Nach der Fusion der DRV Oberbayern und der DRV Niederbayern-Oberpfalz zur Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd (DRV Bayern Süd) stand das Personalmanagement vor der Aufgabe, die unterschiedlichen Kulturen der beiden fusionierten Häuser zusammenzuführen. Der Weg dahin, so interpretierten die Verantwortlichen der DRV aktuelle Studien wie die HR-Klima-Index-Studie (Kienbaum, 2009), führt über eine gemeinsame und verbesserte Führungs- und Managementqualifikation der Führungskräfte. Davon profitieren sowohl die Mitarbeiter als auch die Führungskräfte. Die Basis für diese neue Führungskultur sollten ein einheitliches Führungsverständnis und einheitliche Führungsinstrumente bilden, die an beiden Standorten gelebt werden sollten.
Zunächst wurden Interviews mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt, um herauszufinden, wie sie die augenblickliche Führungssituation beurteilten und wie motivierende Führung aus ihrer Sicht gestaltet werden sollte. Anhand der Ergebnisse der Interviews wurden die verschiedenen hierarchischen Führungsrollen und -aufgaben ebenso definiert wie die Anforderungen, die an die Führungskräfte der jeweiligen Ebene gestellt werden. Dies geschah für alle: vom Teamleiter über den Bereichs- und Abteilungsleiter bis zur Geschäftsführung.
Im nächsten Schritt wurden zur Unterstützung der Führungskräfte bei der täglichen Führungsarbeit spezifische Instrumente entwickelt: Besprechungen (regelmäßig und anlassbezogen), Gespräche ( Jahresmitarbeitergespräch und Feedbackgespräche) sowie der Führungsdialog (Vorgesetztenbeurteilung). Alle drei wurden in den Interviews als gut und hilfreich beschrieben und waren an den fusionierten Standorten jeweils in unterschiedlicher Ausprägung bereits eingeführt.
In speziellen Schulungen und Seminaren erlernten die Führungskräfte das theoretische Basiswissen für die anzuwendenden Instrumente und bekamen in diesem geschützten Rahmen auch die Möglichkeit des Übens.
Allerdings ist der Transfer in die Praxis und die Individualisierung des Gelernten oft nur in eingeschränktem Umfang möglich. Schließlich treten die Probleme oft erst dann auf, wenn die Führungskraft den gewohnten (Führungs-) Weg verändert und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter andere Verhaltens- und Leistungsanforderungen stellt. Diese Problematik hatten auch die bereits implementierten Mitarbeitergespräche und der Führungsdialog (Vorgesetztenbeurteilung) nicht umfänglich lösen können. Sie zeigten zwar oftmals einen Handlungsbedarf auf, doch für konkrete Fälle, die spontan in der Praxis sehr individuell auftreten, waren keine instrumentalisierten Möglichkeiten der Unterstützung für die Führungskraft vorhanden.
Entscheidend für das tatsächliche Umsetzen und das „Erlebbarmachen“ der gemeinsamen Kultur ist jedoch, dass jede Führungskraft sich an die Vorgaben hält und die Kultur als Vorbild mitträgt. Diese Umsetzung ist für einige Führungskräfte eine sehr herausfordernde Aufgabe, da sie teilweise unerfahren in der Führung sind oder in einer anderen Führungskultur beruflich sozialisiert wurden.
Um die Führungskräfte in der praktischen Umsetzung weiter zu unterstützen, entwickelte die Personalentwicklung eine sehr wirksame und exakt zugeschnittene Maßnahme mit hohem Transfererfolg: CoPV, die Coaching, Prozess- und Veränderungsbegleitung, ein für die individuelle Unterstützung der Führungskräfte maßgeschneidertes Coaching-Programm. Es bietet Führungskräften die Möglichkeit zur Reflexion und zur professionellen Entwicklung ihrer Führungsrolle sowie ihrer Führungspersönlichkeit und darüber hinaus konkrete Hilfestellungen für anstehende Veränderungen und Herausforderungen. Neben der Unterstützung von Führungskräften im Einzel-Coaching werden auch Gruppen- und Team-Coachings angeboten.
