Das Coaching-Verständnis von Hilfe zur Selbsthilfe impliziert die ethische Verpflichtung, dass wir, d.h. wir Coaches, Kunden in ihrer Selbstkompetenz bestärken und uns selber so wirksam wie möglich überflüssig machen. Grund genug also, um von Zeit zu Zeit unser eigenes professionelles Verhalten als Coaches sorgfältig zu überprüfen:
Wir könnten versucht sein, davon auszugehen, dass der notwendige Umfang des Coachings durch äußere Faktoren bestimmt wird und jenseits unseres Einflussbereiches liegt. Der vorliegende Beitrag ist eine freundliche Einladung zur kritischen Reflexion unseres eigenen Einflusses.
Was, wenn Verlauf und Dauer von Coachings und sogar der Inhalt, den uns der Klient erzählt, in einem viel größeren Maß von uns Coaches mit-gestaltet wird als uns bewusst ist, und zwar durch
Wenn wir akzeptieren dass wir beeinflussen und besser verstehen, wo überall wir beeinflussen, steigt auch unsere Wahlmöglichkeit, sorgfältig zu wählen in welcher Art wir beeinflussen wollen.
Der frisch ernannte Direktor für Executive-Coaching & Leadership bei Google, David Peterson, berichtete an der Executive-Coaching-Konferenz in New York 2012 von einer überraschenden ersten Arbeitserfahrung bei Google. Sein erster interner Coaching-Klient betrat sein Büro mit der Bitte, jetzt gleich in 40 Minuten gecoacht zu werden. David kam zuvor aus einem Unternehmen, welches ausgeklügelte 10.000 Dollar Coaching-Programme verkaufte. Schlagartig wurde ihm klar, dass sein übliches sechzigminütiges Kennenlern-Gespräch hier keinen Platz haben würde. Er vermied auch tunlichst, seine Standard-Einführungsfrage nach den größten Lernerfahrungen des bisherigen Lebens. Stattdessen führte er das verlangte 40-minütige Gespräch und nahm mit Erstaunen hin, dass es trotz erwünschtem Erfolg keine Fortsetzung geben würde.
"Das würde ja heißen dass mein eigenes, langjährig gewachsenes Verständnis davon, was für erfolgreiches Coaching nützlich und notwendig ist, möglicherweise nichts mit dem zu tun hat, was für den Kunden tatsächlich nützlich und notwendig ist" meinte ein anderer erfahrener Coaching-Kollege am Schluss des Workshops über Kurzzeit-Coaching an derselben Konferenz, das der Autor hielt. Er war sichtlich erschüttert von der ungeheuerlichen Konsequenz seiner Aussage und auch etwas verunsichert durch die bewusste Wahlnotwendigkeit anstelle der un-hinterfragten Selbstverständlichkeit.
Die folgenden Beispiele sind Denkanstöße, um unser eigenes Coach-Verhalten zu prüfen, um sorgfältig zu wählen, wie wir unseren gestaltenden Einfluss geltend machen wollen und um allenfalls auch mit alternativen Wahlmöglichkeiten zu experimentieren.
"Meine Aufgabe ist es, Sie dabei zu unterstützen, Ihr Ziel besonders gut zu erreichen."
Oder:
"Ich hoffe, dass sich das Gespräch für Sie irgendwie als nützlich erweist. Es gibt da keine Garantie dafür. Ich garantiere Ihnen, dass ich mein Bestes tun werde und ich gehe davon aus, dass Sie auch Ihr Bestes geben werden. Und dann werden wir sehen."
Solch unterschiedliche Gesprächseröffnungen geben Hinweise auf die Unterschiedlichkeit der Annahmen von Coaches. Wir haben eben verschiedene Annahmen darüber, wie Veränderung funktioniert und wie unser Beitrag nützlich sein soll.
Sehen wir Coaching zum Beispiel als Form eines Problem-Lösungs-Prozesses dann gehen wir davon aus, dass da ein Problem ist, welches wir helfen zu finden und zu lösen und fragen innerhalb dieses Paradigmas konsistent: "Was hindert oder blockiert Sie?". Möglicherweise rechnen wir damit, dass so eine Problem-Lösung auch längere Zeit beanspruchen kann.
Sehen wir andererseits Coaching als Lösungs-Erfind-Prozess, so hören wir gezielt auf bereits funktionierende Vorboten und erwünschte Zielrichtungen beim Klienten. Und die konsistente Frage lautet dann: "Was haben Sie bereits anders gemacht?". In diesem Paradigma vermuten wir, dass Klienten möglicherweise schon weiter sind, als sie denken und unsere erste Besprechung die einzige sein könnte.
Je nach Annahme vereinbaren wir von Anfang an mehrere Termine, oder beenden die Sitzung mit dem Hinweis, dass Kunden sich einfach melden sollen, falls sie es als nützlich erachten sollten noch ein Gespräch zu führen.
Aus Gewohnheit, und darum eher unreflektiert, hat der Autor dieses Textes rund 15 Jahre mit folgender Einstiegsfrage operiert:
"Was soll hier heute geschehen, damit es sich für Sie gelohnt hat?"
Die neue Frage lautet aber: "Was sind Ihre kühnsten Hoffnungen für die Auswirkungen dieses Gespräches?"
