In diesem Beitrag werden folgende Positionen vertreten: (a) Coaching verkommt zu einem inflationär verwendeten Buzzword, was der Akzeptanz von Coaching abträglich ist – generell und ebenso als Führungsverhalten. (b) Falsche Meinungen zu Coaching stimmen überein mit einem antiquierten Führungsverhalten. Coaches sind u.a. keine Ratgeber, im Gegenteil. (c) Wer Führungskräften Coaching-Verhalten abspricht, redet einem Führungsverständnis das Wort, das weder den Geführten noch den Führenden nutzt. (d) Coaching-Verhalten ist der entscheidende Paradigmenwechsel im Führungsverständnis und ein echter Spielveränderer.
„Coaching ungleich Beratung? Wie kommen Sie denn darauf? Da lesen Sie mal im Duden nach“, meinte der Operations Manager eines Zuliefererwerks. Tatsächlich beschreibt der Duden „Coach“ als „männliche Person“ (!), die Klienten berate und betreue. Coaching-Ratgeber finden sich digital und in Buchform zuhauf, im Wortsinne auch auf Wühltischen. „Coaching“ wird zu sämtlichen Lebenslagen angeboten wie Achtsamkeit, Einstieg, Ausstieg, Gelassenheit, Wut, Nachhaltigkeit, Konsum, Krisen, Glück, Geld, Luxus, Bescheidenheit, Zufriedenheit, Ehrgeiz, Jugend, Alter usw., dazu selbstredend für fast alle Hobbys, Sportarten und Fitnessprogramme.
Viele Berater, Trainer, Referenten, Sportlehrer, Dozenten, Fachexperten und sonstige Ratgebende aller Art nennen sich „Coach“ oder werden so genannt – der Trend scheint ungebrochen. Die inflationäre Verwendung des ungeschützten und verschwommenen Begriffs provoziert zunehmend spöttische und sarkastische Reaktionen, z.B. auf Businessplattformen. Gar pauschale Ablehnung, etwa wenn externe Leadership-Trainer gebeten werden, den Begriff „Coaching“ zu vermeiden, da dieser im Unternehmen mittlerweile mit Schaumschlägerei gleichgesetzt werde.
Mit dem Büchlein „Coaching for Performance“, das nach wie vor viele Regalmeter Coaching-Lektüre überflüssig macht, führte Sir John Whitmore den Begriff „Coaching“ 1992 im arbeitsweltlichen Kontext ein und beschrieb Sinn und Zweck. Für einige Jahre war die Hoffnung groß, diese Coaching-DNA schützenswert festschreiben zu können: Coaching ist konsequente Hilfe zur Selbsthilfe. Coaches sorgen dafür, dass Klienten messbare Ziele, passende Lösungen und konkrete Maßnahmen zu ihren Themen eigenständig und systematisch erarbeiten.
Nun werden professionelle Coaches auch noch mit einem überwunden geglaubten Phänomen aus den eigenen Reihen konfrontiert: Manche Kollegen lehnen strikt ab, Führungskräfte im Coaching-Verhalten zu trainieren. Hierzu sei doch eine mindestens zweijährige Ausbildung notwendig. Zudem wollten Chefs ja immer ihre Vorstellungen durchsetzen und würden Coaching-Kompetenz zur Manipulation missbrauchen, so häufig angeführte Argumente. Tatsächlich kann eine Führungskraft nicht im engeren Sinne als Coach ihrer Mitarbeitenden fungieren – dies würde zu Rollenkonflikten führen. Einige Coaches ignorieren jedoch beharrlich, dass Coaching-Verhalten – verstanden als Führungsstil und -haltung – selbstverständlich einer fördernden Führungsarbeit und der Entwicklung der Mitarbeitenden zugutekommt. Andererseits scheinen ihre pauschalen Vorurteile nicht weit weg von so mancher Führungsrealität zu sein, wie die folgenden „meistgestellten Fragen“ vermuten lassen.
Szenario: Startphase eines zweitägigen Trainings zum fördernden Führungsverhalten. Nach der ersten Stunde sind Sinn und Zweck des Coachings (konsequente Hilfe zur Selbsthilfe) geklärt. Anschließend stellen Führungskräfte meist diese Fragen. Sie sind symptomatisch für das zu diesem Zeitpunkt noch vorherrschende Führungsverständnis.
Frage: Wie verwenden wir die Coaching-Technik optimal, um unsere Vorgaben durchzusetzen?
Coaching-Verhalten ist keine zu erlernende Technik, sondern eine Haltung. Sie versagt als Machtinstrument völlig. Auch bei hinterlistiger, manipulativer Vortäuschung, weil diese meist rasch durchschaut wird.
