Viele mögen es bereits erlebt haben: Man sitzt in einer Karriere- bzw. Jobberatung, die sich im Wesentlichen darauf beschränkt, den Lebenslauf in Augenschein zu nehmen. Was haben Sie in der Vergangenheit getan? Was können Sie? Zu fragen, ob das Mögliche damit bereits ausgeschöpft ist, wäre rhetorischer Natur. Weshalb es insbesondere wichtig ist, zudem die Werte- und Sinnebene einzubeziehen, diese im Rahmen eines coachenden Ansatzes zu reflektieren und wie dies aussehen kann, soll hier exemplarisch beschrieben werden. Zunächst soll jedoch auf die Frage eingegangen werden, wie das Thema der (psychischen) Gesundheitsprävention – implizit oder explizit – mit Karriere-Coaching verknüpft werden kann.
Warum könnte es sinnvoll sein, gesundheitsrelevante Aspekte in ein Karriere-Coaching einzubeziehen? Und: Wie könnte dies aussehen? Um diese Fragen zu beantworten, soll im Folgenden eine aktuelle Studien beleuchtet werden.
Im Rahmen der repräsentativen Studie, an der 2.296 Personen aus Deutschland teilnahmen, gingen Giebe und Rigotti (2020) der Frage nach, welche Auswirkungen ein Jobwechsel auf die psychische und physische Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben kann (vgl. auch Schwertfeger, 2021). Die Teilnehmenden verglichen nach einem Stellenwechsel ihren aktuellen und ihren vorherigen Job hinsichtlich folgender Kategorien:
Sie bewerteten ihre Situation nach dem Jobwechsel entlang dieser Kategorien als „besser“, „gleich“ oder „schlechter“. Untersucht wurde darüber hinaus, welche gesundheitlichen Veränderungen (psychisch und physisch) die Teilnehmenden aufwiesen, nachdem sie zwölf Monate in ihrem neuen Job tätig waren. Wie sich (nach Schwertfeger, 2021) zeigte, zieht eine allgemeine Verschlechterung in Bezug auf die genannten Kategorien ebenfalls eine Verschlechterung der psychischen und physischen Gesundheit nach sich. Zudem seien Verschlechterungen in einzelnen Bereichen nur bedingt durch Verbesserungen in anderen Kategorien aufzufangen. (ebd.; Giebe & Rigotti, 2020)
Hinsichtlich des Karriere-Coachings bedeutet dies: Bringen Klienten z.B. die Entscheidungsfrage mit ins Coaching, ob sie eine bestimmte Stelle antreten oder lieber in ihrem bisherigen Job verbleiben sollten, können die genannten Kategorien als Ansatzpunkte der Reflexion dienen und das Coaching damit um Aspekte bereichern, denen eine gesundheitspräventive Dimension innewohnt. Zeigt sich, dass hinsichtlich der Kategorien eine (teilweise) Verschlechterung gegenüber der Situation, in der sich eine Klientin bzw. ein Klient gegenwärtig befindet, zu erwarten ist, können mögliche gesundheitliche Risiken ebenfalls in die Reflexion eingebracht werden, um die Perspektive zu erweitern und die Frage aufzuwerfen, welche Ressourcen potenziellen Risiken gegenüberstehen. Die Studie zeige, dass „eine Balance zwischen Gewinn und Verlust von Ressourcen ein wichtiger Aspekt bei einer gesunden Laufbahngestaltung ist“, resümiert Schwertfeger (2021).
Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Studie „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wissenschaftliche Standortbestimmung“. Diese wurde von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA, 2017) vorgelegt. Sie arbeitet den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu psychischen Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt ausführlich auf.
Eine Reflexionsfrage, die hinsichtlich der Entscheidung, ob eine neue Beschäftigung angetreten werden sollte, ebenfalls sinnvoll sein mag, könnte lauten: „Wie viel psychologisches Empowerment wird mir die neue Tätigkeit voraussichtlich ermöglichen?“
Unter psychologischem Empowerment ist nach Schermuly (2016) das Erleben von (1) Bedeutsamkeit, von (2) Kompetenz, (3) Selbstbestimmung und (4) Einfluss im Beruf zu verstehen. Fühlt sich eine Person psychologisch „empowert“, hat dies subjektiv erlebte positive Folgen: Nach Schermuly (ebd.) wird sie ihre Tätigkeit als sinnvoll wahrnehmen, Autonomie spüren und davon überzeugt sein, mit ihrer Arbeit etwas bewirken zu können. Auswirkung dieser „subjektiven Interpretationen der Arbeitsrealität“ sei ein „besonderes Gefühl der intrinsischen Motivation“.