Die Umsetzung des Programms erfolgte gemeinsam mit der Grundig Akademie. Die im CoPV-Prozess benötigten Coachs und Prozessbegleiter werden größtenteils vom externen Dienstleister Grundig Akademie in einem Coaching-Pool zur Verfügung gestellt. Dieser besteht aus etwa 30 erfahrenen Coachs aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichem und sozialem Bereich. Die Qualitätskriterien werden von der DRV Bayern Süd vorgegeben. Unter anderem sollen die Coachs alle mehrjährige Erfahrungen als Führungskraft aufweisen, eine professionelle Coaching-Ausbildung absolviert haben, Know-how in systemischer Organisationsentwicklung besitzen, über mehr als drei Jahre Beratererfahrung verfügen sowie regelmäßig Supervision für die eigene Entwicklung in Anspruch nehmen.
Die Einführung von CoPV bei der DRV Bayern Süd erfolgte mithilfe mehrerer Informationsveranstaltungen, zu denen die Führungskräfte eingeladen wurden. Diese wurden in Form von interaktiven Miniworkshops durchgeführt. Die Teilnehmer entwickelten Fragen, die von den Betreuern des Coaching-Pools und Mitarbeitern der Personalentwicklung der DRV Bayern Süd beantwortet wurden. So erfuhren die Teilnehmer zum Beispiel, dass sie ihren dienstlichen Coaching-Bedarf direkt bei den Ansprechpartnern in der Personalentwicklung anmelden können, ohne dass ihr Vorgesetzter seine Zustimmung geben muss.
Ein wichtiger Promotor für die Akzeptanz des Programms ist die Geschäftsführung, die voll und ganz hinter dem Konzept und dem Angebot steht. Sie kommunizierte öffentlich (z. B. in einer Personalversammlung), dass sie selbst Coaching für sich in Anspruch nehmen würde. Dies unterstreicht die Wertigkeit, die dem CoPV seitens der obersten Führungsebene eingeräumt wird. Die Geschäftsführung geht als Vorbild voran. Die Inanspruchnahme von Coaching kann nun nicht mehr (fälschlicherweise) als Schwäche adressiert werden, sondern als positives Streben zur Verbesserung der eigenen Führungskompetenz.
Das Referat Personalentwicklung ist erster Ansprechpartner für die Führungskraft, die ein Coaching in Anspruch nehmen möchte. In einem Vorgespräch wird das Anliegen aus der Führungspraxis vorgestellt und geklärt, ob das Instrument Coaching zur Lösung des geschilderten Anliegens beitragen kann. Die Führungskraft erfährt, was sie grundsätzlich von Einzel- oder Team-/Gruppen-Coaching erwarten kann und wie der Ablauf im Coaching aussieht. Generell soll das Coaching in fünf zweistündigen Terminen abgeschlossen sein, kann aber nach Rücksprache mit der Personalentwicklung verlängert werden.
Im Anschluss an das Gespräch wählen die Führungskraft und der Betreuer des Coaching Pools einen geeigneten Coach aus. Auswahlkriterien sind zum Beispiel der Tätigkeitsschwerpunkt des Coachs, der Erfahrungshintergrund und die räumliche Nähe. Anschließend erhält der Klient ein Profil des Coachs, eine Infomappe zum Coaching-Ablauf und einen Selbstreflexionsbogen.
Der Coach wird ebenfalls über den Klienten informiert und nimmt anschließend Kontakt mit ihm auf, um gemeinsam einen Termin für ein Erstgespräch zu vereinbaren. Stellt sich schon zu diesem frühen Zeitpunkt heraus, dass die „Chemie“ zwischen beiden Gesprächspartnern nicht stimmt, besteht die Möglichkeit, das Coaching ohne weitere Angaben von Gründen abzubrechen und einen neuen Coach zu suchen. Nach erfolgreichem Verlauf des Erstgesprächs wird ein Coaching-Vertrag geschlossen.
Zu den Hauptphasen des Coachings zählt die Analyse der Ausgangssituation, in der der Ist- und Sollzustand geklärt wird. Anschließend werden gemeinsam Ziele und Lösungswege erarbeitet. Mithilfe einer Evaluation im direkten Anschluss an das Coaching soll die Zielerreichung überprüft werden. Nach drei Monaten findet eine weitere Evaluation des Transfers durch die Leitung des Coaching-Pools statt. Die Ergebnisse gehen auch an die Personalentwicklung der DRV Bayern Süd zur Qualitätskontrolle.
