Ich habe vielfältige Interessen, machte z.B. viel Musik und dachte nach der Schule auch daran, beruflich möglicherweise in diese Richtung zu gehen. Die Psychologie fand ich ebenfalls spannend, denn mein Vater war Psychotherapeut. Therapeutisch zu arbeiten, kam für mich aber nie infrage. Ebenfalls interessierte ich mich sehr dafür, was Menschen beruflich machen, womit sie ihre Tage verbringen. Diese Faszination spürte ich schon in frühen Gesprächen mit meiner Großmutter und sie hat auch nie nachgelassen. Als ich dann entdeckte, dass man Arbeits- und Organisationspsychologie studieren kann, war das ausschlaggebend. Die Möglichkeit, sich damit zu beschäftigen, wie Menschen arbeiten und welchen Einfluss das auf ihr Wohlbefinden, ihre Gesundheit und Zufriedenheit hat, hat mich unheimlich angezogen. Es kam hinzu, dass München – die Stadt, in der ich ohnehin leben wollte – damals mit Dieter Frey und Lutz von Rosenstiel zwei der renommiertesten Namen in diesem Bereich zu bieten hatte und daher ein hervorragender Standort war, um das Studium anzugehen.
Nach dem Abitur fand ich den Gedanken furchtbar, sich auf ein Studium festzulegen, damit einen Beruf zu ergreifen und in diesem dann fortan gefangen zu sein. Ich möchte – und das war schon damals mein Gefühl – mehr sein, als das, was ich studiert habe. Die Vielfältigkeit meiner verschiedenen Tätigkeiten bildet dies in meinem Werdegang ab. So habe ich beispielsweise auch populäre Fach- und Sachbücher sowie Romane veröffentlicht. Die Idee, nicht nur auf Qualifikationen und Abschlüsse eines Menschen zu schauen, sondern auf Kompetenzen und Erfahrungen, über die dieser verfügt, ist mir daher zutiefst sympathisch. Die Erkenntnis, dass ein Mensch mehr ist, als die Summe seiner formalen Qualifikationen, ist in meinem Denken zentral.
Während des Studiums habe ich Praktika in dieser Richtung absolviert, z.B. bei der Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung, die sich schon lange mit kompetenz- und erfahrungsgeleitetem Lernen befasst. Der kompetenzorientierten Laufbahnberatung wandte ich mich auch im Zuge meiner Diplomarbeit zu. Durch eine Anfrage, die an Lutz von Rosenstiel gerichtet wurde, ergab sich dann für mich direkt nach dem Studium die Gelegenheit, in Zusammenarbeit mit dem Zukunftszentrum Tirol die Kompetenzenbilanz, ein strukturiertes Coaching-Verfahren zur Karriere- und Berufsweggestaltung, zu entwickeln. Das war eine Möglichkeit, die nicht alle Tage kommt. Die habe ich ergriffen und seither begleitet mich das Thema. Die Promotion an der Universität der Bundeswehr kam vor dem Hintergrund zustande, dass Thomas Lang-von Wins dort eine Professur erhielt. Er war zuvor bei Lutz von Rosenstiel tätig und stellte mich als zivilen Lehrstuhlmitarbeiter in Teilzeit an.
Das ist eine schwierige Frage. Für mich ist Kompetenzorientierung – man könnte auch von Potenzialorientierung sprechen – sehr eng mit dem Thema Coaching verknüpft. Ich denke hier etwa an die potenzialorientierte Entwicklung von Menschen in Unternehmen. Wenn man keine kalte Messung vornehmen, sondern Potenziale erkennen und fördern will, dann sind die Grenzen zwischen Potenzialfeststellung und -förderung sowie Coaching fließend. Ich glaube, dass Kompetenzmodelle in Unternehmen nicht selten zu starr gehandhabt werden. Wenn man sich vor Augen führt, wie detailliert mitunter durchdekliniert wird, welche Voraussetzungen jemand erfüllen muss, um eine bestimmte Rolle im Unternehmen einnehmen oder eine bestimmte Gehaltsstufe erreichen zu können, dann ist zu befürchten, dass das Versprechen der Potenzialorientierung oftmals nicht eingelöst werden kann. Aufwendige Kompetenzmodelle einzuführen, ist ein schwerfälliger Prozess. Etwas überspitzt formuliert: Nach einer Entwicklungszeit von zwei Jahren, nach der eigentlich schon niemand mehr Lust hat, sich damit zu beschäftigen (lacht), wird ein Modell weitere zwei Jahre eingesetzt. Seit dem ersten Tag sind dann bereits vier Jahre vergangen und das, was in dem Modell steht, kann eigentlich schon gar nicht mehr stimmen. Aus meiner Sicht ist es daher interessanter, zu sagen: Wir schauen potenzialorientiert darauf, was unsere Leute mitbringen und wie wir das fördern können. Und dann sind wir automatisch an einem Punkt, der einen coachenden Ansatz erfordert.
