Methoden

Resonanz und ihre Bedeutung im Coaching-Prozess – Teil 2

Der Coach als "Resonanzkörper"

11 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 06 | 2016

Resonanz ist ein unter anderem in Naturwissenschaft, Coaching und Therapie verwendeter Begriff mit weitem Anwendungsfeld. Im sozialen Bereich ist es üblich, von der Resonanz des Coachs oder Therapeuten zu sprechen, und Resonanzfähigkeit gilt oft als grundlegende Kompetenz. Der Artikel schaut hier genauer hin. Im ersten Teil wurden die theoretischen Hintergründe des Begriffs und die Voraussetzungen der Resonanzfähigkeit erläutert. Im vorliegenden zweiten Teil des Textes wird die zentrale Bedeutung von Resonanz als – bisweilen unterschätzte – Basistechnik im Coaching-Prozess dargestellt. Dabei wird vor allem auch dem Aspekt der „biographischen Selbstbewusstheit“ des Coachs für das Gelingen Rechnung getragen.

Resonanz im Coaching-Prozess

Treten zwei Menschen miteinander in Kontakt, geschieht wechselseitige Resonanz. Der Ausspruch von C. G. Jung „Das Treffen zweier Persönlichkeiten ist wie der Kontakt zweier chemischer Substanzen: wenn es eine Reaktion gibt, werden beide transformiert“ beschreibt dies treffend. Resonanz in der Coaching-Beziehung hängt von (1) Art und Ausmaß der Anregung durch den klienten und von der (2) Beschaffenheit des Resonanzkörpers ab, d.h. von der Arbeit des Coachs.

Im Folgenden steht zunächst der Aspekt der Wechselseitigkeit von Resonanz in einer Coaching-Beziehung im Mittelpunkt, bevor auf die Resonanz des Coachs und deren Einsatz im Coaching-Prozess eingegangen wird.

Thomas Fuchs (2014) beschreibt eindrücklich, dass das von Person A empfundene Gefühl bzw. dessen Ausdruck in ihr selbst eine körperliche „eigenleibliche“ Resonanz produziert (A merkt, wie sich bei Wut die eigene Stirn anspannt), die wiederum das Gefühl verstärkt. Person B (z.B. der Therapeut) nimmt dies als Eindruck wahr und reagiert unwillkürlich zunächst subtil körperlich und dann mit zugeordneter emotionaler Qualität darauf. Fuchs bezeichnet dies ebenfalls als eigenleibliche Resonanz. Diesen Eindruck von B nimmt wiederum A auf. In der Wechselseitigkeit dieses Geschehens spricht Fuchs von zwischenleiblicher Resonanz: „B spürt A förmlich am eigenen Leib. […] Sie sind Teile eines dynamischen sensomotorischen Systems, das beide Körper durch reziproke Beziehungen miteinander verbindet“ (Fuchs, 2004; 88).

In dieser Form für Resonanz in der nonverbalen Kommunikation beschrieben, trifft dieser Kreislauf ebenso auf den verbalen Ausdruck − das von A und B Gesagte – zu. Dem Ausdruck folgt ein Eindruck, der sich in kognitiver, emotionaler und körperlicher Resonanz ausdrückt.

In der Beziehung zwischen Therapeut und Klient bzw. Coach und Klient kommt der Resonanz des Coachs und diesem Wechselspiel große Bedeutung zu. Der Coach wird berührt von der Welt des Anderen, aber geht nicht darin auf. Er ruht zugleich in sich bzw. bleibt bei sich. Diese Berührung trägt v.a. in der Kontakt- und Orientierungsphase des Coachings wesentlich zum Aufbau einer guten Beziehung bei, indem sie inhaltliches und emotionales Verständnis fördert. Hier ist z.B. ein direktes Feedback der eigenen körperlichen Resonanz durch den Coach denkbar und für die Erweiterung der Perspektive des Klienten hilfreich: „Mir fällt auf, dass ich mich schon beim Zuhören verkrampfe. Wie geht es Ihnen damit?“ Eine solche Rückmeldung kann im Klienten wiederum eine Reaktion hervorrufen bzw. einen Prozess ins Rollen bringen.

