Führung

Coaching für Politiker

6 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 03 | 2003

Zur klassischen Zielgruppe von Coachings gehören Führungskräfte, insbesondere diejenigen, die aufgrund ihrer Statushöhe einen Ausgleich für Einsamkeit und mangelndes Feedback suchen. Aus dem gleichen Grund bietet sich Coaching als Beratungsform für Politiker an, die zwar selten allein sind, aber oft genug Gefühle der Frustration und Isolation kennen. Eingebettet in ein extrem dichtes Beziehungsgeflecht, bekommen gerade Politiker im wahrsten Sinn des Wortes oftmals nur noch eine "politische Rückmeldung" ihres Verhaltens. Gute Freunde - sofern der Karriere noch nicht geopfert - können ein Korrektiv für Verhaltens- und Wahrnehmungseinschränkungen sein. Vollzeitpolitiker haben aber oftmals kein solches Umfeld mehr, vielmehr setzt sich der Bekanntenkreis primär aus Personen zusammen, die im Zweifelsfall eher ihre eigenen Interessen verfolgen. 

Kurzum: Nicht wenige Politiker leiden wie (Top-)Führungskräfte unter einer professionsbedingten Deformation. In der Tendenz steigert sich dies mit der Statushöhe.

An dieser Stelle soll allerdings kein pauschales Kritisieren von Politikern betrieben werden. Egal ob man die Gemeinde-, Landes- und Bundespolitik oder gar die internationale Politik betrachten mag, fällt eine Kritik an Politikern zwar leicht. Und natürlich gibt es unter den Politikern - wie in jeden anderen Beruf - auch weniger Begabte. Dennoch ist es meist nicht die oftmals vorschnell unterstellte Dummheit bzw. eine zu kurzfristige Orientierung, die zu Fehlentscheidungen führen. Vielmehr sind es die Besonderheiten des politischen Geschäftes, denen der Politiker als Mensch ausgesetzt ist und die maßgeblichen Einfluss auf seine Handlungen haben - oftmals, ohne dass es demjenigen bewusst wäre.

Karriereentwicklung eines Politikers

Um dies zu verdeutlichen seien einige typische Entwicklungsschritte in der Karriere eines Politikers aufgezeigt:

Oft beginnt die politische Laufbahn mit hohem sozialen Engagement und Gestaltungswillen, zuweilen auch mit idealistischer Ausrichtung auf ein bestimmtes Weltbild, welches angestrebt wird. Die Realpolitik ist allerdings so, dass auch derjenige, der (hoffentlich demokratisch) gewählt wurde, sich mit zahlreichen Sachzwängen und Altlasten abfinden muss und in ein Umfeld eingebettet ist, welches den Handlungsspielraum begrenzt. Realpolitik geht mit einer bis zum Zynismus reichenden Ernüchterung einher und fordert gerade von jungen Politikern die Fähigkeit, den richtigen Kompromiss vom falschen Kompromiss zu unterscheiden. Dabei muss man sich von der Durchsetzung eines Ideals innerlich so weit zu distanzieren, dass man handlungsfähig bleibt. Vielen gelingt dies nicht oder nur unzureichend und in dem verzweifelten Kampf für die eigenen Ideale ist bereits so manche hoffnungsvolle Karriere im Burnout und Abhängigkeitserkrankungen geendet.

Doch auch wer diese Herausforderung besteht wird immer wieder vor die Entscheidung "Parteiräson vs. Ideale" gestellt. Die politische Berichterstattung zeigt recht deutlich, wie diese Entscheidung überwiegend ausfällt - und in einigen Fällen zeigt sich ebenfalls recht dramatisch, was mit denen geschieht, die sich der Parteiräson verweigern. 
Hinzu kommen neben einer meist komplexen und zeitraubenden Sacharbeit die extrem wichtige Öffentlichkeitsarbeit, der Aufbau bzw. die Pflege eines politischen Beziehungsnetzes (ohne dieses ist ein Politiker wirkungslos) sowie die Auseinandersetzungen mit Intrigen und politischen Gegnern, die nicht zwangsläufig nur in anderen Parteien zu finden sind. Und im vertraulichen Gespräch bestätigt sich dann auch folgerichtig, dass Wut, Einsamkeit und Verzweiflung, aber auch die Gier nach Erfolg einem Vollzeitpolitikern bestens bekannt sind.

Verzerrte (Selbst-)Wahrnehmung

So gleicht eine politische Karriere einem innerem Abhärtungsprozess, der seinesgleichen sucht. Kompensiert wird diese hohe Maß an Unannehmlichkeiten durch zahlreiche Ersatzbefriedigungen: Publicity, Selbstbestätigung, öffentliche Anerkennung und die nicht unerheblichen Möglichkeiten, aus Beziehungen und dem Wissen um Hintergründe finanzielle Vorteile zu gewinnen. Der wichtigste Faktor ist aber das Erleben und Ausüben von Macht (sowie die damit einhergehende Angst, diese wieder zu verlieren). 