Die Kompetenzenbilanz ermöglicht es Menschen, die sich in der beruflichen Orientierung oder in Umbruchsituationen befinden, eine Standortbestimmung vorzunehmen. Üblicherweise richten Menschen, die vor einer neuen Situation stehen, ihren Blick stark nach außen. Sie fragen sich z.B., welche Anforderungen sie nun erfüllen müssen, was von ihnen erwartet wird und welche Angebote ihnen dabei helfen können. Die Kompetenzenbilanz bietet eine coaching-geleitete Struktur an, um den Blick nicht nach außen, sondern nach innen zu richten. Sie hilft diesen Menschen, Klarheit über folgende Fragen zu gewinnen: Was kann ich? Wer bin ich? Was will ich? Der Einstieg besteht darin, eine rein biografische Standortbestimmung zu machen. Wie bin ich eigentlich dort hingekommen, wo ich jetzt bin? Wie sieht mein Werdegang aus? Der Begriff des Werdegangs ist hier allerdings nicht im Sinne eines Lebenslaufes zu verstehen, sondern im Sinne eines „Erlebens-Laufes“. Worin bestehen die roten Fäden, die meinen Werdegang geprägt haben? Welche Themen sind mir offenbar wichtig, wenn ich auf meine Biografie gucke? Welche handlungsleitenden Werte sind daraus abzulesen und nach welchen Maßstäben treffe ich Entscheidungen? Auf den Punkt gebracht: Wie bin ich die Person geworden, die ich heute bin?
Im nächsten Schritt wird auf einzelne Stationen in der Biografie geschaut und gefragt, was der Mensch an diesen Etappen eigentlich konkret gemacht hat. Häufig bestehen die Antworten zunächst aus Globalaussagen: Ich war im Marketing tätig. Ich habe in Projekten gearbeitet. Wir schauen dann ganz genau hin und steigen in eine differenzierte Analyse von Tätigkeiten und Fertigkeiten ein, denn nicht alle, die im Marketing arbeiten, gehen dabei auf dieselbe Art und Weise vor. Aufbauend auf den Erkenntnissen, die auf Basis dieser Schritte gewonnen wurden, beginnt im nächsten Schritt ein kreativer und konstruktivistischer Prozess, dessen Ziel es ist, gemeinsam mit den Klienten individuelle Kompetenzen zu erarbeiten. Es geht darum, die Teilnehmenden in die Lage zu versetzen, sich selbst und anderen gegenüber in eigener Sprache ausdrücken zu können, was sie ausmacht und was sie damit anfangen möchten. Können die einzelnen Bestandteile der vorangegangenen Analysen klar benannt werden, dann ergibt sich daraus ein Wollen – die Einsicht, was man in Zukunft machen möchte. Gemeinsam wird dann das Ziel formuliert und die nächsten Schritte erarbeitet. Dies halten wir schriftlich fest und entlassen die Person damit in ihre eigene Lebens- und Arbeitswelt. Die Umsetzung der erarbeiteten Schritte begleiten wir nur auf ausdrücklichen Wunsch. Oft setzt Coaching bei der Frage an, wo die Reise hingehen soll, und dann erfolgt die Begleitung auf der Umsetzungsebene. Wir begleiten hingegen bei der Entwicklung und klaren Formulierung der Wünsche, um den selbstwirksamen Umgang mit ihnen zu ermöglichen.