Beim Coach entsteht durch den fortlaufend stattfindenden Resonanz-Kreislauf ein Gesamteindruck des Klienten. Fuchs (2004) betont den Wert der bewussten Wahrnehmung der eigenleiblichen Resonanz des Coachs für die Hypothesenbildung. Wie lange kräusle ich im Gespräch die Stirn, wie „gelähmt“ sitze ich da? Ist der Coach in der Lage, seine Mimik und motorische Aktivität, seine Gedanken und Gefühle wahrzunehmen bzw. zu reflektieren, erhält er gute Hinweise auf mögliche Hintergründe der Coaching-Thematik.

Die vorgenannten Aspekte beziehen sich größtenteils – aber nicht nur – auf den mitschwingenden Aspekt der Resonanz. Mindestens genauso wichtig ist jedoch der Aspekt des Widerhalls. Im Coaching-Prozess ist es in allen Phasen notwendig, dass der Coach sich kontinuierlich bewusst macht, was die Aussagen und die Haltung des Klienten − neben dem reinen Mitschwingen − bei ihm auslösen. Hier spielen die Persönlichkeit des Coachs sowie seine berufliche (Feld-)Kompetenz und Lebenserfahrung eine Rolle. Um nicht eigene Inhalte mit denen des Klienten zu vermischen, ist der Coach zudem gefordert „seine Themen“ zu kennen. Wo reagiert er aufgrund der eigenen Biographie besonders, wo schaut er lieber weg. Sich der Gestalt des eigenen Resonanzkörpers bewusst zu sein, ist in hohem Maße hilfreich und notwendig für professionelles Handeln. Sie beeinflusst, bewusst oder unbewusst, die Beziehungsgestaltung, die nächste Hypothese und damit die folgende Intervention.

Hagen (2007) fasst das bewusste erspürende Sammeln von Informationen über den Klienten in einer eigenen Intervention, genannt „der weite Blick“, zusammen. Der Coach ist dabei angehalten, seinen Blick und sein Gehör zu weiten und zugleich auf sich selbst zu achten; auf die eigenen Wahrnehmungen, die eigenen Fantasien und die eigenen Gefühle und Bewertungen.

In den neueren Forschungen zur Wirksamkeit der Psychotherapie wird dem Therapeuten und seiner Beziehung zum Klienten ein deutlicher Effekt zugeschrieben, insgesamt sogar mehr als der jeweiligen Therapieschule bzw. -technik. Eine therapeutische Technik kann demnach erst wirken, wenn sie in eine gute Arbeitsbeziehung eingebettet ist (Strauß, 2004).

Keil und Stumm (2014) weisen auch darauf hin, dass der Therapeut in der klientenzentrierten Psychotherapie regelmäßig mit seiner negativen Resonanz, wie z.B. Ärger, Langeweile, Strapaze, Ohnmacht bezogen auf die Äußerungen des Klienten rechnen muss. Schließlich habe er es mit Klienten zu tun, deren Erleben und Verhalten so gestört sein kann, dass eine bedingungsfreie Wertschätzung nicht bzw. nur sehr schwer möglich ist. Auch dann ist das achtsame Wahrnehmen und Annehmen dieser Resonanz − wodurch genau wurde sie ausgelöst? − gefragt, gefolgt von der Bildung darauf aufbauender Hypothesen. Das gilt für Psychotherapie genauso wie für Coaching oder Konfliktklärung.

Christian Prior beschreibt im Rahmen einer Klärungshilfe eindrücklich, wie ihn die momentane Freude über die Äußerung eines Klienten und die Aussicht, einen Schritt im Prozess voran zu kommen, dazu verführte, einen anderen zu tadeln, als er ablehnend reagierte. „Ich bin innerlich noch immer gefangen in meinem Unverständnis für seine Reaktion. […] Mein innerer ‚Harmoniker‛ will endlich Frieden. […] Deswegen mache ich den zweiten Fehler und versuche seine Bedenken verbal mit Gewalt aus dem Weg zu räumen“ (Thomann & Prior, 2007; 210).