Was den Unterschied macht, ist die reduzierte Bedeutsamkeit, welche dem Coaching-Gespräch und dem Beitrag als Coach hier zugemessen wird. Es geht weniger darum, was hier im Coaching geschehen soll, sondern vielmehr um die Auswirkungen im Leben des Klienten danach. Es geht nicht um den nötigen Nutzen des Gespräches, sondern um die umzusetzenden Vorstellungen des Klienten. Die Selbstkompetenz des Klienten ist in den Vordergrund gerückt und das Coaching als Hilfe zur Selbsthilfe in den Hintergrund.
Hier noch ein Beispiel zur gewohnten Abschlussfrage von Besprechungen.. So lautet die durchaus gängige und scheinbar auch naheliegende Frage: "Was sind jetzt Ihre nächsten konkreten Schritte, damit Sie weiterkommen?" Steve De Shazer (2013) hat eine völlig andere Frage mit völlig anderen Implikationen und Auswirkungen formuliert: "Wie werden Sie anfangen zu bemerken, dass Sie Fortschritte erzielen?"
Seine Frage bricht mit dem gewohnten Verständnis von Veränderung und beeinflusst so die Dauer von Coachings. Die implizite Vorannahme bei der gängigen Frage ist, dass Veränderung nur durch harte Arbeit und Disziplin geschieht. Anders bei der zweiten Frage, wo vorausgesetzt wird, dass der Klient ohnehin unaufhaltsam Fortschritte erzielt. Es geht darum, dass Klienten diese Veränderung in Richtung erwünschte Zukunft tatsächlich auch bemerken.
Bei der gängigen Frage machen Folgesitzungen durchaus Sinn, um Fortschritte gemeinsam zu überprüfen und wiederum nächste notwendige Schritte zu besprechen. Bei der zweiten Frage bestärkt sich der Klient im bemerkten nützlichen Verhalten selber. Aufgrund der erhöhten Wahrnehmung von eigenen Fortschritten besteht weniger Anlass für weitere Besprechungen.
Sir John Whitmore (2009) nutzt eine kleine feine Workshop-Übung mit drei unterschiedlichen Vorannahmen des Coachs über den Klienten:
Bei der Übung wird deutlich erlebbar, wie sehr die unterschiedlichen Vorannahmen des Coachs die Interaktion mit dem Klienten beeinflussen. Und es ist natürlich unschwer zu erraten, wie sich die zu erwartende Dauer des Coachings in der Aufzählung von oben nach unten verringert. Je "ressourcendefizitärer" unsere Annahmen über den Klienten, umso zeitaufwändiger die Interventionen, die wir passend zu unserer Vorannahme aufgleisen werden.
Die Herausforderung dürfte sein, zu akzeptieren, dass unsere Vorannahmen Teil unserer eigenen Wirklichkeitskonstruktion sind und möglicherweise wenig mit dem Kunden zu tun haben. Kein Wunder also, wenn Insoo Kim Berg (2014) betont hat, dass ein Coach, dem es nicht gelingt einen Klienten in seinen Fähigkeiten wahrzunehmen, keine Berechtigung hat mit diesem Klienten zu arbeiten.
Hand auf’s Herz: Nein, wir würden doch niemals (bewusst) Einfluss nehmen auf die Geschichte, die der Klient erzählt. Und trotzdem können wir nicht Nicht-Beeinflussen. Das fängt schon mit unserer Einstiegsfrage an:
Je nach unserer eigenen Vorstellung von Nützlichkeit werden wir uns neugierig und konsistent für unterschiedliche Aspekte der Klientenwirklichkeit interessieren und der Klient wird kooperierend seine Geschichte dem anpassen, was dem Coach als wichtig scheint.
Interessiert sich der Coach auch im weiteren Verlauf des Gespräches für die inhaltlichen Begebenheiten der Vorgeschichte, wird der Klient diese Geschichte der Schwierigkeiten und Hindernisse detaillieren. Interessiert sich der Coach dafür, was der Klient gerne anders hätte, wird der Klient die völlig andere Geschichte seiner Möglichkeiten erzählen.
Dazu gibt es bemerkenswerte neuere Studien:
Wir beeinflussen Verlauf und Dauer des Coaching-Prozesses mit unserem Selbstverständnis als Coach, mit unserem Verständnis, wie Veränderung geschieht, mit unserer Konstruktion davon, wie wir nützlich sein können, mit unseren liebgewonnenen Gewohnheiten im Gespräch, mit unseren Hypothesen über den Klienten und mit all unseren Fragen und Äußerungen in der Gesprächsführung.
Die Logik unserer eigenen Vorannahmen hat dabei die Eigenheit, uns zunächst als selbstverständliche und einzige Möglichkeit des professionellen Handelns zu erscheinen. Umso erfrischender wenn es uns gelingt, unser bisheriges Verständnis von Coaching als eine von verschiedenen gleich-gültigen Möglichkeiten anzusehen, um für Klienten nützlich zu sein. Dann haben wir die echte Wahl und wir können uns bewusst anpassen auf welche Art und mit welchem Zeithorizont wir unsere Coachings gestalten wollen damit es für unsere Klienten am Nützlichsten ist.
Unser finnischer Kollege Ben Furman (1999) beschreibt diese Fähigkeit mit einem Augenzwinkern als unsere Kunst, Nackten in die Tasche zu greifen. Da sind beim Gegenüber weder vorgegebene Taschen noch selbstredende Inhalte - bis wir gemeinsam mit unserem Klienten Taschen und Inhalte konstruieren. Hoffentlich tun wir diese Griffe im Bewusstsein unserer Wahlmöglichkeit und mit Blick auf den Nutzen des Klienten.