Methoden

Methodenmix zur nachhaltigen Führungskräfteentwicklung

Bei der Generali Deutschland Informatik Services GmbH

Methodenmonismus ist schon länger nicht mehr State of the Art. Statt singulärer Trainings- oder Coaching-Programme können klug konzipierte Beratungsarchitekturen Mehrwert generieren. Bemerkenswert an diesem Beispiel ist, wie es zudem gelingt, zwei unterschiedliche interne Stakeholder-Gruppen in einem Programm zum gemeinsamen Lernen zusammenzubringen.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2011 am 22.11.2011

Die Ausgangssituation

Die Generali Deutschland Informatik Services GmbH (GDIS) ist Full-Service-IT-Dienstleister einer der größten deutschen Finanzdienstleistungsgruppen. An den Standorten Aachen und Hamburg stellt das Unternehmen den IT-Service aller Konzerngesellschaften der Generali Deutschland Gruppe sicher. Mittlerweile ist es fast zwei Jahre her, dass die GDIS einen kulturellen Wandel angestoßen hat, mit dem auch ein verändertes Führungsverständnis einhergeht. Mit der vorgenommenen inhaltlichen Neuorientierung des Unternehmens gingen auch Veränderungen im Bereich des Skill- und Qualifizierungsmanagements und des Karrieremanagements einher. Noch stärker als bisher sollten unter anderem folgende Themen fokussiert werden:

  • Gezielte Entwicklung der Leistungs- und Potenzialträger mit Unterstützung unterschiedlicher Karrieremodelle
  • Verstärkte Abdeckung aller strategischen Know-how-Bereiche durch interne Mitarbeiter
  • Verstärkung der strategischen und teamorientierten Führungskompetenzen zur gezielten Förderung und Weiterentwicklung der Mitarbeiter im Unternehmen; was im Weiteren insbesondere im Fokus stehen soll.

Die Zielgruppe

Das Führungskräfteentwicklungsprogramm wurde speziell für die Führungsebene der Gruppenleiter mit einer Mitarbeiterspanne von fünf bis 20 Mitarbeitern konzipiert. Bei den 14 Teilnehmern handelte es sich im Wesentlichen um neu ernannte Führungskräfte. Neben den genannten Führungskräften waren auch drei Personen aus dem Gesamtbetriebsrat als Teilnehmer vertreten.

Die Integration von Betriebsratsangehörigen in eine Fortbildung für Führungskräfte mag im ersten Moment vielleicht erstaunen. Beide Gruppen vertreten im Arbeitsalltag nicht immer selbstverständlich gleiche Sichtweisen. Betriebsratsvorsitzende haben im Unternehmen keine klassische Führungsrolle inne, aber ihre (vergleichbare) Aufgabe ist es, ein meist recht heterogenes Team möglichst zielführend zu steuern. Erklärtes Ziel des Programms war es, (auch) die Betriebsräte in ihrem Arbeitsalltag zu unterstützen. Darüber hinaus wollte die GDIS die Lernziele und die Vorgehensweise im Bereich der Mitarbeiterführung möglichst transparent und nachvollziehbar für die Betriebsräte darstellen.

Ein weiterer Anlass war die Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Betriebsrat. Hier sollte das Führungskräfteprogramm einen Beitrag zu einem intensiveren Austausch leisten und das Verständnis für die jeweils unterschiedlichen Perspektiven vertiefen. Im Verlauf des Programms gab es eine lebhafte Gruppendynamik und wir hatten mit mancher Herausforderung umzugehen. Die einzelnen Konflikte wurden in der Gruppe thematisiert und konnten abschließend geklärt werden.

Die inhaltlichen Schwerpunkte

Das Führungskräfteprogramm wurde vom Gruppenleiter der Personalabteilung des Generali Konzerns (Mike Weibert), der HR-Managerin der GDIS und dem Beratungsunternehmen BCO (Svenja Thiel) entwickelt und durchgeführt. Insgesamt erstreckte sich das Programm über einen Zeitraum von zwölf Monaten. In dieser Zeit wurden vier Trainingsmodule durchgeführt, die jeweils 2,5 Tage umfassten (s. Kasten). Darüber hinaus fanden ein halbtägiger Kick-off-Workshop und ein eintägiges Abschlussmodul statt. In Letzterem ging es vor allem um die Transfersicherung der optimierten Verhaltensweisen.