Prior reflektiert dies sehr genau im Nachhinein. Auch er erachtet es als wesentlich, sich fortlaufend im Prozess die ganz eigenen Reaktionen auf den Klienten bewusst zu machen. Wo hat meine Reaktion, mein Impuls mehr mit mir zu tun, als mit ihm? Dies direkt in der Situation kritisch zu betrachten, erfordert gewisse Multitasking-Fähigkeiten, die den Coach enorm fordern. Mitunter kann der komplexe Prozess deshalb erst durch nachbereitende Reflexion des Gesprächs erfolgen.

Ist dem Coach nun seine persönliche (Widerhall-)Resonanz bewusst, kann er entscheiden, ob er diese Wahrnehmung für eine Hypothese und Intervention nutzen möchte oder nicht. Fühlt er sich z.B. in einem berufsbezogenen Coaching-Gespräch stark an seine Elternrolle erinnert, könnte er die Hypothese entwickeln, dass der Klient auch in seiner Arbeitsumgebung an die Hand genommen werden will. Die Interventionsmöglichkeiten daraufhin sind vielfältig:

(1) transparent und direkt: „Wenn ich Ihnen so zuhöre, merke ich, dass ich mich an Situationen mit meinen Kindern erinnert fühle. Ich bin fast geneigt, wie ein Elternteil zu reagieren. Möchten Sie in einer solchen Konstellation an die Hand genommen werden?“

(2) subtiler bzw. verhaltener: „Wenn Sie sich jetzt in ihren Chef hinein versetzen und überlegen, wie es ihm mit Ihnen in einer solchen Situation wohl geht, was fällt Ihnen dazu ein? Könnte er das Gefühl haben, dass er Ihnen Richtung geben muss? Dass Sie starke Führung brauchen?“

Das offene Feedback von erlebter Resonanz kann – v.a. wenn andere Personen im Kontakt mit dem Klienten ähnlich empfinden könnten – sehr hilfreich für den Klienten sein. Der Coach ermöglicht dem Klienten das Einnehmen einer anderen Perspektive und macht sich zugleich transparent. Nutzt er seine Resonanz für eine Intervention, bringt er sich damit immer selbst in den Prozess ein. Selbstverständlich ist dabei, und Keil und Stumm (2014; 61) merken das kritisch an: „Die Selbsteinbringung darf niemals Selbstzweck sein, also den Bedürfnissen des Therapeuten dienen; Ziel ist immer die Förderung der Auseinandersetzung des Klienten mit sich selbst.“

Zusammenfassend wird deutlich, dass Resonanz im Coaching-Prozess eine entscheidende Rolle spielt:

  • bei der Etablierung einer guten Coaching-Beziehung
  • für die Bildung von Hypothesen
  • als Basis für Feedback der Resonanz des Coachs zur Perspektiv-Erweiterung des Kliente
  • als Grundlage für eine gezielte Intervention im Prozess

Die Bedeutung des „biographischen Selbstbewusstseins“

Gezielte Arbeit mit der Resonanz des Coachs kann als fundamentale Technik im Coaching erachtet werden. Der Coach, seine Erfahrung, seine Wahrnehmungsfähigkeit und sein biographisches Selbstbewusstsein sind dabei der Schlüssel, der beim Klienten Türen öffnet.

Die Methoden- und Technikgläubigkeit einiger Coaches und die immer wieder neue Suche nach dem besten Tool wird u.a. von Eidenschink (2006) beklagt. Der Resonanz als Standardmethode, die in jedem Gespräch eine Rolle spielt und von jedem Coach, gleich welcher Schule, anwendbar ist, wird dabei manchmal zu wenig Aufmerksamkeit zuteil. Die Arbeit mit der eigenen Resonanz wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken, kann sehr hilfreich und gewinnbringend sein.