Die ist essenziell. Kompetenzen kann man nach meinem Verständnis gar nicht eruieren und besprechen, wenn man sich nicht gleichzeitig auch um Werte kümmert. Kompetenzarbeit ist immer auch die Erarbeitung von Werten, weil Kompetenzen – wenn man den Begriff umfassend betrachtet – wesentlich mehr sind als Performanz. Kompetenzen sind ein Bündel aus Erfahrungen, Wissensbeständen, Fertigkeiten, Einstellungen sowie Ambitionen und umfassen in sehr starkem Maße auch motivatorische Aspekte. Nicht nur die Frage, was ich tue, sondern auch die Frage, wie und weshalb ich dies tue, ist eine wesentliche Komponente von Kompetenzen. Deshalb muss auch das Wertesystem der Klientinnen und Klienten Berücksichtigung finden. Ansonsten kann es sein, dass mit Blick auf die Zukunftsgestaltung eine Kompetenz im Sinne einer Fertigkeit herausgearbeitet wird, über die der Mensch zwar verfügt, auf deren Anwendung er aber gar keine Lust hat. Eine Tätigkeit, die jemand beherrscht und daher ausüben kann, ist nicht zwingend eine sinngebende Kompetenz. Eine Kompetenz, die wir mit Blick auf zukünftige berufliche Orientierung erarbeiten, sollte etwas sein, von dem der Mensch sagt: Das schreibe ich mir auf die Fahnen. Damit stelle ich mich aufs Dach und rufe es in die Welt hinaus, weil ich es will. Und um eine solche Kompetenz zu ermitteln, spielen Werte eine wesentliche Rolle. Ein Karriere-Coaching sollte nicht nur bestehende Kompetenzen ermitteln und quasi festschreiben, sondern auch zu Klarheit darüber verhelfen, was man mit diesen Kompetenzen künftig anfangen möchte. Und dafür sind die Werte ganz zentral.
Das war kein großer Umschwung, sondern ein schlüssiger Schritt. Ich war seit meiner Promotion immer im laufenden Publikationsprozess und hatte mehrere Lehraufträge – an der FH Kufstein, der Universität Innsbruck, der LMU München, der Universität der Bundeswehr, der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit. Es ergab Sinn, diesen Schritt zu gehen – er gab meinen Tätigkeiten einen Mantel.
Als Coach arbeite ich schon seit Langem mit Startups zusammen. Im Startup-Umfeld gibt es unheimlich viele spannende und innovative Entwicklungen zu beobachten. Das übte einen Reiz auf mich aus. Zwar war ich mit allem, was ich tue, schon immer selbstständig unterwegs, dennoch spürte ich den Drang, selber ein digitales Startup zu gründen. Ich dachte, diese Erfahrung muss ich im Leben einmal gemacht haben. An der Hochschule ist man in der Rolle, Digitalisierungsprozesse aus der Beobachterperspektive heraus zu begleiten und dies in die Lehre einfließen zu lassen. Ich war mir sicher, dass auch in den Bereichen Human Resources, Learning Development und Coaching noch viel in Sachen Digitalisierung passieren wird.
Letztlich wollte ich nicht mit 50 gut situiert – mit einem Glas Rotwein in der Hand – am Kamin sitzen und sagen müssen: Die Entwicklung habe ich auch gesehen. Das hätte ich auch machen können. Ich habe seinerzeit meine eigene Kompetenzenbilanz durchgeführt und stellte fest, dass die Gründung zwar ein extrem unbequemer Weg sein würde, ich diesen aber unbedingt gehen musste. Vor dem Hintergrund dieses Impulses habe ich die Professur niedergelegt und Skimio gegründet. Man könnte sagen, dass Skimio der „digitale Arm“ ist, der meinen „analogen Beratungsarm“ ergänzt. Diesen führe ich unter dem Label Growth Academy, wo ich die Kompetenzenbilanz und meine weiteren analogen Beratungs- und Coaching-Tätigkeiten bündele. Derzeit denke ich darüber nach, ob ich im nächsten Jahr wieder mit einem Bein in die akademische Welt zurückkehre.
