Diversität ist ein multidimensionales Konzept, das weit über einfache Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität oder Alter hinausgeht. Es umfasst eine Vielzahl von Dimensionen wie ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, sozioökonomischer Status, Bildung, kultureller Hintergrund, Sprache, Behinderung und sogar Denkstile etc. In Organisationen bezieht sich Diversität nicht nur auf die Zusammensetzung der Belegschaft, sondern auch auf die Art und Weise, wie diese Vielfalt verwaltet und genutzt wird, um ein inklusives Umfeld zu schaffen (Cox & Blake, 1991).
Auf einen Blick
Gerechtigkeit ist ein komplexes ethisches Konzept. Im Kontext von Diversität bezieht es sich oft auf soziale Gerechtigkeit, die die Verteilung von Ressourcen, Chancen und Rechten über verschiedene soziale Gruppen hinweg betrachtet. Beispiele aus dem beruflichen Alltag sind:
Lohnungleichheit: Ein offensichtliches Beispiel für eine Herausforderung in Bezug auf Gerechtigkeit im beruflichen Kontext ist die Lohnungleichheit zwischen verschiedenen Geschlechtern oder ethnischen Gruppen. Ein gerechter Ansatz würde darin bestehen, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit sicherzustellen und transparente Kriterien für Beförderungen und Gehaltserhöhungen zu etablieren.
Zugang zu Weiterbildung: Ein weiteres Beispiel könnte der ungleiche Zugang zu Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten sein. In einigen Organisationen haben bestimmte Gruppen von Mitarbeitenden unter Umständen weniger Zugang zu solchen Möglichkeiten aufgrund von Voreingenommenheit oder strukturellen Barrieren. Ein gerechter Ansatz bestünde in der Sicherstellung/Gewährleistung gleicher Chancen auf berufliches Wachstum für alle Mitarbeitenden – unabhängig von ihrem Hintergrund.
Diese Beispiele zeigen, dass das Streben nach Gerechtigkeit in der Arbeitswelt eine kontinuierliche Anstrengung erfordert, die sowohl systemische als auch individuelle Ungerechtigkeiten adressiert.
Es ist nicht nur eine Frage der Personalpolitik, sondern erfordert eine tiefgreifende Überprüfung und mögliche Überarbeitung organisatorischer Strukturen und Kulturen. Coaching kann einen geeigneten Rahmen für eine entsprechende Reflexion bieten. Dies gilt auch für die folgenden Aspekte.
Taylor (1994) hat das Konzept der Anerkennung als grundlegendes menschliches Bedürfnis dargestellt. Er argumentiert, dass die Anerkennung unserer Identität als Individuen und als Mitglieder bestimmter Gemeinschaften für unser Wohlgefühl und unsere psychische Gesundheit entscheidend ist. Fehlende oder verzerrte Anerkennung kann zu einer verminderten Selbstachtung und sogar zu sozialer oder psychischer Ausgrenzung führen. In diesem Sinne ist Anerkennung nicht nur eine Frage der Höflichkeit oder des Respekts, sondern ein tief verwurzeltes ethisches Prinzip, das die Grundlage für soziale Gerechtigkeit bildet (ebd.). Beispiele sind:
Mitarbeiterbewertungen: In vielen Organisationen sind Mitarbeiterbewertungen ein Standardverfahren. Wenn diese Bewertungen jedoch nur auf quantitativen Leistungsindikatoren basieren und die individuellen Fähigkeiten oder Beiträge zur Teamdynamik nicht berücksichtigen, kann dies zu einem Mangel an Anerkennung führen. Ein gerechterer und inklusiverer Ansatz wäre, ein Bewertungssystem zu entwickeln, das die Vielfalt der Beiträge und Talente anerkennt, die die Mitarbeitenden einbringen.
Teilnahme an Entscheidungsprozessen: Ein weiteres Beispiel könnte die Möglichkeit für Mitarbeitende sein, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, die ihre Arbeit und ihr Arbeitsumfeld direkt beeinflussen. Wenn nur eine kleine Gruppe von Führungskräften Entscheidungen trifft, ohne die Meinungen und Perspektiven der Mitarbeitenden zu berücksichtigen, kann dies zu einem Mangel an Anerkennung und einem Gefühl der Entfremdung führen.
Diese Beispiele illustrieren, wie das Konzept der Anerkennung in der Arbeitswelt angewendet werden kann, um eine gerechtere Umgebung zu schaffen. Es geht darum, die individuellen und kollektiven Identitäten der Mitarbeitenden zu würdigen und Mechanismen zu schaffen, die es ermöglichen, diese Identitäten in einer Weise anzuerkennen, die sowohl ethisch als auch produktiv ist.
