Künstliche Intelligenz – Dieser Begriff prägt und verändert zunehmend das persönliche Zusammenleben und die berufliche Zusammenarbeit. Ebenso davon betroffen ist das Coaching, da von Seiten der Unternehmen sowie der Klienten die Nachfrage zunimmt und der Druck steigt, vermehrt agile und digitale Tools im Coaching einzubinden. Folglich wird von einem „modernen“ Coach immer häufiger erwartet, auf solche Tools zurückzugreifen. Aber wie können Coaches Künstliche Intelligenz in ihre Praxis einbinden?
Der folgende Artikel stellt konkrete Handlungsempfehlungen für Coaches vor, mit denen Künstliche Intelligenz erfolgreich in die eigene Praxis implementiert werden kann. Außerdem werden Chancen und Grenzen des Einsatzes solcher Technologien im Coaching im Unternehmenskontext aufgezeigt. Die vorgestellten Handlungsempfehlungen wurden in einer empirischen Studie identifiziert, in welcher Entwicklerinnen und Entwickler von Künstlichen-Intelligenz-Systemen für das Coaching (z.B. Coaching-Chatbots), digitale Coaching-Anbieterinnen und -Anbieter sowie berufstätige, zertifizierte Coaches befragt wurden.
Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz schreitet mit sehr hoher Geschwindigkeit voran, aus diesem Grund kann zu dem Thema nur eine Momentaufnahme gegeben werden. Der aktuelle Stand der Forschung und Entwicklung der Künstlichen Intelligenz erlaubt bis dato lediglich den Einsatz sogenannter „schwacher Künstlicher Intelligenzen“. Darunter werden Systeme verstanden, die in einem eingegrenzten Problemraum eine spezifische Aufgabe effizient bearbeiten können. Solche Systeme können jedoch keine Veränderungen im zugrundeliegenden Problemraum wahrnehmen oder darauf reagieren (Scheuer, 2020). Im Coaching gibt es „schwache Künstliche Intelligenzen“ bereits bei „Chatbots“. Diese existieren in zwei Formen: als „Simulatoren“, welche parallel zu einem persönlichen Coaching eingesetzt werden, und als „Expertensysteme“, die mit einem Klienten vollkommen eigenständig ein Coaching durchführen können (Bierema, 2022).
Schon heute gibt es viele Einsatzmöglichkeiten solcher Künstlichen Intelligenzen im Coaching (siehe Abb. 1). Künstliche Intelligenz kann prinzipiell bei allen standardisierten und repetitiven Aufgaben eingesetzt werden, etwa bei der Identifizierung der Persönlichkeit des Klienten anhand eines Persönlichkeitstests oder bei der Anregung, Durchführung sowie Auswertung von Evaluationsprozessen. Zudem kann eine Künstliche Intelligenz für Interaktionen mit Klienten eingesetzt werden, bei welchen die Anwesenheit eines menschlichen Coachs nicht erforderlich ist. Zu diesen gehört z.B. das Aufgeben und Erarbeiten von Übungen sowie die Vor- und Nachbereitung der einzelnen Coaching-Sessions. Der Einsatz einer solchen Künstlichen Intelligenz im Coaching ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn es sich um einen klar definierten Problemraum handelt. Das Coaching-Anliegen muss hierfür sowohl vom Klienten als auch vom Coach von Beginn an klar definiert werden können. In Bezug auf die Klärung des Coaching-Anliegens kann die Künstliche Intelligenz ebenfalls herangezogen werden, da ein solches System diesen Prozessschritt übernehmen kann, wenn ihm die passenden Fragen einprogrammiert wurden. Durch die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz, eigenständig die Persönlichkeit des Klienten sowie dessen Coaching-Anliegen in Erfahrung zu bringen, können solche Systeme auch gut für den Matching- und Vermittlungsprozess zwischen dem Klienten und einem passenden Coach genutzt werden.
Bei den derzeit genutzten Künstliche-Intelligenz-Systemen handelt es sich um Anwendungssoftwares, die meist über eine App genutzt werden können. Sie können den Klienten Push-Benachrichtigungen auf das Smartphone senden, beispielsweise um diese an die Inhalte ihres Coachings oder einzelne Übungen zu erinnern. So können die Klienten ohne die Anwesenheit des Coachs orts- und zeitunabhängig weiter an ihrem Coaching-Anliegen arbeiten, etwa indem sie die neu erarbeiteten Verhaltensweisen trainieren. Zusätzlich kann den Klienten durch solche Tools ein neuer und attraktiver Einstieg in das Coaching geboten werden, beispielsweise indem sie mit einem Chatbot die Auftragsklärung in einer interaktiven sowie animierten Art und Weise durchführen. Aus Sicht der Klienten ist dies attraktiv, da sie keine statischen Formulare oder Fragebögen ausfüllen müssen. Zudem haben sie die Möglichkeit, ihr Coaching-Anliegen anonym dem Chatbot zu schildern. Hierdurch können potenzielle Schamhürden bei der Ansprache sensibler Inhalte verringert werden.