Es geht uns um die Frage, wie Kompetenzen im Unternehmen unter Einsatz digitaler Anwendungen entwickelt werden können. Kompetenzmodelle in Unternehmen einzuführen, geht – wie bereits angesprochen – meistens mit einem recht schwerfälligen Top-down-Prozess einher. Mit dem Skimio-Pilot, den wir erst kürzlich gelauncht haben, bilden wir einen Orientierungsprozess digital ab, der in Unternehmen bei der Erarbeitung von Kompetenzmodellen typischerweise durchgeführt wird. Allerdings holen wir alle relevanten Stakeholder an einen digitalen Tisch. Das können z.B. Verantwortliche im Bereich Learning Development, Führungskräfte oder auch interne Coaches sein. Ziel ist es, einen agileren und dynamischeren, stärker kollaborativ und partizipativ geprägten Prozess der Entwicklung von Kompetenzprofilen und der Feststellung von Entwicklungsbedarfen zu gestalten.
Dies muss zwar nicht für jedes Unternehmen der unbedingt richtige Weg sein. Bei der Organisationsentwicklung ist es vergleichbar mit der individuellen Entwicklung von Menschen: Es muss der individuell passende Weg gefunden werden. Auch in der Organisationsentwicklung sollte man diese coachende Haltung einnehmen und nicht den Ansatz „one size fits all“ verfolgen. Grundsätzlich halte ich das Involvieren von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber für etwas sehr Sinnvolles. Bayer Leverkusen hat bereits erfolgreich mit dem Tool gearbeitet.
Mit dem Skimio-Coach stellen wir hingegen einen digitalen Lernbegleiter bereit, der Ansätze eines Coaching-Prozesses abbildet. Wir haben uns gefragt, wie die Impulse, die ein Coaching liefert, systematisch aufgegliedert werden können. Anders gefragt: Was geschieht in einem Coaching? Es erfolgt eine Reflexion und es können Modelle mitgegeben werden. Es findet sozialer Austausch statt und es werden To-dos entwickelt. Wir nennen das think (Reflexion), read (Vermittlung von Input), talk (miteinander reden) und do (Handlungsschritte ableiten). Möchte sich der Nutzer nun beispielsweise mit dem Thema Kommunikation befassen, erhält er eben nicht nur Input in Form eines Videos oder eines Textes zum Thema, sondern auch Reflexionsfragen. Ihm werden zudem passende Gesprächspartner innerhalb des Teams angeboten und er wird dazu angehalten, To-dos in einem Kalender festzuhalten. Das ist kein Coaching und die Anwendung ersetzt auch keinen Coach. Es handelt sich um einen digitalen, an einen Coaching-Prozess angelehnten Begleiter zur Lernunterstützung.
Einerseits besteht der formulierte Wunsch der Personaler darin, über ein Tool zu verfügen, mit dem es gelingt, aus einer großen Anzahl an Bewerbern möglichst effektiv die geeignete Person herauszufiltern. Andererseits sagen sie ganz deutlich, dass sie die Kandidaten persönlich kennenlernen wollen, um über die individuelle Passung entscheiden zu können. Digitale Anwendungen – z.B. Stimm- oder Textanalysen – könnten somit eingesetzt werden, um große Datenmengen zu reduzieren und damit eine Vorauswahl zu treffen. Über den Cultural Fit, der letztendlich erheblichen Einfluss darauf hat, ob jemand lange im Unternehmen bleibt, kann auch datenunterstützt, aber nicht ausschließlich auf Datenbasis entschieden werden. Ich glaube daher nicht, dass die Interaktion und die Menschen dahinter durch das Digitale unwichtiger werden.
Die Gestaltung von Teamarbeit, von Arbeitsbedingungen sowie von Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten wird – vor dem Hintergrund von New Work betrachtet – zukünftig generell immer wichtiger werden. Die HR-Abteilungen müssen somit stärker als Unternehmensgestalter agieren, anstatt ihren Sinn darin zu sehen, bei Zeitungen Stellenanzeigen aufzugeben und den Eingang der Bewerbungsmappen zu verwalten, wie dies vor 15 Jahren noch oft der Fall war. Um zu Gestaltern des Unternehmens zu werden, sollten sie sowohl Coaching-Kompetenz entwickeln als auch mithilfe digitaler Tools auf der Ebene von Zahlen und Statistiken funktionsfähig sein. Es bedarf also des Analogen und des Digitalen. Digitale Entwicklung bedeutet nicht, dass der Mensch nicht mehr gefragt ist. Man könnte einen Vergleich anstellen: Heute gibt es viele Fitness-Apps. Das führt aber nicht dazu, dass es keine menschlichen Trainer mehr gibt. Im Gegenteil: Menschliche Personal-Fitness-Trainer gibt es erst seit einigen Jahren in großer Anzahl. Das ist eine doppelte Entwicklung und die kann es auch im Coaching-Bereich geben, sodass sich digitale Anwendungen und menschliche Coaches ergänzen und in Interaktion miteinander stehen werden.