Honneth (1996) erweitert das Konzept der Anerkennung, indem er auf der Hegelschen Idee des Anerkennungskampfes aufbaut und argumentiert, dass soziale Konflikte oft aus einem Mangel an Anerkennung resultieren. Er identifiziert drei Hauptformen der Anerkennung:
Honneth (ebd.) argumentiert weiterhin, dass diese Formen der Anerkennung nicht nur individuelle, sondern auch soziale und politische Dimensionen haben. Ein Mangel an einer dieser Formen der Anerkennung kann zu verschiedenen Formen sozialer und psychologischer Probleme führen, einschließlich sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung.
Im beruflichen Kontext könnte Honneths Theorie dazu verwendet werden, die Bedeutung von Arbeitsbedingungen und Unternehmenskulturen zu verstehen, die die verschiedenen Formen der Anerkennung fördern. Z.B. könnte eine inklusive Unternehmenskultur, die die individuellen Talente und Beiträge der Mitarbeitenden wertschätzt, als eine Form der sozialen Wertschätzung angesehen werden.
Cox und Blake (1991) stellen heraus, dass die Vielfalt der Belegschaft nicht nur eine soziale Verpflichtung, sondern auch ein strategischer Vorteil für Organisationen ist. Sie identifizieren mehrere Bereiche, in denen Diversität einen positiven Einfluss haben kann, darunter die Steigerung der Kreativität, die Verbesserung der Problemlösung und die Erschließung neuer Märkte. Sie betonen jedoch auch, dass die erfolgreiche Umsetzung von Diversität eine aktive Verwaltung und Integration erfordert. Ohne eine inklusive Unternehmenskultur und entsprechende Managementpraktiken kann die Diversität der Belegschaft zu Konflikten und einer verringerten Produktivität führen. Beispiele:
Globale Teams bringen eine Vielzahl von Perspektiven und Erfahrungen in die Organisation ein, die für die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, die für verschiedene Märkte geeignet sind, von unschätzbarem Wert sein können. Diese Teams können lokale Marktbedingungen besser verstehen und kulturell sensible Produkte oder Dienstleistungen entwickeln. Sie können auch dazu beitragen, die Organisation flexibler und anpassungsfähiger an Veränderungen zu machen, da sie breit gefächerte Lösungsansätze bieten.
Innovationskraft: Vielfältige Teams sind oft innovativer, da sie eine breite Palette von Sichtweisen, Erfahrungen und Fähigkeiten in den Problemlösungsprozess einbringen. Unterschiedliche Hintergründe können zu kreativeren und weniger konventionellen Lösungen führen, was für die Organisation einen Wettbewerbsvorteil darstellen kann. Vielfalt kann auch dazu beitragen, den „Echokammer“-Effekt zu vermeiden, bei dem gleichgesinnte Personen dazu neigen, dieselben Ideen zu wiederholen und zu verstärken.
Hinsichtlich beider Aspekte – globale Teams und Innovationskraft – ist es wichtig, dass die Organisation eine Kultur der Inklusion und des Respekts fördert, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden sich wertgeschätzt und gehört fühlen. Nur dann können die Vorteile der Diversität vollständig realisiert werden.
Kommunikationsbarrieren sind eine der Hauptherausforderungen bei der Umsetzung von Diversität in Organisationen. Diese Barrieren können aufgrund von Sprachunterschieden, kulturellen Normen oder sogar unterschiedlichen Kommunikationsstilen auftreten. Z.B. könnten Mitarbeitende aus einer Kultur, in der Direktheit geschätzt wird, Schwierigkeiten haben, mit Kollegen aus einer Kultur zu interagieren, in der indirekte Kommunikation bevorzugt wird. Diese Unterschiede können zu Missverständnissen, Fehlinterpretationen und letztlich zu Konflikten führen, die die Teamdynamik und die Produktivität beeinträchtigen können.
Die Gruppenbildung, bzw. Bildung von Subgruppen oder „Cliquen“ innerhalb einer Organisation, ist eine weitere Herausforderung bei der Umsetzung von Diversität. Diese Gruppen können sich entlang verschiedener Linien wie Ethnie, Geschlecht, Alter oder sogar beruflicher Funktion bilden. Während solche Gruppen auf den ersten Blick harmlos erscheinen mögen, können sie den Zusammenhalt innerhalb der Organisation beeinträchtigen. Sie können dazu führen, dass Informationen nicht frei fließen und dass Vorurteile oder Stereotype verstärkt werden. In extremen Fällen können sie sogar zu Formen der Diskriminierung oder Ausgrenzung führen.