Die damit einhergehende emotionale Abkapselung hat jedoch schwerwiegende Folgen: Selbstzweifel werden ausgeblendet, die Kritikfähigkeit nimmt teilweise dramatisch ab, Fehler werden systematisch ignoriert und anderen zugewiesen. Ein realistisches Selbstbild ist unter derartigen Bedingungen kaum zu entwickeln bzw. aufrecht zu halten.

Die so verzerrte (Selbst-)Wahrnehmung hat wiederum drastische Auswirkungen auf das Menschenbild und das Handeln. Im schlimmsten Fall beginnt ein Teufelskreis, der sich nach Außen hin durch scheinbar unerklärliche Fehlentscheidungen und die Verweigerung, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dokumentiert. Der Wille zur Gestaltung ist spätestens dann zum ausschließlichen "Willen zur Macht" degeneriert, der primär der eigenen Selbstbestätigung dient.

Identifikation mit der Funktion

Arbeitseifer und persönlicher Einsatz bleiben dabei auf hohem Niveau. Wie im Top-Management verschmelzen in der Politik der Mensch und seine Aufgabe (zumindest in der subjektiven Wahrnehmung). Die Identifikation mit der Funktion wird wiederum durch den enormen zeitlichen Aufwand der beruflichen Tätigkeit begünstigt. Bei Politikern kommt oftmals die (zumindest ursprünglich) ideologieorientierte Motivation und der Aufmerksamkeitswert ihrer Handlungen hinzu. Selbst hochreflektierte Menschen neigen in solchen Konstellationen zur "Betriebsblindheit" und zum "Scheuklappendenken". Wer als Folge dieses inneren Abhärtungsprozesses weite Teile seiner Selbst und seiner Umwelt ausblendet, kann in einer verantwortlichen Position durchaus ohne Absicht Probleme und Fehlentwicklungen begünstigen. Mehrere Personen mit ähnlichen sozialen Deformationen verstärken dabei noch gegenseitig solche Tendenzen.

Coaching mit Politikern

Derartige Zusammenhänge sind erfahrenen Coachs aus der Arbeit mit Top-Managern bestens bekannt. Bei Politikern kommt der Aspekt hinzu, dass es aufgrund der besonderen Beschaffenheit des politischen Geschäftes einer Herangehensweise bedarf, die betont ideologieoffen sein sollte.

Letztlich lassen sich die oben skizzierten suchtähnliche Kompensationsprozesse oder der Burnout von Politikern dann verhindern, wenn es dem Coach gelingt, zu einer breiteren Wahrnehmung zu verhelfen. Dabei ist zu bedenken, dass Politiker in Argumentation und Gegenargumentation bewandert sind und ihre verengte Wahrnehmung nicht ohne Grund entstanden ist. Manch ein Politiker braucht sie sogar, um seine Handlungsfähigkeit zu erhalten. 

Ein weiteres Kernelement eines Coachings mit einem Politiker ist die zynismusfreie Auseinandersetzung mit den eigenen Werten. Da gerade die Politik Werte schafft und (auch kurzfristig anders) gewichtet, fällt dies Politikern besonders schwer, da hier oftmals viele negative Vorerfahrungen vorhanden sind, die dieses Thema zur Tabuzone gemacht haben.
Die eigene, realistische Werteklärung ist deshalb so bedeutsam, weil sie die Grundlage für das Leben und die Arbeit eines Menschen bildet und im Idealfall Kompensationen überflüssig macht. Erst wenn diese "Werte-Grundlage" geklärt ist, kann das eigene Wahrnehmen und Denken so weit geöffnet werden, dass auch die damit möglicherweise einhergehenden Verletzungen die Handlungsfähigkeit nicht mehr bzw. weniger erschüttern. Dafür wird die (Selbst-)Wahrnehmung differenzierter, was möglicherweise bittere Erkenntnisse mit sich bringt, aber auch die Chance, die bisherigen Wege und sich stets wiederholende Schleifen zu verlassen.

Fazit

Nicht wenige Berufspolitiker sind strukturellen Bedingungen ausgesetzt, die ohne ein aktives Entgegensteuern eine Verzerrung der Wahrnehmung und des Denkens und Handels fast zwangsläufig provozieren. Dies ist umso bedenklicher, da es in der Tendenz durch die Statushöhe des Politikers noch verstärkt wird. Coaching als Feedback- und Reflexionsprozess kann hier zu einem wichtigen Faktor der Psychohygiene werden und so zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit beitragen.

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