Apps können durchaus zur Demokratisierung individueller Orientierungsunterstützung beitragen. Das reicht aber – trotz aller Freundschaft zum Digitalen – nicht, denn Kompetenzentwicklung und der Umgang mit Erlerntem benötigen auch die Begleitung durch und den Austausch mit einem Menschen, der eine coachende Haltung einnimmt. Als Coach kann ich den Klienten dazu anhalten, ein digitales Tool zu nutzen, um sich beispielsweise selbst zu „tracken“ oder mit dem Coach zu interagieren. Das erweitert die Handlungsmöglichkeiten. Das Bedürfnis, sich persönlich auszutauschen, fällt deshalb aber nicht weg. Klienten sagen ja nicht: Ich hätte zwar gerne ein Coaching, aber am liebsten ohne Coach, denn es nervt mich, mit dem zu sprechen (lacht). Medien sind – im Sinne des Philosophen Marshall McLuhan – Erweiterungen des Menschen, ersetzen ihn aber nicht einfach.
Ich coache Startups in der Gründungsphase und in Phasen starken oder schnellen Wachstums. Letztere gehen für die Mitglieder des Gründerteams häufig mit einem Rollenwechsel einher. Sie werden von Gründern zu Führungskräften. Das kann ein harter Übergang sein. In der Gründungsphase geht es hingegen oft darum, die Teamarbeit und Kommunikation zu verbessern. Die Teams sind zunächst – und das ist auch richtig und verständlich – sehr auf die Produktentwicklung und auf die Finanzierung bedacht. Schließlich benötigen sie etwas, was sie verkaufen können. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie sich weniger mit der Frage befassen, wie sie zusammenarbeiten. Ein Startup muss aber verstehen, dass es notwendig ist, zwei Dinge zu entwickeln: Das Produkt und die Firma, die das Produkt entwickelt. Liebe haben die Gründer oftmals nur für das Produkt, nicht für die Firma.
Es kann dann passieren, dass wichtige Fragen verschleppt werden. Was wollen wir gemeinsam erreichen? Worin besteht unser Wertekostüm? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie können wir sicherstellen, dass das Unternehmen auch handlungsfähig bleibt, sollte ein Teammitglied ausscheiden? Einen offenen, effizienten und kontinuierlichen Kommunikationsprozess anzustoßen und zu vermitteln, dass es sich dabei nicht nur um einen Stuhlkreis, sondern um etwas Elementares handelt, ist wichtig. Es geht um die Arbeit am Team. Wenn ein Gründerteam scheitert, liegt das nach meiner Erfahrung selten daran, dass sich die Mitglieder gestritten haben. In der Regel ist ausschlaggebend, dass sie ihre Potenziale nicht optimal ausschöpfen konnten. Unter seinen Möglichkeiten zu bleiben, kann sich ein auf Kante genähtes Startup nicht lange leisten, denn seine Ressourcen sind im Vergleich zu denen der Konkurrenz oft unfassbar gering.
Bei der Gestaltung funktionierender Teamarbeit zu unterstützen, die es den Mitgliedern ermöglicht, das Beste aus sich herauszuholen, ist demnach ein zentraler Aspekt des Coachings von Startups. Bei seiner Arbeit muss der Coach aufpassen, dass die Gründer sein Handeln nicht fälschlicherweise als „Psychokram“ einordnen (lacht). Seine Ansätze müssen praktisch handhabbar sein. Dabei kann auch ein Stück weit Know-how-Transfer einfließen – hinsichtlich der Frage, wie die Gründer anschließend auch eigenständig das Laufen lernen können. Die Herausforderung besteht darin, dass eine schnelle Nutzbarkeit spürbar wird.