Die vier Module und Themenschwerpunkte des Führungskräfteprogramms

1. Modul. Schwerpunkte: Kommunikation und werteorientiertes Handeln – „Ich  führe mich selber“

  • Kommunikation als zentrales Element von Führung
  • Kernaufgaben von Führung und Management
  • Rolle der Führungskraft in der GDIS
  • Einstellung und werteorientierte Führung

2. Modul. Schwerpunkte: Gesprächsführung und Umgang mit Konflikten im Führungsalltag – „Ich und die Anderen“

  • Modelle und Techniken der Kommunikation
  • Anwendung von unterschiedlichen Arten von Mitarbeitergesprächen (z.B. Anerkennungsgespräch, Kritikgespräch)
  • Konflikte frühzeitig erkennen und konstruktiv lösen
  • Andere nachhaltig überzeugen

3. Modul. Schwerpunkte: Teamführung und Motivation – „Ich führe andere“

  • Mitarbeiter entsprechend ihrer Kompetenzen gezielt weiterentwickeln
  • Zielgerichtete Moderation und Anleitung
  • Motive und Interessen der Mitarbeiter erkennen
  • Motivation der Mitarbeiter fördern und unterstützen

4. Modul. Schwerpunkte: Veränderungsmanagement und Umgang mit Widerständen – „Ich steuere Veränderungen“

  • Führen im Veränderungsprozess
  • Steuerung von Veränderungen im Teamkontext
  • Umgang mit Teamdynamiken
  • Unternehmerisches und strategisches Handeln im Veränderungsprozess

Das Programm – ein Methodenmix

Bei allen beschriebenen Modulen wurden Trainingselemente, wie Wissensvermittlung und simulierte Übungen zur praktischen Vertiefung, mit Methoden des Selbst-Coachings und Peer-Coachings kombiniert. Die systematische Kombination unterschiedlicher Methoden zeigt die Tabelle an einem Beispiel:

  • Im Selbst-Coaching nutzte das Trainerteam Fragen, welche die Teilnehmer zur kritischen Selbstreflexion anregten. Dabei ging es inhaltlich auch um eine Reflexion der eigenen Stärken und die individuelle Weiterentwicklung im Bezug zu den vermittelten Lerninhalten. Dies wurde durch viele Feedbackeinheiten unterstützt.
  • Im Rahmen des Peer-Coachings hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, die gelernten Trainingsinhalte direkt anzuwenden und sich gegenseitig durch Coaching-Elemente im Ausbau ihrer Fähigkeiten zu unterstützen. Darüber hinaus stand auch die Reflexion der eigenen Rolle im Unternehmen und die Vorstellungen zur eigenen Führungsphilosophie im Vordergrund. 
kombination-methoden

Tabelle: Die systematische Kombination unterschiedlicher Methoden am Beispiel wertorientierter Führung

Im Anschluss an eine Wissensvermittlung zum Thema Werteentwicklung hatte jeder Teilnehmer die Gelegenheit, im Rahmen von Selbst-Coaching seine eigene Wertehierarchie zu erarbeiten. Im Peer-Coaching wurde die Relevanz der einzelnen Werte für die derzeitige Aufgabenstellung im Unternehmen kritisch beleuchtet. In einer anschließenden Reflexion im Plenum konnten die Teilnehmer anschließend einen Abgleich mit dem Führungsbild und den Unternehmenswerten der GDIS für sich vollziehen.

Neben dem Konzept der werteorientierten Führung wurden darüber hinaus in jedem Modul kollegiale Fallberatungen durchgeführt. Aus Sicht der Personalentwicklung sehen wir in der Kollegialen Beratung die Chance, das Vertrauen innerhalb der Gruppe zu stärken und den Gedanken der gegenseitigen Unterstützung im Führungskreis weiter auszubauen. Dies geschieht durch einen systematischen fachlichen Austausch über Herausforderungen im Bereich der Führung. Bei der Bearbeitung der geschilderten Problematik stellen alle Gruppenmitglieder ihr Wissen und ihre Erfahrung zur Verfügung. Dadurch können die Teilnehmer voneinander lernen und ihre eigene Perspektive erweitern.

