Das Coaching-Tool „Baum der Entwicklung“ wurde im Coaching-Magazin 2/2020 vorgestellt (Bache et al., 2020). Wie man als Coach den Baum der Entwicklung (BdE) anwendet, welche Struktur, Symbole und Fragen hilfreich beim Einsatz des Tools sind und wie der BdE für den Klienten wirkt, soll im folgenden Beitrag erläutert werden. Dazu wird zuerst beschrieben, welche Anliegen im Rahmen der später vorgestellten Studie bearbeitet worden sind, welche Fragen, Symbole und Struktur zum Einsatz kamen, wie die Wirkungsweise im Bezug zu den Resilienzfaktoren eines Klienten gemessen wurde und welche Effekte sich in Bezug auf den Coaching-Erfolg ergeben haben.
Der BdE ist ein vielseitig einsatzbares Coaching-Tool. Ob im Live- oder Online-Coaching, der BdE unterstützt einen Coaching-Prozess als Visualisierungshilfe für Anliegen wie Motivationsfindung, als Entscheidungshilfe oder beim Erkennen von eigenen Stärken und Schwächen. Für angehende oder bereits erfahrene Führungskräfte kann der BdE auch nach einem Coaching-Prozess dazu dienen, sich selbst ein natürliches Bild verschiedener neuer, ähnlicher oder anderer Anliegen zu machen und diese treffend zu visualisieren.
Coach und Klient können, wenn der Einsatz des Tools im Rahmen des Anliegens sinnvoll erscheint, entscheiden, dass der BdE zum Einsatz kommt. Messerschmidt (2019) beschreibt die Arbeit mit Bildern im Rahmen von professioneller Coaching-Arbeit als sehr hilfreich. Bilder können Analogien zu bestimmten Sachverhalten im Leben des Klienten deutlich machen und im Rahmen von Entscheidungs-, Selbsterkenntnis- und Identitätsbildungsprozessen unterstützend wirken. Gezeichnete Bilder, aus dem Internet beschaffte Icons oder auf Magnettafeln aufgebrachte Symbole können einen Beitrag dazu leisten, die Lebenssituation eines Klienten im Bezug zu seinem Anliegen treffend zu visualisieren.
Grundsätzlich besteht jeder BdE (s. Abbildung) aus Wurzeln, Grasnarbe, Stamm, Wipfel/Baumkrone und Früchten. Diese Teilbereiche werden zu Beginn des Coachings dargestellt und dem Klienten im Bezug zur zeitlichen Einordnung, Verwendung und Bedeutung kurz erläutert. Dabei ist es sinnvoll, folgende Formulierungen zu wählen:
Darüber hinaus kann eine Vielzahl von Symbolen die Arbeit mit dem BdE sinnvoll ergänzen. Im Folgenden werden einige, aber nicht alle möglichen Symbole, die individuell eingesetzt werden können, aufgeführt und jeweils mit einem Verwendungs- und Bedeutungshinweis versehen.
Die Grundstruktur des BdE sieht folgende Symbole vor (die folgende Aufzählung hier als PDF-Tabelle herunterladen):
Grasnarbe (Vergangenheit)
Wurzeln (Vergangenheit)
Überschriften wie „Stärken“, „Schwächen“ und „berufliche oder private Erfahrungen“ (Vergangenheit)
Baumstamm (Gegenwart)
Überschriften wie „Option 1, 2 ...“ oder „Situation 1, 2 ...“ (Gegenwart)
Wipfel/Baumkrone (Zukunft)
Ergänzend können folgende Symbole zum Einsatz kommen:
Maulwurf
Blitz
Rasenmäher
Blume
Busch
Äste
Gießkanne
Sonne
Wolke
Regentropfen
Schwertl (2011) beschreibt weitere nützliche Fragestellungen, die den Kontakt zwischen Coach und Klient verbessern, den Prozess steuern, die zielorientierte Erkenntnisgenerierung des Klienten anregen, weitere Informationen für Coach und Klient freisetzen, Ziele definieren und Beschwernisse bewusst machen können. Dem Coach sollte bewusst sein, welche Wirkung diese Fragen haben können und an welcher Stelle diese sinnvoll eingesetzt werden können. Im Rahmen der Arbeit mit dem BdE haben sich folgende Fragen als hilfreich erwiesen.