Wie reagiere ich auf den Klienten? Welche körperlichen Reaktionen bemerke ich an mir? Welche Gedanken, Assoziationen kommen mir in den Sinn? Welche Emotionen erlebe ich? Sich diese Fragen während des Gesprächs und auch danach zu stellen, ist unverzichtbar. Die bewusste Wahrnehmung der Resonanz verlangsamt zwar den Prozess. Dass dies auch hilfreich sein kann, fasst Christiane Geiser (2004; 115) in ihrer Buchrezension zusammen: „Andererseits muss ich auch loslassen und still sein können, der Teil des ‚Seins‛ in unserer professionellen Kompetenz ist oft grösser [sic!] als der des ‚Tuns‛.“

Die Tatsache, dass das „Tönen in der Schwingung eines Anderen“ in jeder Interaktion geschieht − egal ob im beruflichen oder privaten Feld − eröffnet ein breites Lernfeld für „Resonanzwahrnehmungsfähigkeit“ oder „Spürbewusstsein“, auch außerhalb einer Coaching-Sitzung. Kleine Wahrnehmungssequenzen lassen sich problemlos und unbemerkt in den Alltag einbauen. Das Entstehenlassen von Bildern oder die gedachte Verbalisierung der körperlichen und gedanklichen Resonanz sind mögliche Übungsfelder.

Im zweiten Schritt erfolgt die Reflexion: Wo hat meine Resonanz in erster Linie mit mir als Person – mit meinen Themen und Erfahrungen – zu tun? Wo spiegelt sie das wider, was evtl. viele Menschen im Kontakt mit dem Klienten erleben? Resonanz bringt Coaches ihren Klienten näher − ihr Verständnis kann wachsen. Zugleich können Coaches auf der Basis von Resonanz Hypothesen formulieren, die es im weiteren Prozess durch Fragen oder gezielte Interventionen zu prüfen gilt. Resonanz bringt Coaches aber auch sich selbst näher. Um im Bild der Schwingung und des Halls zu bleiben: Wo Coaches mit Widerstand oder Verstärkung reagieren, hängt auch ganz maßgeblich von ihnen ab. Für diese Einschätzung ist es unverzichtbar für den Coach, sich selbst gut zu kennen. Welche Themen trage ich aufgrund meiner Biografie in mir? Wie sieht mein inneres Team aus? Wo ist es leicht, mich zum Tönen zu bringen, wo schwer? Resonanz weist immer auch auf die eigene Energie hin.

Selbsterfahrung ist somit entscheidend, damit der Coach diesen Abgleich im Prozess leisten kann. Die professionelle Kompetenz als Coach sollte immer diese „reflektierte Resonanz“ − das reflektierte Sein im Gespräch − beinhalten. Diese innere Sicherheit gilt es sich zu erarbeiten.

Fazit

Abschließend stellt sich noch die Frage: Gibt es ein zu viel an Resonanz? Auch das ist denkbar. Wenn der Coach in den Gefühlen des Klienten aufgeht oder sich von seinen eigenen Gefühlen, die als Reaktion im Prozess entstehen, überwältigen lässt, entsteht zu viel Resonanz. Wenn die klare Trennung zwischen DU und ICH verwischt, ist das dem Prozess nicht dienlich. Denn der Coach wirkt als Außenstehender. Er muss in der Lage sein, professionelle Distanz zu wahren, ohne distanziert zu wirken.

Der Kern der Resonanztechnik heißt somit:

  • sich auf den anderen einlassen und zugleich bei sich bleiben
  • die eigene Spürfähigkeit fortlaufend trainieren
  • sich Selbst – die biographischen und aktuellen Themen – gut kennen
  • sich im laufenden Prozess Zeit für die bewusste Resonanz nehmen und/oder sie danach reflektieren
  • darauf zu achten, was durch die Spiegelung von Resonanz in Gang kommt und wie dies den Kreislauf der Wechselseitigkeit zwischen Klient und Coach belebt

Lernvermögen, Selbsterfahrung und die Bereitschaft zu kontinuierlicher Reflexion bilden damit die Grundlage für die Ausgestaltung der professionellen Coaching-Kompetenz und -Technik Resonanz.

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