Das Vorgehen bei der Kollegialen Beratung (nach Tietze, 2003)

  1. Der Fallgeber schildert sein Anliegen: Ein Gruppenmitglied ist der „Fallgeber“ und stellt ein persönliches Problem aus dem beruflichen Kontext konkret dar.
  2. Verständnisfragen aus dem Beraterteam: Die übrigen Gruppenmitglieder sind in der Rolle des „Beraterteams“ und stellen Verständnisfragen zum geschilderten Sachverhalt, ohne dabei bereits Lösungsoptionen zu thematisieren.
  3. Der Fallgeber stellt seine persönliche Schlüsselfrage: Der Fallgeber stellt eine konkrete Frage, für die das Beraterteam mögliche Antwortalternativen entwickeln soll.
  4. Das Beraterteam berät sich: Das Beraterteam sammelt Ideen zur Beantwortung der gestellten Frage und denkt laut über Lösungsoptionen oder Handlungsansätze nach. Der Fallgeber kann in dieser Phase des Prozesses im Raum anwesend sein, ist aber in der Rolle des Zuhörers und wird nicht mit in die Diskussion einbezogen.
  5. Feedback vom Fallgeber: Der Fallgeber gibt seinem Beraterteam ein kurzes Feedback über die Lösungsoptionen, die ihn besonders angesprochen haben. Gegebenenfalls kann er bereits berichten, wie er sich im konkreten Fall weiter verhalten will.

Der gesamte Prozess dauert etwa 50 Minuten.

Abgleich des Rollenverständnisses mit der Geschäftsleitung

Um die Kulturveränderung nachhaltig zu unterstützen und einen lebendigen Austausch über das neue Führungsverständnis zu fördern, wurde darüber hinaus in jedem Modul ein Gast aus dem Management zu einer abendlichen Diskussionsrunde eingeladen. Bei diesen handelte es sich um Vertreter der Geschäftsleitung der GDIS. Diese traten mit den Mitarbeitern in einen offenen Dialog über Führungsthemen, die von den Mitarbeitern thematisiert wurden.

Auch die Themen Unternehmenswerte und Führung wurden an einem gemeinsamen Kaminabend mit einem Vertreter der Geschäftsleitung diskutiert. Kontrovers beleuchtet wurde in der Diskussion beispielsweise das Führungsverständnis. Das Mitglied der Geschäftsleitung erklärte, die GDIS bräuchte nicht Führungskräfte als „Klassensprecher“, die als Fürsprecher für die Gruppe fungieren. In der Führungskultur der GDIS sei die Erwartungshaltung des Managements an die Gruppenleiter vielmehr: Sie sollten richtungsweisend sein, quasi Leuchttürme. Die Meinungen der Gruppe sollten nicht ungefiltert oder unreflektiert übernommen, sondern anhand der Unternehmensstrategie und -philosophie kritisch bewertet werden.

Programmbegleitende Kleingruppenarbeit

Begleitend zu den Trainingsmodulen hatten die Teilnehmer in Gruppen von drei bis vier Personen unterschiedliche Themengebiete der Mitarbeiterführung vertieft und daraus praxisrelevantes „Handwerkszeug“ entwickelt.

Thematisch wurden in den unterschiedlichen Gruppen etwa Themen wie Mitarbeitermotivation oder Konfliktmanagement vertieft. Hierzu trafen sich die Teilnehmer der jeweiligen Kleingruppen mindestens einmal zwischen den einzelnen Trainingsmodulen. Ziel war die Vertiefung ihres Wissens durch Literaturstudium und eine praktische Umsetzung der gelernten Inhalte. So entstand etwa ein Leitfaden für das Führen von Konfliktgesprächen. Dieser wurde über das Intranet auch anderen interessierten Mitarbeitern zur Verfügung gestellt.