Ja. Ich bin ohnehin ein Verfechter lösungs- oder ressourcenorientierter Ansätze. Ich finde zwar nicht, dass das Problem unerheblich und nur die Lösung von Interesse ist – das ist meiner Meinung nach überspitzt. Lange auf das Problem zu fokussieren, ist in Startups aber kontraproduktiv. Es wird hier schon erwartet, schnell Lösungen zu generieren. In einer Coaching-Sitzung mit einem erfahrenen Manager kann es durchaus ein reflexives Verharren geben. Resultieren aber aus einer einzelnen Session mit einem Startup keine To-dos, wird sie schnell als wertlos empfunden.
Es gibt mir Glaubwürdigkeit und natürlich Feldkompetenz. Viele Fehler sind mir selber unterlaufen und das erweitert den Erfahrungsschatz. Damit als Coach offen umzugehen, kann dazu beitragen, dass Impulse von den Gründern besser angenommen werden. Am Ende des Tages geht es aber nicht darum, selber aus dem Nähkästchen zu plaudern, sondern eine coachende Haltung einzunehmen, aus der man eigene Befindlichkeiten raushält.
Ich bin mir ganz sicher, dass die Entwicklung Bestand haben wird. Das Präsenz-Setting mag der präferierte Weg vieler Coaches sein. Es ist aber nicht zwangsläufig der präferierte Weg der Klienten. Diese haben unter Umständen viel weniger Probleme, sich daran anzupassen. Vielleicht hätten viele auch schon früher das Online-Setting in Anspruch genommen, wäre es intensiver angeboten worden. Jetzt müssen die Coaches umdenken. So passieren Innovationen – teils durch technischen Fortschritt, teils durch gesellschaftliche Veränderungen und Einschnitte.
Lange haben Coaches Überlegungen angestellt wie: Kann ich einen Coaching-Prozess überhaupt online durchführen und dabei eine Beziehung aufbauen? Neben Skepsis gab es auch kategorische Ablehnung. Nun besteht allerdings die Notwendigkeit, Coachings online durchzuführen, da sich sonst nur schwer Geld verdienen lässt. In diesem Zuge wird man feststellen und festgestellt haben, dass bestimmte Aspekte eines Coachings sich sehr gut auf das Online-Setting übertragen lassen, andere weniger. Es wird Anpassungsbedarf geben, denn nicht alles kann eins zu eins überführt werden.
Ich bin ein Verfechter des Digitalen, habe aber bei der Umstellung meiner Fortbildung zum Kompetenzenbilanz-Coach auf das Online-Format selber gemerkt, wie schwierig es sein kann, sich vom eigenen etablierten Vorgehen zu lösen, und wie sehr man in eigenen Denkmustern gefangen sein kann. Es hat mich überrascht, wie konservativ ich dabei zunächst gedacht habe. Ich bin auch ein großer Freund davon, theoretische Vorüberlegungen anzustellen und zu systematisieren, welche Handlungen zu welchen Effekten führen können und welche Hindernisse dabei bestehen. Das sind aber mitunter akademische Fingerübungen und es wird aus Sicht der Coaches auch notwendig sein, einfach auszuprobieren und in der Anpassung des eigenen Vorgehens pragmatisch zu sein, Coaching-Prozesse beispielsweise in kürzere Sessions zu unterteilen.
Da aktuell im Online-Setting gecoacht werden muss, werden die Coaches auch Vorteile erkennen, die das Setting mitbringt. Sie können ihre Zeit effizienter nutzen und ihr Einkommen besser planen, wenn sie auch online coachen. Wenn sich ein Coach z.B. alle zwei Wochen mit einer Führungskraft im Präsenz-Setting treffen möchte, aber jeder zweite Termin abgesagt wird, weil der Führungskraft etwas dazwischen kommt, kann sich ein Prozess sehr in die Länge ziehen und auch Frust verursachen. Weshalb führt man die Sessions dann nicht online durch? Die zeitliche und örtliche Flexibilität ermöglicht dann einen sauberen Prozess. Die Reduktion von Reisekosten ist ein weiterer Punkt. Bei uns hat die aktuelle Situation dazu geführt, dass wir nebenbei auch noch eine datensichere Videoplattform entwickelt haben. Das Projekt werden wir auch weiterführen, weil wir davon ausgehen, dass die Entwicklung in Richtung Online-Coaching weiter Bestand haben wird.