Die Bewältigung dieser Herausforderungen ist entscheidend für den Erfolg von Diversitätsinitiativen. Sie erfordert eine bewusste Anstrengung von allen Ebenen der Organisation, von der Führungsetage bis zu den einzelnen Mitarbeitenden. Nur durch eine solche ganzheitliche Herangehensweise können Organisationen die Vorteile der Diversität voll ausschöpfen.
Siemens hat sich der Förderung von Diversität durch verschiedene Programme und Initiativen verschrieben (siehe Siemens, 2023). Zu nennen sind z.B. Leadership-Development-Programme, die unter anderem darauf abzielen, Führungskräfte aus verschiedenen kulturellen und ethnischen Hintergründen zu fördern. Die Herausforderung für Siemens besteht darin, diese Prinzipien der Diversität in allen globalen Niederlassungen und Abteilungen umzusetzen.
Die Deutsche Bank hat Programme zur Förderung von Geschlechtervielfalt und LGBTQ+-Rechten wie z.B. das „dbPride“-Programm (siehe Deutsche Bank, 2023), das sich auf die Unterstützung von LGBTQ+-Mitarbeitenden konzentriert. Die Bank steht vor der Herausforderung, diese Initiativen in einer Branche umzusetzen, die traditionell als konservativ und hierarchisch gilt.
Diese Beispiele zeigen, dass selbst Unternehmen, die sich der Förderung von Diversität verschrieben haben, vor erheblichen Herausforderungen stehen können. Diese Herausforderungen sind oft komplex und erfordern eine sorgfältige und durchdachte Herangehensweise, die sowohl die Unternehmenskultur als auch externe Faktoren berücksichtigt.
Putnam (2007) hat in seiner Forschung auf die potenziellen Grenzen von Diversität hingewiesen und argumentiert, dass erhöhte Diversität in Gemeinschaften kurzfristig zu geringerem sozialen Vertrauen und geringerer sozialer Kohäsion führen kann. Er verwendet den Begriff des „sozialen Kapitals“ als eine Art „Klebstoff“, der Gemeinschaften zusammenhält. Soziales Kapital umfasst die Netzwerke, Normen und das soziale Vertrauen innerhalb einer Gemeinschaft. In vielfältigen Gemeinschaften, so Putnam, neigen die Menschen dazu, sich zurückzuziehen und weniger Vertrauen in ihre Nachbarn zu haben, unabhängig davon, ob sie der gleichen ethnischen Gruppe angehören oder nicht. Putnam betont, dass diese Effekte nicht notwendigerweise dauerhaft sind oder dass sie die langfristigen Vorteile von Diversität zunichtemachen. Er argumentiert jedoch, dass die kurzfristigen Herausforderungen ernst genommen und aktiv angegangen werden müssen, um die langfristigen Vorteile zu erzielen.
Putnam (ebd.) stellt die soziale Kohäsion und das soziale Kapital als wertvolle Ressourcen dar, die durch Diversität beeinträchtigt werden können. Er argumentiert nicht gegen Diversität per se, sondern betont die Notwendigkeit, die sozialen und kulturellen Mechanismen zu verstehen, die die Vorteile der Diversität freisetzen können. Das bedeutet, dass Gemeinschaften und Organisationen bewusste Anstrengungen unternehmen müssen, um die soziale Integration zu fördern und das soziale Kapital in vielfältigen Umgebungen zu stärken.
In seiner früheren Arbeit hat Putnam (2000) zwischen zwei Arten von sozialem Kapital unterschieden: Bridging (Brückenbildung) und Bonding (Bindung). Bridging bezieht sich auf die Verbindung zwischen verschiedenen Gruppen, während Bonding die Verstärkung der Beziehungen innerhalb einer Gruppe beschreibt. In vielfältigen Gemeinschaften ist das Bridging-Kapital oft schwächer, woraus die Herausforderung erwächst, in solchen Kontexten sowohl Bonding als auch Bridging zu fördern.
Putnams Arbeit bietet eine nuancierte Sicht auf die Herausforderungen und Möglichkeiten der Diversität, die weit über einfache Pro- oder Anti-Diversitätsansichten hinausgeht. Er fordert eine bewusste und reflektierte Herangehensweise an die sozialen Dynamiken der Diversität, um die Vorteile voll ausschöpfen zu können.
