Ethik

Coaching und Künstliche Intelligenz – eine Kritik

Plädoyer für die zwischenmenschliche Begegnung

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Die Annahme, dass sie früher oder später auch das Coaching verändern wird, liegt nahe. Wenngleich KI nach den Ergebnissen der RAUEN Coaching-Marktanalyse 2024 derzeit noch keine große Rolle im Markt spielt, ist die Debatte darum, was sie im Coaching perspektivisch leisten kann, bereits in vollem Gange – bis hin zu der Frage, ob sie Coaches ersetzen wird. Ein guter Anlass, einmal grundlegend zu reflektieren, was KI eigentlich ist und ob die Interaktion mit ihr überhaupt eine Coaching-Begegnung im engeren Sinne darstellen kann.  

14 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2024 am 11.09.2024

Eine Frau schüttelt einem Roboter die Hand. Zwischen ihnen steht ein Tisch. Die Szene findet in einem Büro statt.

Wie KI im Coaching eingesetzt werden kann und welche Vorteile oder etwaigen Risiken sich daraus ergeben, wurde im Coaching-Magazin bereits eingehend erörtert (Ausgaben 3/2018, 3/2019, 4/2019, 4/2023). Im Folgenden soll es nicht darum gehen, wie KI angewendet werden kann, sondern darum, wie bzw. als was KI zu verstehen ist. Dieses Vorgehen ist dem Eindruck geschuldet, dass besonders im Zusammenhang mit KI hoffnungsvolle Nutzenerwägungen überwiegen, ohne diesen zunächst ein grundsätzliches Verständnis davon voranzustellen, womit wir es eigentlich zu tun haben. Dieser Artikel ist somit als Kritik im philosophischen Sinne zu verstehen. Er soll keine miesepetrige Spielverderberei darstellen, sondern eine Einladung zum Nachdenken darüber, was KI ist und im Rahmen von Coaching kann bzw. nicht ist und nicht kann.

Auf einen Blick

  • Versteht man Coaching als zwischenmenschliche Begegnung und nicht als rein informationsverarbeitende, regelbasierte Handlung, so ist die Frage, ob Coaches von KI-Systemen ersetzt werden könnten, mit Skepsis zu betrachten.
  • Subjektivierungen von KI-Systemen sind kritisch zu hinterfragen.
  • Im Coaching-Kontext sollten KI-Anwendungen als prozessuale Werkzeuge und verlängerter Arm von Coaches verstanden werden.

Coaching als Begegnung

Ebenfalls philosophisch eingefärbt versteht der Autor dieses Artikels Coaching als Begegnung zwischen zwei Menschen, die der Entwicklung des bzw. der Ratsuchenden dienen soll. Dieses Verständnis ist anschlussfähig an dasjenige Rauens (2014, S. 3), wonach „Coaching auf der Beziehung zwischen Coach und Klient [basiert]. Nur wenn diese Beziehung tragfähig ist, kann das Coaching Ergebnisse bringen.“ Wie schon Grams (2019, S. 38) bemerkte, ist ein „vollständiger Ersatz des menschlichen Coachings durch Computer [...] auf lange Sicht wohl nicht zu befürchten“. Dennoch wird der KI – wenn auch nicht als vollständiger Ersatz – einiges an Fähigkeiten zugetraut. Die einzelnen Teilbereiche der potenziellen Anwendung sind hier nicht von Bedeutung, wohl aber die Tatsache, dass KI nicht nur als zuarbeitendes Assistenzsystem eines menschlichen Coachs eingesetzt wird, sondern direkt mit den Klientinnen und Klienten interagieren soll. Es findet also eine Verschiebung der Begegnung zwischen Menschen hin zu einer von Mensch und KI statt.

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Literatur

Buber, M. (1999). Das dialogische Prinzip. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Ebermann, D. (2017). Coaching im Digitalen Wandel. Teil 1. Coaching-Magazin, 1, S. 9–11.

Gehlen, A. (1986). Der Mensch. Wiesbaden: AULA.

Geiger, F. & Rosengrün, S. (2023). Digitalisierung. München: Beck.

Gramelsberger, G. (2023). Philosophie des Digitalen zur Einführung. Hamburg: Junius.

Grams, B. (2019). Künstliche Intelligenz in der Coaching-Praxis. Coaching-Magazin, 4, S. 34–38.

Jackson, F. C. (1986). What Mary Didn’t Know. Journal of Philosophy, 5, S. 291–295.

Kapp, E. (2015). Grundlinien einer Philosophie der Technik. Hamburg: Meiner.

Noller, J. (2022). Digitalität. Basel: Schwabe.

Rauen, C. (2014). Coaching. Göttingen: Hogrefe.

Rosengrün, S. (2021). Künstliche Intelligenz zur Einführung. Hamburg: Junius.

Searle, J. R. (1980). Minds, Brains, and Programs. The Behavioral and Brain Sciences, 3, S. 417–457.

Weizenbaum, J. (2001). Computermacht und Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.

Weizenbaum, J. (1978). Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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