Kontrovers

Narzissmus im Coaching

Der Napoleon-Coach

8 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 03 | 2006

Das Thema "Narzissmus" im Coaching wird – wenn überhaupt – oftmals einseitig betrachtet. So wird zuweilen über narzisstische Manager berichtet, die aufgrund der Auswirkungen ihres Verhaltens einen Coach in Anspruch nehmen. Diese Perspektive soll hier nicht verfolgt werden. Vielmehr geht es um das Gegenteil, d.h. um die Frage, welche Auswirkungen ein narzisstischer Coach auf seinen Klienten haben kann. Denn dieses Phänomen existiert durchaus im Beratungsmarkt und trifft auf teilweise hohe Akzeptanz, gerade bei bestimmten Klientengruppen. Paradoxerweise ist es eben nicht so, dass ein narzisstisch veranlagter Coach von Klienten abgelehnt wird. Oftmals ist genau das Gegenteil der Fall: Gerade aufgrund seines narzisstischen Verhaltens wird der Coach engagiert. Um das Zustandekommen eines solchen Coachings und dessen Endeffekte zu erläutern, dient die folgende Darstellung. Zunächst sei jedoch der Begriff des Narzissmus erläutert.

Narzissmus

Narzissmus fungiert – z.B. in seiner wohl bekanntesten Ausprägung als Selbstüberhöhung – als ein Schutz und Abwehrvorgang (z.B. vor Gefühlen von Minderwertigkeit) und hilft der menschlichen Selbstregulation. Narzisstische Regulationsvorgänge existieren grundsätzlich in allen Menschen und nicht nur bei Personen, die relativ übereinstimmend als "narzisstische Persönlichkeiten" wie folgt beschrieben werden: hochmütig, schwankend zwischen Größenideen und Minderwertigkeitsgefühlen, liebesunfähig, selbstbezogen, kränkbar, gequält von Leergefühlen und Langeweile, süchtig nach Lob und Bewunderung usw. Im Gegensatz zum normalen Narzissmus, den jeder Mensch in sich trägt, ist bei einer narzisstischen Persönlichkeit dieser Regulationsvorgang jedoch extrem ausgeprägt und kann sich über sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche erstrecken. 

Gefahren für Klienten

Für einen Klienten – aber auch für den Coach – ist dies aus folgenden Gründen gefährlich: 

  • Eine narzisstische Persönlichkeit ist i.d.R. nicht neutral und kann somit nicht als fundierter Feedbackpartner fungieren, was im Coaching jedoch notwendig ist.
  • Die Selbstreflexionsfähigkeit (und somit eine weitere Grundvoraussetzung für einen Coach) ist nur eingeschränkt vorhanden; die narzisstische Überregulation wehrt Kritik übermäßig ab.
  • Eine narzisstische Persönlichkeit wird jedoch (zumindest in der Tendenz) genau diese Effekte bestreiten.
  • Jegliches kritisches Feedback von Außen, das an den narzisstischen Coach gerichtet wird, wird von diesem abgelehnt (oder gar als Diffamierung missdeutet). Eine Weiterentwicklung ist nur eingeschränkt möglich, da Kritik nicht zugelassen wird.
  • Da Feedbackprozesse einen Kern des Coachings ausmachen, einem narzisstischen Coach jedoch das Nehmen von Feedback schwerfällt, entwickeln sich fast zwangsläufig Verdächtigungsphantasien, die der Coach oftmals auf seinen Klienten überträgt. All dies wird dem Coach jedoch nicht bewusst, da es das Wesen seines Narzissmus ist, diese Zusammenhänge abzuwehren.
  • Aus dem übersteigerten Wunsch, von allen akzeptiert und gar geliebt zu werden, kann es bis zu sexuellen Übergriffen kommen.

Nebenwirkungen

Nun sind es gerade narzisstisch veranlagte Persönlichkeiten, die in Kontaktberufen wie dem Beraterberuf ihre persönlichen "Eigenheiten" mit einem "großspurigen" Auftreten und einer entsprechenden Akquisitionsstrategie durchaus erfolgreich verbinden können. Erkennbar sind derartige Personen vor allem an der nicht seltenen Verwendung von Superlativen in ihren Werbeaussagen und eine die Peinlichkeitsgrenze überschreitende, selbstlobende Charakterisierung der eigenen Person (bzw. des eigenen Unternehmens).

Interessanterweise verleitet dieses Auftreten viele andere Berater, die eher nicht zum Narzissmus neigen, es diesen gleichzutun. Ohnehin ist in Teilen der Beraterbranche Understatement scheinbar selten gefragt. Bei genauerem Hinsehen finden sich hinter bunten PowerPoint-Präsentation, modern klingenden Anglizismen, Pseudo-Wissenschaftsanspruch und etwas Name-Dropping jedoch erschreckende Banalitäten. Man sollte sich daher nicht durch solche Branchentendenzen dazu hinreißen lassen, einen ähnlichen Weg einzuschlagen.

Jedoch sind Klienten, die sich für ein Coaching interessieren, in einer anderen Situation: Sie haben i.d.R. ein drängendes Problem, das sie beseitigt wissen möchten. So ist es menschlich verständlich, in einer solchen Lage den wohlklingenden Versprechungen eines narzisstischen Coachs zu erliegen. Dass dessen Ansprüche eher auf übersteigerter Selbstsucht und Größenideen als auf beraterischem Können basieren, ist für den Laien ohnehin kaum durchschaubar. Wer verfügt schon über die sichere diagnostische Kompetenz, einen solchen "Napoleon-Coach" von einem ansonsten guten Berater zu unterscheiden, der sich vielleicht nur etwas "aufbläst", weil ein Marketing-Experte ihm zu mehr Selbstvertrauen im Kundenkontakt geraten hat … ?