Frage: Wenn ich jemanden coache, der auch coachen kann – dann merkt der das doch? „Tja, Pech gehabt, da kommst Du nicht weiter!“, antworten andere Teilnehmende auch noch. Coaching wird also als Methode oder Technik gesehen, die Vorteile verschafft und die es zu nutzen gilt. Es geht jedoch um konsequente Förderung, wie Fujio Chō, früherer CEO bei Toyota und Architekt des Toyota Way, 2008 in einer Videobotschaft an die Belegschaft auf den Punkt brachte. Er sagte sinngemäß:
Liebe Mitarbeitende, wo immer Ihr auch seid auf unserem Planeten, in Produktion, Verwaltung oder Autohäusern: Verbessert Eure Arbeit kontinuierlich. Lasst Euch hierbei nicht beirren, handelt mutig und entschlossen.
Liebe Führungskräfte. Eure bedeutendste Aufgabe ist es, die Euch anvertrauten Mitarbeitenden zu respektieren und ihre Eigenständigkeit zu fördern. Das ist der Kern unserer Philosophie und unseres Erfolges. Nur wenn Ihr dabei erfolgreich seid, stehen Euch weitere Türen offen.
Wer also coachen kann und Unterstützung braucht, ist hocherfreut über Gesprächspartner, die keine ungebetenen Ratschläge geben, sondern zuhören, (nach-)fragen und gelegentlich zusammenfassen. So werden Sackgassen, Scheuklappen oder der Wald vor lauter Bäumen erkannt. Bis dahin versperrte Wege können in der Folge beschritten werden, was wirklich und nachhaltig hilft.
Frage: Coachen? Was sollen wir denn noch alles machen? Diese Frage wird meist mit allgemeinem Kopfnicken begleitet und der geäußerten Überzeugung, das sei doch eine Aufgabe für die Personalabteilung. Keineswegs. Mitarbeiterentwicklung ist eine zentrale Führungsaufgabe.
Wer Ratschläge gibt, übernimmt Verantwortung. Chefs, die mal wieder die Unselbständigkeit von Mitarbeitern beklagen bis hin zum beliebten Spruch „Ich bin von Idioten umzingelt!“, scheinen diese Tatsache nicht auf ihre Führungsrolle zu beziehen. Ihre ständigen Vorgaben, Ratschläge und Anweisungen führen zu Unselbständigkeit und mangelndem Engagement.
Derart Geführte bleiben oft in einer unmotivierten Verantwortungslosigkeit. Derart Führende beklagen meist zu viel „Workload“, weil Mitarbeiter wegen jeder Kleinigkeit auf der Matte stünden oder Anweisungen falsch ausführten, weshalb sie ja ständig eingreifen müssten. Diese Chefs erkennen nicht, dass sie ihre Überlastung selbst produzieren, Tag für Tag. Die einzige Möglichkeit, um aus diesem Dilemma herauszukommen, ist strikt förderndes Verhalten. Von selbst drauf kommen lassen, statt ständig Vorgaben zu machen. Was kann einer Führungskraft Besseres passieren, als sich auf zunehmend eigenständig agierende Mitarbeitende verlassen zu können? Förderer belohnen sich selbst, da sie nach einigen Monaten konsequentem Coaching-Verhalten erfahrungsgemäß …
Frage: Da gibt es doch gar keine Messgrößen – wie soll denn überprüft werden, ob Coaching-Verhalten wirkt?
Selbstverständlich kann der Erfolg klar evaluiert werden. Gemessen werden vor allem:
Frage: Was machen Sie, wenn jemand gar nicht gecoacht werden will?
Diese Frage setzt eine anzukündigende Maßnahme voraus. Coaching-Verhalten dagegen ist tägliche Normalität. Förderer fragen viel, fragen nach, fassen gelegentlich zusammen und praktizieren, was viele verlernt haben: zuhören. Sie lassen systematisch Ziele, Lösungen und Maßnahmen erarbeiten. Hinweise, Vorgaben und Anweisungen, z.B. beim Anlernen oder wenn der Gesprächspartner partout nicht weiter weiß, rücken wohldosiert in den Hintergrund, denn sie wissen: Nur wer eigenständig Themen bearbeiten, Ideen entwickeln und eigene Probleme lösen kann, übernimmt Verantwortung für Ergebnisse und lernt aus diesen Erfahrungen. Nur wer lernt, wird besser. Echte Förderer sind aufmerksam und interessiert, sie erreichen letztlich alle Gesprächspartner. Ihr Verhalten ist ein echter „Game Changer“.