwohl oder gestresst zu fühlen, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Person bewusst oder unterbewusst das Gefühl hat, sich verstellen zu müssen. Im beschriebenen Beispielfall ist es denkbar, dass der Jobwechsel und die neue Firmenkultur Susanne verunsichert haben. Sie schien das Gefühl zu haben, im neuen Unternehmen nicht richtig anzukommen. Es ist möglich, dass sie daher wesentlich stärker als zuvor das Gefühl hatte, eine Rolle spielen zu müssen und nicht sie selbst sein zu können. Alternativ kann es natürlich auch sein, dass die Verhaltensnormen und Erwartungen an ihrem neuen Arbeitsplatz tatsächlich weniger zu ihrer Persönlichkeitsstruktur passten als dies zuvor der Fall war. In jedem Fall erfordert das Herausbilden und Aufrechterhalten einer Persona, die sich in weiten Teilen von der Kernpersönlichkeit unterscheidet, große kognitive Energie. Weiterhin löst es Stress aus und führt langfristig potenziell zu Unzufriedenheit oder sogar psychischen Erkrankungen.

Es ist nun aber wichtig zu verstehen, dass eine Persona nicht per se ein Problem darstellt. Wir alle passen unser Verhalten an unterschiedliche Kontexte an und entwickeln so über die Zeit Personas. Im Prinzip stellen diese daher eine Grundvoraussetzung erfolgreichen Handelns dar (siehe auch Dorsch, 2016). Problematisch wird es erst dann, wenn der Unterschied zwischen unserer Persönlichkeit und einer Persona so groß wird, dass kognitive Dissonanzen entstehen, die langfristig negative Konsequenzen für unsere Psyche mit sich bringen. Im Beispiel von Susanne war genau dies der Fall. Sie verbrachte einen Großteil ihres Tages im Büro in einem Kontext, in welchem sie sich nicht wohlfühlte und in dem sie einen großen Anpassungsdruck verspürte.

Schritt-für-Schritt-Ablauf einer Persona-Analyse

In einem geführten Prozess arbeiten Coach und Klientin bzw. Klient heraus, in welchen Bereichen die Job-Persona der tatsächlichen Persönlichkeit entspricht und in welchen dies nicht der Fall ist. Eine Frage kann beispielsweise lauten: Wo können Sie im Job ganz Sie selbst sein und wo müssen Sie sich anpassen? Der Ablauf einer solchen Persona-Analyse (siehe Abb.) im beruflichen Kontext kann folgendermaßen aussehen:

1. Schritt: In einem ersten Schritt werden Informationen zur Kernpersönlichkeit (z.B. Charaktereigenschaften, Motive, Kompetenzen) benötigt. Diese können entweder durch den Coach erfragt und gemeinsam dokumentiert oder mittels eines wissenschaftlich fundierten Persönlichkeitstests empirisch ermittelt werden.

2. Schritt: Dann folgt die Erhebung der Persona durch Fragetechniken und Methoden, mit denen die Verhaltensmuster im gewählten Lebensbereich herausgearbeitet werden.

3. Schritt: Anschließend findet eine Gap-Analyse statt. Durch Fragetechniken werden diejenigen Bereiche identifiziert, in denen die Klientinnen und Klienten die eigene Persönlichkeit im beruflichen Kontext authentisch ausleben können (Job-Fit). Ebenfalls sind diejenigen Bereiche herauszuarbeiten, in denen sie dies nicht können, sich also anpassen müssen (Job-Misfit).

Ablauf der Persona-Analyse in drei Schritten

Abb.: Ablauf der Persona-Analyse in drei Schritten (unter Verwendung von © Alla_vector/Shutterstock.com)

Variante: Aus letzteren Informationen der Misfits (Schritt 3) kann dann die Persona auch als eine Art „alternative Persönlichkeit“ abgeleitet und beschrieben werden. Im Rahmen dieses Vorgehens würde nach Schritt 1 direkt Schritt 3 folgen und die Persona in einem letzten Schritt eher abgeleitet als eigenständig erfragt, was ansonsten in Schritt 2 der Fall wäre.

Auf dieser Basis werden dann unterschiedliche Analysen möglich. Zu betonen ist dabei, dass ein Gap zwischen der Kernpersönlichkeit und der Job-Persona nicht zwingend dazu führen muss, einen Stellenwechsel anzustreben. Weitere Entwicklungsrichtungen – auch solche, mit denen ein Verkleinern des Gaps bei gleichzeitigem Verbleib im aktuellen Jobumfeld in Betracht gezogen wird – sind denkbar. Entsprechende Möglichkeiten sollten in die Reflexion einbezogen werden, um voreiliges Handeln zu vermeiden. Dieser Aspekt wird aus folgenden Beispielen ersichtlich:

  • Wie weit ist die Persona von der Kernpersönlichkeit entfernt?
  • Wie kann (im aktuellen Job) eine größere Passung zwischen Kernpersönlichkeit und Persona erreicht werden?
  • Ist die Persona wirklich notwendig oder ist sie z.B. vielmehr ein Produkt eigener Vorstellungen von den Erwartungen anderer?
  • Hat die Persona negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden?