In den schlimmeren Fällen, die ein Napoleon-Coach anrichten kann, muss dabei dem Klienten nicht mal deutlich werden, was der Coach angerichtet hat. Es kann sogar genau das Gegenteil geschehen: Trotz einer katastrophalen Entwicklung ist der Klient subjektiv sehr mit dem Coach zufrieden. Wie ein solcher Fall aussehen kann, sei an einem fiktiven Beispiel erläutert (jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Fällen und Personen ist nicht beabsichtigt und rein zufällig):

Ein Beispielfall 

Der Vorstand eines Konzerns sucht zu seiner Unterstützung bei einem anstehenden Umstrukturierungsprozess einen Coach, ist sich aber sicher, wie er einen entsprechenden Kontakt herstellen kann. Die Personalabteilung möchte er aus Geheimhaltungs- und Statusgründen nicht damit betrauen. Zufällig berichtet ihm ein Geschäftspartner von einem Coach, den er wirklich empfehlen könne, weil der Mann über nahezu hellseherische Fähigkeiten verfüge. Dieser Coach arbeite nur auf Vorstandsebene und sei ein absoluter Profi. In einem ersten Zusammentreffen zwischen dem Vorstand und dem Coach präsentiert sich letzterer als wortgewandter Herr, der die ungeschriebenen Spielregeln der Vorstandsetagen beherrscht. Es kommt zu einem Kontrakt zwischen dem Vorstand und dem Coach.

Aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeit ist es dem Coach kaum erträglich, kritisiert zu werden – selbst leichte oder gut gemeinte Kritik kränkt ihn tief, da er sie als persönliche Beleidigung auffasst. In der Konsequenz fühlt sich der Napoleon-Coach missverstanden und zu unrecht kritisiert. Seine Umwelt hält er deshalb für inkompetent und/oder neidisch. Das ist für ihn so normal geworden, dass er auch seinem Klienten zu einer ähnlichen Perspektive rät: Sich genau umzuhören und auf jede Kleinigkeit zu achten, die auch nur ansatzweise als Kritik aufgefasst werden könnte – weil diese ein "Warnsignal" dafür sei, dass man dem Klienten Fallen stelle und es daher gelte, den Vorstandsposten aktiv zu verteidigen. Dermaßen beeinflusst begegnet der Klient seinem Umfeld erst mit geringer, dann mit immer zunehmender Skepsis – weil sein Umfeld negativ auf diese immer deutlicher spürbare Skepsis reagiert. Daraus schlussfolgert der Klient, dass sein Coach recht gehabt habe (ebenso der Geschäftspartner, der ja bereits die hellseherische Kompetenz des Coachs lobte). So entsteht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Der Klient fühlt sich zunehmend isoliert und bedroht, was ihn immer weiter an den Coach bindet. Dieser verstärkt diese Gefühle noch, da sie ja seinem narzisstischen Weltbild entsprechen. In der Konsequenz empfindet der Vorstand seinen Coach noch als einzigen kompetenten Solidarpartner, der ihm ja "von Anfang an" gesagt hatte, wie es kommen würde. Schließlich hat sich der Vorstand derart isoliert, dass er tatsächlich seinen Posten verliert. Klient und Coach fühlen sich voll in ihrer Erwartungshaltung bestätigt.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Das Tragische an derartigen Fällen ist, dass hier selbstproduzierte Probleme erzeugt werden, die zunehmend eskalieren, während Coach und Klient für sich in Anspruch nehmen, bestmöglich mit der Situation umzugehen. Dass der Napoleon-Coach aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeit für diese Entwicklung verantwortlich ist, entzieht sich hingegen der Erkenntnis von Coach und Klient. Dabei handelt es sich nicht um einen Mangel an Intelligenz, sondern um einen Mangel an Feedback, der zur Verzerrung der Wahrnehmung geführt hat - erst beim Coach, in der Folge dann beim Klienten. Der Klient ist zwar nicht mit dem Ergebnis zufrieden, hat den Coach aber subjektiv aufgrund seiner "prognostischen Fähigkeiten" als kompetent wahrgenommen - und wird ihm wohlmöglich weiterempfehlen.

Fazit

Ein Schutz vor einem "Napoleon-Coach" ist im Grunde genommen nur möglich, wenn sich der Klient die Zeit nimmt, mehrere Angebote miteinander zu vergleichen und großspurigem Auftreten mit Skepsis entgegentritt. Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist der Umstand, ob ein Coach Supervision in Anspruch nimmt, um eigene blinde Flecken zu bearbeiten (oder ob er meint, dies nicht mehr nötig zu haben). Supervision ist dabei als ein nicht endender Prozess zu verstehen. Ähnlich der täglichen Körperhygiene sollte Supervision als etwas angesehen werden, das sich nicht eines Tages erübrigt, nur weil man es bereits jahrelang in Anspruch genommen hat. Auch sollte man als Klient sehr skeptisch mit jeglicher Art von "Verdächtigungspsychologie" umgehen, die narzisstische Persönlichkeiten gerne anwenden, um anderen Menschen schlechte Motive zu unterstellen. Hier wird in nahezu jede beliebige Handlung eine Verdächtigung hineininterpretiert. Und dies in einer Art und Weise, dass der Verdächtigte keine Chance hat, das Gegenteil zu belegen. Daran ist die dogmatische Weltsicht erkennbar, die einer solchen Haltung innewohnt. Dogmatismus ist jedoch ein schlechter Ratgeber in Coaching-Prozessen, in denen nicht der Aufbau von Wahrnehmungsbeschränkungen, sondern eine Wahrnehmungserweiterung des Klienten das Ziel sein sollte.

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