Reiseleiter, Animateure und viele Mitarbeiter, die die Fäden im Hintergrund in den Händen halten, arbeiten für Reiseveranstalter in den Feriengebieten, um Urlaubern die „schönsten Wochen des Jahres“ zu bereiten. Die Größe der Teams variiert je nach räumlicher Ausdehnung des Zielgebietes, der Anzahl der Hotels und der Gästezahl, liegt aber üblicherweise zwischen zehn und über 100. Geführt wird das Team durch einen Service-Manager, der neben dem Gästeservice auch für Verhandlungen mit den Vertragspartnern vor Ort verantwortlich ist. Krisen und Notfallmanagement sowie die Repräsentation des Reiseveranstalters bei öffentlichen Anlässen gehören ebenfalls zu seinen Pflichten.
Üblicherweise wechseln die Service-Manager alle zwei Saisons das Einsatzland. Routine ist dabei die Ausnahme: Flugverspätungen, überbuchte Hotels und kranke Mitarbeiter lassen sich schwer planen. Ist die Führungskraft im Gebiet angekommen, bleibt nur wenig Zeit für eine persönliche Vorbereitung. Vertragspartner wollen besucht und Abläufe müssen organisiert werden. Läuft die Saison erst einmal, liegt der Fokus auf den Mitarbeitern und Kennzahlen wie Umsatz und Gästezufriedenheit. Für ein Leben neben dem Berufsleben bleibt kaum Raum.
Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Coaching unterscheiden:
Ein international agierender Touristik-Konzern bietet seinen Führungskräften in den Feriengebieten bereits seit einigen Jahren Unterstützung durch Coaching an. 2009 wurde ein systematisches Vorbereitungs-Coaching gestartet.
Wenn wir vor und während eines Einsatzes Coaching anbieten, stellt sich natürlich die Frage, wie es mit der Nachbereitung aussieht. In der Regel haben die meisten Führungskräfte im Anschluss an einen Einsatz zunächst einmal einige Wochen Urlaub. In der Praxis hat sich gezeigt, dass wenn die Möglichkeit zur direkten Umsetzung der Ergebnisse aus dem Coaching fehlt, der Erfolg kaum die Investition rechtfertigt. Etabliert hat sich deshalb ein Bogen zur Selbstreflexion, der als Unterstützung für ein Vorbereitungs-Coaching genutzt werden kann.
Allein mit einer Modellerweiterung ist es nicht getan. Die Rahmenbedingungen müssen Einfluss auf die Arbeitsweise des Coachs nehmen. Klassische Coaching-Settings mit fünf bis zehn Terminen à zwei Stunden im Abstand von einigen Wochen sind organisatorisch kaum darstellbar und die Kosten schwer zu argumentieren. In irgendeiner Form muss auch dem Bedürfnis der Auftraggeber nach messbaren Ergebnissen Rechnung getragen werden. Drei Herausforderungen der Rahmenbedingungen muss Rechnung getragen werden:
Diesen drei Anforderungen gerecht zu werden, bedeutet für ein Coaching-Konzept, dass die Arbeitsweise an die Situation angepasst werden muss. Es muss ein Modell erstellt werden, dass die verschiedenen Aspekte der Klientenwelt abdeckt, und der Erfolg muss gemessen werden.
Betrachtet man die Situation einer Führungskraft im Zielgebiet, gibt es fünf relevante Erfolgsfaktoren:
Für bestimmte operative Führungsfragen erwarten Klient und Auftraggeber vom Coach Expertenrat. Der Anteil am gesamten Coaching-Prozess kann je nach Fragestellung vergleichsweise hoch sein. Das gilt besonders beim Vorbereitungs-Coaching von Nachwuchsführungskräften.
Im Gegensatz zum klassischen Coaching ist wesentlich mehr Vor- und Nachbereitung nötig. Das „nullte“ Gespräch, also das unverbindliche Kennenlernen, erfolgt via Telefon. Entscheiden sich Klient und Coach, miteinander zu arbeiten, erhält der Klient vor dem ersten Termin einen Fragebogen, der ihm hilft, das definierte Ziel für das Coaching detailliert zu beschreiben. So kann sich der Coach optimal vorbereiten.
In der Regel finden maximal vier Sitzungen statt, manchmal sogar nur drei. Um die zur Verfügung stehende Zeit intensiv zu nutzen, dauert das Coaching sechs bis acht Stunden. Der Klient erstellt jeweils zum Ende der Sitzung einen Fahrplan, die einzelnen Schritte haben einen hohen Detaillierungsgrad. Schauen wir uns das Ganze an einem Beispiel einmal an:
Der Klient, Frank S., ist 35 Jahre alt und Quereinsteiger mit reichlich Führungserfahrung im Einzelhandel. Nach einem Jahr, in dem er operative Erfahrung als Reiseleiter gesammelt hat, wurde er einem erfahrenen Servicemanager an die Seite gestellt. Während des Winters führte er bereits ein eigenes Team, bestehend aus drei Mitarbeitern. Da bisher alles sehr erfolgreich läuft, soll er zum Sommer eine große Zone in einem Feriengebiet übernehmen. Es wurde bereits ein Vorgespräch mit dem Vorgesetzten und der Personalentwicklung des Klienten geführt. Der Auftraggeber hat konkrete Vorstellungen, was das Coaching beim Klienten verändern soll: Der Klient delegiert seiner Ansicht nach zu wenig und bezieht sein Führungsteam nicht genug mit ein. Seine Mitarbeiter beschreiben ihn als Eigenbrötler. Dies soll nach dem Coaching anders werden. Werden sich die Vorstellungen mit denen des Klienten decken? Was wird der Klient überhaupt von der „verordneten Weiterbildung“ halten?