Methodenmix für eine integrierte Beratungsarchitektur

Im Methodenmix der Führungskräfteentwicklung stellen die unterschiedlichen Coaching-Formate die methodische Basis dar, die umfassenden Lernerfahrungen individuell zu reflektieren. Eine nachhaltige Verhaltensveränderung lässt sich dann erzielen, wenn die Lernerfahrungen aus Trainings, praktischen Übungen, aber auch aus dem Austausch mit der Geschäftsleitung bestmöglich in das persönliche Verhaltensrepertoire integriert werden können. Wo sollte das besser bearbeitbar sein als im Coaching? Die unterschiedlichen Coaching-Formate in unserer Beratungsarchitektur kann man folglich als „Tiefenbohrungen“ oder aus anderer Perspektive betrachtet als „Säulen“ oder „Brückenpfeiler“ für die nachhaltige Verhaltensoptimierung interpretieren.

Das Feedback nach dem Entwicklungsprogramm

Als besonders wertvoll wurde von den Teilnehmern der heterogene Teilnehmerkreis bewertet. Im Rahmen der gesamten Entwicklungsmaßnahme konnte ein intensives Vertrauensverhältnis der Führungskräfte untereinander erzielt werden, wobei gerade der intensive Austausch mit den Vertretern des Gesamtbetriebsrats als hilfreich eingeschätzt wurde. Von einem Mitglied des Gesamtbetriebsrats wurde vor allem betont, dass sich sein Verständnis für die Herausforderungen der Gruppenleiter stark verändert habe und er deren Position durch den offenen Austausch besser nachvollziehen könne. Auch bei eigenen Problemstellungen im Bereich der Arbeit im Gesamtbetriebsrat hätte das Entwicklungsprogramm einen wichtigen Beitrag zur Optimierung des eigenen Kommunikationsverhaltens geleistet.

Die Rückmeldungen nach den einzelnen Modulen zeigten, dass gerade die unterschiedlichen Formen des Feedbacks (Video-, Gruppen-, Partner- und Feedback durch die Trainer) den Teilnehmern eine gute Möglichkeit gegeben haben, Selbst- und Fremdwahrnehmung zu vergleichen.

Als besonders wertvoll wurde auch der abwechslungsreiche Methodenmix bewertet und die Gelegenheit, das eigene Handeln und die eigenen Ziele in unterschiedlichen Coaching-Einheiten kritisch zu hinterfragen. Im intensiven Austausch mit der Geschäftsleitung konnten die Teilnehmer das neue Führungsverständnis auf alltägliche Führungsprobleme reflektieren.

Die Phasen, die durch eine turbulente Gruppendynamik geprägt waren, wurden von den Teilnehmern nachträglich als ein Erfolgsfaktor für das Zusammenwachsen der Gruppe gesehen.

Der nachhaltige Nutzen

Die Generali-HR-Managerin und Programminitiatorin Mechthild Horn äußerte sich ein Jahr nach Abschluss des Entwicklungsprogramms positiv zur durchgeführten Maßnahme: „Die Zusammenarbeit zwischen den Gruppenleitern und den Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats hat sich nachhaltig verbessert und der Austausch zwischen allen Beteiligte findet weiterhin regelmäßig statt. Aufgrund des positiven Feedbacks von allen Beteiligten wird das Entwicklungsprogramm zukünftig auch für andere Gruppenleiter im Unternehmen angeboten. Aufgrund des breiten Interesses der Führungskräfte im Unternehmen wurden weitere Führungskräfteprogramme für andere Führungsebenen entwickelt. Denn es hat sich gezeigt, dass die Arbeit in einer Gruppe, die über einen längeren Zeitraum besteht und die systematisch begleitet wird, die gewünschte Änderung der Führungsrolle unterstützt.“

Etliche Programmteilnehmer treffen sich nachwievor zum selbstorganisierten Austausch, um sich gegenseitig bei aktuellen Führungsaufgaben zu unterstützen. Darüber hinaus wurde das Entwicklungsprogramm insofern fortgesetzt, als dass die Teilnehmer jährlich ein Thema benennen, das sie in Form einer zweitägigen Weiterentwicklung mit dem Trainerteam vertiefen.

Die Methode der Kollegialen Beratung wird nach der positiven Resonanz auch anderen Führungskräften in einem anderen Rahmen angeboten. Hier erhalten sie die Möglichkeit, sich konzernweit über Herausforderungen und Vorgehensweisen im Führungsalltag austauschen und weiter zu vernetzen.

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