Psychologisches Empowerment wirkt sich somit positiv auf die Zufriedenheit im Job aus. Alleine aus diesem Grund könnte eine vorausschauende Reflexion entlang der vier genannten Faktoren im Coaching von Nutzen sein, sofern die vorhandenen Informationen über die potenzielle neue Stelle dafür ausreichen. Hinzu kommt der vorhandene gesundheitsrelevante Aspekt: Seine Forschungen, so Schermuly (ebd.), haben u.a. gezeigt, dass aus mehr psychologischem Empowerment auch eine geringere Depressionsneigung resultiere.
Denkbar ist, dass die vier Faktoren und die Frage, was diese für die jeweilige Person konkret bedeuten, auch unabhängig von konkreten Jobangeboten herangezogen werden können: um den Idealtyp eines zur eigenen Person passenden Stellenprofils zu definieren.
Sicher fällt nicht jede Eigenschaft eines Jobs für jede Person gleich stark ins Gewicht. Ob beispielsweise die Möglichkeit, Professionswissen im Job anwenden zu können, die Verdienst- und Aufstiegschancen, das Maß der Selbstbestimmung oder weitere Aspekte von besonderer – sinngebender – Bedeutung sind, ist eine Frage individueller Wertvorstellungen.
Nach Schlösser und Kiesele (2017) zählt die Kernkompetenzanalyse zu den zentralen Aufgabe des Coachs im Karriere-Coaching. Zugleich hält das Autorenduo fest (ebd., S. 38): „Menschen, die ins Karriere-Coaching kommen, haben meist den Wunsch nach beruflicher Veränderung und Entwicklung.“ Bereits hiervon kann abgeleitet werden, dass eine Kompetenzanalyse stets mit der Reflexion von Wertvorstellungen verknüpft werden sollte. Unter Coaches dürfte dies auf breite Zustimmung treffen. „Ein Karriere-Coaching sollte nicht nur bestehende Kompetenzen ermitteln und quasi festschreiben, sondern auch zu Klarheit darüber verhelfen, was man mit diesen Kompetenzen künftig anfangen möchte. Und dafür sind die Werte ganz zentral“, betont Dr. Claas Triebel im Interview mit dem Coaching-Magazin (Ebermann, 2020). Auch Schlösser und Kiesele (2017, S. 38) führen aus, dass „positive und nachhaltige Veränderungen“ nur durch eine „ausgewogene Triangulation zwischen Person (persönliches Wertesystem), privatem (sozialem) Umfeld und beruflicher Einbettung (Aufgabe)“ stattfinden könne. Damit verweisen sie auf die Bedeutung eines Ansatzes, der verschiedene Perspektiven einbezieht und ein „möglichst facettenreiches Bild“ hervorbringt.
Es bietet sich zudem an, auch Werte nicht „nur“ zu erfassen, sondern ebenfalls zu hinterfragen, wo Wertvorstellungen herkommen und ob sie und die daraus erwachsenden Zielsetzungen vor dem Hintergrund derzeitiger Lebensumstände noch aktuell sind. Klein (2021, S. 36) bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: Es gelte zu fragen, „ob die Ziele, die der Klient erreichen möchte, überhaupt seine eigenen sind oder ob er sie in der Vergangenheit ungeprüft übernommen hat – z.B. von Eltern, Erziehern, Lehrern oder Medien.“ Bevor im Coaching damit begonnen wird, an der Zielerreichung zu arbeiten, sollten Coach und Klient daher zunächst „reflektieren, inwieweit es sich um alte, vergangene – und daher fremde – oder wirklich um reflektierte, selbstgesetzte und gegenwärtige Ziele handelt“, so Klein (ebd.).
Um zu veranschaulichen, wie im Coaching vorgegangen werden kann, um eine solche Werteanalyse durchzuführen, sei auf das Coaching-Tool „Lebenswerte“ von Schlieper-Damrich (2008) verwiesen. Wie der Autor ausführt, ermöglicht die Arbeit mit dem Tool sowohl eine Analyse des aktuellen Wertesystems und eine Reflexion der historischen Werteentwicklung als auch die Überprüfung der Frage, welchen Anteil Wertvorstellungen haben, die von außen übernommen wurden.