Aufgabe der Leitung des Coaching-Pools ist die Organisation der Coaching-Prozesse. So werden die Freigabe des Coachings durch die DRV Bayern Süd, die Supervision des Coachs oder auch die Rechnungsstellung koordiniert.
Die Personalentwicklung der DRV Bayern Süd wurde nach der Konzeption in der Umsetzung weitgehend von der Grundig Akademie entlastet, behält jedoch stets die Kontrolle über den Prozess. Sie braucht sich weder um die Auswahl der Coachs noch um die konkrete Abwicklung und Koordinierung zu kümmern. Stattdessen kann sie andere wichtige Maßnahmen, wie die weitere Entwicklung und Umsetzung des Programms „Führungskräfteentwicklung“, forcieren. Das Programm CoPV und die Methode zum Verfahren haben sich für die DRV Bayern Süd als sehr effektiv erwiesen. In bisher 24 Monaten wurden insgesamt 50 Coaching-Prozesse durchgeführt.
Auf Grundlage der Coachings und der Rückmeldungen der Coachs an die Betreuer des Pools ist es inzwischen möglich, weitere Problemstellungen zu identifizieren, die in der Organisation immer wieder auftauchen. Hierzu gehören zum Beispiel Fragen zur Gestaltung von Mitarbeitergesprächen und von Besprechungen. In Zusammenarbeit mit den Coachs und der Personalentwicklung der DRV Bayern Süd werden Möglichkeiten erarbeitet, präventiv derartige Themen aufzugreifen und Lösungen zu entwickeln.
Auch die Grundig Akademie entwickelte ihr Angebot durch das Feedback weiter. Der Coaching-Pool wurde um Mediatoren, systemische Organisationsentwickler und Teamentwickler erweitert, da sich auch der fachliche Fokus besonders oft in diesen Bereichen bewegt.
Führungskräfte zeichnen sich nicht allein durch Fachwissen und Rationalitäten aus. Vielmehr ist souveränes persönliches Verhalten eine entscheidende Schlüsselqualifikation. Führungskompetenz –als Summe verschiedener erstklassiger Kompetenzen – lässt sich durch gezielte Maßnahmen nachhaltig verbessern und trainieren. Wir, Elisabeth Häusler und Gerhard Witthöft, als Geschäftsführung fordern von unseren Führungskräften einen hohen Standard an Führungspersönlichkeit. Wir fordern jedoch nicht nur, sondern fördern und unterstützen unsere Führungskräfte auch auf dem Weg dorthin und lassen sie mit der schwierigen Aufgabe nicht alleine. Mit CoPV bieten wir ein Instrument der Personalentwicklung an, das unsere Führungskräfte aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der täglichen Arbeit unterstützen kann – wenn diese es zulassen und wünschen. Nicht nur aus eigener Erfahrung sind uns die positiven Auswirkungen eines Coachings oder einer Prozessbegleitung bewusst geworden. CoPV wird unsere Führungskräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Verständnis und in der Umsetzung einer bewusst gelebten Führungsverantwortung unterstützen.
Ich, Christoph Schlachte, beziehe mich auf einen exemplarischen Coaching-Prozess, bestehend aus Einzel- und Team-Coachings für Führungskraft und Team, in der es zu offenen Konflikten kam: Die Haltung der Personalentwicklung, einem ergebnisoffenen Prozess zuzustimmen, war aus meiner Sicht ein großer Erfolgsfaktor. Hätte das Team oder auch der Bereichsleiter das Gefühl gehabt, jemand von „außen“ will sofort ein bestimmtes Ergebnis sehen, wäre es vermutlich anders gekommen. Die Kraft für Veränderung kann nur von den Beteiligten kommen. Coaching kann diesen Prozess gut unterstützen. Da kann auch wenn nötig konfrontiert werden, jedoch muss das immer wertschätzend und klar sein. Das Team und der Bereichsleiter haben sich engagiert für ihre Ziele eingesetzt und durch die Bewältigung dieser Krise nachhaltig Kraft gewonnen. Dies ist durch Evaluation auch nach einem Jahr weiter bestätigt worden.