Auch aus Sicht der Coaches ist die Integration einer Künstlichen Intelligenz vielversprechend. Sie können durch diese zeitgemäßen Tools ihre Coaching-Praxis bereichern und damit einhergehend ihr berufliches Image aufbessern. Weiter kann ein Coach einen Großteil der anfallenden prozessualen und administrativen Aufgaben – wie z.B. Terminvereinbarungen, sowie standardisierte und repetitive Vorgänge – der Künstlichen Intelligenz übertragen, wodurch der Gesamtaufwand des Coachs verringert wird.
Die zugrundeliegende Forschung macht zudem deutlich, dass der Einsatz intelligenter Tools einem grundsätzlichen Problem in Beratungssituationen entgegenwirken kann, dem „Bias Mensch“. Ein menschlicher Coach kann in einer mehrstündigen Session nicht alle Auffälligkeiten wahrnehmen und sich sämtliche Informationen merken. Aufgrund dessen kann die Zusammenarbeit zwischen Coach und Künstlicher Intelligenz die Menge der wahrgenommenen und gespeicherten Informationen erhöhen und damit einen Mehrwert für das Coaching (siehe auch Abb. 2) schaffen. Zusätzlich können die Coaches durch diese Zusammenarbeit Kapazitätsengpässe ausgleichen, ihre Zeit effektiver einsetzen und sich in Sessions stärker auf die persönlichen und zwischenmenschlichen Aspekte fokussieren. Dazu gehört vor allem die menschliche Empathie, bei welcher eine Künstliche Intelligenz an ihre Grenzen stößt.
Wollen Coaches Künstliche Intelligenz erfolgreich nutzen, brauchen sie eine positive Haltung und ein großes Interesse gegenüber solchen Tools und Technologien. Damit einher geht die eigenständige Einarbeitung der Coaches in die Funktionsweisen und Fähigkeiten dieser Tools. Sie müssen selbstständig lernen und verstehen, wie ein System mehrwertfördernd in die eigene Coaching-Praxis eingebunden werden kann und wo es an seine Grenzen stößt. Dazu gehört auch die neue Herausforderung, einerseits eine Reihe an Aufgaben an die Künstliche Intelligenz zu übertragen, aber andererseits als Coach die vollkommene Verantwortung für den gesamten Coaching-Prozess beizubehalten.
Neben der eigenständigen Einarbeitung in das Themen- und Angebotsfeld rund um Künstliche Intelligenz müssen Coaches weitere Aspekte berücksichtigen (siehe Abb. 3). So ist die primäre Grundvoraussetzung für die Nutzung solcher Tools die Akzeptanz der User (Diers, 2020). Folglich müssen Coaches vor der Einbindung einer Künstlichen Intelligenz in einem Coaching zwei Aspekte abwägen:
Erst wenn diese beiden Fragen bejaht werden können und der Coach hinsichtlich der Funktionsweisen sowie des Umgangs mit den Technologien sicher ist, steht dem Einsatz einer Künstlichen Intelligenz nichts entgegen. Für die Beantwortung der beiden Fragen ist es empfehlenswert, den Klienten persönlich und direkt dazu zu befragen. Im gleichen Zuge kann der Coach die Gelegenheit nutzen, um dem Klienten die Funktionen und Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz zu erläutern. Diese Aufklärung stellt einen essenziellen Erfolgstreiber für den Einsatz der Künstlichen Intelligenz sowie den Verlauf des gesamten Coachings dar. Hierdurch werden potenzielle Ängste und Zweifel seitens der Klienten beseitigt, wodurch der Aufbau einer angemessenen Arbeitsbeziehung zu dem System unterstützt wird.
Die wertschätzende und vertrauensbasierte Arbeitsbeziehung zwischen dem Klienten und dem menschlichen Coach sowie der eingesetzten Künstlichen Intelligenz, stellt einen essenziellen Bestandteil für ein erfolgreiches Coaching dar (De Haan et al., 2016). Eine Untersuchung von Dahm und Dregger (2019) konnte nachweisen, dass Menschen in der Lage sind, eine vergleichbar angemessene Arbeitsbeziehung zu einer Künstlichen Intelligenz aufzubauen, wie zu einem anderen Menschen. Der Prozess des Beziehungsaufbaus zu einer Maschine nimmt jedoch eine längere Zeit in Anspruch. Es kann zudem schneller zu einem Vertrauensverlust kommen, als es bei einem Menschen der Fall wäre. Ähnlich sieht es bei den erfolgstreibenden Aspekten des Coachings aus, nämlich der Motivation und Ernsthaftigkeit des Klienten für eine intensive und selbstständige Arbeit an seinem Coaching-Anliegen. Die Klienten zeigen bei der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz teils ein geringeres Maß an Motivation und Ernsthaftigkeit. Dies wurde in der Studie (ebd.) auf mehrere mögliche Erklärungen zurückgeführt. Zum einen könnten die Klienten das Gefühl missen, mit einem realen Menschen zu kommunizieren. Zum anderen könnten die Klienten einem Coaching mit einer Maschine eine geringere Qualität sowie Wertigkeit zuschreiben als einem Coaching mit einem menschlichen Coach. Coaches können diese Gefahren mindern, indem sie auf einen ausreichenden persönlichen Austausch zwischen sich und dem Klienten achten. Zudem sollten Coaches regelmäßig Feedback zur Zusammenarbeit zwischen dem Klienten und der Künstlichen Intelligenz einholen und dieses berücksichtigen.
