Methoden

Achtsamkeit im Coaching. Teil 2

Selbstwirksam durch eine komplexe Unternehmenswelt navigieren

6 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 04 | 2014

Der erste Teil dieses Artikels behandelte eine theoretische Einführung zum Thema Achtsamkeit. Im Folgenden richtet sich das Augenmerk nun auf die praktische Anwendung der Achtsamkeit im Coaching.

Achtsamkeits-Coaching – für welche Anlässe und bei welchen Anliegen?

Achtsamkeit ist also eine wesentliche, wenn auch im digitalen Wissenszeitalter wenig kultivierte menschliche Fähigkeit. Durch Konzentration und Fokussierung der Aufmerksamkeit erleben wir innere Ruhe und Gelassenheit, sind präsenter und gegenwärtiger, verbessern unsere Selbstregulationsfähigkeit und werden offener für neue Erfahrungen. Mit Achtsamkeit können wir uns von Vorstellungen und Ideen, wie etwas oder jemand zu sein hat, lösen und die Welt – einschließlich uns selbst – immer genauer und umfassender und vorurteilsfreier wahrnehmen.

Dies macht den großen Wert der Achtsamkeitsschulung im Coaching deutlich, geht es doch im Coaching immer (auch) darum, die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu stärken, die Selbstwahrnehmung zu verbessern und die (professionelle) Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Gleichzeitig gibt es Coaching-Anliegen bzw. Coaching-Anlässe, für die das Achtsamkeits-Training besonders hilfreich ist. Dies ist in erster Linie der immer größere werdende Bereich der Work-Life- Balance und des Stressmanagements bis hin zum Burnout.

Auch bei Konflikten ist der Achtsamkeitsansatz hilfreich. Wer darin geübt ist, seine Gedanken und Emotionen aus einer Metaperspektive und mit Gelassenheit zu betrachten, dem gelingt es leichter, seinen Standpunkt zu relativieren und einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Wer nicht auf seinem Standpunkt beharrt, sondern die Bedürfnisse und Motive hinter dem eigenen Verhalten und dem des Konfliktpartners erkennt, kann lösungsorientiert agieren.

Und was passiert im Achtsamkeits-Coaching?

Achtsamkeitsinterventionen zielen auf das Erforschen. Erforschen im Sinne eines achtsamen Wahrnehmens von Emotionen, Gefühlen und Erfahrungen ohne vorschnelle Wertung. Besondere Bedeutung hat dabei der bereits zitierte "innere Beobachter". Achtsamkeit erfordert ein regelmäßiges Training; Einsicht und Erkenntnis genügen nicht. Erst durch regelmäßige Übungen entstehen neue neuronale Verknüpfungen, findet Lernen statt – egal, ob wir ein Instrument, eine Fremdsprache oder eine Methode bzw. neue Einstellung wie die Achtsamkeit erlernen wollen.

Der Einsatz von Mikropausen

Die Klienten lernen, "Mikroopausen" und "Mikrochecks" einzulegen: Regelmäßige kurze Pausen im Sekundenbereich, in welchen eine ruhige, tiefe Atmung praktiziert und durch einen kurzen Bodyscan die Köperwahrnehmung bewusst trainiert wird. Die Arbeit mit Visualisierung, Meditation und Atemtechniken ist ebenfalls sinnvoll. Bei regelmäßiger Übung wird der Klient nach zwei bis sechs Wochen zuverlässig eine Veränderung im Alltag wahrnehmen, sich selbstwirksamer und ruhiger erleben.

Dies ist häufig Voraussetzung dafür, bei stressbelasteten, burnoutgefährdeten Personen mit spezifischen Coaching-Interventionen überhaupt erst sinnvoll beginnen zu können. Entsprechend erläutert und eingeführt nehmen auch weniger stark belastete Klienten die Übungen als Mittel zur Aktivierung eigener Kraftquellen und Erweiterung ihrer Sichtweise sehr positiv auf.

Eine Mikropausen-Übung: Jede neue Situation kann als Anregung für eine kleine Mikropause genutzt werden. Hierbei halten wir kurz inne, lassen die Schultern fallen und nutzen ein paar Atemzüge, um zur Ruhe zu kommen. Das dauert nur wenige Sekunden. Innerhalb dieser Zeit bestimmen wir unseren inneren Stresspegel. Wie hoch steht der Pegel jetzt? Können wir damit so weitermachen oder müssen wir erst für eine Senkung der inneren Anstrengung sorgen?