Im Rahmen des Einsatzes des Tools wird mit Wertebegriffen gearbeitet: „Um herauszuarbeiten, ob die Werte von Dritten projiziert wurden oder sich aus eigenen biografischen Begebenheiten heraus erinnern lassen, wird mit jedem Begriff ein Zeitstrahl in die Vergangenheit verbunden“, erläutert Schlieper-Damrich. Dies diene der Reflexion von Wahrnehmungen und Ereignissen, die die Person mit dem jeweiligen Wert verbindet. Hierdurch lasse sich herausarbeiten, welche Werte Teil der „ureigene[n] Lebensgeschichte“ sind und welche hingegen von außen übernommen wurden. (ebd., S. 29)
Hier finden Sie eine Übersicht weiterer Tools zum Thema Werteklärung.
Die Umsetzungsunterstützung ist im Coaching als Wirkfaktor zu verstehen. Lindart (2017) charakterisiert sie als individuelle Erarbeitung von Zielen und Unterstützung des Praxistransfers. Die Bandbreite möglicher umsetzungsorientierter Unterstützungshandlungen seitens des Coachs ist groß, sodass im Folgenden nur ein Eindruck vermittelt werden soll. Die Rolle des Coachs kann hierbei eine zweifache sein.
Sind die Ziele reflektiert und definiert, so kann der Coach auch Maßnahmen einbinden, die nicht dem Coaching, sondern dem Bereich der Fachberatung zuzuordnen sind. Unter Bezugnahme auf das Job-Coaching (Coaching Arbeitssuchender) benennen Schlösser und Kiesele (2017) u.a. die Auswertung von Stellenanzeigen, aktive Hilfestellungen beim Anfertigen von Bewerbungsunterlagen und die Formulierung von Antworten auf kritische Fragen, die in Vorstellungsgesprächen aufkommen könnten, als konkrete Unterstützungsleistungen.
Fallspezifisch – z.B. wenn eine Klientin oder ein Klient keine Übung im Verfassen von Bewerbungen hat – kann dies sicher auch im Kontext des Karriere-Coachings sinnvoll sein. Kraushaar (2021) kommt zu dem Schluss, der Karriere-Coach müsse sich bewusst sein, zwei Rollen innezuhaben: „Er berät zu operativen Bewerbungsfragen […]. Zu persönlichkeitsentwickelnden Fragestellungen coacht er.“ Anzumerken ist, dass Wechsel zwischen der Prozess- und der Fachberatung vonseiten des Coachs transparent kommuniziert werden sollten, um Klienten Orientierung in der Begleitung zu ermöglichen.
Insbesondere mit Blick auf die Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen können wiederrum Methoden zum Einsatz kommen, die als zum Coaching-Repertoire zugehörig eingestuft werden können. So weisen Schlösser und Kiesele (2017, S. 38) darauf hin, dass der Einsatz von Rollenspielen oder psychodramatischen Inszenierungen möglich ist. Den Nutzen dieser Maßnahmen beziehen die Autorinnen auch auf die Autonomie der gecoachten Person: „Durch diese Interventionen erhält der Klient die notwendige Sicherheit, die nächsten Schritte auch ohne Coach zu gehen.“ Wenngleich sich diese Aussage auf das Job-Coaching bezieht, dürfte sie auch im Rahmen des Karriere-Coachings gültig sein.
Ein Coaching in Sachen Karriere sollte deutlich über den Blick auf den Lebenslauf und die Ermittlung formal gegebener Fähigkeiten und Kompetenzen hinausreichen. Anders formuliert: Die Frage darf nicht ausschließlich lauten: „Was kann ich?“ Sie sollte zudem lauten: „Was will ich und weshalb will ich dies?“ Als obligatorisch kann daher der Einbezug der Werte- und Sinnebene verstanden werden, um die Nachhaltigkeit der ermittelten Ziele zu ermöglichen. Die Reflexion von Aspekten, die – neben einer generellen Bedeutung im Karriere-Kontext – auch Relevanz in Sachen Gesundheit besitzen, kann ebenfalls einfließen und dürfte sich insbesondere vor einem in Erwägung gezogenen Jobwechsel anbieten. Anhand des Konzepts des psychologischen Empowerments wird erkennbar: Die Themen Sinn und Gesundheit sind ohnehin nicht klinisch voneinander zu trennen. Sind die angestrebten Ziele sowie deren Vereinbarkeit mit der eigenen Lebenssituation reflektiert und klar definiert, so sollte sich eine Unterstützung auf der Handlungs- bzw. Umsetzungsebene anschließen, wobei der Coach u.a. auch auf Fachberatungselemente zurückgreifen kann.