BASF: Als eines der größten Chemieunternehmen der Welt hat BASF eine sehr vielfältige Belegschaft. Während Vielfalt zu innovativen Lösungen führen kann, könnte sie auch, wie zuvor dargestellt, zu einer Fragmentierung der Belegschaft führen, bei der Mitarbeitende in Subgruppen abdriften und weniger bereit sind, Informationen und Wissen zu teilen.
Lufthansa: Die Fluggesellschaft beschäftigt Menschen aus einer Vielzahl von Ländern und Kulturen. Vielfalt kann jedoch potenziell zu Kommunikationsproblemen und – nach Putnam (ebd.) – zu einem Mangel an sozialem Vertrauen führen. Dies ist insbesondere in stressigen oder kritischen Situationen denkbar, die in der Luftfahrtindustrie nicht ungewöhnlich sind.
SAP: Als eines der größten Softwareunternehmen der Welt hat SAP Büros in vielen verschiedenen Ländern. Die Herausforderung dürfte darin bestehen, eine einheitliche Unternehmenskultur aufrechtzuerhalten, während man die Vorteile der kulturellen Vielfalt nutzt. Nach Putnams (ebd.) Forschung könnte die Vielfalt in einem solch globalen Kontext zu einer geringeren Bindung an das Unternehmen und einer geringeren Identifikation mit den Unternehmenszielen führen.
Diese Beispiele illustrieren, dass die Vorteile von Diversität nicht selbstverständlich sind. Unternehmen sollten aktiv daran arbeiten, die potenziellen Fallstricke zu erkennen und zu adressieren.
Während Diversität ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren und effektiveren Organisation ist, bietet sie allein oft nicht genug Raum für echte menschliche Verbindungen und ein Gefühl der Gemeinschaft. Hier kommt das Konzept der Zugehörigkeit ins Spiel. Zugehörigkeit geht über die bloße Anerkennung von Vielfalt und die Einbeziehung unterschiedlicher Stimmen hinaus. Sie schafft eine Umgebung, in der jeder Einzelne das Gefühl hat, einen wertvollen Beitrag zu leisten und als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft anerkannt zu werden. (Shore et al., 2011)
Unternehmen, die eine Kultur der Zugehörigkeit fördern, können eine stärkere Mitarbeiterbindung, höhere Zufriedenheit und letztlich eine höhere Produktivität erwarten. Zugehörigkeit kann auch die Innovationskraft steigern, da Mitarbeitende, die sich zugehörig fühlen, eher bereit sind, Risiken einzugehen und kreative Ideen einzubringen.
Zugehörigkeit bietet einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur Vielfalt berücksichtigt, sondern auch die menschlichen Bedürfnisse nach Verbindung und Gemeinschaft. Sie ermöglicht es den Mitarbeitenden, ihre ganze Persönlichkeit in die Arbeit einzubringen, was zu einer authentischeren und produktiveren Arbeitsumgebung führt. (Baumeister & Leary, 1995) Bei Siemens – um nur ein Beispiel zu nennen – hat man diesen Zusammenhang offenbar erkannt. Die Implementierung verschiedener „Belonging“-Programme soll hier der Mitarbeiterzufriedenheit zugutekommen.
Das Konzept von Diversität ist wichtig, aber nicht ausreichend, wenn es nicht im Kontext der Zugehörigkeit betrachtet wird. Zugehörigkeit bietet einen umfassenderen und integrativeren Ansatz, der die Vorteile der Vielfalt maximiert, während er gleichzeitig eine respektvolle Kultur fördert. In einer Zeit, in der die Arbeitswelt immer komplexer und unsicherer wird, stellt das Konzept der Zugehörigkeit einen stabilisierenden Faktor dar, der sowohl für die Organisation als auch für die Mitarbeitenden von unschätzbarem Wert ist. Es ist daher an der Zeit, dass wir über Diversität hinausgehen und eine Kultur der Zugehörigkeit schaffen, die es jedem Einzelnen ermöglicht, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Coaches, die in Unternehmen und Organisationen tätig sind und beispielsweise Change-Projekte oder Maßnahmen innerhalb einer Organisationsentwicklung begleiten, können hierzu einen Beitrag leisten, indem sie die aufgezeigten Perspektiven bei inhaltlicher Passung in die Reflexion einfließen lassen und eigenständige Lösungen ermöglichen.