Zuletzt sind Coaches dafür zuständig, die Grenzen und Fehlerquellen der Künstlichen Intelligenzen im Coaching zu minimieren. Zu den derzeit relevantesten Grenzen solcher Tools zählt die fehlende Empathie. Die Systeme sind nicht in der Lage, menschliche Gefühle nachzuempfinden. Hierbei handelt es sich aber um einen relevanten Erfolgstreiber im Coaching. Die Coaches müssen ihren Fokus in den persönlichen Sessions vermehrt auf diesen Aspekt richten. So wird das Fehlen der menschlichen und mitfühlenden Facetten bei den Interaktionen mit der Künstlichen Intelligenz kompensiert.
Eine weitere Fehlerquelle der Systeme: Eine Künstliche Intelligenz kann zwar sehr gut Veränderungen und Auffälligkeiten in Gesichtsausdrücken, der Stimme oder dem Verhalten von Menschen wahrnehmen. Jedoch verfügen die Systeme nicht über die Fähigkeit, die wahrgenommenen Informationen angemessen in einen Gesamtkontext einzuordnen. Zusätzlich können solche Systeme Fehlinformationen generieren, weshalb eine Künstliche Intelligenz auf die Unterstützung sowie das Eingreifen von menschlichen Coaches angewiesen ist. In diesem Zuge haben Coaches die Aufgabe, die von der Künstlichen Intelligenz generierten Informationen regelmäßig und kontinuierlich auf Richtigkeit sowie Angemessenheit zu prüfen. Die Coaches müssen diese Informationen dann in den richtigen Gesamtkontext des Coachings bringen.
Digitalisierung und die damit zunehmende Akzeptanz der Nutzung Künstlicher Intelligenz führen zu einem Wandel in der beruflichen Zusammenarbeit. Dadurch könnten analoge Coachings vermehrt in Frage gestellt werden. Und so steht auch der Coaching-Markt durch diese Entwicklungen einer potenziell disruptiven Veränderung gegenüber. In naher Zukunft werden immer mehr digitale und intelligente Tools für das Coaching entwickelt, angeboten, nachgefragt und eingesetzt. Gerade die Personalentwicklungsabteilungen in größeren Unternehmen werden Wert darauf legen, auch im Coaching-Bereich durch digitale Techniken Skaleneffekte zu erzielen, um mit dem gleichen Ressourcenaufwand mehr Wirkung zu erreichen. Auf Basis dessen wird in den nächsten Jahren das sogenannte „Blended Coaching“, d.h. die Kombination des persönlichen Coachings mit einem Menschen und der Interaktionen mit digitalen, intelligenten Technologien, im Coaching-Markt an Beliebtheit gewinnen.
Coaches sollten sich rechtzeitig über die anstehenden Veränderungen informieren. Hierbei sollten sie von sich aus aktiv werden, die unterschiedlichen angebotenen Tools selbstständig testen und dabei die Funktionsweisen sowie die Handhabung selbst ausprobieren. Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es am Markt bereits verschiedene Angebote solcher Technologien: Z.B. bieten die amerikanischen Entwickler LEADx und Bunch sowie das deutsche Unternehmen Evoach Expertensysteme an, bei welchen Klienten ein Selbst-Coaching mit einem Chatbot durchführen können. Neben diesen Expertensystemen gibt es zudem einige angebotene Simulatoren, die für Coaches relevant sind. Zu diesen zählen z.B. die deutschen Anbieter AI Coaching und Haufe Akademie sowie die amerikanischen Anbieter BetterUp und ROCKY.AI.
Ein wesentliches Thema, das Coaches bei ihren Klienten begleiten, ist der Umgang mit Veränderungen und speziell mit der Digitalisierung. Durch die anstehenden Veränderungen im Coaching-Markt müssen Coaches jetzt bei sich selbst ansetzen, um ihre Klienten auch in Zukunft zeitgemäß begleiten zu können. Ist der Einstieg erst einmal geschafft, kann Künstliche Intelligenz im Coaching einen hohen Mehrwert bringen.