Beispielhafte Fragen für den Einsatz im Rahmen der Persona-Analyse, die …

… die Kernpersönlichkeit betreffen:

  • Wer/wie bist Du, wenn Du ganz Du selbst bist?
  • Was macht Dich aus? Was charakterisiert Dich als Person?
  • Was unterscheidet Dich von den meisten anderen Menschen, die Du kennst?
  • Welche persönlichen Eigenschaften sind bei Dir stärker ausgeprägt als bei anderen?
  • Was kannst Du besonders gut, was fällt Dir leichter als anderen?
  • Was treibt Dich an, welche Motive begleiten Dich durch dein ganzes Leben?

… die Persona (Beispiel Job-Persona) betreffen:

  • Wer/wie bist Du im Job?
  • Welche Verhaltensweisen zeigst Du in Deinem Arbeitsumfeld besonders häufig?
  • Wie gehst Du im Job mit Kritik, Druck, Stress, Konflikten und Provokationen um?
  • Wie würdest Du Deinen Arbeitsstil beschreiben?
  • Wie verhältst Du Dich Deinen Kolleginnen und Kollegen gegenüber?
  • Wie agierst Du in Arbeitsgruppen und Teams?

… der Gap-Analyse dienen:

  • Wo werden anhand Deiner Beschreibungen Unterschiede zwischen Deiner Persönlichkeit und der Job-Persona deutlich?
  • Welche Merkmale kennzeichnen beide beschriebenen Profile? Welche finden sich nur auf einer Seite?

Zur Visualisierung der erfragten Informationen eignen sich z.B. ein Flipchart oder eine Moderationswand, wenn mit Karten gearbeitet wird. Wichtig ist, dass die Visualisierungsinstrumente über genügend Platz verfügen, sämtliche Informationen aufzunehmen, die von den Klientinnen und Klienten kommen.

Voraussetzungen

Wie anhand der beispielhaft dargestellten Fragen deutlich wird, kann die Persönlichkeit pragmatisch erfragt oder auf Basis eines (guten) Persönlichkeitstests erkannt werden. Hilfreich ist dabei die Beschäftigung mit wissenschaftlich fundierten Modellen der Persönlichkeitspsychologie, die als Ergebnis ein Persönlichkeitsprofil ausweisen. Nicht geeignet für eine Persona-Analyse sind typenbasierte Modelle, da diese – neben ihrer oftmals fehlenden empirischen Güte – die Persönlichkeit auf einen Punkt verdichten und daher keine Basis für eine differenzierte Persona-Analyse darstellen.

Persönliche Hinweise

Die Persona-Analyse als Teil eines Coachings ermöglicht es dem Coach und seinem Gegenüber, in einem geführten Prozess die Persona gemeinsam zu erarbeiten und die Gründe, warum die Persona ausgebildet wurde, besser zu verstehen. Da sich ein solches Coaching sehr tiefgehend mit der Persönlichkeit der Klientin bzw. des Klienten befasst, kann es als enorme Chance für eine nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung angesehen werden.

Technische Hinweise

Eine sehr gute Basis für die Durchführung einer Persona-Analyse sind die Ergebnisse eines fundierten und differenzierten Persönlichkeitstests, mit dem sich die Kernpersönlichkeit strukturiert darstellen lässt. Auf dieser Basis können die Abweichungen der Persona sehr schön visualisiert werden. Natürlich können die einzelnen Elemente der Kernpersönlichkeit auch im Analysegespräch Stück für Stück herausgearbeitet und mittels Flipchart bzw. Moderationswand festgehalten werden. Dies ist im Vergleich zum Rückgriff auf die Ergebnisse eines umfassenden Persönlichkeitsprofils allerdings wesentlich zeitaufwendiger. Der genutzte Persönlichkeitstest kann z.B. auf dem Modell der Big Five, einem Standardmodell der Psychologie zur Darstellung der Persönlichkeit, aufbauen und sollte im Optimalfall verschiedene Teilbereiche der Kernpersönlichkeit wie Charaktereigenschaften, Motive und Kompetenzen abdecken, um ein ganzheitliches Bild der Persönlichkeit zu erzeugen.

Literatur

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