Unser erstes Treffen findet in der Zentrale des Auftraggebers in der Schweiz statt. Ich beschließe, zunächst das „Geschicktwerden“ anzusprechen. Der Klient erklärt, dass er das Coaching und den Einsatz als große Chance sieht und wie dankbar er dem Unternehmen für das in ihn gesetzte Vertrauen ist. Ich frage mich, ob er die Antwort auf der Fahrt hierher auswendig gelernt hat, beschließe aber, es zunächst dabei bewenden zu lassen.
Das Eis schmilzt langsam und wir können mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Die Kultur des Einsatzlandes kennt er bereits, er war dort als Reiseleiter unterwegs. Auch die Struktur und die Ansprechpartner vor Ort sind ihm vertraut. Im Gesprächsverlauf erzählt er von seiner neuen Beziehung, die ihm Kraft gibt. In der Vergangenheit ging ihm häufiger kurz vor Erreichen des Ziels die Puste aus. Er berichtet von seiner Karriere im Einzelhandel und beschreibt, wie seine Vorgesetzte ihm Fristen gesetzt hat, die aus seiner Sicht nicht einzuhalten waren. Trotz hohen persönlichen Einsatzes war es ihm nicht möglich, die aus seiner Sicht in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen.
Der Fokus im Coaching scheint offenbar im Bereich „Persönliches“ zu liegen. Als Basis für die weitere Arbeit lasse ich den Klienten ein Karriere-Chart (Rauen, 2007) erstellen. Dies ist die grafische Abbildung der bisherigen Leistungsgeschichte des Klienten in Form eines Aktien-Charts. So lerne ich ihn besser kennen und er erhält Raum, um über Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge der Vergangenheit zu sprechen.
Die Analyse ergibt, dass berufliche Misserfolge immer dann entstanden sind, wenn er das Gefühl hatte, dass der Vorgesetzte Erwartungen in ihn setzte, die ihm nicht bekannt waren. Er beschließt, in seinem nächsten Gespräch die gegenseitigen Erwartungen an die Zusammenarbeit mit seiner Führungskraft zu besprechen. Im Coaching erstellt er einen Fragenkatalog für dieses Gespräch. Er fürchtet außerdem, dass die räumliche Distanz seiner Beziehung schaden könnte, ihm ist auch klar, dass seine Karriere darunter leiden würde, wenn er den Einsatz ablehnen würde. Bisher war seine Strategie, das Beste zu hoffen ... Im Coaching beschließt er, mit seiner Partnerin zu sprechen und eine gemeinsame Planung für die nächsten Jahre anzugehen – genug Mut dafür hat er jetzt gesammelt. Um seinen Erfolg zu stabilisieren, wird ein weiteres Treffen vereinbart.
Die Ergebnisse des Coachings werden als Fotoprotokoll festgehalten. Zwischen den Terminen halten Coach und Klient Kontakt via Telefon und E-Mail. Der Klient erhält außerdem einen auf seine Fragestellung zugeschnittenen Fragebogen zur Selbstreflexion, den er monatlich nutzt, um den Fortschritt für sich festzuhalten.
Zu einem späteren Zeitpunkt beschreibt der Klient, dass sein Führungsteam sich häufig darüber beschwert, dass er zu wenig Informationen weitergibt. Seine Devise ist: Meine Leute müssen selbstständig arbeiten, wenn sie etwas brauchen, müssen sie mich bloß fragen. Im Verlauf des Coachings beschließt er, nach Betrachtung der Sache aus verschiedenen Perspektiven, sein Kommunikationsverhalten zu ändern, da offenbar nicht alle Menschen so funktionieren wie er. Er erarbeitet einen detaillierten Kommunikationsplan und ein System, wie er die Inhalte trotz Zeitknappheit in seinen Tagesablauf einarbeiten kann.
Wie bei allen Coaching-Prozessen ist es natürlich auch hier schwierig, einen Erfolg zu messen. Selbst wenn es Kennzahlen wie zum Beispiel Gästezufriedenheit oder Erlöse gibt, kann man sich natürlich die Frage stellen, ob eine Verbesserung tatsächlich auf das Coaching zurückzuführen ist. Eine Zufriedenheitsbefragung des Klienten sagt auch nicht zwangsläufig etwas über Erfolg oder Misserfolg des Prozesses aus.
Im vorliegenden Konzept wird versucht, ein objektives Bild aus verschiedenen Quellen zu zeichnen. Zum einen werden Qualitäts- und Erlöskennzahlen betrachtet. Zum anderen werden die Klienten befragt. Um das Bild abzurunden, werden die direkten Vorgesetzten des Klienten vor, nach und während des Coachings um eine Einschätzung gebeten. Als letzter Baustein werden die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung herangezogen, die die Führungskraft beurteilt, und mit den Ergebnissen des Vorjahres verglichen.
Das vorliegende Konzept ist speziell für die Anforderung der Tourismusbranche und ihre besonderen Bedürfnisse erstellt worden. Die Grundmuster können aber – so oder ähnlich – auf andere Branchen und Unternehmungen übertragen werden. Die wichtigsten Punkte sind dabei:
Als größter Erfolgsfaktor beim Beipiel-Konzern hat sich die positive Mund-zu-Mund-Propaganda erwiesen: Gerade wenn Mitarbeiter zum Coaching eingeladen werden, kann das Vorbehalte abbauen und den Wert der Maßnahme klar machen. Mit diesem Investment in die Mitarbeiter setzt man als Unternehmen ein klares Zeichen und gibt den Führungskräften ein gutes Argument, ein echter „Unternehmensfan“ zu werden. Denn eines ist sicher: Fans wechseln nicht einfach den Klub, nur weil er mal eine Pechsträhne hat.