Natürlich erhebt diese Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Coach muss situativ und intuitiv bewerten, welche Frage zu der jeweiligen Situation bzw. dem jeweiligen Moment passt, in dem sich der Klient zu einer bestimmten Fragestellung öffnet bzw. Gedanken macht. Eine der Aufgaben des Coachs ist es, im richtigen Moment die passende Fragestellung zu kommunizieren, um einen Reflexions- bzw. Erkenntnisprozess weiter anzuregen und zu fördern.
Eine Studie, die 2020 vom Autor an der „Ostfalia – Hochschule für angewandte Wissenschaften“ durchgeführt wurde, beschäftigt sich mit der Wirkungsweise des BdE im Bezug zu den Resilienzfaktoren der American Psychological Association (APA). Diese Faktoren dienen im Rahmen des Messverfahrens als Visualisierungshilfe für den Coaching-Erfolg. Die Klienten bewerteten vor dem Coaching, kurz danach (Steigerung 1, s. Tabelle) und vier Wochen (Steigerung 2, s. Tabelle) nach den 60- bis 90-minütigen Einzel-Coachings zehn Resilienzfaktoren auf einer Skala zwischen 1 (sehr wenig) und 10 (sehr gut). Die resultierende Differenz wird im Folgenden als Coaching-Erfolg betrachtet.
Es wurden 30 Einzel-Coachings mit Hilfe des BdE durchgeführt, um die Wirkungsweise des Tools anhand der Klienten-Resilienz messbar zu machen und nach den Faktoren zu differenzieren. Die Teilnehmer der Studie waren zwischen 18 und 45 Jahre alt. Sieben Teilnehmer waren Führungskräfte und 23 Spezialisten. 17 Teilnehmer waren weiblichen und 13 männlichen Geschlechts.
Die größten kurzfristigen Erfolge wurden bei den Faktoren „Selbstwahrnehmung verbessern“ (+0,09 Punkte), „Entscheidungsfindung unterstützen“ (+0,07 Punkte) sowie bei den Faktoren „Reflexionsimpulse für sich selbst nutzen“, „Krisen nicht als unüberwindbare Hindernisse einstufen“ und „Zielverfolgung steigern“ (jeweils +0,06 Punkte) erzielt. Den geringsten kurzfristigen Erfolg zeigt der Einsatz des Tools beim Faktor „Achtsamkeitssteigerung“. Dahingegen zeigt die zweite Messung, dass die „Achtsamkeitssteigerung“ im Verhältnis zum ersten Wert mit +0,05 Punkten am größten ist. Die höchste absolute Steigerung wurde beim Faktor „Selbstwahrnehmung verbessern“ gemessen (+0,11 Punkte). Dahingegen liegt der geringste absolute Erfolg bei +0,02 Punkten (Faktor „Netzwerkbildung fördern“). Den Rückgang von -0,02 Punkten nach vier Wochen beim Faktor „Zielverfolgung“ kann man u.a. auf die fehlende Umsetzungsunterstützung im Rahmen der Studie zurückführen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Einflüsse auf den Coaching-Erfolg zu vielfältig sind, um den Erfolg genau auf den Einsatz eines Tools zurückzuführen. Die Fragestellungen in den Coachings, die Themen, die Bereitschaft des Klienten, sich zu öffnen und das Thema wirklich tiefenwirksam anzugehen, die Tagesform, die eingesetzten Symbole und viele andere Einflüsse wären zu berücksichtigen, um eine klare Aussage darüber zu treffen, ob der Coaching-Erfolg bzw. die unterschiedlichen Ausschläge direkt und eindeutig auf das ausgewählte Tool zurückzuführen sind. Es bedarf an dieser Stelle weiterer, sehr differenzierter und standardisierter Forschung, um empirische Aussagen darüber abzuleiten, welchen extrahierten Einfluss ein Tool im Rahmen eines Prozesses hat. Das Ziel sollte es sein, die Wirksamkeit von Tools besser zu erforschen, um Coaches verbesserte Empfehlungen anzubieten, bei welchem Thema, Klienten (soziodemografische Einflussfaktoren) usw. ein bestimmtes Tool den größten Nutzen bzw. Coaching-Erfolg verspricht.
Insgesamt ist dennoch klar geworden, dass das Tool bei Themen wie Selbstwahrnehmung, Entscheidungsfindung und dem Nutzen von äußeren Reflexionsimpulsen eine nicht unerhebliche Wirkung verspricht.