International

Fragen an Ulrich Sollmann

Coach und Coach-Ausbilder Ulrich Sollmann beantwortet Fragen aus der Praxis

3 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2018 am 05.09.2018

Was ist beim Coaching in China anfangs wichtig?

Im eigenen Kulturkreis baut der Coaching-Prozess in der Regel auf einem ähnlichen gesellschaftlichen und kulturellen Erfahrungshintergrund von Coach und Klient auf. Das ist völlig anders in China. Auch wenn man sich ausführlich über China informiert hat, ist es ähnlich wie beim Erwerb einer fremden Sprache: Man lernt Vokabeln, man lernt die Grammatik und schließlich lernt man, mit Menschen zu sprechen, sich auszutauschen und zu verstehen. Die Art und Weise, wie man z.B. eine Visitenkarte übergibt, kann man im Training wie Vokabeln lernen (interkulturelle Kommunikation). Worauf man bei der Beziehungsgestaltung zu achten hat, ist vergleichbar mit dem Erlernen von Regeln wie denen der Grammatik (multikulturelle Kommunikation). Miteinander zu sprechen, sich gegenseitig im Coaching (auch emotional) verstehen zu wollen, ist transkulturelle Kommunikation. Man gestaltet, basierend auf dem emotionalen Echo, der inneren Resonanz, einen Prozess des reziproken Verstehens. Gerade anfangs ist transkulturelles Coaching durch „Ent-Lernen“ gekennzeichnet. Muss man doch die eigenen Vorstellungen und Bilder, die man von China hat, zunächst einmal „loswerden“, um wach, achtsam und bewusst für das zu sein, was auf einen einströmt.

Wie ist die Rollenverteilung im Coaching-Prozess?

In China heißt es kulturell und historisch bedingt: „The teacher teaches and the student writes.“ Diese hierarchische Beziehung fußt auf konfuzianischem Denken und ist fast immer mit im Spiel. Man begegnet sich – ob man will oder nicht – in einer Hierarchie-Beziehung. Am liebsten wollen viele Chinesen gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Chinesen sind vielfach nicht in anderen Rollenmodellen erfahren.

Werden Erfahrungen in China genauso wie im Westen gemacht?

Chinesen brauchen in der Regel eine Vorgabe, um sich dann auf einen Erfahrungsprozess in Bezug auf diese Vorgabe einlassen zu können. Ziel und Ergebnis des Erfahrungsprozesses lassen sich daher zumeist direkt aus dieser ableiten. Eine solche Vorgabe kann eine Übung sein, eine bestimmte Regel, eine konkrete Verhaltensansage oder ähnliches. Ich nenne dies „post-experience“. Der Erfahrungsprozess folgt der Vorgabe. Chinesen sind oftmals unsicher, sich auf einen offenen Erfahrungsprozess („pre-experience“) einzulassen. Ein solcher könnte z.B. durch eine kritische Reflexion oder ein zu differenziertes Nachfragen ausgelöst werden. In westlichen Ländern ist man mit einem solchen Prozess eher vertraut.

Welche Rolle spielt Change im Coaching?

Die Welt befindet sich in einem steten Wandlungsprozess. Change ist somit sehr oft Thema im Coaching. Anders in China. Dort geht es eher um Strukturbildung, Leadership, Gestaltung von Feedback u.a. Ist man doch bemüht, zunächst einmal im „chinesischen Chaos“ einen stabilen Boden, eine Orientierung gebende Struktur zu entwickeln. Es geht also (noch) nicht um Change, sondern eher um Kohäsion, Konsolidierung, eigene Identität.

Wie kommuniziert ein Coach in China, wenn er die Sprache nicht beherrscht?

Die Antwort ist ganz einfach: über einen Übersetzer. In China braucht man aber immer auch einen Beziehungsgestalter. Der Übersetzer als Interpréteur spielt dabei eine wesentliche, man könnte fast sagen, existentielle Rolle. Achtet er doch sowohl auf die inhaltliche Übersetzung als auch auf die Art, wie das, was der Coach sagt, auf das chinesische kulturelle Bewusstsein sowie den persönlichen Erfahrungshintergrund zu übertragen ist. Umgekehrt wird der Interpréteur darauf achten, das, was der Chinese sagt, so zu übersetzen, dass es inhaltlich richtig sowie persönlich für den Coach auch bekömmlich ist. Der Übersetzer ist mir als Coach auch behilflich, mich in der Beziehungsgestaltung mit meinem chinesischen Gegenüber orientieren zu können, spiegelt er mir doch die Wirkung meines eigenen Verhaltens.

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