Diese Mikropausen, die still und unauffällig überall durchgeführt werden können, senken den durchschnittlichen Tagesstresspegel deutlich. Die so verminderten Durchschnittswerte summieren sich im Laufe der Woche und noch mehr im Laufe der Monate und Jahre erheblich, was sich spürbar auf uns auswirkt.

Der achtsame Coach

Wendet ein Coach achtsamkeitsbasierte Methoden an, steht er selbst als Modell auf dem Prüfstand: Eine neugierige, offene und umfassend akzeptierende Haltung fordert das Loslassen von vertrauten und anerkannten Paradigmen des berufsbezogenen Coachings.

Man geht hier bewusst noch einen Schritt weiter als der klassische systemische Ansatz, indem man nicht nur "im Kopf" bleibt und Fragen stellt, sondern den Menschen in seiner psychophysiologischen Ganzheit im Blick behält. Dabei werden unterschiedliche Methoden zwar angewendet, aber auch durchgängig mit gelassener Distanz betrachtet. Nicht der "richtige methodische Ansatz" oder das "perfekt definierte" Coaching-Ziel stehen hier im Vordergrund, sondern die Beziehungs- und Prozessqualität zwischen Coach und Klient.

Die Coach-Klient-Beziehung ist erwiesenermaßen ein, wenn nicht "der" zentrale Wirkfaktor im Coaching. Eine geschulte und aktiv praktizierte Achtsamkeit fördert die Beziehungsqualität und hat gleichzeitig Modellfunktion für den Klienten. Ist ein Coach bereit, Achtsamkeitsmethoden als weit mehr als Entspannungstools zu betrachten, begibt er sich selbst auf einen herausfordernden Entwicklungsweg. Ein Weg, der beim Coach selbst, zur Stärkung persönlicher und fachlicher Ressourcen führt.

Vor welchen inneren Herausforderungen steht der achtsame Coach?

Paradox: Veränderung unterstützen durch "nicht verändern wollen":
Hier ist ein großes Vertrauen des Coachs in die Ressourcen des Klienten gefordert. Das konsequente Loslassen eigener Bewertungen und Interessen kostet Sicherheit. Die Gelassenheit und innere Autonomie des Coachs wird sich auf Dauer erhöhen.

Ergebnisoffenheit vs. Zielorientierung:
Die "Machbarkeit" bestimmter Verhaltensziele rückt in den Hintergrund, zugunsten einer achtsamen, kreativen Lösungssuche.

"Anfängergeist" vs. Diagnostik:
In der Haltung von Neugier und Interesse gegenüber jedem individuellen Klienten wird die Einordnung und Zuordnung des Klienten und dessen Themenstellung ebenso zweitranging wie die "Expertenrolle" des Coachs.

Bescheidene Gelassenheit vs. Eitelkeit:
Das tiefe Annehmen und die wertfreie Akzeptanz wirken auch entlastend für den Coach selbst – liebevolles Schmunzeln über sich selbst ist der Gewinn. Der Preis ist die Reflektion eigener, narzisstisch geprägter Selbstanteile. Das fällt da besonders schwer, wo das Charisma, die "Einzigartigkeit, die Genialität des Coachs" ein erfolgreiches Konzept war.

Fazit

Mehr und mehr Menschen verspüren das tiefe Bedürfnis, ihren Alltag zu entschleunigen und mehr Ruhe und Gelassenheit zu verspüren. Auch und gerade in einer zunehmend komplexen (Unternehmens-)Welt wollen wir das Steuerrad in der Hand behalten! Die Ergebnisse umfangreicher Forschung bestästigen eine umfassend positive und weitreichende Wirkung des Achtsamkeitsansatzes, u.a. bei Stress, Angst und Burnout. Dies spricht dafür, dass die Integration von Achtsamkeit in Coaching-Prozesse weiter Fuß fassen wird. Eine große Herausforderung besteht allerdings darin, diesem Konzept in seiner Vielschichtigkeit fundiert gerecht zu werden und es nicht im Businesskontext als "ein weiteres Tool im Werkzeugkasten" zu trivialisieren. Das wäre bei weitem zu kurz gesprungen!

Literatur

  • Thich, Nhat Hahn (1998). Schritte der Achtsamkeit. Freiburg: Herder.Bundschuh-Müller, 
  • Karin (2004). Achtsamkeit und Akzeptanz in der Personenzentrierten und Experimentellen Psychotherapie. In Thomas Heidenreich & Johannes Michalak (Hrsg.). Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie. Tübingen: DGVT-Verlag. 365.Frank, 
  • Gunter & Storch, Maja (2013). Die Mañana-Kompetenz. München: Piper.
  • Kabat-Zinn, Jon (2006). Zur Besinnung kommen. Freiamt: Arbor.

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